Eine Brauerei als Denkmal

Foto: © Radek Hlaváček

Die neue Nutzung von Industriebauten

Fabriken, Bergwerke, Hüttenwerke, Kalkwerke, Gasometer, Hochöfen. Bernd und Hilla Becher reisten über 40 Jahre kreuz und quer durch die ganze Welt und fotografierten diese Industrieobjekte. „Soll das etwa Spaß machen? Eine Fabrik ist halt eine Fabrik“, denken jetzt vielleicht viele. Aber das gewaltige Werk dieses deutschen Ehepaares offenbart eine sonderbare Tatsache: Obwohl alle Bergwerke dem gleichen Zweck dienen, können sie sich doch erheblich voneinander unterscheiden. Das gleiche gilt auch für andere Industriebauten. Und man stellt auf einmal fest, dass es sogar Spaß macht, diese Unterschiede zu suchen, zu finden und zu vergleichen. Und das dieses Gewirr von Röhren, Schornsteinen und Stahlkonstruktionen auf eine gewisse Weise oft sehr schön ist.

Heute zweifelt niemand mehr an der künstlerischen Qualität der Bilder von Bernd und Hilla Becher. Das war aber nicht immer so: Als die Fotos zu Beginn der 60er Jahre zum ersten Mal im Rahmen zeitgenössischer Kunstausstellungen präsentiert wurden, riefen sie bei vielen Kritikern Ablehnung hervor, und ihr künstlerischer Wert wurde bestritten. Das Ehepaar Becher wollte nämlich in erster Linie die Gestalt von alten Industriekomplexen dokumentieren, die auf der ganzen Welt allmählich der Abrissbirne zum Opfer fielen. Objektiv, technisch vollkommen, einfach so, dass man sich auch nach ihrem Abriss ein vollständiges Bild davon machen kann, wie sie einst tatsächlich ausgesehen haben.

Dem Fotografenpaar ging es nicht darum, ungewöhnliche Perspektiven zu finden, einen einzigartigen Augenblick, überraschende Details oder interessante Lichteffekte einzufangen. Ganz im Gegenteil: Das ganze Leben strebten sie danach, eine erschöpfende Typologie von Fabriken zusammenzustellen, die ihre besten Jahre schon hinter sich hatten. Und das auf eine Art und Weise, die es erlaubt, sie untereinander so einfach wie möglich zu vergleichen: Deshalb sind die Fotos grundsätzlich schwarz-weiß und stets aus demselben Winkel aufgenommen. Die meisten von ihnen dokumentierten Gebäude stehen heute nicht mehr.

Niemand zweifelt heute daran, dass Kathedralen, Burgen und andere architektonisch bedeutende Bauten für zukünftige Zeiten erhalten werden müssen. Das heißt jedoch nicht, dass Häuser, die diese Kriterien erfüllen, auch tatsächlich entsprechend behandelt werden: Erinnert sei nur an den Abriss des Hauses am Prager Wenzelsplatz Nr. 1601, was in Fachkreisen zu zahlreichen Protesten führte. Dennoch wird die Denkmalpflege solcher Häuser von den meisten Menschen als etwas Richtiges und Selbstverständliches wahrgenommen. Komplizierter wird es im Falle von Industrieobjekten: Warum sollten Bahnhöfe, Brauereien oder Fabriken geschützt werden, wenn sie ihre Funktion nicht mehr erfüllen? Welche Rolle sollen sie in Zukunft spielen?

Foto: © Radek Hlaváček

Die MeetFactory in Prag-Smíchov, Foto: Radek Hlaváček


Unsere industriellen Spuren

Auf diese Fragen versucht in Tschechien bereits im sechsten Jahr die Internationale Biennale der Industriellen Spuren Antworten zu finden. 2011 ging es vor allem um die Möglichkeiten einer neuen Nutzung des industriellen Erbes. Die Mehrzahl der Fachleute hält es für wichtig, den Denkmälern eine neue Funktion zu geben, wenn sie nicht mehr ihren ursprünglichen Zwecken dienen können. Relativ häufig werden dann solche Objekte von der Kunst- und Kulturszene übernommen, es entstehen Galerien, Künstlerresidenzen und Ateliers oder Konzert- und Theatersäle. Allein in Prag gibt es mehrere davon: Alle eben genannten Nutzungsmöglichkeiten vereint die MeetFactory in sich, die sich in einer ehemaligen Glashütte befindet. Die Trafačka ist in einer ehemaligen Trafostation entstanden, im Gebäude des DOX wurde früher Metall verarbeitet, die Karlín Studios haben sich in einer rekonstruierten Fabrikhalle eingerichtet. Industriegebäude werden in den letzten Jahren auch immer häufiger zu modernen Wohnungen umgestaltet. Trotz all dieser erwähnten Initiativen und Modetrends werden nach wie vor zahlreiche wertvolle Industriekomplexe abgerissen.

Bernd und Hilla Becher geben zu, dass ihnen einige Objekte, die sie fotografierten, nicht gefallen haben. Sie kamen ihnen langweilig vor. Dennoch sahen sie es als wichtig an, eine Erinnerung für die kommenden Generationen sicherzustellen, und so haben sie diese Objekte, als sie von den Abrissplänen erfuhren, auf ihren Bildern für die Zukunft festgehalten.

Die industrielle Revolution fing vor mehr als 200 Jahren an unsere Welt zu verändern; ohne sie sähen unsere Städte heute ganz anders aus. Das fotografische Vermächtnis der Bechers sagt ganz klar: Falls wir die Bauten zerstören, die als Folge der industriellen Revolution entstanden sind, entledigen wir uns eines Teils unserer Geschichte und es ist möglich, dass wir sie nicht mehr verstehen werden. Es kann als ungewohnt empfunden werden, die Schönheit im Güterbahnhof Prag-Žižkov zu suchen, dennoch sollte man es zumindest versuchen. Nicht nur diesem außergewöhnlichen funktionalistischen Gebäude droht derzeit der Abriss. Vielleicht helfen uns die Fotografien des Ehepaars Becher zu begreifen, was wir dadurch verlieren.

Veronika Rollová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2012

    Bernd & Hilla Becher: Gruben. Hütten.

    Hütten- und Bergwerksfotografien von Bernd und Hilla Becher kann man sich noch bis zum 3. Juni 2012 in der Prager Galerie Rudolfinum anschauen. Es handelt sich um ihre überhaupt erste Einzelausstellung in Tschechien.