Gretchenfrage unter Nazis

Foto: © Jana Dolečková
Im Februar 2013 marschierten deutsche und tschechische Neonazis mit Fackeln durch Ostrava, um den Jahrestag der Bombardierung Dresdens zu begehen. Foto: © Jana Dolečková

Tschechische Rechtsextremisten suchen Anerkennung bei ihren deutschen Gesinnungsgenossen. Aber wie gehen sie mit dem Zweiten Weltkrieg um? Die einen verdrängen den Konflikt, andere arbeiten an abstrusen gemeinsamen Heldengeschichten.

Er war beim „Kampf um Berlin“ dabei. Erik Lamprecht sagt es zweimal. Der Chef der „Arbeiterjugend“, der Nachwuchsabteilung der rechtsextremen tschechischen „Arbeiterpartei der Sozialen Gerechtigkeit“ (DSSS), ist 25 und ein alter Hase im deutschen Wahlkampf. Nicht nur in Berlin, auch in Sachsen half er schon seinen Kameraden von der NPD. Lamprecht gefiel das, er hat das Gefühl, dass es in Deutschland wirklich um etwas geht. Mit seinem Parteifreund Jiří Petřivalský verteilte er Zeitungen und Flugblätter – „Schwarzarbeit“ nennt er das lapidar, bei der NPD finden sich dafür nicht genügend Freiwillige. Die Gründlichkeit der NPD beeindruckte sie. „Wir haben wirklich keinen Briefkasten ausgelassen“, sagt Petřivalský.

Im Gegenzug erhielten die angeheuerten Wahlkampfhelfer Knowhow. Lamprecht brachte die „Aktion Schulhof“ der NPD als Propagandamaßnahme mit nach Tschechien. Ein Comic, den die „Arbeiterjugend“ im Umfeld von Schulen verteilt, vermittelt Schülern anhand Gänsen, Enten und Hühnern ihre vermeintlich privilegierte Beziehung zu Ausländern und „Unangepassten“ – ein Schmähbegriff für Roma. Lamprecht war froh, dass er einmal eine professionelle Aktion mit „gutem Widerhall“ auf die Beine gestellt hatte.

Auf einer Facebookseite der „Arbeiterjugend“ stellt ein User die Gretchenfrage: „Seid ihr tschechische Patrioten oder deutsche? Welche Meinung habt ihr zum Abtritt des Sudetenlands an das Deutsche Reich, zum Münchener Abkommen und zur Vertreibung der tschechischen Bürger aus den Grenzgebieten 1938, der Okkupation der Tschechoslowakei 1939, der Auslöschung Lidices 1942, den Hinrichtungen tschechischer Patrioten durch die Nazis? Diskutiert ihr mit euren deutschen Nationalistenfreunden über die Beziehungen zwischen Tschechen und Deutschen und über die tausendjährige Germanisierung des tschechischen Territoriums?“

„Gretchenfrage“ an tschechische Neonazis, Screenshot aus Facebook

Die Gegenwart zählt

Das Thema ist nicht nur empfindlich in der DSSS, die Kontakte mit der NPD pflegt, sondern auch im Kameradschaftsmilieu, wo man sich offen auf neonazistisches Gedankengut bezieht. Die Frage nach dem Geschichtsbild offenbart die Zerrissenheit der rechtsextremen Szene in Tschechien, von außen betrachtet erscheint es wie ein unauflösbarer Widerspruch. Ein tschechischer Neonazi, der sich mit einem deutschen Neonazi verbündet, muss schizophren sein, spätestens, wenn es um die Geschichte geht. Um jenen Nationalsozialismus, in dem Tschechen allenfalls eine Rolle als „arisierbare“ Sklaven zugestanden wurde.

Der Seiten-Administrator weiß nicht so recht, wie er auf die Frage des Users reagieren soll. Es sei kompliziert, gibt er zu. Erik Lamprecht beantwortet solche Fragen überhaupt nicht: „zu heikel“. Und in den Beziehungen zu den Parteifreunden der NPD spielten sie keine Rolle, behauptet er. Man konzentriere sich auf die Gegenwart. Man arbeite auf ein Europa der Vaterländer hin, in dem die Völker respektvoll nebeneinander leben und dafür müsse man politische Partner haben. Ein solcher sei die NPD.

„Ich wurde schon als Nationalist geboren“, sagt Lamprecht ohne Ironie. Seit vier Jahren ist er in der Partei aktiv. Fotos auf Antifa-Seiten zeigen ihn im T-Shirt der White-Power-Koryphäe „Skrewdriver“. Jetzt sitzt er in einem Brünner Café und hat ein dunkles Hemd an. Den „nationalen Sozialismus“, den die DSSS vertritt, kann er nicht so recht erklären. Er wolle sich nicht auf Bezeichnungen reduzieren. Auf Taten komme es doch an.

Sein Parteifreund Jiří Petřivalský, einst Chef der inzwischen aufgelösten neonazistischen Gruppe „Narodní korporativismus“ („Nationaler Korporativismus“), nun zentrale Figur in der DSSS, überrascht mit einem Verweis auf das K.u.K.-Reich. Der Zweite Weltkrieg sei zweifellos ein schlechtes Beispiel, aber die deutsch-tschechischen Beziehungen hätten ja vorher auch gute Tage gehabt.

Deutsche Freunde wollen Aufhebung der Beneš-Dekrete

Lamprecht und Petřivalský ignorieren geflissentlich, dass die NPD in ihrem Parteiprogramm die Aufhebung der Beneš-Dekrete sowie die „Wiedervereinigung Deutschlands innerhalb seiner historisch gewachsenen Grenzen“ fordert. Man halte sich an das, was die Deutschen ihnen gegenüber äußern, nicht an etwas, was irgendwo geschrieben wird, sagt Petřivalský, der in der DSSS für die Auslandskontakte zuständig ist. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass das Thema im kleinen Kreis tabu ist. Antifa-Seiten zeigen ein Foto von Erik Lamprecht während eines Besuchs mit Kameraden bei Katrin Köhler, Chemnitzer Stadtratsabgeordnete der NPD. Gemeinsam betrachten sie eine Karte des Deutschen Reichs von 1938: die Tschechoslowakei ist darauf bereits zerteilt in Sudetenland und „Rest-Tschechei“.

Foto: © Nancy Waldmann
Erik Lamprecht (Mitte) als Organisator und Ordner auf der 1. Mai-Demo der „Dělnicka mladež“ („Arbeiterjugend“) 2013 in Přerov. Foto: © Nancy Waldmann

In dem 2011 vom damaligen NPD-Parteichef Udo Voigt und dem DSSS-Chef Tomáš Vandas unterschriebenen „Manifest von Riesa“, in dem man sich gegen EU, NATO, Krise und Migration verbündet, spielen diese Punkte keine Rolle. Innerhalb der DSSS muss es allerdings Erklärungsbedarf gegeben haben. „Ich habe unsere deutschen Freunde darüber informiert, dass die Frage der Beneš-Dekrete für uns eine abgeschlossene Angelegenheit ist“, äußerte Vandas damals in der Parteizeitung Dělnické listy. Die DSSS werde nie deren Annullierung verlangen. Trotzdem feierte die DSSS das Riesa-Manifest und einige Treffen der Parteispitzen in Prag und Bamberg als „Meilensteine“ der Zusammenarbeit. Mehr passierte dann allerdings nicht. „Vandas hat vermutlich auf Druck der Kameradschaften hin die Verbindung zur NPD aufgebaut“, vermutet der Brünner Rechtsextremismusexperte Miroslav Mareš, der seit Jahren die Szene beobachtet.

Im Kameradschaftsmilieu geht man offensiver, aber auch diffuser mit der Geschichte um. Im Februar 2013 marschierten deutsche und tschechische Neonazis mit Fackeln durch Ostrava, um den Jahrestag der Bombardierung Dresdens zu begehen. In Dresden wird dies angesichts Gegendemonstrationen zunehmend schwieriger. Mobilisiert hatte das „Freie Netz Süd“, ein in Bayern aktives Neonazi-Netzwerk.

Europa in der Tradition des Deutschen Reichs

Ostrava ist kein Einzelfall. In den vergangenen Jahren seien deutsche Rechtsextreme praktisch auf fast jeder größeren Demonstration in Tschechien anzutreffen, sowohl als Redner als auch als Teilnehmer, sagen Beobachter der Szene. 2009 haben sich deutsche, tschechische und österreichische Neonazis zum „Deutsch-Böhmischen Freundschaftskreis“ zusammengeschlossen, „um den gemeinsamen Glauben an ein Europa der Vaterländer zu manifestieren“, so schreibt die Gruppe auf ihrer Webseite. Zu dem Kreis sollen auch Mitglieder der „Arbeiterjugend“ der DSSS gehören. Regelmäßig traf man sich zum „Tag der Freundschaft“, zuletzt 2012 in Bayern.

In der „grundlegenden Vereinbarung“ des Freundeskreises steht geschrieben, wie man sich das „Europa der Volksstaaten“ vorstellt: nämlich in Anknüpfung an „die Tradition und die Leistung des Deutschen Reiches und seiner Verbündeten als Kern und Bollwerk Europas“. Das Papier erklärt die Beneš-Dekrete für nichtig und fordert das „Wohn- und Lebensrecht“ für die Sudetendeutschen und deren Entschädigung.

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Erik Lamprecht als Redner auf der 1. Mai-Demo der „Dělnicka mladež“ („Arbeiterjugend“) 2013 in Přerov. Foto: © Jana Dolečková

Kollaboration als Heldentat

Ein solch germanozentrisches Geschichtsbild ist auch in der Kameradschaftsszene nicht unumstritten. „Tschechische Rechtsextremisten sehen die Deutschen nicht als Herrenrasse. Sie wollen Teil eines gleichberechtigten europäischen Kampfes sein“, sagt der Rechtsextremismusforscher Mareš. Die Anerkennung der Deutschen sei dabei allerdings sehr wichtig, denn die sind die Vorbilder.

Um diese zu finden, arbeitet man sich in Neonazi-Kreisen an der Revision der Geschichte des Protektorats ab. Treibende Kraft ist die auf einschlägigen Portalen verlinkte Webseite Náš směr (Unsere Richtung). In hunderten Artikeln versucht sie zu beweisen, dass Hitler ein Freund der Tschechen war. „Für diese Leute spielt es eine wichtige Rolle, dass Tschechen in SS-Einheiten, Wehrmacht oder paramilitärischen Gruppen mitgekämpft haben“, sagt Mareš. Erkenntnisse der letzten Jahre über das Ausmaß der tschechischen Kollaboration im Protektorat bieten Neonazis nun Stoff, um an einer vermeintlichen gemeinsamen Heldengeschichte mit den Deutschen zu stricken.

Parteifunktionäre Lamprecht und Petřivalský geben schon aus polit-taktischen Gründen vor, von Seiten wie Náš směr nichts zu wissen. Denn kompatibel mit tschechischem Stammtisch-Nationalismus, den die DSSS mitbedient, ist die germanophile Umdeutung der Geschichte nicht. Politischer Erfolg war der DSSS in den jüngsten Wahlen jedoch wieder nicht vergönnt, nicht einmal ein Prozent der Stimmen erhielt die Partei. Da erntet Lamprecht seine Lorbeeren lieber in Deutschland, wo erneut eine NPD-Wahlkampagne anstand. Im neuen Youtube-Video der „Arbeiterjugend“ zeigt er sich mit Leiter und Plakaten beim „Kampf um Hessen“ in deutschen Reihenhaussiedlungen.

Nancy Waldmann

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November 2013

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