Den Spieß umdrehen

Čechy v ČR nechcemeDer Käfer Pytlík, den die Initiative als Beispiel für einige negative Eigenschaften der Tschechen verwendet, wurde am Ende des Marsches aufgehängt. Foto: © Lukáš Houdek
Der Käfer Pytlík, den die Initiative als Beispiel für einige negative Eigenschaften der Tschechen verwendet, wurde am Ende des Marsches aufgehängt. Foto: © Lukáš Houdek

„Tschechen lügen, klauen, betrügen, vergewaltigen und morden. Zurück an die Adria mit ihnen!“ Das ist das zentrale Motto der Initiative „Tschechen raus aus Tschechien!“, die mit Satire und Humor gegen Rassismus vorgehen will. Sie dreht den Spieß um, indem sie Hass-Texte von Nazi-Webseiten parodiert. Die Vorgehensweise ist einfach: das Wort „Roma“ wird einfach mit „Tscheche“ ersetzt. „Wir wollen damit erreichen, dass diese Leute einmal am eigenen Leib erleben, was sie anderen antun“, sagt einer der Aktivisten, Karel Roztočil.

Der zentrale Impuls waren die Reaktionen auf die Geburt der Roma-Fünflinge im Juni 2013. Dieses Ereignis rief eine unglaubliche Welle an hasserfüllten Kommentaren hervor, vor allem in den sozialen Netzwerken. Anonyme Menschen drohten den Eltern, sie zu töten, die Kinder wurden als Parasiten und Schmarotzer bezeichnet, Leute regten sich darüber auf, „das ganze Leben für sie arbeiten“ zu müssen. „Damals haben wir uns gedacht, dass man da persönlich Flagge zeigen muss. Die rassistischen Parolen haben uns nicht überrascht, das gehört bei uns schon irgendwie dazu. Sehr gestört hat uns aber, dass sich die Aggressivität nun auch gegen neugeborene Menschen richtete, die sich nicht wehren können“, sagt Karel Roztočil, der genauso wie alle anderen Projektteilnehmer aus Sicherheitsgründen unter Pseudonym in Erscheinung tritt.

Im Namen der tschechischen Tradition

Gegen so ein ernstes Problem wie Rassismus mit Humor vorzugehen erscheint auf den ersten Blick ungewöhnlich und merkwürdig, Karel Roztočil hält das jedoch für eine sehr wirksame Methode. Gleichzeitig erinnert er daran, dass Tschechen und Slowaken in dieser Hinsicht über reichhaltige Erfahrungen verfügen. Er nennt in diesem Zusammenhang Jaroslav Hašeks Schilderungen der Schrecken des Ersten Weltkriegs, das „Osvobozené divadlo“ („Befreites Theater“), das mit Humor gegen die Nazis anspielte oder das Prager „Jára-Cimrman-Theater“ mit seinen scharfzüngigen Anspielungen auf die jeweils aktuellen Zustände. „Die Tschechen haben eine große Satire-Tradition und dieses Engagement war sicherlich nicht erfolglos. Humor ermutigt die Menschen, und er ist gleichzeitig die wirksamste Waffe gegen das Böse, denn das Böse kann gegen Humor nichts ausrichten. Thomas Moore sagte einmal, der Teufel ertrage es nicht, von jemandem ausgelacht zu werden.“

Dreh- und Angelpunkt des Projektes ist die Internetseite www.stopcechum.cz, wo man lesen kann, dass die Tschechen Lügner und Grobiane seien, die Krankheiten übertragen. Es gibt hier auch Anleitungen, wie man Tschechen loswird, und es wird festgestellt, dass sie jetzt sogar Jahreszeiten klauten. „Die Webseite betreuen ungefähr zehn Leute unterschiedlichen Alters, Berufs und politischer Überzeugung. Viele Texte stammen auch von unseren Fans und Unterstützern, die damit großartige Spontaneität zeigten“, fasst Karel Roztočil die vergangenen Monate zusammen. Allerdings sei die ganze Kampagne sehr anstrengend und kräftezehrend gewesen – zudem haben alle Beteiligten umsonst und in ihrer Freizeit dafür gearbeitet.

„Gut zu wissen, dass man Menschen noch vertrauen kann“

Die Reaktionen der Öffentlichkeit waren von Anfang an vorwiegend positiv. Das motivierte dazu, das Projekt fortzuführen. Die Leute fingen an, in den sozialen Netzwerken zu diskutieren, was eigentlich falsch läuft. „Das war ein unglaublicher Impuls. Es ist ein großartiges Gefühl, wenn man feststellt, dass man den Leuten immer noch vertrauen kann, auch wenn man aus den Medien ein entgegengesetztes Bild vermittelt bekommt. Im Gegensatz dazu war bei den Neonazis deutlich zu sehen, dass sie mit uns nicht zurechtkamen, und das gilt im Grunde genommen bis heute“, sagt Karel Roztočil.

Ein Videospot der Initiative „Tschechen raus aus Tschechien!“, in dem einige rassistische Diskussionen aus Facebook aufgelistet werden. ©

Im August dieses Jahres hat die Initiative Tschechen raus aus Tschechien schließlich entschieden, dass sie die virtuelle Welt verlässt und einen realen Marsch gegen Tschechen veranstaltet. Das Maskottchen des Marsches war der Käfer „Pytlík“ [eine tschechische Kinderbuchfigur, ein großmäuliger Angeber, Anm. d. Übers] in Sandalen, mit einer Plastiktüte und einer Bierflasche in der Hand. Die Aktion sollte eine Art Konzentration negativer tschechischer Eigenschaften und Gewohnheiten sein. Den Abschluss der Hauptkampagne bildete Anfang September eine Podiumsdiskussion, die sich mit Vorurteilen gegenüber Minderheiten beschäftigte. Teilgenommen haben unter anderem auch Menschen, die direkt in problematischen Regionen tätig sind und die Situation in diesen Brennpunkten gut kennen. „Nichts würde mich mehr freuen, als wenn die kommende Regierung in ihrem Programm auf die Erfahrungen dieser Menschen zurückgreift oder zumindest beginnt, mit ihnen zu kommunizieren“, sagt Karel Roztočil.

Derzeit haben sich die Protagonisten der Initiative Tschechen raus aus Tschechien aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, aber mit einer Fortsetzung des Projektes und neuen Ideen ist demnächst zu rechnen. Auf jeden Fall – so meint Karel Roztočil – müsste man den Leuten die Botschaft jenes Aufklebers vermitteln, der jetzt immer öfter an unterschiedlichen Orten zu sehen ist: „Die Zigeuner sind nicht schuld an eurem beschissenen Leben!“

Alice Zoubková
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: jádu / Goethe-Institut Prag
November 2013
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