In Karlsbad hat jeder clevere Tscheche seinen Russen
Russische Werbetafeln, russische Musik, die aus den Geschäften dringt und Russisch sprechende Besucher auf der Promenade. Der russische Zar Peter der Große posiert stolz auf Flyern, Tourismusbroschüren und sonstigem Werbematerial. Als Marketingsymbol ist Peter der Große in Karlsbad (Karlovy Vary) bei allen beliebt, ganz gleich woher sie stammen. Trotzdem rief eine geplante Zar-Peter-Statue in Karlsbad eine ähnliche Empörung aus wie die örtlichen Korruptionsaffären. Willkommen in einer Stadt, die seit der Wende eine dynamische Verwandlungen erlebt hat.
Wenn man einen Karlsbader fragt, warum in der Stadt so viele Russen sind, wird er wahrscheinlich antworten, dass Russen Karlsbad schon seit jeher besuchen, zumindest seit der Zeit Peters des Großen. Dass Karlsbad nicht mehr so „tschechisch“ ist wie früher, ruft unter den Einheimischen keine große Begeisterung hervor. Russisch ist in Karlsbad nicht gerade in Mode. Das zeigen sowohl die langjährige Diskussion über die Dominanz russischer Aufschriften in der Gegend um die Kuranlangen (und das Bemühen der Stadtführung sie zu beschränken) als auch die Debatte über russische Straßennamen und die Präsenz russischer Denkmäler in der Stadt. Dabei sind die russischen Symbole im öffentlichen Raum oft Werke von Tschechen, die auf ein Russisch sprechendes Klientel abzielen. Für Tschechen ist die russische Sprache nicht so schwer zu erlernen, sie kennen russische Konsumgewohnheiten, die russische Geschäftskultur und sie benutzen russische Marketingsymbole, wie eben zum Beispiel den russischen Zar Peter den Großen.
Aus Karlsbad wird Karlovy Vary
Die Unzufriedenheit mit zuziehenden Ausländern spiegelt eine Spannung wider, die verschiedene Fragen betrifft: Wer ist ein Karlsbader? Wem gehört die Zone rund um die Kuranlagen? Wer hat das Recht in der Stadt zu leben? Welchen Interessen soll die Stadt vorzugsweise dienen? Auch wenn heute Tschechen unter den Einwohnern nicht nur wegen ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit die bedeutendste Stellung innehaben und unter den Kurgästen Russisch sprechende Ausländer: Das war nicht immer so. Bis zum Zweiten Weltkrieg war Karlsbad eine Stadt mit überwiegend deutschsprachiger Bevölkerung ( seit dem Jahr 1869 auch mit einer jüdischen Minderheit), der die Stadt so berühmte Namen wie Moser oder Becher verdankt. Nach Kriegsende wurden die Deutschen aus der Kurstadt vertrieben. Durch Neuansiedlungen wurde Karlsbad eine tschechische Stadt, die sie bis heute ist: Karlovy Vary. Die größte Minderheit stellen heute russischsprachige Ausländer. Die zwei größten Gruppen unter ihnen machen aber nur fünf Prozent der Bevölkerung aus (laut der Volkszählung von 2011 lebten 1581 Russen und 774 Ukrainer in der 50.000-Einwohnerstadt).
Nach dem Krieg kam nur noch die Sowjet-Prominenz
Eine ähnliche Wandlung machten im vergangenen Jahrhundert auch die Kuranlagen durch. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dienten sie vor allem medizinischen Aufenthalten einer ausländischen, kosmopolitischen und reichen Klientel (zu den bekanntesten Besuchern zählen etwa Goethe, Schiller, Marx oder der erwähnte Zar Peter der Große). Spaziergänge über die Promenade, Walzer, gesellschaftliche Banketts und diplomatische Verhandlungen in den Hinterzimmern bestimmten die Atmosphäre in der Umgebung der Bäderanlagen. Nur vorübergehend, in Kriegszeiten, verwandelten sich die Sanatorien in Lazarrette. Ein radikaler Wandel erfolgte nach dem Zweiten Weltkrieg, als die reichen internationalen Besucher fast verschwanden. Hotels wurden umgebaut für große Gruppen von Arbeitenden, normale Geschäfte und Kneipen ersetzten die Cafés und Restaurants in der Umgebung der Kuranlagen. Die elitäre Klientel reduzierte sich auf Prominenz aus der Sowjetunion wie Gagarin, Breschnew, Andropow und andere.
Nach der Wende kamen Ausländer mit Koffern voller Geld
Karlsbad ist angeblich für Ausländer aus postsowjetischen Ländern eine Verbindung von Herz und Geld. Dies spielt an auf nostalgische Erinnerungen an das Karlsbad vor 1989, an Qualität und Luxus, und gleichzeitig auf das Bedürfnis der postsowjetischen Neureichen ihr in den 90er Jahren angehäuftes Geld zu investieren und auszugeben. Das war für Karlsbad nach 1989 entscheidend. Gerade als in Karlsbad die Finanzen zur Wartung und Rekonstruktion der Kuranlagen fehlten, kamen Ausländer mit Koffern voller Geld – und das im wahrsten Sinne des Wortes, wie manche sich erinnern. Ohne Rücksicht auf den Rückfluss ihrer Investitionen kauften sie Immobilien: Kur-, Unterkunfts- und Residenzgebäude. Sie taten dies aus Gründen der Geldanlage, zur Repräsentation oder um einen zweiten Wohnsitz zu haben. Über tschechische Firmen stiegen sie indirekt in die Privatisierung ein und wurden zu führenden Investoren hinter der Rekonstruktion der Kuranlagen und ihrer Umgebung. Bis dahin hatte das Karlsbader Kurwesen mit dem Desinteresse ausländischer Investoren und dem Mangel an örtlichem Kapital gekämpft.
Um die Kolonnaden entstand ein touristisches Freilichtmuseum
Die Folge der ausländischen Investitionen war eine radikale Veränderung der Gegend um die Kuranlagen. Sie begann ein ein eigenes Leben zu leben. Normale Leute hörten auf dorthin zu gehen, es verschwanden die kleinen Supermärkte , Schneidereien, Eisenwarenläden und weitere kleine Geschäfte. Auch die Anwohner wanderten ab. Wenn am Abend das tägliche Gewusel der Touristen abnimmt, taucht die Gegend um die berühmten Kolonnaden ab in das Dunkel der Fenster leerer Wohnungen und Häuser. Es gibt nur noch Geschäfte mit Luxuskleidung, Kristall, Porzellan und Gold oder überteuerte Cafés und Restaurants: ein touristisches Freilichtmuseum, das für die meisten Tschechen kein attraktiver Ort zum Leben ist. In der Wahrnehmung der Einheimischen ist die Stadt in zwei Welten geteilt: die Umgebung der Kuranlagen als Mittelpunkt der russischsprachigen Touristen und die umliegenden Teile Karlsbads als Orte, wo sich das Leben der tschechischen Bevölkerung konzentriert.
Die Russen eröffnen den Tschechen lukrative Gelegenheiten
Tatsächlich aber ist Karlsbad ein Ort, an dem sich die Bindungen zwischen Tschechen und Ausländern eher einspielen, weniger eine Stadt, wo sich zwei voneinander getrennte Welten gebildet haben, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Die Russen werden als Kunden wahrgenommen, die mehr ausgeben als andere Touristen und die Karlsbad von Herzen gern haben. Letzteres alleine schon weil sie die verfallenden Häuser gekauft und hergerichtet haben für Beträge, von denen die Einheimischen nicht einmal zu träumen wagten. Was manche Tschechen als Besatzung durch Geld und Unternehmertum bezeichnen, hat auch Gelegenheiten eröffnet zu lukrativen Geschäften, Arbeitsmöglichkeiten und interessanten Kontakten. Ein Karlsbader Sprichwort lautet vielsagend: „Jeder clevere Tschechen hat seinen Russen gefunden.“ Genauso wie mit Kollegen, Geschäftspartnern oder Arbeitgebern war und ist es nötig mit den Ausländern zu sprechen, sie zu verstehen und sie manchmal auch ein bißchen auszunutzen. Und so haben die Tschechen gelernt, was sie anzubieten haben. Sie können die tschechische Sprache besser, haben einen besseren Überblick über den heimischen Markt, legislative Vorschriften oder behördliche Vorgänge.
Russen-Angst speist sich aus der Geschichte und den Nachrichten
Ausländer und Tschechen brauchen und suchen sich also gegenseitig. Ist aber diese vor allem pragmatische Beziehnung zwischen neu Hinzugezogenen und Alteingesessenen, Ausländern und Tschechen, das ideale Zusammenleben? Ausländer tauchen im öffentlichen Raum in Karlsbad nicht als Konflikt- oder Problemthema auf (wie die Themen der örtlichen Bürgerforen oder die Agenden der politischen Gruppierungen belegen), aber sie sind genauso wenig akzeptiert als vollwertiger Bestandteil der örtlichen Gesellschaft. Sie sind willkommen in einem vor allem pragmatischen und ökonomischen Sinn. Investitionen wurden ohne Rücksicht auf ihre Herkunft ohne größere Diskussionen entgegengenommen. Manche hätten sich hier eine kritischere Haltung gewünscht. Bei der Akzeptanz der Russen als Teil der Bevölkerung gibt es mehr Probleme. „Die Russen machen in Karlsbad, was sie wollen!“ oder „Die Russen haben Karlsbad übernommen!“ lauten Überschriften in Zeitungen. Man begegnet den Ausländern mit einer Sorge, die sich speist aus der Angst vor der russischen Welt, die wachgehalten wird durch das historische Kurzzeitgedächtnis und die Medienberichte über das Geschehen in Russland und der Ukraine.
Der wechselseitige Dialog ist von Vorurteilen belastet
Ein wechselseitiger Dialog begann erst in letzter Zeit. Die Schwierigkeit, eine gemeinsame Sprache zu finden, die über die pragmatische Koexistenz und betretene Gleichgültigkeit im Alltag hinaus geht, ist in Karlsbad offensichtlich. Vielleicht, weil die negative Wahrnehmung einer russischen Herkunft neben dem ökonomischen Nutzen ein wichtiger Maßstab für die Bewertung des Lebens der Ausländer in Karlsbad geworden ist. Und das, obwohl eine Reihe von Ausländern die verbreitete Vorstellung über reiche Russen nicht erfüllt und ihr Leben sich in vielerlei Hinsicht gar nicht von dem der Alteingesessenen unterscheidet.
Übersetzung: Patrick Hamouz