Was bleibt ist fraglich

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Sind wir eine Jugend von Ja-Sagern und Revolutionsverweigerern?

Matthias Rohrer, 25, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Jugendkultur in Wien. Foto: © privat

Young, wild and free – die heutige Jugend ist außer young wohl nichts mehr von dem. Erschwerte gesellschaftliche Rahmenbedingungen und düstere Zukunftsaussichten haben junge Menschen so scheint es zu Ja-Sagern und Revolutionsverweigerern gemacht, wie Studien belegen. Was heutzutage für uns zählt, sind nur mehr materielle Werte.

Die Medien finden viele Bezeichnungen für sie. „Sie“ – das sind Jugendliche und junge Erwachsene ab 16 Jahren bis ungefähr zum Alter des Berufseintrittes. So inhomogen diese Gruppe ist, so einheitlicher und pessimistisch sind ihre Probleme. Die Perspektiven der „Zukunft des Landes“ sind keineswegs rosig – so scheint es und so wird es kommuniziert: Arbeitslosigkeit, prekäre Arbeitsverhältnisse in der Kreativbranche, Politikverdrossenheit, unqualifizierte Lehrlinge, fehlende Motivation und oftmals mangelnde soziale Kompetenzen werden ihnen zugeschrieben.

„Jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient“ heißt es im Volksmund. Die Gesellschaft heute hat die Generation Praktikum, Generation Hungerlohn oder Generation Prekariat und ist teilweise selbst schuld daran, sagt der 25-jährige Matthias Rohrer, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Jugendkultur in Wien. Und die Jugend selbst? Fühlt die sich von solchen Pauschalisierungen gebrandmarkt? Oder nimmt sie die Etiketten bereitwillig an?

Obwohl junge Menschen heutzutage in unsicheren und Krisenzeiten aufwachsen, sei die Prognose nicht negativ, erläutert Matthias Rohrer. „Wir sprechen von einer zweckoptimistischen Jugend. Ihre eigene Zukunft sehen sie einigermaßen positiv, jene der Gesellschaft hingegen sehr pessimistisch.“ Die Jugend habe das Gefühl, dass man – trotz negativer Zukunftsaussichten – selber alles hinkriegen kann. Dabei stehe allerdings der eigene persönliche Erfolg an erster Stelle.

Rückzug ins Private

Denn eine weitere Folge etwa hoher Arbeitslosigkeit und des Auseinanderbrechen des Sozialstaates sei, dass sich die junge Generation anhand materialistischer Werte orientiere: „Eine gute Ausbildung, ein sicherer Job, die Höhe des Verdienstes und ein funktionierendes Familienleben sind wichtiger als Selbstverwirklichung oder politisches Engagement“, sagt Rohrer. Für die Elterngeneration, die in wirtschaftlich und gesellschaftlich stabilen Zeiten aufgewachsen ist, war es leichter, politisches oder öffentliches Engagement zu zeigen, da die Rahmenbedingungen dies zuließen. „Wir haben eine sehr pragmatische, junge Generation, die sich in den privaten Bereich zurückzieht. Engagement findet nur noch im Privaten statt“, erklärt der Jugendforscher Wertestudien, die in Österreich im Schnitt alle zehn Jahre durchgeführt werden.

Foto (Ausschnitt): _xRawwR_, CC BY-SA 2.0
Foto (Ausschnitt): _xRawwR_, CC BY-SA 2.0

Die Gesellschaft, in der wir derzeit leben, hat also eine Jugend, die nicht durch ihren Aktivismus und Revolutionsgeist auffällt, sondern dadurch, dass sie nicht gegen das System meutert und sich damit abfindet, dass alles so läuft, wie es eben läuft.

Wenn der oder die Jugendliche auf die Straße geht und das Haus verlässt, dann als Krocha, Emo, Skater, Metaller, Hipster oder er/sie inszeniert sich mit Trainingshose und durchtrainiertem Oberkörper als Teil der „Fitness-Gruppe“. Diese verschiedenen Jugendszenen sind heute wichtiger und ausgeprägter denn je. Rund 70% der bis 20-Jährigen fühlen sich laut einer Studie des Instituts für Jugendkultur einer Szene zugehörig. „Im Unterschied zur Vorgängergeneration handelt es sich hier um Lifestyle-Gruppen, nicht so sehr um Gruppen mit politischem Hintergrund“, erklärt Rohrer. Selbst jene, die sich vordergründig nicht einer Gruppe zuordnen, könnten in den Bereichen Musik, Sport, Technik zugeordnet werden und sogar die angepassten Jugendlichen finden sich wieder – in der Szene der Normalos.

Diese Vielfalt macht es schwierig, einen Trend zu kreieren, der bleibt. Künftige Generationen werden sich an uns nicht aufgrund von Mode oder Kultur erinnern. Was bleibt ist fraglich, vermutlich aber sind es materielle Werte, glaubt Rohrer.


Copyright: Goethe-Institut Prag
Oktober 2012
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