Gemischtes Doppel | Visegrád 4

Den Kompost ins Rathaus!

Illustration: © Ulrike Zöllner

#17 | TSCHECHIEN

Die Kommunalwahlen in Tschechien haben unsere Kolumnistin verwirrt. Während krude politische Allianzen um die Macht ringen, werden Bürgerinitiativen als Aktivisten geschmäht. Dabei wollen die doch nur kompostieren, meint Tereza Semotamová.

Liebe Monika, lieber Michal, lieber Márton,

wir haben eine interessante Kommunalwahl hinter uns. Die Wahlbeteiligung war sehr niedrig – offenbar wollte die Hälfte des Landes keine Verantwortung für die Wahl übernehmen und blieb einfach zu Hause. Eigentlich ist das ein Alarmsignal. Aber wen überrascht es noch? „Über uns – ohne uns“ war schon immer eine beliebte Handlungsstrategie in Tschechien. Auch wenn die Wahlbeteiligung den wackeren Demokratinnen und Demokraten Kopfschmerzen bereiten dürfte, es gibt trotzdem ein bisschen Grund zur Freude.

Erstens, ANO, die Bewegung von Premierminister Andrej Babiš, büßt Wählerstimmen ein! Zumindest in Prag hat Babiš verloren. Prag ist zwar eine Republik in der Republik, aber Babiš wollte hier unbedingt gewinnen. Weil es eine Prestige-Sache ist. Vor vier Jahren hatte er DIE Chance dazu – am Wochenende musste er zugegeben, dass das völlig schiefgegangen ist.

Aha, eine halbwegs funktionsfähige Stadt zu verlangen ist also zu viel?

Adriana Krnáčová, die bisherige Oberbürgermeisterin und Mitglied in Babiš´ ANO, war gar nicht erst angetreten. Das ist nicht weiter schlimm, denn sie hatte keine Ahnung und keine Vision davon, was sie tun sollte. Und so vermasselte sie alles, was sie vermasseln konnte: Die Verkehrs- sowie Wohnungssituation hat sich verschlechtert, die Stadt stoppte notwendige Investitionen in die städtische Infrastruktur. Es zeigte sich nämlich, dass sich viele Brücken in kritischem Zustand befanden (spätestens beim Kollaps eines Stegs in einem Prager Park bei dem zwei Personen schwer verletzt wurden). Das schlimmste daran war aber nicht das, was passiert ist, sondern wie Krnáčová ihr Versagen kommunizierte. Bei einer Verkehrskrise sagte sie, dass die Prager „zu viel verlangen“. Aha, eine halbwegs funktionsfähige Stadt zu verlangen ist also zu viel?

Meine Prager verstehen mich, soll Mozart mal gesagt haben. Was sagt Babiš heute? Seine Prager wollen ihn offenbar nicht mehr verstehen. Sieger der Wahl in Prag ist nämlich die konservative ODS. Die ODS ist die Partei, die von denen gewählt wird, die gegen Babiš sind, aber auch keine Migranten haben wollen, die lieber mit dem Auto fahren und keine Fahrradwege in der Stadt dulden. Die Wahlspots der ODS zeigten Obdachlose in der Straßenbahn und Personen auf Droge, um die „anständigen Wähler“ zu mobilisieren.

Traditionelle Parteien wie die Sozialdemokraten und die Kommunisten (was für eine Tradition?) befinden sich im Sinkflug, weil deren Stammwähler (Senioren) nämlich Rentenerhöhungen und die ermäßigte Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel von der ANO geschenkt bekommen haben.

Den zweiten Platz gewann die Tschechische Piratenpartei und auf dem dritten landete die Bürgerinitiative Praha sobě (Prag selbst), die ursprünglich nur in einem Prager Stadtteil regierte. Der Lehrer Jan Čižinský von der Bürgerinitiative war genervt davon, wie sein Stadtteil regiert wird, ist jetzt Abgeordneter und plötzlich Oberbürgermeisterkandidat. Die vierte Partei, Spojené síly pro Prahu (Verbundene Kräfte für Prag) ist eine Koalition von demokratischen Parteien, die zusammen angetreten sind. Angeführt werden sie vom EP-Abgeordneten und langjährigem ODS-Parteimitglied, Jiří Pospíšil, der mit seiner politischen Vergangenheit hoffentlich abgeschlossen hat.

Von einer Politik, die intransparent, toxisch und mafiös ist, entsteht nur gefährlicher Abfall, der schrecklich stinkt.

Dabei sind zwei Sachen interessant: linksorientierte Parteien sind in Tschechien total am Ende. Warum? Weil sie sich in den vergangenen Jahren nur dem Namen nach noch links verorten ließen. Zweitens: Ganz normale Bürger, die sich zusammengetan haben, werden jetzt Aktivisten genannt. Sie wollen Transparenz und Fahrradwege, obwohl der Winter naht, sie wollen kompostieren (ja, in Tschechien ist es für viele immer noch ein großes Projekt), sie wollen keine neue Stadtautobahn, sie blockieren viele Investitionen, weil sie ökonomisch unsinnig und unökologisch sind. Aktivismus ist in Tschechien immer noch ein Schimpfwort für die, die irgendwie nerven. Dabei wollen die oft ganz gewöhnliche Sachen.

Kompost und Fahrräder, zwei urgewöhnliche Dinge, kein Aktivismus! Sogar Aristoteles schrieb über Kompostierung, ein Fahrrad hatte dieser Nerd noch nicht. Das Leben, die Welt und die Politik sind voll von Müll, auch meine Existenz wird irgendwann auf einem Haufen mit Bio-Müll enden. Denn Kompost bist Du, zu Kompost wirst Du werden!

Die einzige Möglichkeit hier nicht so viel Müll zu hinterlassen, ist, zu kompostieren. Dabei hat man das Gefühl, es entsteht aus dem Dreck etwas Neues, Organisches. Aber von einer Politik, die intransparent, toxisch und mafiös ist, entsteht nur gefährlicher Abfall, der schrecklich stinkt. Wohin damit? Bitte nicht ins Rathaus!

Deshalb warne ich die Visegrád-Staaten und alle in der Welt: Kontaminiert Euch, Eure Leben und Eure Politik nicht mit politischem Sondermüll.

Tereza Semotamová
10. Oktober 2018
Copyright: ostpol.de | n-ost e.V.


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Im Gemischten Doppel halten Michal Hvorecký (Slowakei), Tereza Semotamová (Tschechien), Márton Gergely (Ungarn) und Monika Sieradzká (Polen) im wöchentlichen Wechsel die Diskurse ihrer Länder fest. Sie ergründen Themen wie die heutige Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf.

Die Goethe-Institute in Polen, Tschechien und das Onlinemagazin jádu veröffentlichen die Beiträge der Kolumnenreihe mit freundlicher Genehmigung und in Kooperation mit ostpol, dem Online-Magazin von n-ost – Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung e.V.

    Tereza Semotamová

    Tereza Semotamová hat Drehbuchschreiben und Germanistik in Brünn studiert. Ihre Dissertation schrieb sie über deutsche Hörspiele der 50er Jahre. Mittlerweile schreibt sie selbst Hörspiele und Kolumnen und übersetzt deutschsprachige Belletristik. Sie ist Redakteurin bei jádu.

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