Tätowierte Omas und Opas

Foto: © Ondřej ZuntychFoto (Ausschnitt): istolethetv, CC BY 2.0
Foto (Ausschnitt): istolethetv, CC BY 2.0

Mit 70 werden wir alle schlaffes tätowiertes Fleisch haben, ist sich Daniel Gabčo (32) sicher. Momentan profitiert er mit seinem Studio TataTattoo in Olomouc vom nicht enden wollenden Tattoo-Boom.

Kunden hat Daniel so viele, dass er nach dem Ende unseres Gesprächs auf der Straße bei Dunkelheit wieder an die Arbeit ging. Es erwartete ihn noch eine nächtliche Tätowiersitzung. „Ich weiß nicht, wann dieser Boom endet, aber in den kommenden fünf Jahren sicher noch nicht“, kommentiert Daniel das unaufhörliche Interesse an Körperverzierungen. Zu ihm kommen Menschen für ihr erstes Tattoo und solche, die danach regelrecht süchtig sind. Außer Faschisten und deren illegalen Symbolen nimmt er jeden. Am liebsten hat er allerdings die Kunden, für die Tattoos mehr als nur eine Mode sind.

Daniel, was ist jetzt gerade an Tattoos angesagt?

Momentan sind es geometrische, punktierte Sachen. Oder der handpoke – Tätowieren ohne Maschine. Ich habe das Gefühl, die Welle von „Aquarellen“ geht zu Ende. Dieser Boom zerflossener Farben hatte schon vergangenes Jahr seinen Zenit überschritten. Beliebt ist jetzt Minimalismus. Mir scheint das wie ein Ausweg aus einer Sackgasse zu sein. Es ist ja schon alles tätowiert worden. Ich kann mir nichts vorstellen, was es noch nicht gegeben hat. Wir erleben jetzt eine Rückkehr.

Welche Motive sind dauerhaft am beliebtesten?

Das sind immer noch Traumfänger, Aufschriften, liegende Achten, Federn, Herzen, Anker. Bei Amateuren, also bei Ersttätowierten, sind die Geburtsdaten der Kinder am beliebtesten. Sie haben Angst Tattoos zu tragen, weil sie dann keine Arbeit finden würden und so weiter. Aber mit der Geburt eines Kindes haben sie einen schönen Grund. Sobald auch ein eher konservativer Mensch ein Kind bekommt: Zack, muss es auf den Arm.

Wer macht die Trends im Tätowieren?

Für uns Tätowierer ist das Showbusiness ein tolles Marketing: Sportler, Sänger, Schauspieler. Wenn du abends den Fernseher anmachst oder dir einen Film anschaust, ist da immer irgendein Tattoo.

Mit der Entscheidung, sich tätowieren zu lassen sind oft Geschichten verbunden. Gleichzeitig ist es aber für viele Menschen vor allem Mode. Wie stehst du dazu? Unterscheidest du da irgendwie?

Während der Anfänge des Studios war ich froh über alles, ich habe weniger unterschieden als jetzt. Heute versuche ich mehr zu beraten. Ich muss das immer noch wie ein Geschäftsmann machen, also sanft. Manche Tätowierer kritisieren die Vorschläge ihrer Kunden, aber ich bin der Meinung, dass jeder tragen soll, was er will. Auf der anderen Seite habe ich bei manchen Kunden Zweifel, ob sie psychisch fähig sind, über ihre Tattoos zu entscheiden. Manchmal ist ihre Auswahl wirklich ein ernster Fehlgriff.

Was meinst du damit?

Es ist schlecht, wenn sie etwas wirklich Hässliches wollen oder ein Allerweltsbild, das für sie keine Bedeutung hat. Wenn es ein schreckliches Bild ist, aber eine Bedeutung hat, respektiere ich das jedoch. Wenn sie aber nach einer dreiminütigen Googlesuche etwas auswählen, ohne überhaupt zu wissen warum, und dann schon ins Studio kommen, ist das nicht gut.

Foto: © Ondřej Zuntych
Daniel Gabčo: „Wer mit einem neuen Tattoo aus dem Studio kommt, fühlt sich erstmal wie ein König.“

Du machst auch Änderungen oder Überstechungen, so genannte Cover-ups. Kannst du das genauer erklären?

Dabei gibt es drei Kategorien. Die eine ist „nur Nachzeichnen“. Die zweite ist „irgendwie verschönern“ und bei der dritten kommt der Kunde mit einem Bild und fragt, ob man das über das alte drüberstechen kann. Es kam zum Beispiel jemand mit einem großen schwarzen Skorpion über der ganzen Schulter und er wollte daraus vier Blüten machen... Mein Kollege hat das übrigens so hingekriegt, dass der Skorpion nachher nicht mehr zu sehen war. Er musste für die Blüten genau den richtigen Platz auswählen, wo genau kommen die Rosenblätter hin, alle noch weißen Stellen ausnutzen.

Es denkt wohl nicht jeder daran, dass er die Bilder sein ganzes Leben lang tragen wird...

Ja, das passiert vielen. Ich hatte mal einen Fall, da hatte eine Frau auf der Schulter einen Buchstaben und sie wollte ihn ändern lassen. Meine Entwürfe gefielen ihr aber nicht, also hat sie nicht mehr geschrieben. Dann aber meldete sie sich plötzlich wieder. Sie hätte das in England ändern lassen, aber der Buchstabe sei immer noch zu sehen. Schließlich kam sie also doch zu mir, und es ist mir recht gut gelungen, ein Ornament daraus zu machen. Das alles wegen einer verflossenen Liebe.

Wie ist es dabei um die Kerle mit Tattoos aus dem Wehrdienst, dem Gefängnis oder von amateurhaften Versuchen mit der Nadel bestellt?

Die kommen immer mal wieder. „Ich war besoffen und dieses Grauen habe ich schon zwanzig Jahre auf dem Arm.“ Aus dem Wehrdienst, dem Jugendheim, bei Frauen oft als Folgen der zweiten Pubertät.

Gibt es auch Änderungen, weil sich der Geschmack geändert hat?

Manchmal kommt jemand mit einem schönen Tattoo, aber er hat sich daran satt gesehen und überlegt, was sich damit noch machen ließe. Auf der Straße loben ihn die Leute dafür, aber er will es nicht mehr.

Warum glaubst du, lassen sich Menschen eigentlich tätowieren?

Zur Erinnerung. Das ist wie Bungeejumping. Es kann ein Erlebnis sein, eine Erinnerung. Außerdem wollen sie irgendwo dazugehören. Manch einer ist 20, hängt mit einer Clique ab und das Einzige, was fehlt, um richtig dazuzugehören, ist ein Tattoo. Etwa auf der Mittelschule oder der Uni. Es geht einfach darum „Ärmel“ zu haben. Wer welche hat, ist ein Held. Man bewundert dann gegenseitig die Tattoos und lässt sich weitere machen. Eben: Du hast schon Tunnel in den Ohrläppchen, eine super Kappe und fährst Longboard, aber hast kein Tattoo. Dann schnell!

Das machen Jugendliche. Was, wenn sie älter werden?

Das Alter spielt keine Rolle. Es ist eine mentale Sache. Wenn wir 70 sind, wird jeder schlaffes tätowiertes Fleisch haben. Das wird nicht so schlimm sein. Omas und Opas mit „Ärmeln“, tätowierten Nacken und Gesichtern wird es so viele geben, dass das keine Rolle mehr spielen wird. Wir werden uns in nichts voneinander unterscheiden, jeder wird vollkommen zufrieden auf die Straße gehen und sich für nichts schämen. Daran glaube ich wirklich. Jeden Tag bekomme ich mindestens 20 Bestellungen.

Foto: © Ondřej Zuntych
Daniels eigene Tattoos sind eher unauffällig.

Wie wichtig ist der Ort des Tattoos? Manche wollen sich damit brüsten, andere haben eher eine versteckte Geschichte.

Oft entscheidet der Schmerz. Am häufigsten sind die Unterarme, weil die Leute glauben, dass das nicht weh tut. Es lässt sich aushalten. Manche wollen das Ritual, mit dem der Schmerz verbunden ist, nicht erleben. Oder sie fragen, ob wir betäuben. Das machen wir nicht.

Gibt es Tätowierungen, die du einem Kunden nicht stechen würdest?

Bisher nur verbotene Symbole, nazistische und faschistische. Wir haben uns erst kürzlich geweigert, so eins zu machen und der Typ war ganz schön krass. Er hat alles versucht, auch gedroht. Das ist aber auch illegal, ich kann ihm so ein Tattoo nicht machen. Ansonsten lehne ich nichts ab.

Wenn jemand die kompletten Arme und weitere Teile seines Körpers tätowiert hat, ist das dann schon Besessenheit?

Das dann wahrscheinlich schon. Die psychische Störung, die Menschen dazu zwingt, sich tätowieren zu lassen, hat sogar einen lateinischen Namen. Das ist eine Sucht. Hier war ein Mann über 50, der schon Tätowierungen hatte. Aber er sagte, er wolle noch eine letzte. Als ich sie fertig gestochen hatte, fing er schon an, von weiteren zu sprechen. Beim Bezahlen hat er direkt einen Termin vereinbart. Mittlerweile war er schon sechs Mal hier, und jedesmal behauptete er, es wäre das letzte Mal.

Was macht es mit einem Menschen, wenn er eine Tätowierung hat?

Wer mit einem neuen Tattoo aus dem Studio kommt, fühlt sich erstmal wie ein König. Selbst wenn es nur ein kleines Datum ist an einem nicht sichtbaren Ort. Das wärmt. Eine Weile werden immer mal wieder ein paar Leute danach fragen, das schmeichelt. Das lässt allmählich nach, und man gewöhnt sich daran.

Wie ist es mit der Scham?

Das müsste schon eine psychisch labile Person sein. Meistens nehmen die Leute das mit Humor. Tätowierungen aus dem Gefängnis oder so sind eher für Lacher gut.

Wie lange wird die gegenwärtige Welle noch anhalten?

Schwer zu sagen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Boom in fünf Jahren zu Ende wäre. Ich habe mein Team und meine Räumlichkeiten erweitert, trotzdem beträgt die Wartezeit mindestens einige Wochen. Ich habe das überhaupt nicht geplant, aber das kann man nicht mehr anhalten. Ich passe mich bloß an, um den Ansturm der Kunden zu bewältigen.

Wie verstehst du selbst Tätowierungen? Ist das ein banales Mittel zur Individualisierung oder ist mehr dahinter?

Ich habe ein gutes Gefühl, wenn die Tätowierung als Ritual verstanden wird, als Erinnerung. Tattoos mit Bedeutung sind toll. Diese Schönmachereien können mir gestohlen bleiben. Wer will, soll sich ein wichtiges Symbol stechen lassen. Muss er aber nicht und kann es statt dessen im Kopf tragen.

Das Interview führte Ondřej Zuntych.
si tetování s krásou přímo nespojuje, v konvenční podobě ho bere jako estetické a módní doplnění. Sám klasické zdobení nemá, na vlastní kůži vyzkoušel jen prošívání obarvenou nití.
Übersetzung: Patrick Hamouz

Copyright: jádu | Goethe-Institut Prag
Oktober 2016
Links zum Thema

Weitere Beiträge zum Thema

Gegen den Perfektionsmüll
Gleichmäßige Proportionen und ein schönes Gesicht findet Del Keens langweilig. Für seine Modelagentur Misfit Models in Berlin sucht er Menschen mit einem außergewöhnlichen Look. Warum sind diese Außenseiter heute gefragter als je zuvor?

Schön hässlich
Eine Hackfresse sei er, sagt Björn über sich selbst. Stimmt, finden viele in seinem Umfeld. Damit kommt Björn klar – und er hat zu einer sehr reflektierten Haltung zur Schönheit gefunden.   

Brutal schön
Blut, Metall und Nadelstiche: Bodymodification ist nichts für schwache Nerven und bewegt sich zwischen Tabu und Faszination.

Kulturgeschichte in 100 Sekunden
Die Webvideoserie 100 Years of Beauty zeigt nicht nur internationale Beauty Trends des letzten Jahrhunderts, sondern gibt gleichzeitig eine kleine Einführung in Kulturgeschichte.

Der Bart ist tot, lang lebe der Bart!
Die einen erklärten den Barttrend schon für vorbei, während den anderen erst auffiel, dass vollbärtige Hipster die Großstädte besiedelten. Aber wo kam er her, der Trend zum Bart?

Die Modewelt feiert Falten
Kosmetik- und Modemarken setzen vermehrt auf Frauen über 60 als Werbeträgerinnen. Bruch mit dem Jugendwahn oder zynisches Marketinginstrument?

Tätowierte Omas und Opas
Mit 70 werden wir alle schlaffes tätowiertes Fleisch haben, ist sich Daniel Gabčo (32) sicher. Momentan profitiert er mit seinem Studio TataTattoo in Olomouc vom nicht enden wollenden Tattoo-Boom.

„Manchmal würde ich gern meinem Ich begegnen“
Das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig ist eines der größten Treffen der sogenannten Schwarzen Szene in Europa. Nicole alias Niha ist als Cellistin der Band Other Day dabei.  

Themen auf jádu

Gemischtes Doppel | V4

Vier Kolumnisten aus der Slowakei, Tschechien, Polen und Ungarn schreiben über die Bedeutung Europas, Rechtspopulismus, nationale Souveränität, gesellschaftlichen Wandel, die Arroganz des westlichen Blicks – und brechen damit staatliche und gedankliche Grenzen auf. Mehr...

Heute ist Morgen
Oder ist es umgekehrt?! Und war nicht auch gestern schon mal Morgen? In was für einer Welt wollen wir gerne leben? Und wie lange wollen wir warten, bis sie Wirklichkeit wird? Mehr...

Im Auge des Betrachters
… liegt die Schönheit. Da liegt aber auch die Hässlichkeit – und alles dazwischen. Als Betrachter sind wir jedoch nur selten allein. Und als Betrachtete sowieso nicht. Mehr...

Dazugehören
Seit gesellschaftliche Akteure jeder Couleur ihre Forderung nach Integration einem Mantra gleich herunterbeten, gerät viel zu oft in Vergessenheit, dass Integration ein individueller Prozess ist, der auch von uns selbst etwas verlangt. Mehr...

Themenarchiv
Ältere jádu-Schwerpunkte findest du im Themenarchiv. Mehr...