Geld für alle

Foto: Generation Grundeinkommen, CC BY 2.0
Für diese „größte Frage der Welt“ auf dem „größten Plakat der Welt“ 2016 in Genf erhiellt die Initiative Generation Grundeinkommen den Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Foto (Ausschnitt): Generation Grundeinkommen, CC BY 2.0

Ein Experiment mit dem bedingungslosen Grundeinkommen startete im Januar 2017 in den Niederlanden – als vorläufiger Höhepunkt der jahrzehntelangen Bemühungen eines charismatischen Sozialwissenschaftlers.

Diesen Märztag wird Joop Roebroek nicht mehr vergessen. Draußen zeigte sich vorsichtig die Frühlingssonne, drinnen erlebte der niederländische Politik- und Sozialwissenschaftler einen der schönsten Momente seiner Laufbahn: „Es war ein Meilenstein!“

Mit Vertretern von gut zwei Dutzend niederländischer Gemeinden saß er damals an einem Tisch: Dezernenten, Gemeinderäten, Wissenschaftlern und Mitarbeitern der Sozialämter. Sie alle beugten sich über ein Dokument mit Richtlinien, das Roebroek ihnen als Basis vorgelegt hatte. Nach sechs Stunden hörte der 65-Jährige die Worte, von denen er bisher nur zu träumen gewagt hatte: „Okay, das versuchen wir.“

„Das“ ist die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens: jene seit Jahrzehnten in vielen europäischen Ländern gehegte Idee, die Sozialhilfe abzuschaffen und statt dessen allen jeden Monat einen bestimmten Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, ohne dass sie dafür eine Gegenleistung erbringen müssen – ungeachtet, ob sie Arbeit haben oder nicht.

„Auf die Politik zu warten hat keinen Sinn.“

basisinkomen, wie es hier heißt, zu experimentieren: Groningen, Tilburg, Utrecht und Wageningen. Das Sozialministerium hat ihnen das dafür nötige grüne Licht erteilt. „Endlich!“, freut sich Roebroek. „Damit sind wir Niederländer die ersten, bei denen auch ganz oben in der Politik etwas in Bewegung gekommen ist.“

Eigentlich kein Wunder, findet er. Nirgendwo seien die Bedingungen günstiger als in den kleinen, flexiblen und obendrein innovationsfreudigen Niederlanden. „Großen Ländern wie Deutschland fällt das Umdenken weitaus schwerer“, glaubt Roebroek. Der resolute und charismatische Mann gilt in seiner Heimat als einer der wichtigsten Wegbereiter des Grundeinkommens. Niemand hat sich so intensiv und lange mit dem Thema auseinandergesetzt wie Roebroek: in den 1980er Jahren als Forscher an der Universität Tilburg, wo er die erste Studie zum Grundeinkommen verfasste; in den vergangenen beiden Jahren als Vorsitzender von MIES, einem Labor für soziale und wirtschaftliche Innovationen in Groningen: Mit Crowdfunding hat MIES dafür gesorgt, dass die ersten beiden Niederländer ein Jahr lang ein basisinkomen von 1.000 Euro pro Monat bekamen. Anne van Dalen ist eine von ihnen: „Ich habe viel mehr Freiheit, so zu leben, wie ich will“, sagt die arbeitslose Sekretärin aus Den Haag, die sich ein Leben als freischaffende Künsterin aufbauen will. „Meine finanziellen Reserven reichten dafür nicht aus.“ Auch weiteren Niederländern will MIES auf diese Weise ein Grundeinkommen verschaffen: „Auf die Politik zu warten hat keinen Sinn“, sagt Roebroek

Soziale Dynamik dank finanzieller Sicherheit

Für Roebroek ist die traditionelle Sozialhilfe „ein Instrument, um Menschen zu disziplinieren und kleinzuhalten“. Nach 100 erfolglosen Bewerbungsschreiben sei auch ein Fachhochschulabsolvent mürbe – von einem einfachen Arbeiter ganz zu schweigen. „Ein Grundeinkommen hingegen befreit und holt die Menschen aus ihrer Passivität.“ Indem sie eine Firma gründen oder eine Ausbildung machen. Das Hauptargument der Gegner – ohne Gegenleistung Geld auszuteilen treibe die Menschen erst recht in die Passivität und mache sie arbeitsfaul – fegt er vom Tisch: „Im Gegenteil – das Grundeinkommen sorgt für soziale Dynamik. Menschen können ihre Talente entfalten, sie leben anders und gehen anders miteinander um. Weil sie finanzielle Sicherheit haben.“

Auch vom zweiten Gegenargument, die Einführung eines Grundeinkommens sei nicht finanzierbar, will er nichts wissen: „Sämtliche Formen der Sozialhilfe könnten dann abgeschafft werden – und alle Sozialämter schließen. Dadurch lassen sich Milliarden einsparen.“

Inzwischen weiß der engagierte Niederländer weitere Mitbürger hinter sich, die am gleichen Strang ziehen: So hat die „Burgerinitiatief Basisinkomen 2018“ die nötigen 40.000 Unterschriften zusammengebracht, die das Abgeordnetenhaus zwangen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Mit bürgerlichem Ungehorsam gegen Auflagen der Regierung

Sich vollmundig zum Grundeinkommen zu bekennen, traut sich bislang allerdings keine der etablierten Parteien der Niederlande. Auch die sozialliberale Regierung von Premier Mark Rutte hat Berührungsängste. Die vier Städte Utrecht, Groningen, Wageningen und Tilburg dürfen seit dem 1. Januar 2017 denn auch nur unter bestimmten Auflagen mit dem Grundeinkommen experimentieren: So soll die Bewerbungspflicht entfallen, wodurch die Sozialhilfe zu einem bedingungslosen Grundeinkommen wird, außerdem dürfen sich Sozialhilfeempfänger etwas hinzuverdienen. „Streng genommen geht es um Experimente mit der traditionellen Sozialhilfe“, sagt Roebroek, der einerseits froh ist, dass auf Regierungsniveau endlich etwas in Bewegung gekommen ist, andererseits aber nicht mit Kritik spart: „Viel zu beschränkt!“ Denn die Experimente sollen nicht flächendeckend stattfinden, sondern nur ausgewählten Personen ein Grundeinkommen verschaffen.

Auch die betroffenen Städte haben bereits protestiert. Sie möchten viel weiter gehen und das Grundeinkommen gleich in ganzen Vierteln mit hoher Arbeitslosigkeit einführen, „weil sich die soziale Dynamik erst dann zeigt”, so Roebroek. Er bleibt trotz allem optimistisch. Die Niederländer gelten nicht umsonst als aufmüpfiges Volk, das sich nur ungern etwas vorschreiben lässt: „Einige Gemeinden haben bereits angekündigt, sich im zivilen Ungehorsam üben zu wollen.“

Kerstin Schweighöfer
Sie arbeitet als freie Benelux-Auslands-Korrespondentin für deutsche Medien in den Niederlanden. Sie berichtet unter anderem für die ARD-Hörfunkanstalten, den „Deutschlandfunk“, „Focus“ und das Kunstmagazin „art“.

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September 2016
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