Kulturerbe
Parkour am Denkmal

Wie wäre es, historische Denkmäler physisch zu entdecken und zu erleben? Parkour am Denkmal könnte eine neue Art der Kulturvermittlung sein.
Wie wäre es, historische Denkmäler physisch zu entdecken und zu erleben? Parkour am Denkmal könnte eine neue Art der Kulturvermittlung sein. | Foto: © picture alliance/Radek Petrasek/CTK/dpa

Wie wäre es wohl, auf die Akropolis zu klettern, an der Fassade der Sphinx entlangzulaufen oder auf dem Giebel des Kölner Doms zu balancieren? Parkourlauf als Kulturvermittlung: ein Pilotprojekt. 

In jeder Stadt, die Sehenswürdigkeiten zu bieten hat, kennt man sie: Touristen, die in Gruppen mal mehr, mal weniger interessiert vor einem Denkmal oder historischen Gebäude stehen und sich von einem Touristenführer mit den immer gleichen Informationen berieseln lassen. Die klassischen Führungen sind eine gänzlich passive Art der Kulturvermittlung. Und auch wenn die Touristenführer versuchen, ihre Informationen möglichst locker aufzubereiten – die schiere Menge an Jahreszahlen, historischen und kulturellen Fakten führt dazu, dass viele Menschen bedeutsamen Stätten mit großer Distanz und Ehrfurcht begegnen. Dass sie historische Bauten meist nur ansehen, aber nie erleben zu dürfen, macht diese Stätten für viele unnahbar und leblos. Dieser Effekt bereitet Kulturerbe-Experten Sorge: Kritische Stimmen warnen vor dem sogenannten Musealisierungs-Effekt, der umso größer ausfällt, je bedeutender ein Werk ist. Kurz formuliert: je bekannter, desto unnahbarer. 
 
Aber was wäre, wenn man historische Gebäude tatsächlich entdecken und erleben dürfte? Im Sommer 2018 probierte eine Gruppe Traceure genau das aus. Traceure nennen sich Menschen, die Parkour laufen: Sie eignen sich Städte und Natur nicht auf vorgegebenen Wegen an, sondern suchen sich eigene Strecken. Hindernisse wie Zäune und Mauern überwinden sie durch geübte Kletter- und Springtechniken, sie laufen seitlich an Mauern entlang oder balancieren über Geländer. In Berlin erkundeten sie so dasDenkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten in Friedrichshain: Sie zogen sich an Steinfiguren hoch und sprangen über Blumenbeete. Ohne Frage eine ganz neue Art, das Denkmal zu erleben.

Die Freiheit, historische Orte anders zu nutzen

Die Denkmal-Traceure in Berlin waren Parkourschüler und Teilnehmer eines gemeinsamen Projekts des Goethe-Instituts mit der ParkourONE Academy, einer Parkourschule mit Dependancen in Deutschland und der Schweiz. Das Goethe-Institut möchte zahlreiche Wege finden, Kulturerbe und Denkmäler erlebbar und neu vermittelbar zu machen – der vierstündige Workshop „Parkour trifft Kulturerbe! Wie kann Parkour für Kulturerbe sensibilisieren?“ war dabei ein Pilotprojekt. 
 
Dem Kulturdenkmal physisch so nah zu kommen, war selbst für die erfahrenen Traceure neu. „Am Anfang geht man schon mit einem sehr großen Gefühl von Ehrfurcht rein, und das verliert man auch nicht so ganz“, sagt ein Teilnehmer im Interview. Sie haben sich heute die Freiheit genommen, diesen „Ort anders zu nutzen und dadurch auch zu wertschätzen“, meint eine andere Teilnehmerin – ganz im Sinne der Botschaft, die auf dem Denkmal steht: „Für eure und unsere Freiheit“.
 
„Parkour nach dem TRuST-Konzept, bei dem Parkour als Bildungswerkzeug dient, ermöglicht auch eine aktive, wirksame Beschäftigung mit Kulturerbe“, erklärt Martin Gessinger, Konrektor der ParkourONE Academy. „Die Stätte wird nicht in ein Pantheon mit Glaskuppel erhoben, sondern wir setzen uns auch physisch mit der Umgebung auseinander. Sonst wird ein Objekt nur angeguckt, vielleicht redet man noch darüber, damit endet die Auseinandersetzung schon. Viele Menschen werden da einfach nicht abgeholt.“ Parkour hingegen sei eine höchst unkonventionelle Art der Kulturvermittlung: Die Teilnehmer entdeckten die verschiedenen Materialien und deren Beschaffenheit und würden so insgesamt sensibilisiert. „Es geht um die bewusste Auseinandersetzung mit sozialen, historischen und kulturellen Räumen. Dabei stehen Respekt und Vorsicht immer im Vordergrund.“

Darf man auf historische Statuen klettern?

Nicht ganz ohne Grund ist Parkour an Kulturstätten noch keine Selbstverständlichkeit. Denn nicht jedes Bauwerk eignet sich dafür – aus Denkmalschutzgründen müssen einige Stätten abgeschirmt werden, und auch die Frage nach einem ausreichend respektvollen Umgang mit Kulturerbe drängt sich auf. 
 
„Ist es respektlos, wenn wir dort Parkour ausüben, oder bringe ich dem Ort grade deshalb Respekt entgegen, weil ich mich aktiv mit ihm auseinandersetze?“ Ob es vertretbar sei, einen Ort für Parkour zu nutzen, müsse im Einzelfall verhandelt werden, meint Gessinger. Der Wertekanon von ParkourONE umfasst, dass man respektvoll mit der Umgebung umgeht und nichts mutwillig zerstört – das lernen die Teilnehmer des Workshops gleich zu Beginn. Doch auch kulturelle Fragen sollen sie sich bewusst machen: „Bei diesem Workshop stellen wir gezielt die Frage nach der Verwendung eines Ortes: Wofür wurde er errichtet, was hat er bedeutet, was bedeutet er heute noch?“ Beim Denkmal des polnischen Soldaten und deutschen Antifaschisten fiel die Entscheidung nicht schwer: Der Ort ist auch bei Skatern beliebt und wird ohnehin schon täglich genutzt. 
 

Infobox: Parkour

Parkourläufer – Traceure genannt – erkunden ihr Umfeld auf neue Art: Sie meiden die von Architektur und Städtebau vorgegebenen Wege und suchen neue Methoden der Fortbewegung, bei denen sie die Umgebung als Werkzeug nutzen. Entstanden ist Parkour Anfang der 1990er-Jahre in den Vorstädten von Paris, in Gang gesetzt von einer Gruppe von Freunden rund um den Franzosen David Belle. Was als spielerischer Hindernislauf begann, entwickelte sich vor allem im städtischen Raum weiter, wo Zäune, Mauern und sogar Fassaden mit einbezogen werden. Nahezu in jeder Stadt gibt es mittlerweile aktive Traceure, die das jeweilige Gelände neu erleben möchten.