aVOID
Leonardo Di Chiara und sein Tiny House. Utopie oder Modell?

Neun Quadratmeter. Wenn ihr euch beim Lesen dieser Zeilen kurz umseht, sind sie „zum Greifen nah“. Wenn ihr die Arme ausstreckt und jetzt ein bisschen hin- und herrückt, dann ist das genau von hier nach dort und von dort nach hier. Das scheint erstmal sehr wenig. Und das ist es auch, wenn man sich die neun Quadratmeter als Grundfläche eines Hauses denkt – wie im Tiny House aVOID des jungen italienischen Architekten Leonardo Di Chiara.
Sein Haus ist im wahrsten Sinn des Wortes winzig und doch fehlt es hier an nichts. Es ist energetisch autonom, aus umweltfreundlichen Materialien gefertigt, verfügt über Räder und recycelt Wasser und Abfälle. Ihren Ursprung hat die mittlerweile globale Tiny-House-Bewegung in den USA, von wo aus die Idee nach Deutschland kam. Dort wurde im Jahr 2016 in Berlin die Tinyhouse University gegründet, ein internationales Kollektiv von Architekten, Designern, Bauherrn und Soziologen, dem auch Di Chiara angehört.
aVOID ist nun das erste italienische Tiny House. Nähere Infos dazu bietet die Diskussionsrunde am 23. Mai ab 19.00 Uhr im Konferenzsaal des Goethe-Instituts Rom in der Via Savoia 15, mit Di Chiara und dem deutschen Architekten und Designer Van Bo Le-Mentzel, Organisator des Bauhaus-Campus in Berlin. Bis 21.30 Uhr kann aVOID dann im Garten des Instituts besichtigt werden. Im Rahmen des Gesprächs werden auch verschiedenste andere Aspekte im Zusammenhang mit der Tiny-House-Bewegung erörtert, wie das Wohnnomadentum junger Generationen und die allgemeine ungewisse Wohnsituation in Großstädten. Die Moderation übernimmt Paolo Casicci, Journalist und Experte für Design-Kommunikation. Wir haben Casicci um eine kurze Einführung ins Thema und einige Worte zu Leonardo Di Chiara gebeten.
Die neuen Möglichkeiten von „Winzighäusern“
„Es gibt zwei Wege, sich dem Thema Tiny House zu nähern. Der eine führt über die Frage, was ein Tiny House eigentlich ist und wozu es dient. Der zweite – und meines Erachtens interessantere – ist der, das Tiny House als Gelegenheit zu nutzen, um sich eingehend mit den Problemen modernen Wohnens und seinen Widersprüchen auseinanderzusetzen. Wenn wir nur das Tiny House für sich genommen betrachten, dann sehen wir eine Lösung, die in den Augen der Mehrheit möglicherweise eine Provokation darstellt. Wer würde, ausgenommen in Notsituationen oder bei Wohnproblemen, freiwillig auf neun Quadratmetern leben?Aber die wahre Lektion, die das Tiny House uns Europäer, uns Italiener im Grunde lehrt, besteht darin, dass es auf gewisse Weise mit unseren Konventionen und einigen tief verwurzelten Vorstellungen rund um das Thema Wohnen aufräumt und uns mit den dringenden Problemen unserer Zeit konfrontiert. Denn die Zeitgeschichte zeigt uns, dass wir Wohnen künftig vermutlich anders denken müssen. Wir haben hier die gesamte Migrationsproblematik, gesellschaftliche Notsituationen, Menschen, die aufgrund ihres geringen Einkommens aus den historischen Innenstädten oder überhaupt aus den Städten verdrängt werden. Das Tiny House kann in diesem Zusammenhang, wenn nicht als Modell für die praktische Umsetzung, als Paradigma, als Perspektive dienen. Es regt dazu an, unsere Wohnstandards zu überdenken. Es lehrt uns eine wichtige Lektion, die wir als Impuls nutzen können, auch auf konkreter Ebene.“