Green Touring
Kultur nicht auf Kosten des Klimas

Musikrausch mit Schattenseiten: Open-Air-Festivals verursachen große Mengen an CO2-Emissionen.
Musikrausch mit Schattenseiten: Open-Air-Festivals verursachen große Mengen an CO2-Emissionen. | Foto (Detail): © Adobe

Klimaschutz ist auch in der Musikszene angekommen, bei Veranstaltern ebenso wie bei den Künstler*innen selber. Aber reicht es aus, Plastikmüll auf Festivals und Konzerten zu vermeiden, wenn schon die Anreise zu einer Tournee mit großen CO2-Emissionen verbunden ist?

Von Nadine Berghausen

Sind die Besucher*innen erst abgereist, bieten Musikfestivals meist einen traurigen Anblick: Der Rasen ist übersät mit Bierflaschen, Papp- oder Plastikbechern, im Schlamm versunkene Zelte wurden auf dem Campingareal schlicht stehen gelassen. Doch aus Umweltsicht sind die Müllberge nicht einmal das Hauptproblem: Open-Air-Festivals produzieren große Mengen an CO2, reisen doch viele Tausende Musikliebhaber*innen von weit her an.

Viele Festivalveranstalter*innen haben auf das Problem mittlerweile reagiert. Das Hurricane Festival mit rund 65.000 Besucher*innen beispielsweise hat mit Grün rockt ein Konzept für eine nachhaltigere Festivalkultur ins Leben gerufen. Hauptsächlich soll es dem riesigen Müllaufkommen und der Lebensmittelverschwendung entgegenwirken. So wird Einwegplastik durch ökologisch abbaubare Alternativen ersetzt, das Essensangebot basiert auf lokalen Produkten und Lebensmittelüberschüsse werden an die Tafel gespendet. Im Festivalticket enthalten ist zudem ein Fahrschein für das Regionalbahnnetz aus den umliegenden Städten. Andernorts gehen die Veranstalter*innen sogar so weit, Zelte nur noch mit kompostierbaren Heringen in den matschigen Boden zu flocken.

Radiohead als Vorreiter

Auch die Künstler*innen selber machen sich Gedanken, wie sie ihren ökologischen Fußabdruck klein halten können. Schon 2007 beauftragte die britische Band Radiohead eine umfassende CO2-Messung ihrer eigenen Touraktivitäten. Frontmann Thom Yorke machte klar, dass er zwar den Energieverbrauch bei Tourneen unsäglich finde, aber auch nicht auf Live-Auftritte verzichten könne und wolle. Die Band zog die Konsequenzen und ging 2008 auf ihre Carbon Neutral World Tour: Das Tourequipment wurde mit dem Schiff von England aus in die USA geschickt, der Tourbus lief mit Biokraftstoff und das Publikum wurde angehalten, Fahrgemeinschaften zu gründen oder öffentliche Verkehrsmittel auf dem Weg zu den Konzerthallen zu benutzen.

Green Touring-Vorreiter Thom Yorke von Radiohead
Green Touring-Vorreiter Thom Yorke von Radiohead | Foto: © picture alliance / Photoshot
Mit dieser Herangehensweise wurde Radiohead zur Inspirationsquelle auch für kleinere Künstler*innen und Bands. So schloss sich 2014 die Indie‐Band We Invented Paris um den Schweizer Sänger Flavian Graber mit der Green Music Initiative und einer studentischen Projektgruppe der Popakademie Baden‐Württemberg zusammen, um ein Umweltkonzept für ihre Live-Shows zu erarbeiten. Die Studierenden erstellten zudem einen allgemeinen Green-Touring-Leitfaden mit vielen Praxisbeispielen – neben Radiohead auch von weiteren bekannten Popmusikern wie Jack Johnson und Clueso.

Ganz auf Tourneen verzichten?

Kritischen Stimmen gehen diese Bemühungen jedoch nicht weit genug. Der Leiter des Helsingborger Konzerthaus und dessen Symphonieorchesters in Schweden, Fredrik Österling, beschloss Anfang 2019 eine weitreichendere Maßnahme: Lassen sich die Reisen nicht mit Bus oder Bahn bewerkstelligen, geht das Orchester schlicht überhaupt nicht mehr auf Tournee. Österling kritisiert damit auch, dass es seiner Meinung nach eine Überproduktion von Kultur gebe. Vor allem in Großstädten mit ohnehin großem Konzertangebot könne von einer Bereicherung des Kulturlebens durch Gastspiele nicht die Rede sein, ist er überzeugt. Eitelkeiten auf Seiten der Konzerthäuser, wer schon auf welchen großen Bühnen der Welt aufgetreten sei, wiegten dabei teils schwerer als die Nachfrage des Publikums.

Diese Haltung ist durchaus umstritten. Auf die Frage, ob Klimaschutz auf Kosten der Kultur zu weit gehe, antwortet Flavian Graber von We Invented Paris: „Musik, Kunst oder Kultur allgemein kann ein Thema wie den Klimaschutz auf einzigartige Weise thematisieren, emotional erlebbar machen. Sie kann ein Katalysator sein für gewisse Bewegungen in der Gesellschaft und ist daher meiner Meinung nach essentiell für den Klimaschutz.“

Auch die Idee, die Umweltbelastungen der Anreise durch Liveübertragungen in die Konzerthalle zu reduzieren, sieht er kritisch. „In Zukunft wird sowas sicher auch noch mehr Thema werden mit Virtual oder Augmented Reality, wo man vielleicht gar nicht mehr vor Ort sein muss.“ Anderseits sei ein Livekonzert-Erlebnis einzigartig. „Es kann nicht auf irgendeine andere Art erzeugt werden.“

Flavian Graber von We Invented Paris: „Musik kann ein Thema wie den Klimaschutz auf einzigartige Weise thematisieren, emotional erlebbar machen.“
Flavian Graber von We Invented Paris: „Musik kann ein Thema wie den Klimaschutz auf einzigartige Weise thematisieren, emotional erlebbar machen.“ | Foto: © Martin Köhler / Hndgmcht

Green Touring vorleben

Die Band hat einen Weg gefunden, das sperrige Thema Green Touring bei ihren Fans ins Bewusstsein zu rufen – indem sie ihr junges Publikum einbindet. Die Veranstaltung Piquenique Acoustique beim Southside Festival 2014 ist ein gutes Beispiel dafür. Bei einem Bio‐Frühstücksbrunch, für das Bio-Bauern Gemüse und Obst beisteuerten, spielten We Invented Paris ein Akustik‐Konzert. Nebenbei wurde mit den rund 500 Teilnehmer*innen über den Klimawandel diskutiert.

Dabei ist es Graber wichtig, die Fans nicht missionarisch auf das Thema Umweltschutz zu stoßen. „Ich glaube, als Musiker hat man automatisch einen gewissen Einfluss und damit auch zusätzliche Verantwortung. Da kann es helfen, wenn man gewisse Dinge bewusst tut. Es ist aber auch schwierig, das nicht einfach nur zu Marketingzwecken zu machen. Man muss das auch sonst im Alltag leben, wenn niemand zuschaut, sonst macht das keinen Sinn.“

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