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Katharina Erben
Comicübersetzen – von starren Rahmen und softer Freiheit

Kunskapens Frukt / Der Ursprung der Welt von Liv Strömquist
Aus: Kunskapens Frukt S. 127 / Der Ursprung der Welt, S. 127

Von Katharina Erben

Es ist eine Welt für sich, in der ich mich die letzten Jahre aufgehalten habe: das Übersetzen von Comics, u. a. der inzwischen international sehr erfolgreichen feministischen und gesellschaftskritischen Comics der Schwedin Liv Strömquist.

Beim Comicübersetzen ist man mit dem Text nicht unter vier Augen. Das ist ein großer Unterschied zum Übersetzen von anderen Literaturgattungen. Hier wird in den einzelnen Panels nicht nur die Bedeutung übersetzt (oder die Situation oder der Joke oder etc.) sondern auch die Gestalt der Sprache. Worte sind Teil des Bildes, stehen zu ihrer Umgebung grafisch in bestimmter Proportion, haben eine bestimmte Form, eine bestimmte Länge und müssen bisweilen in Sprechblasen passen. Das Aussehen der Worte stellt im Comic oft dar, wie etwas gesagt wird: ob mit Nachdruck oder gesungen, zaghaft oder wütend – ist also für die Sprachsemantik relevant. Dies alles gilt es beim Übersetzen der Wortbedeutung zu beachten, bevor das fertige Manuskript ins Lettering geht. Und die Person, die das Comic lettert – also die Gestalt der Sprache nachbildet – leistet somit ebenfalls eine Art Übersetzung. Bevor ich nun darüber plaudere, wie ich meine Übersetzertätigkeit bei den Comics von Liv Strömquist erlebe, zunächst einmal ein Shoutout an die Übersetzerin der Wortgestalt in Livs sehr erfolgreichen Comics: meine Kollegin, die Lettererin Tinet Elmgren!

Was meinen Anteil des Übersetzerjobs betrifft: Livs Bücher weisen einige Eigenarten auf, die die Übersetzung der Sprache besonders interessant machen. Eine Besonderheit ist, dass Liv viele Zitate aus sehr diversen Quellen verwendet: Traktate mittelalterlicher Theosophen ebenso wie Instagram-Posts zeitgenössischer Influencerinnen, Rapsongs und Philosophie. Wenn diese Zitate nicht ursprünglich auf Schwedisch sind, suche ich sie in ihrer Originalsprache auf und vergleiche sie mit der schwedischen Übersetzung in Livs Buch. So möchte ich den Stille-Post-Effekt vermeiden, der beispielsweise dadurch entsteht, wenn man ein englisches Zitat aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt. Gar ein im Original deutsches Zitat aus dem Schwedischen ins Deutsche zurückzuübersetzen erscheint mir schlicht: völlig absurd.

Im Spiegelsaal Aus: Im Spiegelsaal, S. 152 Dabei ergeben sich überraschende Erkenntnisse: Beispielsweise zitiert Liv am Ende ihres neuen Buchs Im Spiegelsaal ein Gedicht von Heinrich Heine aus der DDR-Ausgabe von 1978, in der es heißt: „Schattenküsse, Schattenliebe, / Schattenleben, wandelbar“, nicht „wunderbar“ wie in den westdeutschen Buchausgaben – offenbar ist Heines Handschrift schlecht lesbar und lässt Raum für Interpretationen. Oder die Erkenntnis, dass die von Laurens Beyerlinck im 17. Jahrhundert beschriebene „Seelenkrankheit“ Hochmut, deren Entstehungsgeschichte Liv in Im Spiegelsaal nachgeht, im lateinischen Original als „pruriginem animi“, eine Art Juckreiz, bezeichnet wird.

Eine weitere Besonderheit ist Livs müheloses Wechselspiel zwischen wissenschaftlichen Darstellungen und einer lässigen, jugendlichen mit Anglizismen durchsetzten Sprache: „fuckable“, „Mindfulness“, „Quelle: Feeling.“ Diese Anglizismen sind meistens im Deutschen und Schwedischen gleich oder sehr ähnlich, eine interessante Ausnahme ist das schwenglische „Soft!“, das sich im Deutschen als Ausruf bislang nicht durchgesetzt hat: ein „softes Leben“, ja, „Hach, wie soft sich plötzlich alles anfühlt!“, geht auch, aber „Soft!“ übersetze ich mit anderen Anglizismen als „Nice!“, bzw. an anderer Stelle als „Easy!“.

Liv und ich gehen davon aus, dass unsere Leser*innen aus Schule, Popmusik und Internet mit dem Englischen vertraut sind und dass vieles nicht übersetzt werden muss (oder sollte). An ganz seltenen Stellen schreibe ich sogar den englischen Wortlaut eines Zitats, wo Liv ins Schwedische übersetzt, weil eine deutsche Übersetzung an genau dieser Stelle irgendwie knödelig oder bräsig klingt, z. B. in Im Spiegelsaal: „Everybody would like to be Cary Grant. So would I.“ Andererseits überschreibe ich Stellen, die Liv beispielsweise in der dänischen Originalsprache zitiert, mit einer deutschen Übersetzung, da sich deutsche Leser*innen auf das Dänische für gewöhnlich keinen Reim machen können. An einer Stelle bleibt aber auch in der deutschen Übersetzung der dänische Wortlaut und damit eine entzückende interskandinavische Nuance erhalten: So sagt der dänische Schriftsteller Heinrich Hertz in Den rödaste rosen slår ut über Søren Kierkegaard mit der für Dänen (aus schwedischer Sicht) typischen Direktheit: „Han burde haft riis pa røven i den anledningen“.
Ich fühl’s nicht von Liv Strömquist Aus: Ich fühl’s nicht, S. 45
Auch wenn einige in Deutschland unbekannte schwedische Prominente es in die deutsche Ausgabe von Livs Büchern geschafft haben, zum Beispiel Gry Forssell in Der Ursprung der Liebe, so lassen sich manche schwedische Phänomene und Debatten nicht wirklich nach Deutschland übertragen: Anspielungen auf den „rutavdrag“ beispielsweise – steuerliche Vergünstigung für die Beschäftigung einer Putzkraft – werden in Deutschland nicht kontrovers diskutiert (Augenverdrehsmiley) und würden viel zu viele Erklärungen erfordern. Die Übersetzung ersetzt also diese konkreten Anspielungen durch allgemeinere Verweise, die auch im Deutschen funktionieren.

Im Spiegelsaal von Liv Strömquist Aus: Im Spiegelsaal, S. 63 Livs Assoziationen sind so bunt und überraschend, dass ich bisweilen nicht sicher bin, ob es sich hier um eine Anspielung handelt oder Liv es sich selbst ausgedacht hat: dass Elvis Presley in I’m Every Woman Eichhörnchen-Sandwiches verzehrt, dass der Polizist in Der Ursprung der Liebe auf Wichtel-Girls mit Häkelmütze steht, dass Kim Kardashian in Im Spiegelsaal reich ist wie ein Troll. Letzteres ist tatsächlich eine schwedische Redewendung, „rik som en troll“, die ich auf Deutsch aber so reizend und bizarr fand, dass ich sie wörtlich übersetzt habe, anstatt sie ordnungsgemäß ins Deutsche zu übertragen, mit „steinreich“ etwa, oder „wie ein Krösus“. Das nennt man wohl übersetzerische Freiheit.

 

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