Mehrsprachigkeitsdidaktik
Mehrsprachige Ansätze im DaF-Unterricht

Mann mit zwei Hüten auf dem Kopf und mehreren Sprachen im Hintergrund © Goethe-Institut/Canva

Lernende in DaF-Kursen bringen oft vielfältige Sprachkenntnisse mit: ihre Erstsprache, Englisch oder andere Fremdsprachen, die sie in der Schule gelernt oder Redewendungen, die sie auf Reisen oder bei der Arbeit erworben haben. Mehrsprachige Ansätze ermöglichen es, dies im Fremdsprachunterricht zu nutzen – auch in heterogenen Lerngruppen, deren sprachliche Vielfalt über die Kenntnisse der Lehrenden hinausgeht.

Von Sonja Eisenbeiss

Was sagt die Forschung?

In der Fremdsprachendidaktik nutzte man in den letzten Jahrzehnten meist nur in Ausnahmefällen andere Sprachen als die Zielsprache, z. B. bei der Erklärung von Grammatik oder komplexen Begriffen. Aktuelle Studien sprechen jedoch dafür, das gesamte sprachliche Repertoire von Lernenden einzubeziehen – und dies sind die Argumente:

Verbesserter Zugang zu Lerninhalten

Die Forschenden fanden heraus, dass komplexe Inhalte zugänglicher werden, wenn die Lernenden die Gelegenheit haben, sie in verschiedenen Sprachen zu lesen. Das Verständnis wurde vertieft, wenn Inhalte zusammengefasst und diskutiert wurden, weil die Lernenden dann nicht einfach unverändert Teile des Texts wiedergeben konnten, sondern sich vielmehr mit den Inhalten befassen mussten.

Erhöhtes meta-sprachliches Bewusstsein und mehrsprachige Kompetenzen

Bereits erworbene Lernstrategien und Kompetenzen werden aktiviert und für den weiteren Erwerb genutzt. Lernt man beispielsweise Englisch als erste Fremdsprache, so erwirbt man dabei Strategien zum Lernen von Vokabeln, die beim Erwerb des Deutschen als Drittsprache helfen.

Außerdem hat das Deutsche Anglizismen wie Team sowie viele Wörter, die durch den gemeinsamen germanischen Hintergrund im Deutschen und Englischen ähnlich klingen oder aussehen, z. B. Sohn/son. Solche Wörter erleichtern den Erwerb von Deutsch als Drittsprache. Gleichzeitig regen solche Ähnlichkeiten dazu an, Sprachen zu vergleichen und über Sprache zu reflektieren. Dies fördert die meta-sprachlichen Fähigkeiten, die weitere Lernprozesse erleichtern. Gleichzeitig üben Lernende, ihr gesamtes sprachliches Repertoire zu nutzen und situationsangemessen zwischen Sprachen zu wechseln oder übersetzen.

Lernmotivation

Die Verwendung vertrauter Sprachen reduziert Frustration, erleichtert die Unterrichtsteilhabe, zeigt, dass Lehrende alle Sprachen und Kulturen gleich wertschätzen – und steigert so die Motivation.

Aktuelle Ansätze der Mehrsprachigkeitsdidaktik lehnen daher die strikte Beschränkung auf die Zielsprache ab. Diese Ansätze unterscheiden sich von kontrastiven Ansätzen der 1960/70er-Jahre: Damals nutzte man zwar auch mehr als eine Sprache, beschränkte sich aber darauf, Ziel- und Erstsprachen zu kontrastieren. Im Fremdsprachenunterricht war das umsetzbar, wenn eine homogene Lerngruppen mit derselben Erstsprache eine Fremdsprache lernte – zum Beispiel in Schulen.

Außerdem gingen kontrastive Ansätze von klar abgegrenzten Erst- und Zweitsprachen aus. Man dachte, dass deren Gemeinsamkeiten zu positivem Transfer, Unterschiede jedoch zu Fehlern durch Interferenzen (negativen Transfer) führen. Daher behandelte man Sprachen im Unterricht als getrennte Einheiten und arbeitete Unterschiede heraus.

Empirische Studien sprechen jedoch gegen eine strikte Sprachtrennung: So erkennen z. B. Versuchspersonen in sogenannten „cross-linguistic priming“-Experimenten ein Wort schneller, wenn man ihnen vorher ein verwandtes Wort in einer anderen bekannten Sprache präsentiert (z. B. Katze nach dog „Hund“).

Die Aktivierung eines Wortes in einer Sprache scheint somit automatisch und unbewusst zur Aktivierung des entsprechenden Wortes in der anderen Sprache zu führen. Hirnforschungsstudien bestätigen, dass die einzelnen Sprachen bei der Sprachverarbeitung ko-aktiviert und nicht in separaten Regionen des Gehirns verarbeitet werden. Auch die Sprachpolitik der Europäischen Union beruht auf der Annahme, dass die einzelnen Sprachen von Lernenden miteinander interagieren.

Aktuelle Mehrsprachigkeitsmodelle

Die Evidenz gegen eine strikte Sprachtrennung bildet die Basis für mehrere aktuelle Mehrsprachigkeitsmodelle:

Das Dynamische Model des Multilingualismus (Herdina/Jessner 2002) lehnt es ab, Sprachkenntnisse in festen Kategorien wie Erst-, Zweit- und Fremdsprache einzuordnen. Vielmehr beschreibt man Mehrsprachigkeit als einen lebendigen und sich ständig verändernden Prozess der Sprachentwicklung. Dabei entsteht durch die Interaktion der Sprachen ein dynamisches System mit Eigenschaften, die über die Kombination der Einzelsprachen hinausgehen. Hierzu gehört auch die erhöhte Sprachbewusstheit.

Das Integrative Modell der Mehrsprachigkeit (MacSwan 2017) betrachtet alle Menschen in gewisser Weise als mehrsprachig. Wir benutzen nämlich alle, je nach Kontext, unterschiedliche Sprachstile. Mehrsprachige verfügen über ein komplexes Sprachrepertoire, das sowohl geteilte als auch einzelsprachspezifische grammatischen Ressourcen enthält. Diese werden kontextabhängig eingesetzt. So kann man z. B. eine Sprache mit Objekt-Verb-Abfolge lernen und eine weitere Sprache mit Verb-Objekt-Abfolge. Die beiden Sprachen weisen dann unterschiedliche Wortstellungsmerkmale auf. Diese Wortstellungsmerkmale werden separat für die Einzelsprachen gespeichert und man wählt das angemessene Merkmal jeweils nach dem sprachlichen Kontext, in dem man sich gerade befindet.

Für sprachübergreifende Translanguaging-Ansätze (Crosslinguistic Translanguaging, Cummins 2021) werden Sprachen zwar als einzelne Einheiten betrachtet. Man geht aber davon aus, dass sie in mehrsprachigen Individuen miteinander interagieren. Wie beim Dynamischen Modell des Multilingualismus nimmt man an, dass sich die Beziehungen zwischen den Sprachen mit der Zeit verändern kann. Beim Dynamischen Modell des Multilingualismus liegt der Schwerpunkt allerdings auf dem Verständnis von Mehrsprachigkeit als natürlichem, dynamischen Prozess. Sprachübergreifende Translanguaging-Ansätze befassen sich hingegen mehr mit der pädagogischen Anwendung. Insbesondere wird diskutiert, wie man durch mehrsprachige Unterrichtskonzepte den Transfer von Wissen über die Sprachgrenzen hinweg ermöglichen kann.

Unitäre Translanguaging-Modelle gehen noch weiter (Garcia et al. 2016): Für sie gibt es keine echte Mehrsprachigkeit mit einzelnen (interagierenden) Sprachen, sondern nur Individuen mit ihrem jeweils eigenen Gesamtsprachrepertoire, das eine Einheit bildet – ihren ganz persönlichen Idiolekt, d. h. ihrer ganz persönlichen Sprache.

Gemeinsam ist all diesen Ansätzen, dass sie die Sprachen von Lernenden nicht getrennt betrachten. Die Verwendung aller sprachlicher Ressourcen im Unterricht fördert nicht nur den Erwerb der Fremdsprache, sondern auch Lernkompetenzen und die Reflexionsfähigkeit.
 
Literatur


Fäcke, Christiane und Franz-Joseph Meißner (Hrsg.) (2019): Handbuch Mehrsprachigkeits-und Mehrkulturalitätsdidaktik. Narr Francke Attempto Verlag.

Garciá, Ofelia, Susana Ibarra Johnson und Kate Seltzer (2016): The Translanguaging Classroom. Leveraging Student Bilingualism for Learning. Brookes Publishing Company.

Herdina, Philipp und Ulrike Jessner (2002): A Dynamic Model of Multilingualism. Perspectives of Change in Psycholinguistics. Multilingual Matters.

MacSwan, Jeff (2017): A multilingual perspective on translanguaging. American educational research journal, 54(1), 167-201.

Cummins, Jim (2021). Rethinking the education of multilingual learners: A critical analysis of theoretical concepts. Multilingual Matters.

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