„Mehrsprachenlernen in gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten“ – so lautet der Titel eines neuen Bandes, der in der Reihe Kompendium DaF/DaZ erschienen ist. Die Publikation taucht in unterschiedliche Aspekte der Mehrsprachendebatte ein – und bereitet sie anschaulich auf, sowohl für angehende wie auch für erfahrene DaF- und DaZ-Lehrkräfte.
Von Janna Degener-Storr
Wie prägt Mehrsprachigkeit unsere Kommunikation und unseren Fremdsprachenunterricht? Welche sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte wirken dabei auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene zusammen? Und wie können DaF-/DaZ-Lehrkräfte ihren Unterricht systematisch an kognitiven und kultursensitiven Aspekten des Sprachenerwerbs und Sprachenmanagements ausrichten? Das sind die Leitfragen des Bandes Mehrsprachenlernen in gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten. Deutsch als Zweit- und Fremdsprache im Fokus der Mehrsprachendebatte, den die Mehrsprachigkeitsexpert*innen Joachim Schlabach, Constanze Bradlaw und Prof. Dr. Britta Hufeisen im August 2024 herausgegeben haben.
Der Band ist Teil der Reihe „Kompendium DaF/DaZ“, die die Fremdsprachenlehrkräfteausbildung vertiefen, aktualisieren und professionalisieren möchte. Vorherige Titel der Reihe beleuchten ebenfalls kognitive, historische und sprachenpolitische Aspekte der Mehrsprachigkeit oder widmen sich anderen Themen wie der Mediendidaktik, den Angewandten Kulturwissenschaften und dem Unterrichtsmanagement. Der Herausgeber Prof Dr. Jörg-Matthias Roche ist Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Ludwig-Maximilians-Universität München und betont in seinem Vorwort zum aktuellen Band: „Das Lernen und Lehren von Sprachen ist […] in Wirklichkeit eines der wichtigsten politischen Instrumente im Zeitalter der Globalisierung und Internationalisierung und muss daher die Köpfe und Herzen der Menschen erreichen“.
Spannende Themenvielfalt für Laien und Expert*innen
Wie Sprache als politisches Instrument wirkt und wie Mehrsprachigkeit in Bildung, Verwaltung und (neuen) Medien, gesellschaftlichen Selbstverständlichkeiten und öffentlichen Debatten, Sprachkonflikten und Stellvertreterkriegen spielt, zeigen die Autor*innen auf über 300 Seiten anhand von zahlreichen Beispielen aus Geschichte und Gegenwart in unterschiedlichsten Regionen und Kontexten. In sieben Kapiteln taucht das Buch in vielfältige Themen ein, vom Verhältnis der Herkunftssprachen zu den Umgebungs- und Zielfremdsprachen über die Kulturspezifik von Textsorten bis zum interkulturellen Bildverstehen und von der Mehrsprachigkeit an Schulen über das Europäische Interkomprehensionskonzept EuroComGerm bis hin zur Konzeption von Gesamtsprachencurricula.
Der Sprachwissenschaftler Will Travers zum Beispiel beschreibt in seinem Beitrag zum universitären L3-Unterricht in den USA, dass Sprachlehrkräfte seit fast 200 Jahren die Potenziale ihrer mehrsprachigen Lernenden nutzen, um einzelne Fremdsprachen effizienter zu unterrichten. Heute gebe es an vielen US-amerikanischen Hochschulen etwa spezielle Kurse für Menschen, die bereits Englisch und Spanisch beherrschen und jetzt andere romanische Sprachen wie Portugiesisch, Katalanisch, Italienisch oder Französisch lernen möchten. Will Travers macht deutlich, dass sowohl der emigrierte Professor Pietro Bachi als Einzelperson als auch die geopolitischen Gegebenheiten in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Weg dahin eine bedeutende Rolle spielten. Um sich in globalen Angelegenheiten zu engagieren, habe die US-Regierung damals das Sprachenlernen in großem Umfang gefördert, wobei Hispanist*innen dafür plädiert hätten, die bei Portugiesischlernenden üblicherweise vorhandenen Spanischkenntnisse zu nutzen. An diesem und weiteren Beispielen zeigt der Autor darüber hinaus, wie L3-Lernende von speziell für Zweisprachige konzipierten Kursen profitieren können. Am Beispiel des Imperfekts, das sowohl im Französischen als auch im Spanischen, nicht aber im Englischen existiert, erläutert er etwa das „Cumulative Enhancement Model“, das die Erleichterung des Sprachenlernens durch den positiven Transfer beschreibt.
Klare Struktur und anschauliche Darstellung
Die einzelnen Kapitel sind wie der gesamte Band sehr klar strukturiert, mit übersichtlichen Einleitungen und knapp formulierten Lernzielen, die hilfreich sind für die Lehre, etwa an Hochschulen und in Lehrkräftefortbildungen, aber auch für die individuelle Lektüre. Darüber hinaus regen die Autor*innen die Leserschaft mithilfe von Aufgaben und Übungen dazu an, die Inhalte zu reflektieren und auf die eigene Arbeit zu übertragen. In seinem Kapitel zum universitären L3-Unterricht schlägt Will Travers den Leser*innen vor, ihre eigenen Erfahrungen beim Erlernen ihrer zweiten Fremdsprache zu reflektieren:
„Was war dabei anders als beim Erlernen der ersten Fremdsprache? Abgesehen davon, dass Sie damals jünger und damit kognitiv weniger leistungsfähig waren, wie haben sich Ihre früheren Sprachlernerfahrungen auf Ihre Vorgehensweisen beim Lernen der zweiten (dritten, vierten etc.) Sprache ausgewirkt? Sind Ihnen beim Sprachenlernen bestimmte sprachliche Bereiche wie Strukturen, Vokabeln oder Redewendungen wichtiger als andere? Haben Sie nun mehr Selbstvertrauen in Ihre Fähigkeit, Sätze korrekt zu bilden oder diese korrekt auszusprechen? Sind Sie im Unterricht nun motivierter und haben vielleicht weniger Angst? Und schließlich: Wie können Sie als Sprachenlehrerin oder -lehrer dafür sorgen, dass Ihre Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Vorerfahrungen optimal ausnutzen?“
Oder auch: „Wie sieht das typische sprachliche Profil der Fremdsprachenlerner aus, die Sie unterrichten? Ist es üblich, dass diese Lerner Englisch oder andere Sprachen beherrschen? Ist es wahrscheinlich, dass sie im Ausland studieren? Wie sieht die Kursabfolge für die verschiedenen Sprachen an Ihrer Bildungseinrichtung aus? Überlegen Sie, ob ein gestraffter Anfängerkurs (a) mehr Lerner in die Lage versetzen könnte, die nächste Stufe zu erreichen, oder (b) helfen könnte, neue Lerner zu gewinnen. Falls ja, entwickeln Sie eine Skizze für einen entsprechenden Kurs.“
In anderen Kapiteln ermutigen die Autor*innen ihre Leser*innen zum Beispiel, weitere Aspekte zu einem bestimmten Thema zu recherchieren oder aus Fallbeispielen generelle Informationen abzuleiten.
Auch die Bebilderung der Publikation ist gut durchdacht und kreativ. Jugendliche Ausdrücke werden beispielsweise mithilfe einer Wortwolke dargestellt und die Sichtbarkeit von Mehrsprachigkeit anhand von Fotos mehrsprachiger Verkehrsschilder illustriert. Auch auf weitere Quellen wie eine gendergerechte Bibel oder ein YouTube-Video zu einem Leselernprojekt für Kleinkinder wird verwiesen, wodurch die Autor*innen möglicherweise nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen der Leser*innen erreichen. Der Band zeichnet sich darüber hinaus durch eine anschauliche Sprache aus. Interessant ist das Buch sowohl für erfahrene Lehrkräfte als auch für Einsteiger*innen, da linguistische Grundbegriffe und historische Bezüge erläutert werden. Diese Kontexte und die aktuellen Beispiele helfen den Leser*innen dabei, politische und alltägliche Diskussionen über Mehrsprachigkeit einzuordnen und für den eigenen Unterricht nutzbar zu machen.
Literatur
Schlabach, Joachim, Constanze Bradlaw und Britta Hufeisen (Hrsg.) (2024): Mehrsprachenlernen in gesellschaftlichen und institutionellen Kontexten – Deutsch als Fremd- und Zweitsprache im Fokus der Mehrsprachendebatte. Narr Francke Attempto Verlag.
Detaillierte Informationen zum Buch erhalten Sie auf der Website des Verlags.