Aktuelle Musik aus Deutschland  Popcast #7/2025

Popcast #7/2025 Enji Enji © Hanne Kaunicnic

Mit Musik von: 

Horizontaler Gentransfer | Treibender Teppich Records
Stimming | Stimming Recordings
Die Grenzkontrolle | Bodenlos Records
Enji | Squama Recordings
Erobique & Jacques Palminger | A Sexy Records
Autor und Sprecher (Deutsch): Ralf Summer

 
Ach, wenn ich nur könnt’ ich würde singen
laut und schön
Ich würde singen tanzen lachen
Und den Leuten Freude machen
Erobique & Jacques Palminger mit Angelika Richter, „Wenn ich könnte, würde ich singen“
Horizontaler Genverkehr

Horizontaler Genverkehr | © Treibender Teppich Records

Aus einem Kunstprojekt an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart wurde eine Popgruppe: Sechs Künstlerinnen verbanden unter dem Namen Horizontaler Gentransfer auf das Allernötigste herunterdestillierten Art-Pop mit K-Pop und Punkeinflüssen. Das war eine eigenwillige Mischung, die den unterschiedlichen Migrationshintergründen der Bandmitglieder Rechnung trug, aber auf ihrem jetzt erscheinenden zweiten Album Everything Possibbong gehen sie noch weiter. Die Band greift den koreanischen Schlagerstil Bbong (auch bekannt als Trot) auf, eine etwas veraltete Spielart koreanischen Pops, der auf die japanische Kolonialzeit in in Korea in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgeht. Unter anderem der deutsche Komponist Franz Eckert hatte im fernen Osten, namentlich in Japan und Korea gearbeitet und den Einfluss westlicher Musik ausgeweitet. So schließt sich für einige der in der koreanischen Kultur verwurzelten Bandmitglieder der kulturelle Kreis. Bei Auftritten trägt die Band außerdem selbst hergestellte Kostüme, um ihr Publikum „zu verwirren“ und entsprechend zu aktivieren. Damit werden sie zu einem Gesamtkunstwerk aus Haltung, Style und Attitüde, und entziehen sich den sonst üblichen Qualitätskriterien des Popmarktes.
Stimming

Stimming | © Anna Chocholi

Martin Stimmings Arbeitsweise ist die eines rein elektronischer Musikers, aber seine Quellen sind oft organischer Natur. Der Hamburger arbeitet mit selbst hergestellten Feld-Aufnahmen, originalen Soundquellen, eigens gesampleten aktustischen Instrumenten und liebevoll zusammengestückelten Bleeps, Plunks und Whirrs. Mehr noch als bei seinen letzten Alben ist das neue Werk eine Untersuchung der emotionale Tiefen des nicht umsonst so bezeichneten Deep House. Es schwirrt, atmet und pulsiert über weitreichende Flächen und ein solides, immer präsentes Fundament aus Bass. Das neue Album Friedrich ist ein exploratives, harmonisches und zutiefst humanistisches Kleinod semi-elektronischer Musik für dieses Jahrtausend, dessen Ruhe mehr Kraft ausstrahlt als eine Wand aus Gitarren.
Grenzkontrolle

Grenzkontrolle | © Jan Schünke

Die Kölner Band Grenzkontrolle um den Poeten und Schauspieler Don L. Gaspár Ali stehen dem deutschen Alltag kritisch gegenüber, insbesondere der erstarkte Rechtsradikalismus steht im Zentrum ihrer Texte. Das Quartett setzt seine wütende Energie dabei ohne das für Punkrock sonst typische Gepose, die verzerrten Gitarren, das aggressive Getrommel und das wilde Geschrei um, vielmehr arrangieren sie ihre Tracks sparsam und geschmackvoll, wie es vor allem die Post-Punker der frühen Achtzigerjahre vermochten. Alles wirkt überlegt und wird kompetent umgesetzt, kein Ton ist zuviel, große Melodiebögen fehlen gänzlich und übertrieben wird höchstens in den Texten. Diese allerdings, weniger gesungen als gerufen, sind hart und kompromisslos, wie sie es aufgrund der politischen Lage für geboten sehen.
Enji

Enji | © Hanne Kaunicnic

Auf ihrem neuen, dritten Album Sonor gelingt es der mongolischen Sängerin Enji einmal mehr, traditionellen Folk aus ihrer Heimat mit fragilem Jazz zu verbinden, diesmal begleitet von einem kompletten Jazz-Outfit unter Leitung ihres langjährigen Gitarristen und Mitstreiters Paul Brändle. Mühelos und immer in voller Kontrolle navigiert die in München ansässige Sängerin von Jazzstandards wie Old Folks über mongolischen Pop wie Eejinhee Hairaar zu ihren (und Paul Brändles) eigenen Kompositionen, in denen sie ihre Reife und Tiefe als Komponistin unter Beweis stellt. Ein zentrales Stück ist das auf Deutsch getextete Unadag Ugui, in dem sie die Besonderheiten und Herausforderungen ihres interkulturellen Lebens thematisiert. Insgesamt ist auch dieses Album wieder ein riesiger Schritt nach vorne für eine ganz herausragende Künstlerin, deren Potenzial unerschöpflich scheint.
Erobique & Jacques Palminger

Erobique & Jacques Palminger | @ Anne Backhaus

Erobique und Jacques Palminger, zwei Hamburger Musiker, die dem lokalen Publikum in den verschiedensten Konstellationen, als Komödianten, Musiker oder Schauspieler immer mal wieder begegnen, haben auf ihren Webseiten dazu aufgerufen, ihnen Texte und Songideen zu schicken, ein Studio gemietet und gewartet, was passiert. Die Resonanz war riesig, über 300 Ideen kamen an. Die schönsten haben sie ausgewählt, einen Haufen Kollaborator*innen eingeladen und einfach losgemacht. Disco, Easy Listening, Bossa, Chanson – Songs For Joy auf der Veddel ist überschäumend, fröhlich, traurig, kitschig, cool und alles zugleich. Jeder Song ist ein Blick in eine andere Gedankenwelt, zusammengehalten immer von einer kleiner Handvoll Musiker*innen mit Dutzenden von Gäst*innen, ein riesiger Spaß und ein wertvolles Zeugnis dessen, wozu die Menschen in der Lage sind, wenn sie sich zuhören, ernst nehmen und gemeinsam gestalten.

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