Zwei Hochzeiten, zwei Welten – und ein gemeinsames Gefühl: Was passiert, wenn man zum ersten Mal eine deutsche Hochzeit erlebt – und dabei Erinnerungen an eine syrische Familienfeier wach werden?
Es ist Sommer 2022. Mein Handy klingelt – ich bin zu meiner ersten deutschen Hochzeit eingeladen. Es ist etwas kurzfristig: Die Großeltern der Braut sind krank, ein Platz ist frei geworden. Die Gästeanzahl beträgt gerade mal dreißig Personen, kleiner als jedes Familientreffen auf der Terrasse meiner Oma in Aleppo. Der Veranstaltungsort liegt irgendwo zwischen Gießen und Frankfurt. Einen Dresscode gibt es nicht, man trägt, was einem gefällt. In jedem dieser Details der Einladung steckt ein kleiner Kulturschock für mich. Doch der größte ist die Uhrzeit: Beginn um 13:00 Uhr. Für mich ein unerwartet früher Start – und ein Hinweis darauf, dass diese Hochzeit ganz anders ablaufen wird, als ich es gewohnt bin.Kaffee, Kuchen und Fremdsein
Am Tag der Feier beginnt alles mit einem Zusammenkommen bei Kaffee und Kuchen. Ich trinke meinen Kaffee, esse ein Stück Apfelkuchen und verstecke meine Aufregung hinter Smalltalk. Mitten im Geschehen fühle ich mich wie ein Gast unter Fremden, kaum jemand kennt mich. Doch ich bin nicht der Einzige: Selbst die Familien von Braut und Bräutigam treffen heute zum ersten Mal aufeinander. Als ich das erfahre, verschlucke ich mich fast an einem Bissen Apfelkuchen. Zwischen Stimmengewirr und dem Klirren der Tassen und Teller lernen sich die Gäst*innen nach und nach kennen.
Ein häufiger Programmpunkt auf deutschen Hochzeiten: Luftballons mit guten Wünschen für das Brautpaar steigen in den Himmel. | Foto (Detail) © picture alliance / dpa Themendienst | Andrea Warnecke
Ein klar strukturierter Ablauf
Reden des Brautpaars, ein Kuss, dann Essen – und schließlich wird gespielt. Kurze Zeit später sitzt die Braut auf einem Stuhl, den Rücken zu ihrem Ehemann gekehrt, und hält einen seiner Schuhe in der Hand. Der Bräutigam bildet ihr Spiegelbild, einen ihrer Schuhe in der Hand. In dem Spiel geht es darum, wie gut sie sich kennen. Ihnen werden Fragen zueinander gestellt und sie antworten, indem sie den passenden Schuh hochhalten. Im Publikum wird geklatscht, geflüstert, gelacht. Die Luft ist erfüllt von Neugier, Freude und Gelächter. Alles ist neu und aufregend für mich – und zwischen all den Kulturschocks breitet sich ein großes Lächeln auf meinem Gesicht aus.Tanzfläche von Gießen nach Aleppo
Die Tanzfläche wird eröffnet, und bis Mitternacht tanzen alle durcheinander. Mein persönlicher Höhepunkt des Abends kommt, als der DJ meinen Wunschsong mit Bauchtanzmusik auflegt. Ich trete in die Mitte der Tanzfläche, die Menge bildet einen Kreis um mich. Meine Hüften bewegen sich im Rhythmus der Musik, die Gäst*innen klatschen und lachen. Ich schließe die Augen und jeder Hüftschwung zieht mich tiefer in Musik und Erinnerung.Plötzlich bin ich zurück in Aleppo, 2008 – bei der Hochzeit meiner Tante. Die Vorbereitungen begannen schon ein Jahr im Voraus. Den größten Stress hatten meine Oma und die Eltern des Bräutigams, denn die Gästeliste durfte nur 500 Menschen umfassen. Das führte zu schlaflosen Nächten. Meine Oma hatte Albträume, jemand Wichtiges vergessen zu haben. Stundenlang saß sie über der Liste, strich Namen, fügte neue hinzu – immer mit der Angst, jemanden zu übersehen.
Zwischen Traditionen und Tränen
In der Nacht vor der Hochzeit übernachtete ich bei meiner Oma. Sie stand früh auf, um Kaffee zu kochen. Ich wachte zur Stimme von Fairuz auf, eine der berühmtesten Sängerinnen im arabischen Raum. In Syrien gehört sie zum Morgen wie der erste Sonnenstrahl: in Cafés, Bussen, Läden – und bei meiner Oma.
Fairuz ist für die arabische Welt eine musikalische Ikone. | Foto (Detail) © picture alliance / DALLE APRF | ©DALLE APRF
Später füllten wir Wohnzimmer und Balkon meiner Oma – in Erwartung der زفة العروس, der traditionellen Brautprozession. Zu dieser wird die Braut vom Bräutigam und seiner Familie mit dem Auto abgeholt. Innerhalb kürzester Zeit standen zwanzig Autos vor der Tür, und unsere gesamte Familie fuhr mit. Doch es ging nicht direkt zur Hochzeitslocation. Stattdessen fuhren wir gemeinsam eine Runde um die Aleppo-Burg – eine einstündige Stadttour mit Gesang, Tanz und Hupkonzert. Auf dem Weg zur Hochzeitslocation kamen fremde Menschen auf ihre Balkone, jubelten, winkten dem Brautpaar zu. So wurde die Freude über die bevorstehende Eheschließung mit der ganzen Stadt geteilt.
Keine Feier ohne Tanz
Nach unserer Ankunft am Ort der Feier standen die Türen von 23:00 Uhr bis 5:00 Uhr offen. Wir zelebrierten das Ehepaar mit Essen, Trinken und Musik. Getanzt wurde selbstverständlich auch – aber nicht wie in Deutschland alle durcheinander, sondern in drei Tanzformen:- Für sich tanzen – jede Person mit einem Taschentuch in der Hand, um Bewegungen zu betonen und Schweiß abzutupfen.
- دبكة (Dabkeh), ein traditioneller Kreistanz, bei dem Hand in Hand im Halbkreis getanzt wird. Die Personen an den Enden führen den Kreis an.
- Und natürlich der Bauchtanz.
Zwei Kulturen, ein Miteinander
Die Erinnerung an den Bauchtanz auf der Hochzeit meiner Tante reißt mich aus meinen Gedanken – zurück auf die Tanzfläche zwischen Gießen und Frankfurt. Ich öffne die Augen und spüre, wie wertvoll dieser Moment ist: das Teilen meiner Kultur, während ich eine andere erlebe. Über allem liegt das Gefühl des Miteinanders. Es ist ein Moment der Freude, in dem Syrien und Deutschland miteinander verschmelzen. Neue Erlebnisse können verunsichern, doch gerade diese Unterschiede bringen uns zusammen. So feiern wir gemeinsam Kulturen, geliebte Menschen – und vielleicht tanzen wir sogar auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig.November 2025