Neuere Literatur über den Klimawandel  Zwischen Realität, Dystopie und Fiktion

Die Erdoberfläche wird aufgrund des Klimawandels verwüstet.
Ob die Welt mal so aussehen wird? Dystopische Klimaliteratur zeichnet ein dunkles Bild für die Zukunft. Foto (Detail) © mauritius images / Stocktrek / Mark Stevenson

Climate Fiction, Ökothriller, Doku-Fiktion – die Klimakrise spiegelt sich in der deutschen Romanlandschaft wider und zeigt, was uns als Gesellschaft bewegt. Ein Gespräch mit Gabriele Dürbeck, Literatur- und Kulturwissenschaftlerin.

„Dunkle Tannen, grüne Wiesen im Sonnenschein, Heidi, Heidi, brauchst du zum Glücklichsein“. Dieses Lied und diesen Refrain kennen viele aus der Zeichentrickserie Heidi, einer Geschichte, die auf den Büchern von Johanna Spyri beruht. Dem Schweizer Alpenidyll wird darin sehr viel Platz eingeräumt, es steht im Zentrum der Erzählung um das Waisenkind Heidi. Spyri schrieb das Buch über das Waisenkind, das in den Bergen so glücklich ist, im Jahr 1880, also vor knapp 145 Jahren. Seitdem hat sich nicht nur gesellschaftlich vieles verändert, auch das Weltklima ist ein anderes: Laut dem europäischem Erdbeobachtungsprogramm Copernicus war die Erde 2024 erstmals 1,5 Grad Celsius heißer im Vergleich mit dem vorindustriellen Niveau. Dieser menschengemachte Temperaturanstieg ist verantwortlich für die weltweite Zerstörung von Ökosystemen und Lebensräumen. Was zu Spyris Zeiten noch normal war – eine intakte Natur – ist heute bedroht durch die Klimakrise.

Alles begann mit dem „Schwarm“

Das verändert auch die Romane, die wir lesen. „In Deutschland war der 2004 erschienene Ökothriller Der Schwarm von Frank Schätzing eines der Bücher, die Umweltliteratur massentauglich machten. Etwa ab 2010 sehen wir einen Anstieg der Klima- und Umweltliteratur“, erinnert sich Gabriele Dürbeck, Professorin für Literatur- und Kulturwissenschaften an der Uni Vechta. „Seit dieser Zeit, verstärkt seit dem Pariser Klimagipfel 2015, wurde die Klimakrise mehr in der Öffentlichkeit diskutiert, das Thema wurde breiter zugänglich.“ Schätzings Buch erzählt von der Umweltzerstörung durch den Menschen, seltsamen Naturphänomenen und einer unbekannten Spezies, die die Menschheit bedroht. Typisch für einen Ökothriller sei laut Dürbeck, „dass eine Klima- oder Umweltkatastrophe mit Elementen von Science-Fiction, Thriller und Doku-Fiktion dargestellt und Umweltwissen popularisiert wird.“ Der Risikodiskurs spiele eine große Rolle, und auch wenn die Geschichte am Ende häufig gut ausgeht, stelle die Literatur eine Warnung dar.
Das Cover des Buches "Der Schwarm", das eine blaue Iris auf schwarzem Untergrund zeigt.

Ein prägendes Werk in der Kategorie der Ökothriller: Der Schwarm von Frank Schätzing | © S. Fischer Verlag

Ökothriller sind ein Untergenre der Romangattung, die sich mit der Klimakrise entwickelt hat. Sie nennt sich Climate Fiction oder kurz CliFi. Den Ökothriller sieht Dürbeck als ein populärliterarisches Genre, wobei die CliFi auch gehobene Literatur umfasst. „Viele Geschichten der Klimawandelliteratur sind melancholisch gefärbt, wie Ilija Trojanows Roman EisTau“, sagt Dürbeck. Neben Solastalgie, also der Trauer über den Verlust und die Zerstörung der Natur, böten Klimaromane aber auch die Möglichkeit, den Verlust der Natur zu verarbeiten. „Literatur kann an Verlorenes erinnern und sie kann helfen, das, was wir nicht bewahren können, nicht zu vergessen.“

Literatur radikaler als die Politik

Die Literaturwissenschaftlerin sieht über die Jahre unterschiedlichste Phänomene der Klimakrise in deutschen Romanen: „Thilo Winter schreibt in Der Riss über Gletscherschmelze, Roman Ehrlich in Malé über den Meeresspiegelanstieg. Auch das Artensterben steht immer wieder im Fokus, wie in Jasmin Schreibers Roman Endling.“ Ein wichtiges Thema der Umweltliteratur sei auch das Mensch-Tier-Verhältnis.

Für Dürbeck entsteht Klimaliteratur bereits aus der Einsicht, dass wir uns „inmitten der Klimakrise“ befinden. „Der Klimawandel als Phänomen ist schwer darstellbar, denn es ist ein schleichender Prozess mit vielen Faktoren. Wie stellt man Kipppunkte oder Trigger dar? Wir können das Wetter wahrnehmen, aber nicht das Klima. Bei einer Katastrophe wie im Ahrtal, als große Wassermengen rapide in ein zu dicht bebautes Tal eindrangen, sehen wir die Folgen des Klimawandels. Auch in der Literatur sind es in der Regel die Folgen der Klimakrise – etwa Unwetter, Gletscherschmelze, Waldbrände –, die zur Sprache kommen“, sagt sie. Um das Abstrakte greifbarer zu machen, spielten sich viele Klimaromane eher in kleineren Skalen ab, am Beispiel bestimmter Regionen oder familiären Konstellationen.
Einheiten von Polizei, THW, Bundeswehr und Feuerwehr mitsamt vielen freiwilligen Helfern räumen Straßen, entfernen Schutt und Schlamm.

Eine der Folgen des Klimawandels: Die große Flutkatastrophe im Ahrtal in der Eifel. | Foto (Detail) © picture alliance | Jochen Tackpicture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Die Dystopien vieler Klimaromane kommen nicht von ungefähr. „Literatur hat die Möglichkeit, Konflikte anzusprechen und Diskurse anzustoßen“, erklärt Dürbeck. „Klimathemen werden in der Politik zunehmend verdrängt, ehrgeizige Klimaziele aufgeweicht und der Ausstieg aus den fossilen Energien immer weiter verschoben. Das Thema gerät aus dem Blick. Literatur ist hier radikaler.“ Zahlreiche Geschichten zeigten aber auch Lösungen und Ideen für einen Wandel auf.

Weltweites Phänomen

Weltweit erlebte die Klimaliteratur 2017 einen starken Aufwind, als die Norwegerin Maja Lunde Die Geschichte der Bienen veröffentlichte – und damit den Weg für Klimafiktion ebnete. Doch Autor*innen aus dem Globalen Süden behandeln das Thema bereits seit Jahrzehnten. Das zeigt, wie unterschiedlich verschiedene Weltregionen von Klima- und Umweltschäden betroffen sind. Die chilenische Autorin Isabel Allende verfasste Anfang der 2000er Jahre den Jugendroman Stadt der wilden Götter, in dem sie unter anderem die Umweltzerstörung in Brasilien aufgreift. Mit diesem Buch bewegte sie sich frühzeitig in einer spannenden Gemengelage aus Realität und Fiktion. Doch auch in der deutschen Literatur ist das Thema Umwelt nicht komplett neu. „In den 1970er und 1980er Jahren waren Waldsterben und Kahlschlag in der deutschen Ökolyrik schon sehr präsent“, blickt Dürbeck zurück. Vermutlich werden die zunehmend spürbaren Folgen des Klimawandels auch in Gegenwart und Zukunft Anlass für Romane aus dem Genre Climate Fiction sein.

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