Stiefeltern  Wie fühlt man sich als dritter Elternteil?

Die Autorin mit ihrem leiblichen Kind. Foto: © privat

Als unsere Autorin Kateřina Kudláčová Stiefmutter wurde, empfand sie gesellschaftlichen Druck, sie müsse die „Kinder ihres Partners wie die eigenen annehmen“. Erst allmählich stellte sie fest, dass ihr das gar nicht zusteht. Und dann wurde sie zu einem authentischen dritten Elternteil.

Seitdem ich mich in einer Partnerschaft mit einem Vater von zwei Töchtern befinde, beschäftige ich mich mit dem Thema der Stiefmutterschaft. Nur wenige Bücher setzen sich damit hinreichend auseinander, und noch weniger in tschechischer Sprache. Eines, das sich zu lesen lohnt, ist Třetí rodič (Etwa: Der dritte Elternteil) von Kamila Petrovská.

Der Druck der allgemeinen Erwartungen

Das Buch erschien 2018 und seine Autorin, die als Coach und Supervisor arbeitet, legt in diesem „praktischen Handbuch für die Stiefelternschaft“ den Fokus auf den Druck, den Menschen in dieser Rolle oft verspüren. Anhand von eigenen persönlichen Erfahrungen und denen anderer Personen beschreibt sie die Vorstellungen darüber, wie die Rolle von Stiefeltern auszusehen oder nicht auszusehen hat. Sie versucht einige der gängigsten Klischees zu widerlegen und thematisiert so manches Tabu. Zum Beispiel die Tatsache, dass viele Stiefeltern das Gefühl haben, in dieser Situation alleine zu sein.
 
In den Medien und der Gesellschaft herrscht die Meinung vor, dass Stiefeltern „die Kinder der Partnerin/des Partners wie die eigenen annehmen soll“. Jede Beziehung ist anders und das respektiere ich – trotzdem bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass, wenn ein Kind zwei Elternteile hat, die es lieben, man das Verhältnis von Stiefelternteil und Kind nicht derart vereinfachen kann. Ich würde gerne alle, die diese Floskel (oft mit guter Absicht) verwenden, auf den möglichen negativen Effekt aufmerksam machen: Es übt einen unglaublichen Druck auf die Stiefeltern aus und lässt in ihnen einen unerfüllbaren Anspruch entstehen, der für langjährige Frustration sorgen kann.

Als mir bewusst wurde, dass ich meine Stieftöchter nicht wie meine ‚eigenen‘ annehmen muss, beziehungsweise gar nicht darf, konnte ich mir trotzdem nicht verzeihen, dass mir dies nicht gelungen war. So stark war ich beeinflusst von dieser stereotypen Vorstellung darüber, wie das Verhältnis zu Stiefkindern aussehen sollte.“


Unter dem Einfluss dieses Drucks habe ich viele Jahre versucht, meine Stieftöchter als die „eigenen“ anzunehmen. Bis ich irgendwann verstanden habe, dass ich mich damit in einen Bereich begeben wollte, wo ich nichts zu suchen hatte. Von Anfang an habe ich instinktiv gespürt, dass das sowohl bei den Kindern als auch bei ihrer Mutter, für die ich dann zur Rivalin geworden wäre, Widerstand hervorgerufen hätte. Als mir bewusst wurde, dass ich meine Stieftöchter nicht wie meine „eigenen“ annehmen muss, beziehungsweise gar nicht darf, konnte ich mir trotzdem nicht verzeihen, dass mir dies nicht gelungen war. So stark war ich beeinflusst von dieser stereotypen Vorstellung darüber, wie das Verhältnis zu Stiefkindern aussehen sollte.
 
Durch die Lektüre des Buchs von Kamila Petrovská habe ich den Begriff „dritter Elternteil“ kennengelernt und mit Erleichterung übernommen – mir gefällt auch, dass er geschlechtsneutral ist. Er drückt die unterstützende Teilnahme an der Elternschaft aus – ich bin weder die Stiefmutter, noch der Stiefvater, sondern einfach ein weiteres Mitglied der Familie, das sich auch kümmert und das Kind lieben kann und darf. Gleichzeitig, und das ist sehr wichtig, stelle ich weder für die Mutter, noch für den Vater eine Konkurrenz dar und bedrohe so nicht deren Position, außerdem werden die Kinder weniger Stress ausgesetzt. Der dritte Elternteil ist eben der dritte.

Blut ist kein Wasser

Als mein Kind geboren wurde, ging ich die Beziehung zu ihm ein mit einer klaren Vorstellung darüber, was es von mir brauchte: Liebe, Zärtlichkeit, Fürsorge (und je älter es würde, desto weniger von meiner physischen Nähe). Als ich zum dritten Elternteil meiner Stieftöchter wurde, wusste ich nichts über diese Rolle und sie schien mir allgemein belastet mit vielen Vorurteilen.
 
Als dritter Elternteil habe ich versucht, eine neue, unbekannte Art von Beziehung zu den Kindern aufzubauen, welche anfangs von Unsicherheit und Eifersucht erfüllt war. Es war für mich nicht leicht, mein Territorium zu teilen (ich bin ein Einzelkind). Schwer fiel mir auch die Erkenntnis, dass die Kinder, die mein Partner mit seiner Ex-Frau hat, lieb und sympathisch sind und wir viel gemeinsam haben (was bedeutet, dass wahrscheinlich auch ihre Mutter diese Eigenschaften besitzt). Viel leichter wäre es für mich gewesen, wenn ich meinen Partner (und vielleicht auch seine Kinder) aus den Klauen eines fiesen (oder ergänzen Sie eine beliebige andere schlechte Eigenschaft) Luders hätte befreien müssen.
 
Das war eine Lektion, durch die ich Großzügigkeit gegenüber anderen, aber eben auch mir selbst gegenüber gelernt habe. Entscheidend war die Erkenntnis, dass es mir selbst erst gut gehen kann, wenn ich meine Gedanken zu der Beziehung insgesamt ausdrücke und wie es mir in ihr geht, wenn ich beginne mich authentisch zu verhalten. Erst dadurch ist so etwas wie ein Elternschafts-Dreieck entstanden und ich habe gespürt, dass wir wirklich zu dritt Eltern sind.

Zu einer Stiefmutter werden

Ich stimme Kamila Petrovská in ihrer These zu, dass die Befreiung von den Fesseln der gängigen Rhetorik dazu beitragen kann, sich von Erwartungen zu lösen, die uns nicht guttun. Bei mir war das der Kampf mit dem Wort „Stiefmutter“, das zur Elternschaft von nicht leiblichen Kindern einfach dazu gehört. Ich habe mich so sehr vor meiner eigenen „Stiefmütterlichkeit“ gefürchtet, dass ich, sobald ich etwas auch nur im Entferntesten Ähnliches empfunden habe, sofort jeden Zugang zu diesen Emotionen gründlich zubetoniert habe. Wenn ich mich über meine Stieftöchter geärgert habe, hatte ich Angst auch nur die Stimme zu erheben, denn sofort marschierten all die berüchtigten Stiefmütter aus Märchen wie Aschenputtel oder Schneewittchen durch meinen Kopf.
 
Nach einigen Jahren des elterlichen Zusammenlebens fühlte ich mich dementsprechend unsicher und unaufrichtig, auch wenn klar war, dass das gegenseitige Vertrauen langsam und schrittweise wachsen würde, einfach durch Zeit, Erfahrungen und Nähe. Ich war aber ständig auf der Hut und wollte vermeiden, zu nah an irgendeine Büchse der Pandora heranzukommen, die unsere Beziehung hätte bedrohen können.

Wann immer ich mich gegenüber meinen nicht leiblichen Kindern abgrenze, verspüre ich ein starkes Bedürfnis, sie vor mir selbst und dieser Abgrenzung zu schützen. Hand in Hand mit dieser imaginären inneren Stiefmutter existiert gleichzeitig eine Art ‚Anti-Stiefmutter‘.“


Erst durch Psychoanalyse habe ich erkannt, dass die Authentizität meiner Empfindung zum großen Teil durch das Grauen blockiert wurde, das durch Vorstellungen von der „Stiefmütterlichkeit“ ausgelöst wurde. Und dass ich mit den Kindern keine positiven Emotionen teilen kann, wenn ich mir die negativen verbiete. Also habe ich mich dazu entschlossen, die Stiefmutter in mir zu untersuchen, und das mache ich auch heute noch manchmal.
 
Schon als Kind habe ich unerwünschte Emotionen unterdrückt und bin deshalb sehr gut darin, also ist das ein komplizierter Erkenntnisprozess. Die Stiefmutter in mir wurde für mich erst greifbar, als ich versuchte zu vergleichen, was ich für meine eigene Tochter empfinde, und was für meine nicht leiblichen Töchter. Ich habe festgestellt, dass ich mein eigenes Kind instinktiv immer an die erste Stelle setze. Das mache ich aber auch, weil ich weiß, dass meine Stieftöchter ihre eigene Mutter haben, für die sie wiederum immer an erster Stelle stehen. Und darin liegt eben die Ambivalenz in der Beziehung des dritten Elternteils zu Kindern. Wann immer ich mich gegenüber meinen nicht leiblichen Kindern abgrenze, verspüre ich ein starkes Bedürfnis, sie vor mir selbst und dieser Abgrenzung zu schützen. Hand in Hand mit dieser imaginären inneren Stiefmutter existiert gleichzeitig eine Art „Anti-Stiefmutter“. Diese zwei Prinzipien existieren aber nicht getrennt voneinander wie zwei unabhängige Gegensätze, sondern sind vielmehr miteinander verwachsen.
 
Wenig jagt mir so viel Angst ein wie „die“ Stiefmutter zu sein – für mich bedeutet das Kälte und Desinteresse auszustrahlen – in Momenten, in denen vorbehaltlose Annahme und bedingungslose Liebe angebracht sind. Dabei spreche ich von der Idealvorstellung einer Mutter als Hafen. Die Stiefmutter aus den Märchen steht nämlich auch für eine bestimmte charakterliche Seite von leiblichen Müttern. Auch bei mir selbst habe ich übrigens festgestellt, dass ich mich meinem Sohn gegenüber manchmal „stiefmütterlich“ verhalte, dann bin ich unaufmerksam und kühl.
 
Ich habe in vielen Geschichten von dritten Elternteilen gelesen, wie es Frauen, die den Vater ihrer Kinder teilen, gelingt, bei der Fürsorge zusammenzuarbeiten. Und überraschenderweise ist das für mich bei weitem nichts Unvorstellbares mehr. Während der Pandemie, als die ganze Familie Angst davor hatte, was passieren würde, habe ich mich mit der Mutter meiner Stieftöchter darüber verständigt, dass wir die Fürsorge „irgendwie“ aufteilen. Aus dieser Absprache schöpfte ich für mich eine unglaubliche Kraft, die ich jetzt bereits als etwas Archetypisches, eigentlich vollkommen Natürliches wahrnehme. Die Rivalität hat dem übergeordneten Instinkt der Aufzucht der Jungen Platz gemacht. Ich bin dankbar dafür, in einem großen Rudel zu leben.

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