Osteuropäische Pflegekräfte im Westen  Sexuelle Nötigung, Verlust der Privatsphäre und Arbeit rund um die Uhr

Osteuropäische Pflegekräfte im Westen – Sexuelle Nötigung, Verlust der Privatsphäre und Arbeit rund um die Uhr Foto: Dominik Lange via unsplash | CC0 1.0

Osteuropäische Pflegekräfte werden im Westen besser bezahlt. Aber zu welchem Preis? Tschechische Frauen berichten von ihren Erfahrungen in der häuslichen Altenpflege in Deutschland und Österreich.

„Wir bieten erfahrenen und motivierten Pflegekräften den schnellen Einstieg in stationäre oder ambulante Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege in ganz Deutschland.“

„Möchten Sie älteren Menschen helfen? Dann kommen Sie als Pflegekraft nach Deutschland.“

„Wir sitzen als gleichberechtigte Partner in einem Boot. Sie wollen einen älteren Menschen im Ausland betreuen. Wir finden ihn für Sie. Ganz ohne Haken.“

Schon nach einer einfachen Suchanfrage findet man einen ganzen Haufen an Stellenanzeigen für Betreuungspersonal in Deutschland oder Österreich. Diese Anzeigen sind einfach und übersichtlich: Gesucht wird eine Pflegekraft für eine ältere Person, die an dieser oder jener Krankheit leidet. Sprachkenntnisse können eine Voraussetzung sein, müssen es aber nicht. Eine Ausbildung ist nicht erforderlich. Beginn sofort. Transport, Unterkunft und Verpflegung werden gestellt.

Schätzungen zufolge arbeiten derzeit allein in Mitteleuropa über eine Million Menschen in der häuslichen Pflege, sowohl EU-Bürger*innen als auch Personen aus so genannten Drittländern. Allein in Deutschland sind es 400.000 bis 600.000, die meisten von ihnen aus Polen. Etwa 3.000 bis 5.000 kommen aus der Tschechischen Republik, und zwar meist Frauen (genaue Zahlen gibt es nicht, da in Deutschland die Erhebung von Daten über ethnische Herkunft verboten ist). In Österreich ist die Rede von bis zu 60.000 häuslichen Pflegekräften. Am häufigsten verrichten sie ihre Arbeit in einem sogenannten Live-In-Service, also einer 24-Stunden-Betreuung.

Das bedeutet, dass die Betreuungsperson zu den Klient*innen nach Hause kommt, mit ihnen wohnt, frühstückt, zu Mittag und zu Abend isst und jederzeit zur Verfügung stehen muss. Tagsüber, nachts, ständig. Die Pausen werden im Voraus festgelegt und machen nur einen kleinen Teil des Tages aus. Viele Pfleger*innen haben nicht einmal ein eigenes Zimmer, sondern schlafen in einem Raum mit der zu betreuenden Person.

Die Haushalte befinden sich oft in kleineren Städten oder Dörfern, in denen es keine institutionalisierten Pflegedienste verfügbar sind. Das macht die Pflegenden noch verletzlicher: Man kommt nicht so einfach weg aus einem kleinen Dorf irgendwo mitten in Deutschland. „Man muss sich darauf einstellen, dass man aus seiner Komfortzone herausgeholt wird, das macht den Job aus“, sagen Pfleger*innen achselzuckend.

Es gibt Hunderte von Stellenangeboten, und die meisten werden über Agenturen angeboten. Das Niveau der Agenturen ist unterschiedlich: Einige streichen bis zu 50 Prozent des Gehalts ein, andere erstatten keine Reisekosten oder verlangen Anmeldegebühren, um in die Datenbank aufgenommen zu werden. Für die überwiegende Mehrheit der Berufsanfänger*innen ist dies jedoch die einzige Möglichkeit, eine Stelle zu bekommen.

„Es ist der einfachste Weg, vor allem am Anfang“, sagt Veronika, eine 50-Jährige, die sich entschlossen hat, als Pflegerin im Ausland zu arbeiten, nachdem sie zuvor schon mehrere Jahre lang Senior*innen betreut hatte, die unter verschiedenen Krankheiten litten: Parkinson, Alzheimer und Altersdemenz. „Eine ältere Kollegin hat es mir empfohlen und meinte, dass ich da mehr verdienen würde.“

Veronika antwortete auf ein paar Anzeigen und machte sich bald darauf auf die Reise in eine kleine deutsche Stadt, dreihundert Kilometer von der Grenze entfernt. „Ich bin abenteuerlustig, das passt zu mir“, lacht Veronika auf dem Bildschirm meines Telefons. Es ist Abend, sie hat gerade ihren einmonatigen Dienst beendet und packt für die Heimreise. „Das Problem ist, dass die Familien einen manchmal für eine Dienerin halten und wie eine billige Arbeitskraft aus dem Osten behandeln.“

Ihr Tschechinnen seid billig

Das ist Veronika schon mehrmals passiert. Aber ihre schlimmste Erfahrung machte sie in einem kleinen Dorf in der Nähe von München. Ihre Kundin war von der Hüfte abwärts gelähmt, was Veronika erst vor Ort herausfand. In der Anzeige war das nicht erwähnt worden. Die Familie stand jeden Tag um 7 Uhr morgens auf, und von 14 bis 17 Uhr musste Veronika alleine raus, egal bei welchem Wetter und auch wenn sie nicht wollte. Ansonsten war Arbeit nonstop angesagt: Abends um neun brachte sie die Kundin ins Bett, in der Nacht stand sie mehrmals auf.

„Die Arbeitsbedingungen waren irrsinnig. Von Anfang an machte sie mir klar, dass ich nur eine unbedeutende Arbeitskraft war. Sie hat mir sogar gezeigt, wie man einen Wasserkocher bedient, und es war offensichtlich, dass sie mich wirklich als etwas Minderwertiges betrachtete. Als ich sie fragte, warum sie nicht stattdessen eine deutsche Frau als Arbeitskraft einstellte, sagte sie nur: „Ihr Tschechinnen seid billig.“

Veronika war in die Falle geraten, die diese Art von Arbeit mit sich bringt: Sie war fest entschlossen abzureisen, wusste aber, dass sie nicht bezahlt werden würde, wenn sie den vereinbarten Monat nicht durchhielte. Außerdem weigerte sich die Kundin, ihr Rückfahrticket nach Tschechien zu bezahlen, also brauchte Veronika das Geld. „Und das, obwohl sie sehr schlecht bezahlte – etwa 40 Euro pro Tag. Für mindestens achtzehn Stunden Arbeit, oft auch zwanzig. Das sind etwa fünfzig Kronen pro Stunde. Davon musste ich alles bezahlen, was ich brauchte – vor allem Lebensmittel.“

Der eigentliche Grund, warum sie nicht ging, war schließlich, dass ihr die Seniorin leidtat. „Wäre ich gegangen, wäre sie allein und ohne Pflege geblieben, bis sie wieder jemanden gefunden hätte. Aber das kann Wochen dauern“, sagt sie. „Dann hätte sie niemanden gehabt, der sich um sie kümmert, und sie war von der Pflege durch andere abhängig.“

Offene Türen, wenig Essen

Eben in diesem Dorf unweit von München wurde Veronika auch misshandelt. Zumindest nennt sie es heute so: Sie bekam fast nichts zu essen. Ihre Auftraggeberin aß sehr wenig, sie kaufte nur für sich selbst ein. So bekam Veronika nur das, was übrig war. „Wenn ich Brot und Butter zum Frühstück hatte, war das für mich fast ein Feiertag“, erinnert sie sich. „Wenn die Seniorin kochte, war es für ihre drei Söhne. Einmal hat sie Gulasch gemacht und mir nur den Saft davon zum Mittagessen gegeben. Das war alles.“

Außerdem war die Wohnung für Veronika unangenehm gestaltet. Sie bestand aus einem langen Korridor mit mehreren Türen. Aber keine davon hatte ein herkömmliches Schloss. Es handelte sich um Schiebetüren, und Veronikas Auftraggeberin verlangte, dass sie ihre Zimmertür immer offen ließ. „Ich habe meine Privatsphäre komplett verloren“, sagt sie. „Ich war die ganze Zeit im Blickfeld meiner Klientin, wir waren allein, man konnte alles hören. Außerdem verbot sie mir, zu Hause anzurufen. Das habe ich nur gemacht, wenn ich diese drei Stunden draußen war. Ansonsten konnte ich mein Telefon überhaupt nicht benutzen.“

Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwommen für Veronika. Sie wusste nicht genau, wie sie diese setzen sollte. Sie hatte Angst, dass sie entlassen werden würde, wenn sie sich beschwerte. „Am Ende wusste ich nicht mal mehr, wie ich nach Hause kommen sollte. Normalerweise bieten Familien Fahrdienste an, aber diese Klientin kümmerte sich nicht darum, wie ich nach Hause kam. Am Ende bettelte ich und bestach denjenigen, der meine Nachfolgerin brachte, mich zur Grenze zu bringen. Und ich habe nie wieder den Kontakt zu dieser Klientin gesucht“, schließt Veronika.

Motivation zur Migration

Der Arbeitsmodus der Betreuerinnen ist recht klar: sie wechseln sich ab. Die Praxis, dass sich verschiedene Betreuerinnen im Turnus bei den Klient*innen abwechseln, damit die vorherigen für eine Weile nach Hause gehen können, ist einer der Gründe, warum diese Arbeit nicht von eher jungen Frauen oder Müttern, sondern hauptsächlich von Frauen mittleren Alters oder Frauen ohne Kindern ausgeübt wird. Es kommt auch vor, dass ältere Frauen, deren Rente nicht zu einem menschenwürdigen Leben reicht, sich für die Pflegearbeit interessieren. Deshalb gehen sie manchmal nach Deutschland oder Österreich, um sich etwas dazuzuverdienen.

Die Sozialanthropologin Petra Ezzeddine von der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität in Prag beschäftigt sich seit langem mit dem Thema Pflegemigration. Ihrer Meinung nach ist diese Situation Teil der Gesamtproblematik, die sich aus den großen sozialen Unterschieden ergibt zwischen „West“ und „Ost“ innerhalb der EU und zwischen EU- und Nicht-EU-Ländern, aus denen ebenfalls Pflegekräfte kommen (zum Beispiel aus der Ukraine oder aus Moldau). „Pflegende sind stark prekarisiert und können von sozialen Rechten ausgeschlossen werden – wie es bis vor kurzem bei Pflegenden in Österreich der Fall war. Es gibt praktisch keine gewerkschaftliche Organisation auf lokaler und transnationaler Ebene im Bereich der häuslichen Lohnarbeit, und die Pflegekräfte aus verschiedenen Herkunftsländern konkurrieren miteinander darum, wer am Ende die billigste Dienstleistung erbringen kann. Und das machen sich die Zielländer zunutze“, argumentiert die Anthropologin. Sie macht deutlich, dass die Position der Pfleger*innen wirklich sehr ungünstig ist. „Sie werden unter Umständen nicht für den gesamten 24-Stunden-Dienst bezahlt. Es gibt absolut keine Grenze zwischen Arbeits- und Ruhezeiten. Die Agenturen behalten oft einen erheblichen Teil ihres Lohns ein, zum Beispiel für die Zeit, in der sie im jeweiligen Haushalt – also bei der Arbeit – sind, aber schlafen. Es kann vorkommen, dass von ihnen verschiedene Arten der Betreuung verlangt werden, für die sie nicht qualifiziert sind und die sie von Rechts wegen eigentlich nicht ausführen dürfen. Es gibt mehrere ernsthafte Risiken, denen diese Frauen ausgesetzt sind“, warnt sie.

Die von der deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung finanzierte Übersichtsstudie mit dem Titel Mobilität in der Live-In Altenpflege (Mobilita live-in péče o seniory), verfasst von Petra Ezzeddine, gibt einen umfassenden Einblick in das gesamte Thema. Und sie erklärt die Hintergründe und Motive, die tschechische und slowakische Frauen zur Arbeitsmigration bewegen.

„Der Hauptgrund für die Abwanderung tschechischer Pflegekräfte nach Deutschland ist nach wie vor das erhebliche Lohngefälle. Also die Tatsache, dass Pflegearbeit im Ausland, auch wenn sie nach den Arbeitsmarktstandards im Zielland unterbewertet ist, immer noch eine bessere Verdienstmöglichkeit für Pflegekräfte darstellt. Laut Eurostat lagen die geschätzten Arbeitskosten pro Stunde in der Tschechischen Republik im Jahr 2019 bei 13,5 Euro gegenüber 35,6 Euro in Deutschland.
Das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen von Pflegekräften in der Tschechischen Republik lag 2018 bei 800 Euro (aufgerundet), obwohl die Löhne in diesem Sektor in den letzten Jahren stetig gestiegen sind, verglichen mit 560 Euro im Jahr 2016.“ (Uhde, Ezzeddine, 2020)

„Aber wir sollten uns klarmachen, dass die Pflegerinnen in unserer Region in der Regel nach einem Rotationsprinzip arbeiten – entweder nach zwei Wochen oder nach einem Monat werden sie durch eine andere Pflegekraft abgelöst. Sie werden also nur für die Zeit bezahlt, in der sie bei Kund*innen im Ausland sind. Danach reisen sie wieder nach Hause, haben also kein Einkommen“, sagt Ezzedine.

Pflege in der Krise

„Die Pflegepolitik befindet sich einer Krise, und das weltweit. Die Bevölkerung altert, und der Druck auf die Senioren wächst, so lange wie möglich zu Hause, in ihrer eigenen Umgebung und außerhalb von Einrichtungen zu leben. Das bedeutet aber, dass sich jemand um sie kümmern muss. Manchmal wird diese Aufgabe direkt von Familienmitgliedern, meist Frauen, übernommen, aber das schafft unbezahlte Arbeit, unsichtbare Hausarbeit. Wenn die Familien das nicht können, nicht wollen oder einfach nicht schaffen, kommen die Pflegekräfte ins Spiel“, erklärt Ezzeddine den Hintergrund der Pflegemigration.

„Aber diese Betreuungspersonen haben ihre eigenen Familien, die sie zu Hause ohne Betreuung zurücklassen, und dann kümmern sich die Großeltern um die Kinder oder umgekehrt. Die Pflegerinnen schicken Geld nach Hause, das dazu dient, den wirtschaftlichen und sozialen Status ihrer Familien zu verbessern, und das auch eine Art Entschädigung für ihre Abwesenheit ist. Das ökonomische Kapital, das die Pflegerinnen bei der zirkulären Migration für die Pflege verdienen, wird oft in erster Linie für den direkten Konsum der Familien, die Ausbildung ihrer Kinder und die Wohnung investiert“, sagt Ezzeddine. Im Fachjargon spricht man daher von einem „Care Drain“.

Die Nabelschnur durchtrennen

Tereza kennt das aus erster Hand. Sie hat eine Tochter und einen Sohn und kümmerte sich ihr ganzes Leben lang sehr um ihre Kinder, unterrichtete sie zum Beispiel zu Hause. Als ihre Tochter 16 Jahre alt war, ging Tereza nach Deutschland und ihre Kinder begannen, für sich selbst zu sorgen. „Diese Nabelschnur zu durchtrennen, war das Schlimmste für mich. Ich habe es verdrängt, aber in Wahrheit ist es mir damals sehr schwer gefallen. Andererseits hat es meine Kinder unabhängig gemacht. Meine Tochter ist dadurch in der Lage, ganz allein für sich selbst zu sorgen, und das schon seit der Oberstufe. Sie verdient Geld, studiert und steht auf eigenen Füßen“, sagt Tereza stolz. Sie selbst ging fort, weil sie mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen hatte, denen sie – wie sie sagt – entkommen musste. Ein Auslandsaufenthalt schien ihr die beste Option zu sein. Sie sagt, die meisten Pflegekräfte hätten ähnliche Beweggründe: „Meistens laufen wir vor etwas weg.“

Tereza begann sofort mit ihrem Turnus – eine Freundin, die bereits Pflegerin war, hatte ihr von dem Job erzählt. Sie empfahl Tereza in „ihrem“ Haushalt und Tereza begann, sich mit ihr abzuwechseln. Doch dann fiel ihre Kollegin aus, die Corona-Krise kam, und Tereza saß buchstäblich in Deutschland fest. „Ich habe fünf Monate lang gearbeitet. Fünf Monate lang ununterbrochene Betreuung. Immer wachsam, immer verfügbar. Ich bin nachts jede Stunde aufgestanden, um nach der Patientin zu sehen, ich habe nicht geschlafen, ich hatte nur wenige Minuten am Tag frei. Ich war rund um die Uhr verantwortlich. Schließlich wurde ich sehr krank und hatte einen völligen Zusammenbruch.“ Sie konnte ihre Patientin nicht einmal mehr hochheben, sie nicht waschen, nichts. „Aber ich konnte die Frau nicht dort lassen, ich konnte es nicht, sie war von mir abhängig, sie hatte keine Kinder, keinen Mann, keine Verwandten. Sie hatte niemanden außer zwei entfernten Vormunden.“

Tereza ergänzt, dass sie sich darüber im Klaren war, wie schwierig die Arbeit sein würde. „Es ist eher ein Dienst, eine Mission, und wer dem nicht gewachsen ist, sollte es nicht tun. So ist das nun einmal. Ehrliche Pflegekräfte tun es nicht nur wegen des Geldes, sondern vor allem wegen des guten Gefühls. Das einzige Problem, das ich hatte, war, dass ich nicht regelmäßig abschalten und mich ausruhen konnte, ansonsten ist die Arbeit schön, auch wenn man nicht viel verdient“, betont Tereza.

Ihre Kundin wollte aber niemanden anderen von der Agentur, da sie schlechte Erfahrungen mit deren Pflegekräften gemacht hatte. Tereza rief fünfunddreißig Leute an, es fand sich niemand, und Tereza konnte ihre Arbeit nicht mehr ausüben. Schließlich gab ihre Kundin dem Druck ihrer Vormunde nach, die sie in einem Pflegeheim unterbrachten und ihr Haus verkauften. Tereza empfindet dies auch als ihr eigenes Versagen.

Nichts Prestigeträchtiges

„Covid hat die wackeligen Fundamente der Migration von Pflegekräften aufgedeckt. Als die Pandemie ausbrach, kollabierte alles, und einzelne Staaten haben sich die Gesetze zurechtgebogen, um die Pflegekräfte bei ihren Kund*innen zu halten, um sie ins Land holen zu können, während die grenzüberschreitende Mobilität ansonsten stark eingeschränkt war“, erinnert sich Petra Ezzeddine. Gleichzeitig, so die Anthropologin, waren die Pflegekräfte in der EU mit einer doppelten Belastung konfrontiert – mit der Sorge um ihre eigenen Familienmitglieder in ihren Heimatländern und der um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze im Ausland. „Während der ersten Welle der Pandemie waren tschechische Krankenschwestern gezwungen, eine 14-tägige Zwangsquarantäne einzuhalten und sich von ihren Familien in der Heimat zu isolieren. Für die turnusmäßigen Migrantinnen bedeutete dies jedoch, dass sie manchmal die gesamte Zeit nach ihrer Rückkehr in Isolation von ihren Familien verbrachten. Einige von ihnen entschieden sich deshalb zum Beispiel, länger bei ihren Klient*innen zu bleiben“, erklärt Ezzeddine in der Übersichtsstudie.

Sie fügt hinzu, dass die Arbeit von Pflegekräften von der Gesellschaft tendenziell als untergeordnet wahrgenommen wird. Dies sei ein Grund für die niedrigen Löhne, mit denen diese zu kämpfen hätten, vor allem, wenn sie von außerhalb der EU kommen. „In einer kapitalistisch orientierten Wirtschaft wird die Pflege nicht als gesellschaftlich wertvoll anerkannt, aber ohne sie bricht auch die ‚glorreiche‘ Produktion zusammen“, sagt Ezzeddine.

Die Löhne der Pflegekräfte sind niedrig, obwohl ihre Arbeit sehr oft eine gewisse Qualifikation voraussetzt, zum Beispiel eine spezielle pflegerische oder medizinische Ausbildung oder entsprechende körperliche oder geistige Fähigkeiten. „Es ist wirklich schwer, geistig gesund zu bleiben, wenn man so gut wie keine Privatsphäre hat, kein eigenes Leben und sich ständig auf die Bedürfnisse der Klient*innen konzentrieren muss“, räumt Martina, eine andere Betreuerin, ein. „Aber deshalb gibt es ja diese Schichtwechsel“, fügt sie hinzu.

Ich bin keine Köchin

„Du bist zwei Monate hier und einen Monat zu Hause. Und so geht das das ganze Jahr über“, rechnet Petra vor. Sie macht diese Art von Arbeit schon seit einem Jahrzehnt. Heute ist sie in einer privilegierten Position – sie arbeitet als Angestellte der deutschen Caritas, pendelt jeden Tag zu den Klient*innen, hat aber feste Arbeitszeiten von acht Stunden täglich. Nur war das nicht immer so. „Am Anfang ist man wirklich von den Agenturen abhängig, davon, wo sie einen hinschicken. Und das ist nicht immer so angenehm“, betont sie.

Sie spielt damit auf die Tatsache an, dass ebenso, wie die Pflegekräfte selbst über ihre Fähigkeiten lügen können, auch die Familien nicht immer ehrlich kommunizieren. „Menschlich gesehen kann ich das irgendwie verstehen, zum Beispiel wenn man einen kranken Elternteil hat und eine Pflegekraft für ihn braucht. Und es ist klar, dass die meisten Leute die am wenigsten anspruchsvollen Klient*innen wollen. Deshalb verheimlichen die Familien manchmal etwas, und wir erfahren den wirklichen Zustand der Pflegebedürftigen erst, wenn wir dort sind. Und dann ist es praktisch unmöglich, wieder zu gehen“, zuckt Jana mit den Schultern. Auch das ist ihr in ihrer Praxis schon begegnet.

„Ich wurde zu einer Dame gerufen, die angeblich im Rollstuhl saß, um sie im Alltag unterwegs zu begleiten. Zur Post, zum Arzt, in die Stadt. Als ich dort ankam, wartete eine kerngesunde, übergewichtige Dame auf mich, die mich als Köchin einsetzen wollte. Ich fand das würdelos. Diese Frau war völlig selbständig, und ich habe einen Monat lang jeden Tag für sie gekocht und sie durch Basel gefahren, was einfach nicht meine Aufgabe ist. Sie wollte, dass ich ihre Fenster putze, dass ich ihr Haus reinige. Sie war völlig gesund und ich habe sie einen Monat lang so bedient. Das wurde auch noch nicht mal besonders gut bezahlt. Ich fühlte mich wirklich missbraucht“, sagt sie.

Ich bezahle dich für Sex

Martina ist eine ausgebildete Köchin. Sie bekam den Job durch einen Freund, der eine Pflegeagentur hatte. „Ich wurde von meiner Mutter sehr zu diesem Job gedrängt. Sie sagte immer: In Deutschland verdienst du mehr, versuch es, kann ja nichts schaden“, erinnert sie sich daran, wie alles anfing. Damals beherrschte sie die Sprache nicht, beschloss aber, es zu versuchen. Und sie stieg direkt in die private Pflege ein. Ihre erste Reise führte sie nach Norddeutschland.

„Ich habe mit 40 Euro pro Tag angefangen, aber ich hatte keine Erfahrung, keinen Führerschein und keine Sprachkenntnisse. Natürlich war ich den ganzen Tag verfügbar. Ich habe mein Privatleben geopfert, aber das ist bei allen Pflegerinnen so.“ Martina gibt zu, dass sie zu Beginn ihrer Pfleger*innenlaufbahn sehr ängstlich war. „Ich verstand kein Deutsch, plötzlich war ich mit einem fremden Mann in seinem Haus, ganz allein. Da geht einem natürlich durch den Kopf, was alles passieren kann.“

Sexueller Druck durch Klient*innen ist eines der größten Tabus, die mit der Arbeit von Pflegekräften verbunden sind. Martina hat dies am eigenen Leib erfahren. „Ich vertrat eine Betreuerin zu einer Zeit, in der ich einen Zusatzverdienst brauchte. Ich bin bei einer Familie gelandet, die gleich zwei ältere Menschen zu betreuen hatte. Die Dame war bettlägerig, die Pflegearbeit auch körperlich anstrengend, ihr Mann wog über 140 Pfund, aber er war körperlich und geistig fit. Und eines Tages kam er und wollte auf der Terrasse einen Wein mit mir trinken.“

Martina wollte ihm einen Gefallen tun, und sie dachte nicht einmal daran, dass dahinter eine andere Absicht stecken könnte. Nach einer Weile begann der Kunde, ihr Knie zu berühren. Martina trank schnell ihr Getränk aus, entschuldigte sich, ging ins Bett und schloss sich in ihrem Zimmer ein. Danach gab es immer weitere unaufgeforderte Berührungen und sexuelle Anspielungen. Es endete mit einem direkten Angebot zum Sex. „Ich war entsetzt und sagte, dass ich auf keinen Fall will. Und dass ich seine Tochter anrufen würde“, erinnert sich Martina. Der Mann entschuldigte sich und bot Petra Geld an. „Er sagte, er würde mich für den Sex extra bezahlen, es sei kein Problem, sich zu einigen.“

Dieser Übergriff ereignete sich in der letzten Woche von Martinas Turnus. „Nicht, dass ich Angst gehabt hätte, aber es war furchtbar unangenehm. Ich war immer auf der Hut. Ich wusste, dass mir niemand im Haus helfen würde. Seine Frau war bettlägerig und es war niemand sonst im Haus. Ich schloss mich immer wieder in meinem Zimmer ein und vermied jeden Kontakt mit meinem Klienten. Schließlich rief ich seine Tochter an, informierte sie über den Vorfall und verließ die Arbeit vorzeitig. Zum Glück gaben sie mir meinen Lohn.“

Die Agentur fraß alles auf

Anfangs verdiente Martina nur sehr wenig, und als Arbeitnehmerin mit einem Gewerbeschein musste sie Sozial- und Krankenversicherung zahlen. So brachte ihr der Job rund 50.000 Tschechische Kronen [etwa 2.000 Euro] im Monat ein, aber dieses Geld musste für einen Monat „Auszeit“ in Tschechien reichen. „Nach einer Weile fand ich heraus, dass meine Familie zum Beispiel 90 Euro pro Tag bezahlte. Für Freitage, Wochenenden und Feiertage galten höhere Sätze, manchmal bis zu 200 Euro pro Tag. Aber ich bekam ein festes Einkommen von 40 Euro von der Agentur. Nach einer Weile habe ich mich dazu entschlossen, mich nicht mehr so beklauen zu lassen. Und ich begann, auf eigene Faust nach Familien zu suchen.“

Schließlich gelang es Martina, sich aus dem Kreislauf von regelmäßigem Standortwechsel, Ausbeutung durch Agenturen und 24-Stunden-Schichten zu befreien. Sie lernte gut Deutsch, fand eine eigene Wohnung, blieb in Deutschland und bekam einen Job bei der Caritas in einem häuslichen Pflegedienst für Senioren. „Ich fange um acht Uhr an und bin um vier Uhr raus. Es ist großartig. Ich habe einen Vertrag, meine Versicherung wird bezahlt, ich bekomme regelmäßig mein dreizehntes Monatsgehalt, Zuschläge für Wochenenden oder Feiertage sind selbstverständlich. Ich führe ein Leben in Würde. Und ich habe hier auch eine Beziehung gefunden und ich erwarte ein Kind“, verrät Martina verschwörerisch am Ende des Interviews.

„Die Forschung zeigt, dass die Pflegenden selbst ambivalent zu ihrer Arbeit stehen. Oft handelt es sich um Frauen, die bereits ältere Kinder haben und ins Ausland gegangen sind, um dort zu arbeiten, vielleicht um unbezahlter Hausarbeit zu entkommen. Einigen von ihnen fällt es schwer, zurückzukehren: Sie finden zum Beispiel eine neue Beziehung und es fühlt sich für sie nicht richtig an, nach Hause zurückzukehren, um ihre Kernfamilie kostenlos zu pflegen – wie meine Kollegin, die Anthropologin Olena Fedyuk, in ihrer Forschung über ukrainische Frauen in Italien zeigt“, weist Ezzeddine auf die komplexen Lebenssituationen hin, die die Pflegemigration mit sich bringt.

Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit etwas, das mir Spaß macht

Jana ist die einzige der befragten Frauen, die nie direkt im Haushalt eines Senioren oder einer Seniorin gearbeitet hat. Sie ist direkt in eine Pflegeeinrichtung gegangen: Sie brauchte feste Arbeitszeiten.

„Ich habe zwanzig Jahre lang in der Logistik gearbeitet. Es war eine erfüllende Arbeit, aber ich hatte das Gefühl, dass ich es nur wegen des Geldes tat. Ich war eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern. Und als sie größer wurden, beschloss ich, endlich meinen Traum zu verwirklichen und etwas im Pflegebereich zu finden“, erinnert sich Jana daran, wie sie zu diesem Beruf kam. Angefangen hat sie in der Tschechischen Republik. „22.000 Kronen [heute etwa 900 Euro] netto im Monat. Das war mein Gehalt. Für mich und meine beiden Kinder. Ich habe ein Jahr durchgehalten, unsere gesamten Familienersparnisse sind draufgegangen. Und dann dachte ich, dass ich in Deutschland, das nicht weit weg von uns liegt, viel mehr verdienen kann.“ Und anders als bei den anderen Frauen war ihr Ziel von Anfang an die Arbeit in einer Pflegeeinrichtung.

Es dauerte einen Monat, bis Jana eine Stelle fand. Zuerst arbeitete sie in einem Heim, das nur 130 Stunden pro Monat anbot. Das hielt sie für Zeitverschwendung. Als man sie dann anrief und ihr eine Vollzeitstelle anbot, nahm sie diese an. „Jetzt, wo ich schonmal in Deutschland bin, wüsste ich nicht, warum ich die Zeit nicht nutzen sollte, um Geld zu verdienen.“

Die Arbeit im Seniorenheim macht ihr Spaß. „Mein Vorgesetzter kommt oft und fragt, wie es mir geht, was ich brauche. Das habe ich in der Tschechischen Republik nie erlebt. Dort hat sich niemand um unsere Bedürfnisse gekümmert, wir haben zwölf Stunden am Tag gearbeitet und sind dann nach Hause gegangen“, erinnert sie sich. Es dauerte jedoch recht lange, bis sie sich an das Kollektiv gewöhnt hatte. „Aber der Umgang miteinander ist sehr professionell. Wenn nötig, kann ich um einen Schichtwechsel bitten. Und ich bin auch gerne bereit, Überstunden zu machen, wenn Bedarf besteht“, sagt Jana.

Der größte Unterschied zur Tschechischen Republik liegt neben dem Lohn vor allem in der Arbeit selbst, die weitaus anspruchsvoller ist. „In Tschechien hatten wir Klient*innen, die wirklich krank waren. Und gleichzeitig fehlte es an Personal und Hilfsmitteln, um die körperlich anstrengende Arbeit zu erleichtern. Hier gibt es genug Personal, die Klient*innen sind selbständiger, und wenn jemand wirklich physisch Hilfe braucht, gibt es Gerätschaften für alles. Das ist großartig“, sagt Jana abschließend.

Auf legalem Wege ausbeuten

„Es ist interessant zu sehen, welch negativen Ruf Pflegeeinrichtungen haben“, meint Petra Ezzeddine. Nach Ansicht der Anthropologin ist eine zu starke Fokussierung auf die individuelle Pflege im häuslichen Umfeld jedoch auf Dauer nicht haltbar. „Das Ideal des ‚ageing in place‘ [etwa: Zu Hause alt werden], das auf der prekären Arbeit von pendelnden Migrantinnen beruht, die in einem System von Ganztagesschichten in den Haushalten arbeiten, stößt bereits an seine Grenzen. Die Regierungen müssen andere Formen der Pflege unterstützen – von Pflegekooperativen (wie wir sie zum Beispiel aus den Niederlanden kennen) bis hin zur kommunalen oder gemeinschaftlichen Pflege – und sie angemessen entlohnen können. Welcher andere Job kann denn legal 24 Stunden, sieben Tage die Woche, einen Monat lang ausgeübt werden?“ fragt Petra Ezzeddine mit ironischem Unterton.

Perspectives_Logo Dieser Artikel erschien zuerst in der slowakischen Monatszeitschrift Kapitál, einer unserer Medienpartner für PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES

Das könnte auch von Interesse sein

Failed to retrieve recommended articles. Please try again.

Empfehlungen der Redaktion

Failed to retrieve articles. Please try again.

Meistgelesen

Failed to retrieve articles. Please try again.