Blinde Flecken in der Sozialarbeit  Gemeinnützige Welt

Gemeinnützige Welt Foto: © Bára Bažantová

Nachdem sie ihr Leben lang die monatlichen Ausgaben aus einem Flickenteppich von Aushilfsarbeiten, einmaligen Kunstprojekten oder Saisonarbeiten bestritten hatte, entschied sich unsere Autorin Bára Bažantová im Alter von fast 35 Jahren zu ersten Mal für eine Festanstellung – und zwar als Sozialarbeiterin in einer größeren gemeinnützigen Organisation Tschechiens. In ihrem Text beschreibt sie die Enttäuschung über dieses missglückte Experiment sowohl was die Arbeitsbedingungen als auch was den Umgang mit den Klient*innen betrifft. Letztere werden unter dem Druck des Fördersystems von Individuen mit spezifischen Bedürfnissen und einer eigenen Geschichte zu bloßen Nummern in Berichtsbögen.

In der Unterkunft ist die Luft dick. Wir stehen in einem Raum, den man als Wohnzimmer bezeichnen könnte. Ein Sofa mit Sessel, Spielzeug in einem Karton, ein Wäscheständer, behängt mit hautengen Leggings für einen zierlichen Körper. Die Fensterscheiben sind beschlagen mit Wasserdampf, angeblich erkennt man daran einen ärmlichen Haushalt. Im Zimmer ein Gemisch aus unterschiedlichen Gerüchen; billiges Parfum, Feuchte, Armut, irgendwer kocht Kartoffeln, unten hat jemand gebacken. Um uns herum einige Frauen, die weder lesen noch schreiben können, gehörlos sind und nicht sprechen. Bis auf eine, die dunkelste.

Es sind Romnja aus der Ukraine. Im Laufe des Jahres 2022, als sich Putin mit seiner Armee in ihrem Heimatland einquartierte, sind sie hierhin gekommen. Einige direkt aus den besetzten Gebieten, andere nicht. Vielleicht fürchteten sie, dass es mit der Zeit auch zu ihnen durchtropfen würde, Kugel für Kugel, Tropfen für Tropfen, tropf, tropf, oder sie haben einfach die Gelegenheit ergriffen und wollten sich von der Welle der Solidarität tragen lassen, die das von der Nähe dieser organisierten Gewalt schockierte Europa überschwemmt hat. Als käme es darauf an. Sie sind schlicht gekommen, weil es ihnen in ihrer Heimat dreckig ging und sie es für sich und auch für ihre Kinder besser haben wollten.

Die, die zum Teil hören kann, unterhält sich mit meinen Kolleginnen. Das sind Sozialarbeiterinnen, wir alle sind dienstlich hier, arbeiten für eine tschechische gemeinnützige Organisation. Ich höre ihrem Gespräch zu und werde den Eindruck nicht los, dass es sich im Kreis dreht. Die gehörlosen Frauen gestikulieren wild, während ihre Freundin übersetzt, sie stellen ständig die gleichen Fragen nach den Hilfszahlungen. Die Antwort wollen sie nicht akzeptieren und hoffen, dass sie sich ändert, wenn sie nur oft genug fragen. Ihre Strategie bringt Markéta, eine meiner Kolleginnen, auf die Palme, sie hat keine Geduld, kann Menschen nicht leiden.

Ich muss dringend zur Toilette, flüstere ich Oksana, meiner zweiten Kollegin, ins Ohr. „Wohin?“, fragt sie mich verständnislos. „Na, aufs Klo“, Unverständnis meinerseits, sie schüttelt daraufhin entsetzt den Kopf, auf die Toilette einer Unterkunft, echt jetzt?! Echt! Ich bin froh, dass ich für eine Weile verschwinden kann.

Ich trödle herum. Die Toiletten sind in Ordnung, weitaus sauberer als das, woran ich aus meinen Behausungen gewohnt bin. Ich will nicht zu den anderen zurück, mir gefällt nicht, wie meine Kollegin mit den Frauen umgeht, wie mit begriffsstutzigen Kleinkindern, doch widersprechen kann ich auch nicht. Ich bin hier neu, noch nie war ich irgendwo fest angestellt und weiß noch gar nicht so richtig, wie ich mich hätte verhalten sollen; doch ich habe schon verstanden, dass man, wenn man in einer neuen Umgebung neu anfängt, indem man sie erstmal beobachtet, bei den Leuten als Herumlungerin gilt. Und eine Herumlungerin, die sich abgrenzt? Das klingt nach Anarchie, in gGmbHs, in gemeinnützigen Gesellschaften, die von der Allgemeinheit nicht unterstützt werden.

Erst später werde ich verstehen, dass entgegen der Erwartung, bei sozialer Arbeit gehe es vor allem um Menschen, sehr wesentlich auch Zahlen für die Berichtsbögen wichtig sind.


Als ich zurückkomme, bemerke ich, dass die Strategie der gehörlosen Frauen erstaunlicherweise Früchte trägt. Als sich Markéta bewusst wird, dass sie den Klientinnen ungenaue Informationen gegeben hat, verändert sich ihr Tonfall. Der Besuch endet dann auch bald. Die Kollegin ruft beim Arbeitsamt an, und eine Mitarbeiterin dort verspricht persönlich zu kommen, um mit den Frauen die Zahlungen zu regeln. Auf dem Rückweg denke ich über das Ziel unserer Intervention nach und kann keines feststellen. Erst später werde ich verstehen, dass entgegen der Erwartung, bei sozialer Arbeit gehe es vor allem um Menschen, sehr wesentlich auch Zahlen für die Berichtsbögen wichtig sind.

Do It Yourself

Kurz nach meiner Einstellung wird Markéta befördert. Von nun an bin ich mit Oksana im Außendienst unterwegs. Oksana ist Ukrainerin und lebt schon seit etwa zwanzig Jahren hier. Sie ist eine der Wenigen in der Organisation, die russisch und ukrainisch sprechen kann, und deshalb hängt ein großer Teil der Kommunikation mit den Empfängerinnen unserer Leistungen an ihr. Idealerweise sind das ukrainische Romnja und Männer, die vor dem Krieg geflüchtet sind, aber wir arbeiten oft auch mit ethnischen Ukrainerinnen. Die meisten unserer Klientinnen sind junge Frauen mit Kindern. Einige kommen aus den kleinen Dörfern oder Siedlungen entlang der ukrainisch-ungarischen Grenze, ihre Sprache ist eine Mischung aus Ukrainisch, Romani und Ungarisch, manche sind Analphabetinnen. Die am meisten Ausgeschlossenen sind die Lautesten, sie beschweren sich sehr, verlangen am meisten Aufmerksamkeit und Fürsorge, Oksana ist von ihnen genervt.

Früher hatte Oksana alle möglichen Jobs, etwa in einer Eiswaffelfabrik. Am liebsten erinnert sie sich an die Arbeit in einer riesigen Spielhalle mit Automaten in Kyjiw. „Kurwa, das war ein Job, pisdetz... weißt du, wieviel Geld ich da verdient hab‘?“ Sie erzählt, dass immer, wenn ein Automat seinen Spieler beschenkt hat, dieser auch sie bedachte, die Goldstücke im Plastikbecher mehrten sich, Oksanas künstliche Fingernägel konnten wöchentlich fröhlich die Farbe wechseln, eine Stimmung wie auf der Kirmes.

Ich verstehe, dass die Erledigung von Papierkram sie anödet, genauso wie sie sich mit einer bestimmten Arbeitsethik schwertut. Und umso mehr verstehe ich es, als nach meinem ersten Monat in Halbzeit bloß etwas über zehntausend Kronen [knapp 400 Euro] auf dem Konto landen. Hätte ich eine Prager Miete zu zahlen, würde mir gar nichts zum Leben bleiben, zum Essen müsste ich mir Geld leihen. Für Oksana hege ich unter den Kolleginnen am meisten Sympathie. Sie ist eine herzliche Frau aus dem Arbeitermilieu, und wenn ich von ihr gegenüber einem Großteil der Leute, mit denen wir arbeiten, stellenweise Unverständnis spüre (paradoxerweise auch erwartbar, vor allem gegenüber denen mit Roma-Hintergrund), so behandelt sie sie doch nie herablassend.

Was sich allgemein leider nicht behaupten lässt. Einige meiner Prager Kolleginnen, denen ich auf der Arbeit begegne, lehnen es im Rahmen irgendeines Mantras zum Empowerment der Empfänger*innen unserer Leistungen ab, ihre Klientinnen als Individuen mit individuellen Bedürfnissen, Möglichkeiten und Fähigkeiten zu behandeln. In dem Augenblick, wenn sie ihre Hilfsmaßnahmen anwenden, interessiert es sie eigentlich gar nicht, ob jemand überhaupt etwas damit anfangen kann, und wenn nicht, auch nicht warum. So leben in einer Unterkunft beispielsweise Kinder, die keinen Kinderarzt haben, ihren Müttern, die Ukrainisch und Romani sprechen, hat man einfach Telefonnummern gegeben, damit sie sich bei den tschechischen Ärzten selbst melden.

Ähnlich patronisierende Verhaltensweisen und Praktiken begünstigen unter anderem die langjährige (rassistisch motivierte) Spannung zwischen den ukrainischen Romnja und den ethnischen Ukrainerinnen, denen es gegenüber ihren Roma-Gefährtinnen weitaus leichter fällt, sich in den tschechischen bürokratischen Systemen zu orientieren. Die Romnja, die oftmals aus armen Dörfern gekommen sind, bräuchten natürlich viel spezifischere und genauere Unterstützung, dafür fehlen jedoch bei der Jagd nach abgearbeiteten Stunden die Zeit, Energie und der Wille – alle bekommen das Gleiche, ungeachtet ihrer unterschiedlichen Ausgangssituationen.
 
So sieht die Küche in der Unterkunft aus, die Bára besucht hat.

So sieht die Küche in der Unterkunft aus, die Bára besucht hat. | Foto: © Bára Bažantová

Catch’em all

Ich bin sechs Monate vor Ende eines zweijährigen Projekts hinzugekommen und habe mich in der chaotischen Struktur dieses ganzen Kolosses, der eine solche gemeinnützige Organisation ja ist, nicht orientieren können, weshalb ich lange gebraucht habe zu verstehen, was von mir erwartet wird. Meine Position wird von meinen Vorgesetzten und Kolleginnen als „Sozialarbeiterin“ bezeichnet, jedoch gewinne ich nach einigen persönlichen Gesprächen zunehmend den Eindruck, dass sie mit diesem ziemlich klar definierten Begriff recht willkürlich umgehen und sich darunter eher die Gestaltung einzelner Aktivitäten vorstellen als einen ganzheitlichen Zugang zu Kommunikation und Aufbau von Beziehungen zu den Klienten.

In der Folge ist das aber mehr oder weniger egal, denn es ist, wie sich zeigt, momentan wichtig, vor allem die Bedingungen der Zuschüsse zu erfüllen, das bedeutet, eine bestimmte Anzahl an Klient*innen zu gewinnen und für jede*n eine gewisse Anzahl von Stunden abzuhalten. Ich stelle mir den Handy-Spiel-Hit des Jahre 2016 Pokémon Go vor: anstelle von bunten kleinen Monstern blasse osteuropäische Gesichter. Dieses Spiel zu spielen, lehne ich ab, behalte es aber für mich, denn so wie dieser ganze Moloch funktioniert, ist die Chance groß, dass es niemand bemerkt.

Außer der Jagd nach den Pokémons ist es auch wichtig, sich im Büro blicken zu lassen, eine weitere Sache, die ich in den ersten drei Monaten ignoriere, bis zu einem gemeinsamen Einsatz mit einer meiner (wahrscheinlich) Vorgesetzten. „Wenigstens einmal in der Woche solltest du ins Büro kommen“, sagt mir diese junge, vital wirkende Frau, die in einer Punkband Schlagzeug spielt, auf dem Weg zur Unterkunft. Als ich ihr entgegne, dass ich da momentan nichts zu tun habe, holt sie erstmal Luft: „Aber wir müssen ins Büro kommen“, Diskussion beendet. Als sie sieht, dass ich mit ihrer Reaktion unzufrieden bin, macht sie es mir schmackhaft: Wenn ich am nächsten Tag käme, wären nette Leute da. Ich fühle mich wie ein Kind, weiß nicht, ob ich mit dem Gespräch fortfahren soll, denn zwischen uns (zwei Erwachsene) ist eine Hierarchie und die Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber beziehungsweise den Finanzquellen getreten, mit denen zu identifizieren und auch argumentieren ich nicht in der Lage (oder gewillt) bin.

In der nächsten Woche komme ich dennoch im Büro vorbei. Etwa eine Stunde höre ich, wie jemand im Nebenraum erzählt, dass einer der beiden Roma-Kollegen, die hier einen Tisch haben (mein Arbeitgeber präsentiert sich selbst als „Roma“-Organisation; falls es in ihrer Geschichte jemals so war, so ist es heute wie überall in den tschechischen gemeinnützigen Organisationen: Hier arbeiten vor allem weiße Frauen im mittleren Alter), sich an eine meiner Kolleginnen ranmacht und mit ihr tanzen gehen will, was sie immer wieder mit einem naiven: „Und wer geht hier dann ans Telefon?“ oder „Nach der Arbeit muss ich ins Fitnessstudio.“ ablehnt. Nach einer Stunde ebbt das Stimmengemurmel ab, ich starre noch eine Weile auf den Computerbildschirm, bevor ich meine Sachen packe und gehe.

Hit the system, not the players?

In den kommenden paar Wochen absolviere ich weitere Fahrten ins Terrain, meine Arbeit besteht im besseren Fall aus der Begleitung von Personen zu verschiedenen Institutionen und auf Ämter, im schlimmeren Fall aus der unpersönlichen Verteilung von Hilfsgütern und anschließend einem schnellen Aufbruch. Wöchentlich nehme ich an einigen Online-Meetings teil, führe zahllose Telefonate, aus denen nichts hervorgeht – sie betreffen meist die Planung der weiteren Tage, weitere Beratungsgespräche, in denen ich vergeblich darauf warte, dass jemand anfängt, über konkrete Lösungen von konkreten Problemen zu sprechen.

Zum Beispiel antwortet man mir auf meine Frage, wie mit den überfüllten Schulen umzugehen ist, die ukrainische Kinder ablehnen, folgendermaßen: Sobald eine offizielle Ablehnung von der Schule komme, werde das Kind auf einer Warteliste des Schulamts vermerkt, und im Weiteren sei es nicht mehr unsere Sorge. Die Kinder besuchen dann zwar noch immer keine Schule, aber immerhin sind die Papiere in Ordnung, und wir können uns über ihr weiteres Schicksal unsere Hände in Unschuld waschen.

Die Arbeit mit den Klient*innen gerät gewissermaßen in den Hintergrund der Treffen, des Ausfüllens von Tabellen, der ständigen Notwendigkeit, etwas vor den Vorgesetzten zu erklären oder zu verteidigen, deren Anzahl immer größer wird, weil die Organisation sich darum bemüht, die Loyalität ihrer fähigen Mitarbeiterinnen zu sichern und zu verhindern, dass sie kritisch darüber nachdenken, ob sie ihre Arbeit in Bezug auf die Leistungsempfängerinnen gut machen. Die Kontrolle bekommt oft radikale Auswüchse. Während der mittwöchlichen Begleitung der Klientinnen aufs Amt im Rahmen des Außendienstes ruft uns unsere ehemalige Kollegin und zurzeit Vorgesetzte Markéta mehrfach an; sie will wissen, was wir machen, fragt Oksana, ob ich anwesend bin, will im Telefon meine Stimme hören. Die Atmosphäre ist erdrückend, und diese eigenartige Repression hat auch indirekt Auswirkungen auf die Klient*innen – wer will unter der ständigen Aufsicht auf Schritt und Tritt schon irgendetwas machen.

Von einigen Kolleginnen erfahre ich, dass sie (wie ich) für ein konkretes Projekt eingestellt worden sind. Ob es für sie nach dessen Ende auch noch Platz in der Organisation gibt, wissen sie nicht. Sie sind sich nicht einmal sicher, ob sie es sich überhaupt wünschen. Im Unterschied zu ihnen bin ich von dieser (mies bezahlten) Arbeit aber nicht existentiell abhängig und muss also nicht lange nachdenken. Als mir die Leitung nach Ende der Probezeit meinen Teilzeitarbeitsvertrag in einen Aushilfsarbeitsvertrag umwandelt (was mir zukünftig beim Arbeitsamt keine eventuell benötigte Unterstützung sichert), beschließe ich, zum Monatsende die Zusammenarbeit komplett aufzulösen.

Leute kommen und gehen. Projekte werden erfüllt. Deren Sinn wechselt unter dem Stress, was wohl die Leitung sagen würde, wenn die Zahlen nicht stimmten.

Umfeld und Funktionieren der Gemeinnützigkeit in diesen Dimensionen (seien es personelle oder die Anzahl und den Umfang von Projekten betreffend) erinnert wohl nicht zufällig an den Betrieb so manchen Konzerns. Leute kommen und gehen. Projekte werden erfüllt. Deren Sinn wechselt unter dem Stress, was wohl die Leitung sagen würde, wenn die Zahlen nicht stimmten. Das System von Zuschüssen, über das die jeweiligen Projekte finanziert werden, erlaubt es kaum, weitsichtig zu denken.

Bequem im Unbequemen bleiben

Das Problem fängt aber ganz woanders an. Das fällt mir erst ein, als mich wiederholt eine Klientin nach Arbeit fragt. Auf meine Frage, ob sie Tschechisch könne oder eine andere Sprache als Ukrainisch, verneint sie. Eigentlich kann sie gar nichts. Nicht nähen, häkeln, stricken, sie kann weder am Computer arbeiten, noch Auto fahren, zeichnen, schreiben, kritisch nachdenken, malen, Haare schneiden, ich versuche irgendetwas zu finden, egal, wie sinnfrei es erscheinen mag. Putzen. Allerdings gibt es für derart viele potenzielle Putzfrauen in Tschechien gar nicht genug schmutzige Hausflure. Plötzlich verstehe ich den Frust meiner Kolleginnen, die gegenüber den Empfängerinnen unserer Leistungen oft laut werden oder sie scharf angehen; sie benehmen sich einfach wie müde Eltern, so wie sich unsere Klientinnen und Klienten wie Kinder benehmen, die von fremder Unterstützung abhängig und nicht in der Lage sind, der Welt um sie herum und den Launen der Machthaber zu trotzen. Dennoch ist es wohl kaum ihr Fehler.

Die Bequemlichkeit im Unbequemen zu verharren kommt von außen, durch jahrelanges Wegsehen bis hin zur historisch verwurzelten Repression.

Die Empfänger*innenschaft von sozialen Leistungen besteht zumeist aus Menschen, die in Armut und Mangel hineingeboren wurden – Mangel an Liebe, Geld, einem Gefühl der Sicherheit, alles zusammen oder eines davon. Sie hatten niemanden, der ihnen den Mut Neues zu lernen beigebracht hätte; asozialen Staaten reicht es meist, wenn ihre schwächsten Bürger*innen hinter der Kasse stehen können oder an den Maschinen in der Fabrik. Deren Bequemlichkeit im Unbequemen zu verharren kommt von außen, durch jahrelanges Wegsehen bis hin zur historisch verwurzelten Repression (dies betrifft vor allem die Roma).

Schließlich stelle ich mir auch die Frage nach der Fehlbarkeit der Strategie, ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Dieselbe Regierung, die ihnen die Türen öffnet, kann ihnen kein würdiges Leben ermöglichen und überlässt sie desorientiert und ohne Rückhalt den Händen von Freiwilligen oder überforderten Mitarbeiter*innen des gemeinnützigen Sektors.

Wie kommt man da heraus? Das weiß ich nicht, ich glaube schon lange nicht mehr an die soziale Revolution. Ich glaube aber, dass es trotz der unerreichbaren Veränderung zum Positiven notwendig ist, diese anzustreben. Nicht zu vergessen, dass es möglich ist (wie uns viele kleinere Unterstützungsinitiativen zeigen), mit den Leistungsempfänger*innen umzugehen wie mit Individuen – von konkreten Bedürfnissen auszugehen und den Möglichkeiten jedes Einzelnen, sich bewusst zu machen, dass sich in das Leben der Klientel nicht nur die persönliche Geschichte, sondern ebenso die historische Unterdrückung konkreter Bevölkerungsgruppen einschreibt. Nicht die Übersicht über das Ganze und die Zusammenhänge zu verlieren, unablässig zu fragen und den Antworten dann wirklich zuzuhören. Sich nicht der Apathie zu ergeben.

Das eigene Herz offen zu lassen, ungeachtet der Risiken, die damit kommen könnten.

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