Nach fast drei grausamen und zerstörerischen Kriegsjahren ist die Ukraine weiterhin entschlossen, durchzuhalten. Doch trotz westlicher Hilfe und Geldsammlungen kommt die notwendige Ausrüstung oft nicht bei den Soldat*innen an der ersten Frontlinie an. Die Hilfe von Freiwilligen ist daher unersetzlich. Die Initiative Resistance Support Club in Brno stellt in Eigenregie Drohnen her und schickt sie in die Ukraine. Doch an wen werden diese Drohnen genau geschickt und auf welche Weise wird der Transport abgewickelt? Und warum ist eine selbstorganisierte Drohnenherstellung für die ukrainische Verteidigung so wesentlich?
Der Resistance Support Club (RSC) ist eine ukrainisch-tschechische Aktivist*innenengruppe mit Sitz in Brno, die sich im Frühjahr 2024 aus der an der FAVU (Fakultät für bildende Künste) formiert hat mit dem Ziel, antiautoritäre, namentlich linke und anarchistische Aktivist*innen und Kämpfer*innen an der Front direkt zu unterstützen. Nach Beginn der vollumfänglichen Invasion durch Russland konzentriert sich das Kollektiv hauptsächlich darauf, Drohnen zu produzieren. Doch auch Bildungsaktivitäten für die tschechische Öffentlichkeit und die Unterstützung der ukrainischen Zivilbevölkerung und Tiere kommt nicht zu kurz.Mit Anya und Luboš, zwei Mitglieder des RSC, habe ich ein langes Gespräch geführt. Dieses drehte sich um ihre Tätigkeiten, wie und wann sie begonnen haben und wie ihre Aktivität in der Öffentlichkeit aufgenommen wird. Unser Gespräch führten wir online, ich rief sie aus Hamburg an, wo ich derzeit lebe. In unserem Gespräch thematisieren wir auch kurz das Verhältnis der deutschen Gesellschaft und Regierung zu Waffenlieferungen in die Ukraine.
Vor der Gründung des Verbands widmeten sich die Mitglieder des RSC der unmittelbaren Hilfe für ukrainischer Geflüchtete in Brno. Sie halfen ihnen, Wohnungen und eine Arbeit zu finden, die ihren Ausbildungen und Qualifikationen entsprach. Anya sammelte auch Geld für ein Auto für ihren Bruder, der in der ukrainischen Armee kämpft.
Alles begann im Februar 2024, als sie sich in den Osten zur Frontlinie begaben. Neben einer Fotodokumentation und einer Reihe von Interviews mit ukrainischen Verteidigungskämpfer*innen und der Frontsanitäterin Kuba, taten sie sich auch mit der Initiative Solidarity Collectives mit Sitz in Kyjiw zusammen, die sich damit befasst, antiautoritären Kämpfer*innen in der ukrainischen Armee, die in verschiedenen Einheiten an der Front verstreut sind, mit materiellen Hilfsgütern zu versorgen, wie zum Beispiel medizinisches Material, Funkgeräte, kugelsichere Westen, Helme, Autos oder Drohnen. Die antiautoritären Kämpfer*innen leisten ihren Kriegsdienst trotz ihrer linken oder anarchistischen Überzeugungen, viele von ihnen schlossen sich freiwillig den Streitkräften an und sehen ihre Präsenz im Krieg als die einzige Lösung gegen die russische imperiale Aggression.
Ein Foto von Anyas und Lubošs Reise in die Ukraine | Foto: © Resistance Support Club
Der Wille zum Widerstand
Die verschiedenen Militärbrigaden sind nicht gleichmäßig ausgestattet, einige von ihnen verfügen über keine ausreichende Ausrüstung und sind daher teilweise auf die Finanzierung durch öffentliche Sammlungen oder auf eigene Mittel angewiesen. Einige haben eine große mediale Aufmerksamkeit und daher auch eine bessere Ausrüstung, andere werden von der Öffentlichkeit wenig beachtet. Die Lage ist schwer und die ukrainische Gesellschaft ist nach fast drei Jahren drastischem Krieg, ständiger Bereitschaft und allgegenwärtigem Stress erschöpft. Der Wille zum Widerstand gegen die russische imperiale Aggression ist ungebrochen, aber es wird immer schwieriger, die nötigen finanziellen Mittel aufzubringen. Nur wenn es zu totalen Katastrophen kommt, ist die ukrainische Öffentlichkeit in der Lage, sich für größere Geldsammlungen zu mobilisieren.Die Menschen in der Ukraine wenden sich daher alternativen Möglichkeiten zu, um die dringend nötigen Mittel zu beschaffen. So sind nun zum Beispiel Sammlungen in Form einer Lotterie weit verbreitet. Wenn jemand eine Einheit seiner Geschwister oder Freund*innen unterstützen möchte, verkauft er seinen Fotoapparat oder einen anderen Wertgegenstand aus seinem Besitz. Mehrere Personen zahlen dann gemeinsam kleinere Beträge für diesen Gegenstand ein. Einer aus den einzahlenden Personen gewinnt ihn bei der Losziehung.
„An dem Tag, an dem wir in Kyjiw ankamen, wurde gerade das Kinderkrankenhaus Ochmatdyt bombardiert, was selbstverständlich eine Spendenwelle auslöste. Dadurch ist die nötige Summe relativ schnell zusammengekommen. Die Leute, die wir trafen, sagten uns: ‚Muss denn erst immer so etwas passieren, damit sich die Gesellschaft mobilisiert? Wie sollen wir weitermachen?‘“, kommentiert Anya die Situation.
Die Soldat*innen sind oft von sich aus bereit, ihre gesamten Gehälter zu opfern, um Ausrüstung für ihre Einheit zu kaufen. Fehlende Ausrüstung kann nämlich für sie den Tod bedeuten. „Einer der Momente, der uns wirklich klar machte, dass wir den Verteidiger*innen an der Front direkt helfen wollten, war, als wir anfingen, mit den Soldat*innen zu sprechen und herausfanden, dass sie fähig sind, ihr gesamtes Gehalt zu opfern, um die nötige Ausrüstung zu kaufen.“
Anya erklärt, dass die Soldat*innen, die an der ersten Frontlinie kämpfen, für ukrainische Verhältnisse hohe Gehälter erhalten und diese oft dazu verwenden, um Drohnenteile, Kabelbinder, Lötkolben, Materialen und Ähnliches zu kaufen. „Wir sind sogar einer Einheit begegnet, deren Kommandeur bereits drei Kredite für die Ausrüstung seiner Einheit aufgenommen hat. Der Bedarf ist so riesig, dass der Staat ihn nicht allein decken kann, es gibt zu viele Einheiten und die Ausrüstung wird schnell zerstört“, fügt Luboš hinzu.
Fast jeder kann Drohnen herstellen
Ein weiterer Grund, warum die Lieferungen von Drohnen an die ukrainische Armee von so entscheidender Bedeutung sind, ist – abgehen von den eingeschränkten Möglichkeiten der ukrainischen Rüstungsindustrie – die begrenzte und langsame Lieferung von Waffen aus westlichen Ländern. Zum Zeitpunkt des Besuchs von Anya und Luboš befand sich die Ukraine genau in dieser Situation – sie wartete auf die Lieferungen und die Situation an der Front war kritisch. Zu diesem Zeitpunkt des Krieges ist es eine große Herausforderung, die eigene Waffenproduktion und Verteidigungsindustrie in einem solchen Ausmaß anzukurbeln.Luboš weist mit Nachdruck darauf hin, dass die Ukraine zwar erfolgreich sei, dass aber im Augenblick, wenn die Artillerielieferungen aus dem Westen nachließen, die Drohnen von entscheidender Bedeutung wären. Er beschreibt die Erfahrung der Kämpfer*innen, die ohne Waffen und Munition fast nichts ausrichten können: „Häufig ist es nicht mal möglich, die Verteidigungslinie zu halten – in diesem Moment sind die Drohnen grundlegend für die Verteidigung. Sie sind auch um einiges billiger als die Artilleriemunition. Im Februar 2024 stockten die Lieferungen. Es gab noch nicht die Munitionsinitiative der Tschechischen Republik, die sich gerade darauf konzentriert, die Artilleriemunition sicherzustellen. So bildeten sich in der Ukraine Verbände zur Herstellung von Drohnen. Wir haben uns davon inspirieren lassen und begannen mit ihnen zusammenzuarbeiten“, sagt Luboš.
Neben den Solidarity Collectives, die seit dem Beginn der großen Invasion tätig sind, entstanden gerade in dieser kritischen Zeit operativ weitere Gruppierungen für die Herstellung von Drohnen, wie die Vereinigung „Social Drones“, deren Slogan „Drohnen für jede Familie“ die Realität der sich zu Wehr setzenden Ukraine sehr gut widerspiegelt. Fast jeder kann Drohnen herstellen und jede Hand kann sich dabei als nützlich erweisen.
„Die Leute machen sich über uns lustig, dass wir den Kindern das Löten beibringen und sie uns bei der Herstellung von Drohnen helfen werden, aber in der Ukraine ist das die Realität. Dort werden tatsächlich Drohnen in der Schule gelötet“, sagt Luboš an. In Mittel- und in Westeuropa wird kaum darüber gesprochen, wie stark die Zivilbevölkerung bei der Verteidigung des Landes eingebunden ist. Der extreme Rüstungsnotstand zwingt die Zivilbevölkerung geradezu, die Situation immer öfter in die eigene Hand zu nehmen und auszuhelfen, wie es für sie möglich ist.
Die meisten Menschen stellen sich unter dem Begriff Solidarität wahrscheinlich humanitäre oder soziale Hilfe vor oder denken an Bildung, aber in der Situation, in der sich die Ukraine seit dem Angriff befindet, bedeutet Solidarität auch – wenn nicht sogar in erster Linie – bei der Verteidigung auszuhelfen, vor allem bei den Waffenlieferungen, von der großen bis zur vermeintlich kleinen. Nur wenige Menschen außerhalb der Ukraine sind sich bewusst, wie entscheidend die Unterstützung für die Ausrüstung der einzelnen Brigaden für den Sieg der Ukraine ist. Die Solidarität im Krieg nimmt Formen an, die wir uns, die wir im Frieden leben, gar nicht vorstellen können.
Die Bauteile kommen in der Regel aus China
Für den RSC fängt alles beim Fundraising an: sie konzentrierten sich auf die Organisation von Benefizveranstaltungen, wie Konzerte, Filmvorführungen, Vorträge und Ähnliches. Die Veranstaltungen werfen nicht nur Geld ab, sondern haben auch einen pädagogischen Charakter. Das ständige Fundraising ist erschöpfend und die Bereitschaft der tschechischen Bevölkerung, der Ukraine zu helfen, hat leider mit der Zeit nachgelassen.Die Herstellung einer Drohne mit Grundausstattung kostet etwa 7000 bis 7500 Tschechische Kronen. Im Sommer gelang es dem RSC, 26 Drohnen in die Ukraine zu schicken. Die Anforderungen an bestimmte Drohnenfunktionen ändern sich schnell, weil der Aggressor in der Lage ist, seine Kriegstechnik schnell anzupassen. Der RSC schickt daher in der Regel unfertige Drohnen in die Ukraine, die dann dort aktualisiert oder modifiziert werden können. „Die Pilot*innen können sie selbst löten, und im Gegensatz zu den Freiwilligen wissen sie genau, mit welchen Funktionen die Drohne aktuell ausgestattet sein sollte. Sie können sie sogar an aktuelle Bedürfnisse anpassen“, merkt Anya an.
Um eine Drohne herzustellen, sind natürlich zunächst die erforderlichen Bauteile aufzutreiben. Der vermeintlich einfache Prozess ist aber gar nicht so einfach: die Bauteile werden bei Großhändlern etwa über AliExpress gekauft und kommen in der Regel aus China. Aufgrund der Regulierung dieses Warentyps ist es nicht möglich, ihn in großen Mengen einzukaufen. Zugleich überwacht das chinesische Regime den Verkauf dieser Waren: „Eine weitere Komplikation ist auch das, was wir alle ahnen, aber erst in diesem Zusammenhang ganz offensichtlich wird: die gegenseitige Verwobenheit von Russland und China. Schon bei der zweiten Bestellung nehmen die Verkäufer dich genau unter die Lupe und wollen wissen, ob die Ware nicht zufällig dorthin geliefert wird, wo sie dann schließlich auch landet“, beschreibt Luboš den langwierigen Kaufprozess der Bauteile.
„Bei diesen Einkäufen kommt es auch zu schockierenden Momenten. Zum Beispiel wenn man bei den Kommentaren zum Produkt abwechselnd die Rezensionen von Ukrainern und Russen liest… Nur wenige wissen, dass es auch eine starke Freiwilligenbewegung in Russland gibt, die wiederum Drohnen für ihre Armee herstellt und damit die Invasion der Ukraine aktiv unterstützt…“, fügt Luboš hinzu.
Die gekauften Teile werden dann von China nach Tschechien geliefert, was bis zu sechs Wochen dauern kann. „Man läuft sich die Füße wund. Einige der Pakete werden in mehreren Sendungen geliefert. Es ist wirklich mühsam, immer auf die Post zu gehen. Es kostet viel Zeit und Energie.“
Kritik an der Initiative
Die fertigen Drohnen werden in die Ukraine zu einer befreundeten Organisation namens Solidarity Collectives geschickt. Diese ist für die Verteilung der Pakete an die einzelnen Pilot*innen zuständig, die dann die Drohnen den aktuellen Bedürfnissen anpassen. Die Drohnen werden an jene geliefert, deren Situation von Solidarity Collectives als am dringlichsten eingestuft wird. Auch das ist immer eine schwierige Entscheidung – denn schließlich gibt es nie genug Drohnen, selbst für die dringendsten Fälle.Man kann immer noch behaupten, dass die Mehrheit der tschechischen Gesellschaft versteht, dass es notwendig ist, die Ukraine mit Waffen zu beliefern. Dennoch stößt das RSC auf pazifistische Stimmen innerhalb der tschechischen linken Szene, die ihre Initiative verurteilen oder in Zweifel ziehen.
Im mitteleuropäischen Kontext stelle ich nach Gesprächen im akademischen Umfeld und mit Aktivist*innen einen großen Unterschied zwischen der Haltung der tschechischen und der deutschen Öffentlichkeit zur Aufrüstung der Ukraine fest. Während in Tschechien ein Widerstand gegen die Aufrüstung der Ukraine vor allem in dem politischen Lager herrscht, das dazu neigt, das russische Narrativ zu unterstützen und in der Linken nur am Rande zu finden ist, ist die Haltung in Deutschland viel allgemeiner, sie wird quer durch die sozialen Blasen und das politische Spektrum geteilt.
„Diese Stimmen verurteilen eigentlich die Verteidigung von Zivilist*innen, die sonst unter einer Okkupation oder noch Schlimmeren enden würden. In einer normalen Welt würde niemand von jemandem verlangen, dass er weiß, wie man Kampfdrohnen herstellt. Doch den Ukrainer*innen bleibt nichts anderes übrig“, fügt Luboš hinzu. „Drohnen werden aber nicht nur im direkten Kampf eingesetzt, sondern sie können zum Beispiel auch Wasser oder Lebensmittel für umzingelte Soldat*innen abwerfen. Heutzutage, da die Kampftechnik so fortgeschritten ist, kann der Feind selbst die kleinste Bewegung auf dem Schlachtfeld ausmachen, sodass niemand zu den umzingelten Soldat*innen vordringen kann. Die Drohne ist die einzige Möglichkeit“, fügt Anya hinzu.
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Januar 2025