Aktivismus auf vier Rädern  Wie man eine feministische Rollschuh-Community aufbaut

Antifaschistische Fahrt Critical Mass
Antifaschistische Fahrt Critical Mass Foto: © Michaela Nagyidaiová

Sie organisieren in Bratislava Roller-Discos, nehmen an antifaschistischen Rundfahrten teil und treten in bunten, glitzernden Outfits und mit Rollen unter den Füßen auf. In Kursen vermitteln sie anderen, wie man im öffentlichen Raum sicher auf Rollschuhen und Inlinern unterwegs ist. Sie bringen Menschen zusammen – durchs Rollschuhlaufen, aber auch mit ihrem offenen, äußerst ansteckenden Ansatz. Wer steckt hinter der Ahojwrld Rollschuh Community und warum ist der Erhalt solcher Gemeinschaften gerade im heutigen aufgeheizten politischen Klima so wichtig?

In Bratislava fehlte mir eine Community, zu der ich gehören konnte. Ich hatte einige Jahre in Großbritannien gelebt und dann entschieden, wieder nach Hause in die Slowakei zurückzukehren. Doch irgendwie konnte ich mich nicht mehr richtig einfügen. Ich hatte das Gefühl, eine Fremde in meiner eigenen Stadt zu sein. Es war Pandemie, die Straßen waren leer und eine Schwere lag in der Luft. Ich kannte ein paar Leute, die mir nahestanden, aber nach und nach gingen wir doch verschiedene Wege.

Und so beschloss ich, dass es nach mehr als zwei Jahren an der Zeit sei, den Ort abermals zu wechseln. Diesmal zog es mich nach Wien. Ich fing noch einmal ganz neu an und suchte nach einem Ort, an dem ich Wurzeln schlagen könnte. Manche würden vielleicht sagen, dass ich auf einer ständigen Suche nach etwas war, das es vielleicht gar nicht gab. Für mich war und ist es jedoch eine absolute Sehnsucht, einen Ort zu finden, an den ich wirklich gehöre. In Bratislava fand ich diesen Ort nicht.
 

ahojwrld1 Foto: © Michaela Nagyidaiová

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ich damals, als ich die Abende allein in meiner Wohnung in Bratislava verbrachte, von der Ahojwrld Rollschuh Community gewusst hätte. Vielleicht hätte ich mich dazu durchgerungen, Mitglied zu werden oder wenigstens zu den Treffen zu gehen. Doch ich habe Ahojwrld erst kennengerlernt, nachdem ich nach Wien gezogen war. Ich bin zufällig auf die Gruppe gestoßen, und die Energie, die von ihr ausging, hat mich sofort in ihren Bann gezogen. Ich entdeckte, dass das, was ich in Bratislava gesucht, aber nicht gefunden hatte, doch existierte: eine Gemeinschaft, die von Aktivismus und Achtsamkeit zusammengeschweißt wird und die den öffentlichen Raum aktiv nutzt.

Wie baut man eine Gemeinschaft auf?

Natália Danihelová aus Bratislava gehört zu den aktivsten Mitgliedern der Ahojwrld Community. Ihre Geschichte ähnelt meiner: Sie hatte mehrere Jahre im Ausland – in ihrem Fall in Dänemark ─ gelebt und studiert. Als sie wegen der Pandemie nach Hause zurückkehrte, kaufte sie sich ihr erstes Paar doppelreihige Rollschuhe.

„Mich hat das Rollschuhlaufen vor allem deshalb gereizt, weil man sich dabei im Freien bewegt. Gleichzeitig konnte ich auch meine tänzerischen Grundlagen anwenden“, berichtet sie mir bei unserem Treffen in Bratislava.
 

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Eine ehemalige Kollegin hatte ihr von den Rollschuh-Treffen erzählt und eines Tages beschloss sie mitzumachen. Seitdem ist Natália fast jeden Tag auf ihren Rollschuhen unterwegs und widmet den größten Teil ihrer Freizeit der Ahojwrld Community.

„Rollschuhlaufen ist für mich eine Gemeinschaftssache. Ich gehe zwar auch alleine laufen, weil das meine Art der Psychohygiene ist, aber sich gemeinsam zu bewegen, gibt mir am meisten. Es bedeutet sich gegenseitig in einer Gruppe zu bereichern. Der Sport war vor allem in den USA populär, aber wir haben ihn übernommen und ein bisschen mit unserem eigenen, slowakischen Spirit ergänzt.“

Die Ahojwrld Community ist im Jahr 2021 entstanden und hat heute etwa vierzig Mitglieder unterschiedlichen Alters, aus den verschiedensten Berufsfeldern und mit ganz unterschiedlichen Interessen. Jeder bringt etwas Eigenes mit: seine Perspektiven, Fähigkeiten und Ideen.

Giada Cortese, die ursprünglich aus Florenz (Italien) stammt und 2021 aus beruflichen Gründen in die Slowakei gezogen war, ist ebenfalls Teil der Ahojwrld-Geschichte. Sie gibt offen zu: „Ich liebe Bratislava und hasse es zugleich.“
 

ahojwrld3 Foto: © Michaela Nagyidaiová

Ich nicke, weil ich genau weiß, was sie meint. Was mir an Bratislava gefällt, ist die Widersprüchlichkeit und die eklektische Architektur. Aber weil ich schon immer in einer offeneren und kosmopolitischeren Stadt leben wollte, in der immer etwas los ist, habe ich mich für London und später für Wien entschieden. In London habe ich gelernt, was Freiheit und Respekt vor der Vielfalt bedeuten kann. Bratislava strahlte für mich immer die Intimität einer kleineren Stadt aus, in der es starke Nachbarschaften gibt. Nach meiner Rückkehr aus London musste ich jedoch feststellen, dass meine Heimatstadt nicht so offen war, wie ich es mir gewünscht hätte. Ich hatte oft das Gefühl, dass hier die Haltung der Menschen gegenüber Vielfalt weniger tolerant war, als ich es inzwischen gewohnt war. Deshalb ging ich nach Wien.

Giada unterrichtet Englisch an einer Sprachschule und hatte bereits in Andalusien das Rollschuhlaufen für sich entdeckt, als sie während des Lockdowns nach einer Möglichkeit gesucht hat, sich an der frischen Luft zu bewegen. In Bratislava war sie zunächst allein auf ihren Rollen unterwegs oder mit einem Freund, der Skater ist.

„Ich kam während der Pandemie nach Bratislava, alles war geschlossen und es war fast unmöglich, neue Leute kennen zu lernen. Bratislava ist zwar eine Hauptstadt, aber ich habe hier die Offenheit vermisst, die ich aus anderen europäischen Städten kannte. Gleichzeitig war ich von der Natur rund um die Stadt fasziniert und von der Tatsache, dass diese Stadt eine großartige Lage in Europa hat. Was meine Beziehung zu Bratislava jedoch grundlegend verändert hat, war die Rollschuh Community“, erinnert sich Giada.
 

ahojwrld4 Foto: © Michaela Nagyidaiová

Auf die Ahojwrld Community ist sie ganz zufällig gestoßen, als sie im Stadtzentrum auf dem Freiheitsplatz (Námestie slobody) unterwegs war.

„Ich konnte es kaum glauben: Sie nahmen mich sofort bei sich auf. Sie waren supernett und luden mich zu den Trainings, zur Roller-Disco und anderen Veranstaltungen ein. Von diesem Moment an hat sich meine Meinung über Bratislava geändert. Das Rollschuhlaufen hatte nun noch mehr Sinn – ich konnte meine Leidenschaft mit anderen teilen. Unterstützung, Spaß, gemeinsames Überwinden von Ängsten – das ist es, was diese Gemeinschaft so besonders macht.“

Auch mich hat die Gruppe gerade wegen ihrer Offenheit angesprochen. Ich hatte das Gefühl, dass ich einfach mitmachen kann und akzeptiert werde, obwohl ich noch nie Rollschuh gelaufen bin und das eigentlich auch nicht mein Plan war, weil ich vor diesem Sport immer großen Respekt hatte. Dank der Rollschuhläuferinnen und -läufer lernte ich jedoch die integrative Seite von Bratislava kennen und schätzen.
 

ahojwrld5 Foto: © Michaela Nagyidaiová

„Der Hauptgrund, warum ich immer noch in Bratislava bin, ist die Rollschuh Community. Ich konnte sogar meinen Partner davon überzeugen zu bleiben. Es ist für mich interessant, Teil dieses Prozesses zu sein. Ich habe das Gefühl, je länger man in Bratislava lebt, desto mehr Subkulturen entdeckt man. Und das ist es, was mir an der Stadt wirklich gefällt“, sagt Giada.

Das Rollschuhlaufen als Lebensgefühl

Auch die in Bratislava geborene Illustratorin und Tätowiererin Andrea Rošková stieß durch Zufall auf Ahojwrld.

„Eines Tages kam ich vorbei, als Natália gerade ein Training anleitete. Sie rief mir zu und lud mich ein, mitzumachen und es auszuprobieren. Sie war definitiv eine große Unterstützung für mich, dank ihr hatte ich das Selbstvertrauen, weiterzumachen.“

Inzwischen gehört Andrea zu den aktivsten Mitgliedern von Ahojwrld. Auf den Rollen zu tanzen, gehört nicht zu ihren Stärken, aber dafür liebt sie die Geschwindigkeit – den Adrenalinkick beim schnellen Dahingleiten auf den Radwegen und Straßen der Stadt. Auf Rollen ist inzwischen ihre ganz normale Art des Fortbewegens, die Rollschuhe ihr tägliches Transportmittel.
 

ahojwrld6 Foto: © Michaela Nagyidaiová

„In der Community kann jeder an dem arbeiten, was ihm oder ihr liegt. Die eine bevorzugt Choreografien, der andere Outdoor-Training, meine Freundin Sonja und ich organisieren Street Trips durch Bratislava. Ich liebe die Straße, den urbanen Raum, den Aktivismus und die Freiheit, die mir das Rollschuhlaufen gibt. Wir haben auch Mitglieder, die zwar mit uns unterwegs sind, sich aber nicht aktivistisch beteiligen. Jeder findet in unserer Community einen Platz für sich und gerade das ist unsere Stärke“, schwärmt Andrea.

Andrea kennt sich in den Straßen von Bratislava bestens aus. Das ist ihr Spezialgebiet, denn es ist gar nicht so leicht, in der Stadt sichere Wege zu finden.

„Am Flussufer fühle ich mich besonders wohl. Neben mir fließt die Donau dahin, die Leute sind im Allgemeinen nachsichtig, weil sie auch an Menschen auf Fahrrädern gewöhnt sind. Ich benutze gerne den Radweg am Vajanský Ufer, weil er schön breit ist und ich mich vor dem Verkehr dort besser geschützt fühle.“

Jeden Donnerstag fährt Andrea mit einer Gruppe durch die Straßen von Bratislava. Sie versucht, die Teilnehmenden darin zu schulen, wie sie sich sicher durch die Stadt bewegen können und selbst mit kaputten Straßen und Radwegen oder Bürgersteigen voller Schlaglöcher und hohen Bordsteinkanten zurechtkommen.

Obwohl jede*r bei Ahojwrld einen eigenen Fahrstil und einen anderen Grund hat, mitzumachen, bleibt der gemeinsame Nenner das Bedürfnis nach Gemeinschaft, die Liebe zum Rollschuhlaufen und sich gemeinsam den öffentlichen Raum zu erobern.

Das symbolische Zentrum aller Aktivitäten ist der Freiheitsplatz – ein Ort, an dem sich viele Wege der Rollschuh-Fans kreuzen.

Der Platz ist eine der größten öffentlichen Flächen in der Stadt. Einst hieß er Fürstenallee und war Schauplatz von militärischen Paraden und Übungen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde er nach dem kommunistischen Präsidenten Klement Gottwald benannt. Zu dieser Zeit hat man auf der betonierten Fläche Massenkundgebungen abgehalten. Eine große Veränderung bewirkte der Bau des Springbrunnens Družba im Jahr 1980, der zum Symbol des Platzes und der sozialistischen Zeit wurde. Er sollte an die Freundschaft zwischen den Nationen erinnern. Nach dem Sturz des Regimes im Jahr 1989 wurde der Platz in Freiheitsplatz umbenannt und damit ein Symbol für die neue, freie Ära und für Demokratie. Den Platz selbst hat man jedoch viele Jahre lang vernachlässigt, bis schließlich 2018 mit der Umgestaltung begonnen wurde. Der Untergrund wurde erneuert, neue Grünflächen angelegt und moderne Elemente für den öffentlichen Raum aufgestellt, damit der Ort den Bedürfnissen der Stadtbevölkerung und ihrer Communities besser entsprach.
 
Der Freiheitsplatz (Námestie slobody) in Bratislava

Der Freiheitsplatz (Námestie slobody) in Bratislava | Foto: © Michaela Nagyidaiová

Der beste Betonboden in Bratislava

Der Platz, den die Bürgerinnen und Bürger von Bratislava nach all den Jahren wieder für sich entdecken, ist für die Ahojwrld Community nicht nur ein Ort der Bewegung, sondern auch des Zusammenseins. Außer im Winter treffen sie sich hier jeden Dienstagnachmittag. Mehrere der Rollschuh-Fans haben mir erzählt, dass es hier den besten Betonboden der ganzen Stadt gibt, schön eben, glatt und perfekt zum Dahinrollen. Besonders vor dem Verkehrsministerium, wo Natália immer einen kleinen Lautsprecher aufstellt, die Musik aufdreht und leidenschaftlich und ungeniert Rollschuh läuft. Falls es ihr doch manchmal etwas peinlich ist, weiß sie das gut zu verbergen ─ zumindest hatte ich diesen Eindruck, als ich sie zum ersten Mal beim Training beobachtet habe.

An diesem Ort üben sie gemeinsam Choreografien ein, probieren neue Tricks aus, lernen voneinander und bringen sich gegenseitig weiter.

„Mir gefällt, wie wir mit der Stadt interagieren. Auf dem Freiheitsplatz laufe ich am liebsten, weil das Leben hier wirklich bunt ist. Kinder fahren Roller, Leute führen Hunde aus, jemand tanzt und jemand anderes trinkt Kaffee. Und wenn wir trainieren, teilen wir alle uns dieselbe Fläche, wir koexistieren, auch wenn jeder den Platz auf seine oder ihre eigene Weise nutzt. Oft bleiben die Leute stehen und schauen uns zu – manche mit Erstaunen, andere mit Bewunderung und manche machen sogar Fotos“, erzählt Natália.

Sie betont, dass sich ihre Beziehung zur Stadt durch das Rollschuhlaufen völlig verändert hat. Allerdings fühlt sie sich nicht immer und überall wohl und sicher.

„Ich möchte das Rollschuhlaufen genießen, mich aber auch sicher fühlen. Und obwohl wir das Recht haben, auf Radwegen oder Abschnitten zu laufen, die durch einen Radstreifen von der Fahrbahn getrennt sind, ignorieren viele Autofahrer dies und halten keinen Sicherheitsabstand“, erläutert Natália die Risiken. Ein Thema, das sie mit den Radfahrfreunden der Initiative Cyklokoalícia (etwa: Radfahrkoalition) teilt, die sich ebenfalls für sicherere Straßenverhältnisse einsetzen.

Das Rollschuhlaufen verbindet Natália vor allem mit Spaß und Freiheit, aber sie gibt auch zu, dass es manchmal stressig sein kann, im öffentlichen Raum auf Rollen unterwegs zu sein. Besonderes, wenn sich dort sonst nur Menschen bewegen, die nicht Rollschuh laufen. Auf dem Freiheitsplatz probiert die Gruppe oft neue Tricks und Bewegungen aus, die aber nicht immer klappen.

„Sobald wir die Anfangsfrustration beim Üben überwunden hatten und über den eigenen Schatten gesprungen, beziehungsweise gerollt waren, konnten wir nicht nur freier Rollschuhlaufen, sondern auch entspannter existieren“, fügt Natália hinzu.

Die politische Dimension des Rollschuhlaufens

Neben regelmäßig stattfindenden Trainings organisiert die Ahojwlrd Community in Zusammenarbeit mit der Cyclokuchyňa (etwa: Fahrradküche) auch Touren durch die Stadt. Dazu gehören zum Beispiel antifaschistische Events, die sowohl eine gemeinschaftliche Geste als auch ein politisches Statement sind.

An solch einem Event habe ich teilgenommen, zwar nicht auf Rollen, weil ich darauf nicht einmal stehen kann, aber ich wollte mir die Sache mal ansehen.

Gestartet wurde natürlich am Lieblingsplatz der Community, dem Freiheitsplatz. Die quer durch die Stadt rollende Kolonne wurde von einer Polizeieskorte begleitet. Die Polizei ließ uns ständig wegen des Verkehrs stoppen. Insgesamt war es aber eine friedliche Zusammenkunft, auf der eine tolle Atmosphäre herrschte. Sie wurde von Techno- und Elektrobeats begleitet, die sich über die Menge ausbreiteten.
 
Antifaschistische Fahrt Critical Mass

Antifaschistische Fahrt Critical Mass | Foto: © Michaela Nagyidaiová

Die Route wurde nicht online veröffentlicht, sondern lediglich intern weitergegeben, in der Rollschuh Community, der Cyklokuchyňa und der Skater Community. Der Grund dafür waren Erfahrungen von früheren Events. Einmal war es in der Nähe des Fußballstadions zu einem aggressiven Zwischenfall gekommen, als ein Passant einen Radfahrer, der eine Regenbogenfahne an seinem Fahrrad befestigt hatte, einfach umstieß.

„Im öffentlichen Raum kann sowas jederzeit passieren. Der Angreifer hat mit dieser Geste sehr viel offenbart. Das machte uns bewusst, dass auch wir nicht immer und überall sicher sein können. Manche Leute können die Regenbogenflaggen, Regenbogenschnürsenkel an unseren Rollschuhen oder auch nur die bloße Anwesenheit von queeren Menschen einfach nicht akzeptieren“, berichtet Natália.

Auch mit Roman Samotný, Kommunikationsmanager der Initiative Inakosť (etwa: Andersartigkeit), habe ich über sichere Räume in Bratislava gesprochen, insbesondere über deren Qualität und Verfügbarkeit im Stadtgebiet. Er nehme wahr, dass verschiedene Einrichtungen, Institutionen oder auch Arbeitgeber sich durchaus bemühen, öffentlich deutlich zu machen, dass sie queer friendly sind, oder daran interessiert sich, sich aktiv zu LGBTI+ Themen weiterzubilden oder zumindest angemessen zu reagieren, wenn es zu verbalen oder physischen Angriffen auf LGBTI+ Menschen kommt.

„In den letzten zwei Jahren haben wir über 55 Organisationen zu diesen Themen geschult: von der Stadtpolizei über die Städtische Galerie oder das Stadtmuseum Bratislava bis hin zu großen Unternehmen. Ich denke, die Situation im Zentrum von Bratislava hat sich im Vergleich zu vor dem Terroranschlag in der Zámocká-Straße verbessert [Am 21. Februar 2022 hatte ein 19-jähriger Angreifer vor einen queeren Bar im Stadtzentrum von Bratislava Juraj Vankulič und Matúš Horváth erschossen und Radka Trokšiarová angeschossen. Anm. d. Red.]. Und obwohl inzwischen an vielen Geschäften im Zentrum Bratislavas Regenbogenaufkleber zu finden sind, hat die Stadt noch einiges aufzuholen, wenn sie wirklich inklusiv sein will.“

Gleichzeitig warnt Roman Samotný vor der aktuell sehr toxischen Atmosphäre, die die derzeitige Regierungskoalition und die mit ihr in Verbindung stehende Desinformations-Szene geschaffen hat.

„Die häufigen Angriffe durch hochrangige Staatsbeamte haben gravierende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von LGBTI+ Menschen und ihrer Familien. In unserer Beratungsstelle inPoradni beobachten wir einen dramatischen Anstieg der Nachfrage nach psychologischer Beratung. In einem solch feindseligen Klima ist es nicht verwunderlich, dass mehr und mehr Menschen Orte aufsuchen, an denen sie sich von den tagtäglichen Anfeindungen wenigstens für den Moment ausruhen können und an denen sie akzeptiert werden, wie sie sind.“

Roller-Discos und die Freiheit zur Extravaganz

Die zweireihigen Rollschuhe, auf denen die Ahojwrld Community unterwegs ist, werden auch als Retro oder Quad Skates bezeichnet. Ihre Geschichte reicht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Die ersten bekannten Rollschuhe wurden 1760 von dem belgischen Erfinder John Joseph Merlin konstruiert. Das waren damals noch schwer zu handhabende Rollschuhe mit in einer Reihe angeordneten Metallrädern, auf denen es nicht möglich war, Kurven zu laufen. Der eigentliche Durchbruch gelang 1863 dem amerikanischen Erfinder James Leonard Plimpton, der die ersten zweireihigen Rollschuhe entwickelte. Sie waren viel praktischer, weil man durch eine Verlagerung des Körpergewichtes nun auch Kurven laufen konnte. Seine Erfindung leitete den Boom des Rollschuhlaufens ein, erst in den USA und dann in Europa.

Das goldene Zeitalter des Rollschuhlaufens war das 20. Jahrhundert. Die Rollschuhe wurden Teil des gesellschaftlichen Lebens, dienten der sportlichen Betätigung aber auch dem Spaß, zum Beispiel beim Tanzen in Hallen. Besonders in den 1960er und 1970er Jahren gab es einen Boom – es war die Ära der Roller-Discos. Knallbunte Rollschuhe, Discomusik und Vergnügen auf vier Rädern lagen voll im Trend und waren fester Bestandteil der Kultur dieser Zeit. An diese Tradition knüpft die Ahojwrld Community an.

„Alle zwei bis drei Monate veranstalten wir Roller-Discos. Die Leute können Rollschuhe ausleihen und ausprobieren, wie es ist, im Rhythmus der Musik Rollschuh zu laufen. Im Sommer gibt es außerdem eine Open Air Roller-Disco im Andrej-Hlinka-Park“, erzählt Natália Danihelová.
 

ahojwrld7 Foto: © Michaela Nagyidaiová

Die Besucher*innen können an einem kurzen Workshop teilnehmen und sich dann zu den Rhythmen von Funk, Disco oder House bewegen, die von lokalen DJs live aufgelegt werden. Manche sausen in vollem Tempo um den DJ herum, andere halten sich an den Händen und versuchen, sich auf den Beinen zu halten. Die Atmosphäre ist immer spielerisch, offen und sicher. Der Ort ist mit Lichtern, bunten Kulissen und thematischen Dekorationen geschmückt.

Seit dem Jahr 2000 erleben die zweireihigen Rollschuhe ein Revival – besonders beliebt sind sie in der DIY-Kultur, bei Nostalgie-Fans und in feministischen oder queeren Communities. Teil der Bewegung ist auch der Roller-Derby-Sport. Das ist eine Kontaktsportart mit starken Wurzeln in feministischen und queeren Subkulturen. Historisch gesehen war Rollschuhlaufen insbesondere für marginalisierte Gruppen, Frauen, queere Menschen und BIPOC Communities eine wichtige Möglichkeit, Freiheit zu erfahren und sich körperlich auszudrücken.

In der Zeit der Rassentrennung in den USA waren viele Rollschuhbahnen ausschließlich Weißen vorbehalten. Schwarze Communities etablierten daher ihre eigenen Orte, Fahrstile und Tanztechniken. Für viele wurde das Rollschuhlaufen zu einem Akt des Überlebens, der Spiritualität und des Widerstandes. Während der COVID-19-Pandemie erlebte das Rollschuhlaufen ein großes Comeback. Vor allem, weil es als trendige Möglichkeit, sich kreativ im Freien zu bewegen, auf TikTok und Instagram von jungen Menschen geteilt und gelikt wurde. Auch heute noch haben die Rollen die Fähigkeit, Körpern, die in der Vergangenheit unterdrückt oder kontrolliert wurden, Macht zurückzugeben.

„Wir sprechen oft darüber, wie viel Freiheit uns das Rollschuhlaufen gibt. Es ist der einzige Moment in der Woche, in dem ich mich nicht analysiere und nicht so sehr auf meinen Körper achte. Es ist mir egal, ob ich stürze, ob ich gut aussehe oder wie ich mich präsentiere. Im täglichen Leben unterdrücke ich meine kindliche Seite, um zu funktionieren. Aber beim Rollschuhlaufen kann ich sie voll ausleben. Das ist befreiend“, gesteht Giada.
 

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Aber das Laufen auf vier beziehungsweise acht Rollen bringt nicht immer nur ein Gefühl von Freiheit und Toleranz mit sich. Die Rollschuhläuferinnen und -läufer werden auch mit Reaktionen konfrontiert, die weniger positiv sind. Nicht jeder kann den Ausdruck dieses Lebensgefühls akzeptieren, nicht immer sind die Menschen offen und respektvoll.

Andrea Rošková berichtet mir, wie sie mit dem so genannten male gaze (männlicher Blick) beim Rollschuhlaufen auf öffentlichen Plätzen und Straßen zu kämpfen hat.

„Der Sport wird immer noch sehr sexualisiert, vor allem, wenn eine Frau auf doppelreihigen Rollschuhen unterwegs ist. Die meiste Zeit möchte ich einfach nur Rollschuh laufen, Spaß haben und mich völlig entspannen, aber die übertriebene und unerwünschte Aufmerksamkeit der Leute um mich herum ist anstrengend. Es kommt vor, dass mich jemand anschreit oder mir unangenehm lange hinterherschaut. Aus diesem Grund achte ich jetzt mehr darauf, was ich anziehe – ich vermeide zunehmend Kleidung, die andere für freizügig halten könnten. In Bratislava fühle ich mich nicht wohl, wenn beim Rollschuhlaufen viel von meinem Körper zu sehen ist.“
 

ahojwrld9 Foto: © Michaela Nagyidaiová

Es gibt immer noch zu wenige sichere Orte

In Bratislava gibt es nur wenige Orte, an denen sich die Rollschuhläuferinnen und -läufer wirklich sicher fühlen.

„Innerhalb der Community versuchen wir, uns einen solchen Safe space zu erschaffen und zu bewahren, denn es gibt nur wenige tatsächliche Orte, auf die das zutrifft. Es ist nicht leicht, sie zu finden. Wenigstens können wir auf den Rollen ziemlich schnell verschwinden, wenn wir uns an einem Ort bedroht oder unwohl fühlen.“ Natália lacht.

Mir scheint, als würde sie das Problem herunterspielen, in Wirklichkeit bereitet es ihr jedoch Sorgen.

Safe space, auf Deutsch sicherer Ort, ist ein Begriff für eine Umgebung, physisch oder symbolisch, in der sich Menschen sicher fühlen und sie selbst sein können, ohne Angst vor Verurteilung, Diskriminierung, Spott oder Gewalt. Das Konzept entstand vor allem in aktivistischen und anderen Kreisen; zum Beispiel in feministischen Kreisen, der LGBTI+ Community oder rassistisch und anderweitig diskriminierten Gruppen; als Reaktion auf die vorherrschenden sozialen Strukturen, die solche Gruppen oft ausschließen oder marginalisieren.
 
T3 – ein unabhängiges Multigenre-Kulturzentrum in einem ausrangierten Straßenbahnwaggon

T3 – ein unabhängiges Multigenre-Kulturzentrum in einem ausrangierten Straßenbahnwaggon | Foto: © Michaela Nagyidaiová

Andrea Rošková plant ein Roller-Derby-Team zusammenzustellen. Die Vollkontaktsportart auf Rollschuhen wird auf einer ovalen Bahn ausgetragen. Neben hohen körperlichen Anforderungen und strategischer Komplexität hat der Sport jedoch auch große kulturelle und soziale Bedeutung – insbesondere für Frauen.

In seiner modernen Form entstand Roller Derby zu Beginn des 21. Jahrhunderts als eine von Frauen geführte Gemeinschaftsbewegung, in der Frauen die Regeln, die Identität und die Ästhetik selbst bestimmten. Die Teams tragen oft DIY-Trikots und verbinden damit Punk, Queer-Kultur und Feminismus. In der Sportwelt, in der Frauen wenig Beachtung finden oder zu Objekten gemacht werden, bietet Roller Derby Raum für Autonomie und Sichtbarkeit. Die Sportart ist inklusiv: verschiedene Körpertypen, Geschlechtsidentitäten und Lebensgeschichten sind willkommen. Während Roller Derby in der Vergangenheit von Männern dominiert wurde, wird es heute meist mit Frauen und feministischen Werten in Verbindung gebracht.

Der Verlust der Slowakischen Nationalgalerie

Ich habe mehrere Male an den Treffen von Ahojwrld auf dem Außengelände der Slowakischen Nationalgalerie (SNG) am Donau-Ufer teilgenommen. Dank der Erlaubnis der inzwischen leider ehemaligen Direktorin Alexandra Kusá konnten die Rollschuhfans den Platz mit dem überdachten Atrium der renovierten Galerie nutzen, um sich dort zu treffen und zu trainieren. Wir haben dort gemeinsam Kaffee getrunken oder Eis gegessen, und ich habe dabei das Training gefilmt.

Der einzigartige Platz an der Nationalgalerie hatte für die Rollschuhbegeisterten gleich mehrere Vorteile: Der Beton dort war sanft und eben, die Überdachung schützte vor Regen, Wind und starker Sonneneinstrahlung. Es war ein sicherer und behaglicher Ort.

Im März 2025 hat die neue Leitung der SNG unter Generaldirektor Jaroslav Niňaj dem Rollschuhlaufen dort jedoch einen Riegel vorgeschoben. Für die Community war das ein herber Verlust, denn in Bratislava gibt es außer den öffentlichen Plätzen keinen anderen Ort, den sie für ihre Treffen nutzen können.

„Das Problem besteht vor allem darin, dass Orte fehlen, an denen die Leute Zeit verbringen können, ohne etwas kaufen zu müssen. Leider verfügen viele nicht über ausreichend finanzielle Mittel, um zu kostenpflichtigen Veranstaltungen zu gehen oder Zeit in Bars und Cafés zu verbringen“, erklärt Roman Samotný.

Aus diesem Grund hat die Initiative Inakosť das Gemeinschaftszentrum Centrum IN eröffnet, wo unter anderem kostenlose Beratungen angeboten und Selbsthilfegruppen organisiert werden. Die Veranstaltungen dort sind ohne Eintritt für alle zugänglich. Außerdem gibt es seit Kurzem die sogenannten offenen Mittwoche, an denen jede*r kommen kann, um den Tag im Zentrum mit Brett- und anderen Spielen zu verbringen oder an eigenen Projekten zu arbeiten.

Wenn Bratislava eine Stadt für alle sein soll, müssen wir uns mehrere Fragen stellen und Antworten finden: Für wen gibt es Orte in der Stadt und wem werden Orte genommen? Wer darf entscheiden, wie die Stadt gestaltet wird, und wessen Bedürfnisse werden bei diesem Prozess vergessen?

Die Fragen beziehen sich nicht nur darauf, wo man überhaupt Rollschuhlaufen kann und wo nicht. Sie sind viel weiter gefasst, denn es geht grundsätzlich darum, wer sich im öffentlichen Raum willkommen fühlt. Die Rollschuhläuferinnen und -läufer von Ahojwrld sind ein gutes Beispiel dafür, dass wir alle willkommen sind.

Perspectives_Logo Dieser Artikel erschien zuerst im slowakischen Magazin Kapitál, einer unserer Medienpartner für PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES

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