Eine Künstlerin an der Peripherie: Veronika Zárubová erlebt, wie Post-COVID Menschen unsichtbar macht – und warum Verletzlichkeit politisch ist. Ein Interview über Krankheit und ein System, das viele im Stich lässt.
„Manchmal träume ich vom Schwimmen oder Rennen, oder vom Eislaufen, als wäre all das zum Greifen nah. Aber dann wache ich auf und befinde mich wieder im Strudel, besser gesagt, ich gehe unter, verschwinde unter der Oberfläche.“ Damit beginnt die Performance der Künstlerin Veronika Zárubová, die auf der Feminismuskonferenz 2025 des Kollektivs Sdruženy. Die Konferenz widmet sich in diesem Jahr dem Thema „Zentrum und Peripherie“. Der folgende Text verbindet Ausschnitte aus der Performance mit solchen aus einem Gespräch, das ich mit Veronika geführt habe.Veronika ist 32 Jahre alt und leidet seit drei Jahren an einem Post-COVID-Syndrom. In ihrer Performance beschreibt sie Orte, die vom Zentrum aus kaum zu sehen sind. Zerbrechlichkeit und Übertreibung sind ihre künstlerische Sprache, mit der sie uns in ihr Zimmer und ihr Innerstes einlädt. Sie offenbart, was sie bewegt, und verweist gleichzeitig auf die Schwachstellen im System des tschechischen Gesundheitswesens. Die Peripherie, in der sie sich befindet, ist kein Ort, der auf einer Landkarte zu finden ist, und wird nicht durch die vier Wände ihrer Wohnung definiert. Ihre Peripherie entsteht aus der Logik von Produktions- und Leistungszentren, die kranke Menschen an den Rand der Gesellschaft drängen, außerhalb des Interesses derer, die gesund sind.
Als wir telefonieren, sitzt jede von uns in ihrem Wohnzimmer. Wegen des Post-covid-Syndroms versucht Veronika, potenzielle Risikokontakte zu vermeiden, weil für sie selbst die harmloseste Virusinfektion bedeuten kann, monatelang krank zu sein. „So wie die Menschen während COVID gelebt haben, lebe ich bis heute“, sagt sie. „Ich habe Angst, andere zu treffen, ich habe Angst, ins Zentrum zu fahren, ich habe schreckliche Angst vor einer Ansteckung. Wenn ich irgendwo hingehe, nehme ich eine Atemschutzmaske mit. Ich desinfiziere ständig meine Hände. Ich würde mir wünschen, dass Menschen, bei denen erste Krankheitssymptome auftreten, eine Atemschutzmaske tragen, denn es gibt auch Menschen mit schwachem Immunsystem, so wie mich. Aber das vergessen die meisten. Die Gesellschaft ignoriert nicht nur das Thema Post-COVID-Syndrom, sondern oft auch generell die Belange gesundheitlich beeinträchtigter Menschen. Menschen, die oft ums Überleben kämpfen, aber niemand weiß von ihnen.“
Vor der Corona-Pandemie hat Veronika im Sozialwesen und in der Kultur gearbeitet. Während des Lockdowns war sie als Sozialarbeiterin in einem Krankenhaus tätig und hat sich um Obdachlose gekümmert. Als der Staat im Kampf gegen die Pandemie versagte, half sie gefährdeten Gruppen und ging das Risiko ein, sich selbst auch anzustecken. Doch der Staat erkennt bis heute die Diagnose Post-COVID-Syndrom nicht als Grund für einen Anspruch auf Invaliditätsrente an.
Alles passiert aus einem Grund
„Auch weil ich mich während der Pandemie der Ansteckung ausgesetzt habe, habe ich mich insgesamt sechs Mal mit COVID infiziert. Fünf Mal hatte ich einen leichten Verlauf, aber beim sechsten Mal lag ich drei Monate lang im Bett. Ich musste ständig husten und hatte nicht einmal mehr die Kraft, mich zur Bushaltestelle zu schleppen, mir fehlte dazu der Atem. Auch im Verlauf des nächsten halben Jahres habe ich nicht wieder in meinen Normalzustand zurückgefunden. Auf der Arbeit war ich innerhalb von sechs Monaten sechs Mal krankgeschrieben, jeden Monat aufs Neue, bis mein Arbeitgeber Druck auf mich ausgeübt hat, dass ich daran dringend etwas ändern müsse.“„Meine Hausärztin hat verschiedene Tests gemacht, die jedoch alle negativ ausfielen. Sie sagte mir, ich hätte nichts. Sie empfahl mir eine immunologische Untersuchung, aber dort gab es eine Wartezeit von sechs Monaten, keine Chance irgendwo früher dranzukommen. In der Zwischenzeit hat sich mein Zustand verschlimmert: Ich hatte Schmerzen beim Wasserlassen und habe immer wieder gesagt, dass ich eine Blasenentzündung habe, aber niemand hat mir geglaubt. Ich war beim Arzt und habe dort geweint, weil ich so furchtbare Schmerzen hatte. Es hat sich auch auf die Nierengegen ausgebreitet, mein Kopf schwoll an. Aber der Arzt blieb dabei, dass ich keine Entzündung hätte, weil die Tests dahingehend nichts ergeben hatten. Als ich vor Ort zusammenbrach und weinte, sagte er mir, ich solle mir einen Mann suchen.“
Immunologie, Neurologie, Pneumologie, Kardiologie, Lethargie, Magie
„Auf Arbeit ging es dann überhaupt nicht mehr und ich habe gekündigt, weil es mir so furchtbar schlecht ging. Ich bat meine Hausärztin, mir eine Krankschreibung auszustellen. Sie hat das abgelehnt, mit der Begründung, meine Tests seien doch unauffällig gewesen, ich würde nur simulieren, mir fehle nichts. Also ging ich zum Arbeitsamt, weil ich keine Kraft mehr hatte, mich zu streiten. In meiner Freizeit klapperte ich weiter alle möglichen Ärzte ab.“„Es dauerte etwa ein dreiviertel Jahr, bis sie endlich herausfanden, dass ich eine chronische Entzündung der Harnwege hatte, die sich jedoch in den üblichen Tests nicht gezeigt hat. Der Auslöser war vermutlich ein Post-COVID-Syndrom, das noch weitere Beschwerden mit sich brachte, zum Beispiel ein chronisches Erschöpfungssyndrom – alles, was in mir schlummerte, kam plötzlich zum Vorschein. Ich war ständig krank und extrem müde. Ich schlief 14 bis 16 Stunden pro Tag, das war mit das Schlimmste. Meine Muskeln schmerzten und ich war völlig erschöpft.“
„Ich war überall, auch im Post-COVID-Zentrum in Hradec Králové. Ich habe renommierte Immunologen und Neurologen konsultiert, aber keiner hat bei den Tests irgendetwas gefunden. Und dann waren da noch die ganzen anderen Symptome, die sich verschlechterten, und ich suchte sehr viele Fachärzte auf. Das Schlimmste daran ist, dass man lange, drei bis sechs Monate, auf einen Termin wartet, dann kommt man dorthin, wird untersucht, wartet wieder, bekommt zu hören, dass nichts gefunden wurde und wird zum nächsten Facharzt geschickt.“
„Das Post-COVID-Syndrom ist eine Krankheit, die nicht mit den üblichen Tests diagnostiziert werden kann. Deshalb habe ich die Erfahrung gemacht, dass die meisten Ärzte nicht glauben, dass ich es überhaupt habe. Das Gleiche gilt für Freunde oder Psychologen.“
Immunologie, Neurologie, Pneumologie, Kardiologie, Lethargie, Magie.
Was die Ärzte/Experten sagen:
Wir haben eine gute Nachricht für Sie.
Die Tests haben nichts ergeben.
Sie sind gesund!
Sie sehen gar nicht krank aus.
Vielleicht ist es etwas Psychosomatisches.
Haben Sie es schon mit Nahrungsergänzungsmitteln versucht?
Sie würden sich wundern, wie sehr etwas Psychisches Schmerzen verursachen kann.
Sie sollten sich da nicht so reinsteigern.
Das fällt nicht mehr in mein Fachgebiet.
Manche haben mit Antidepressiva gute Erfahrungen gemacht.
Suchen Sie sich einen Mann!
Immunologie, Neurologie, Pneumologie, Kardiologie, Gastroenterologie, Lethargie, Magie.
[Auszug aus der Performance von Veronika Zárubová]
Was die Ärzte/Experten sagen:
Wir haben eine gute Nachricht für Sie.
Die Tests haben nichts ergeben.
Sie sind gesund!
Sie sehen gar nicht krank aus.
Vielleicht ist es etwas Psychosomatisches.
Haben Sie es schon mit Nahrungsergänzungsmitteln versucht?
Sie würden sich wundern, wie sehr etwas Psychisches Schmerzen verursachen kann.
Sie sollten sich da nicht so reinsteigern.
Das fällt nicht mehr in mein Fachgebiet.
Manche haben mit Antidepressiva gute Erfahrungen gemacht.
Suchen Sie sich einen Mann!
Immunologie, Neurologie, Pneumologie, Kardiologie, Gastroenterologie, Lethargie, Magie.
[Auszug aus der Performance von Veronika Zárubová]
Krank sein und klarkommen
„Und so versucht man halt herauszufinden, was mit einem los ist. Man rennt von einem Spezialisten zum nächsten und jeder schickt einen wieder woanders hin. Und selbst wenn man schließlich die Diagnose Post-COVID-Syndrom bekommt, hat man nichts gewonnen, denn dafür gibt es keine Unterstützung. In diesem Punkt hat mich der Staat am meisten enttäuscht. Während der Pandemie habe ich im Krankenhaus gearbeitet, mich dem Risiko ausgesetzt, und dann sagt der Staat einfach, dass meine Diagnose kein Grund für die Anerkennung einer Invalidität sei. Ich habe nichts bekommen, man hat mich einfach über Bord geworfen. Ich war sehr frustriert und wäre ausgewandert, wenn ich gesundheitlich dazu in der Lage gewesen wäre.“„Jetzt lebe ich in Prag und habe das Glück, keine Miete zahlen zu müssen, weil ich in der Wohnung meiner Eltern wohnen kann. Ich bekomme eine Invaliditätsrente von etwa 7000 Kronen und gebe allein für Medikamente, Vitamine, Obst und Gemüse ungefähr 5000 Kronen aus. Wenn ich irgendwohin will, nehme ich ein Taxi, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren. Das kostet nicht gerade wenig. Ich habe eine Beeinträchtigung zweiten Grades und eine anerkannte 50-prozentige Arbeitsunfähigkeit. Dabei habe ich Glück, dass ich schon vor dem Post-COVID-Syndrom an Narkolepsie litt. Das macht einen Großteil meiner Rente aus. Den Rest bekomme ich für meine anderen Diagnosen, die mit dem Post-COVID-Syndrom zusammenhängen. Aber Menschen, die vielleicht fünf leichte Diagnosen haben, die sich gegenseitig bedingen, wird keine Invalidität zuerkannt, weil die einzelnen Diagnosen für sich genommen zu gering sind, um Anspruch auf eine Invaliditätsrente zu haben.“
„Das Post-COVID-Syndrom gibt es in den Tabellen der Verordnung Nr. 359/2009 Sb [Verordnung über die Feststellung einer Erwerbsunfähigkeit, Anm. d. Ü.] überhaupt nicht. Wenn man daran leidet, fällt man komplett durchs System, erhält nichts und kann es nur über andere Diagnosen versuchen. Wenn ich keine Narkolepsie hätte, würde ich nur aufgrund der chronischen Blasenentzündung oder des Erschöpfungssyndroms, das zwar anstrengend ist, jedoch nicht als so schwerwiegend eingestuft wird, wahrscheinlich nichts bekommen. In Tschechien ist es extrem schwierig, eine Invaliditätsrente zu erhalten. Als ich zum Beispiel zum ersten Mal eine Beeinträchtigung zweiten Grades beantragt habe, wurde ich abgelehnt. Man kann dann Berufung einlegen oder klagen, aber als Mensch mit verminderter Erwerbsfähigkeit hat man dafür einfach kein Geld.“
„Die Höhe der Rente hängt außerdem davon ab, wie hoch das Einkommen vorher war. Wenn man, wie ich, zu Beginn seiner Karriere erkrankt, bekommt man nur wenig, weil man noch nicht so viele Jahre gearbeitet hat. Und der dritte Grad, mit dem man finanziell zumindest auskommen würde, wird nur Menschen mit wirklich schwerwiegenden Einschränkungen zuerkannt. Allen anderen sagt der Staat: ‚Ihr könnt arbeiten!‘. Aber selbst eine Kombination aus Teilzeitbeschäftigung und Invaliditätsrente reicht oft nicht aus, um den Mindestlohn zu erreichen. Wenn man in der Tschechischen Republik eine Behinderung oder einen Erwerbsminderungsrund hat, ist man zu völliger Armut verdammt.“
Nichts machen, nur eine Revolution
„Es ist offensichtlich, dass jemand, der krank ist, oft auch physisch isoliert ist, aber ich habe mich nach und nach auch psychisch isoliert. Zuzusehen, wie meine Bekannten ihre Leben nach Plan fortführen, mit den üblichen Lebensphasen – heiraten, Hypothek aufnehmen und Kinder bekommen – war schwer für mich. Immer wenn ich mich mit einer Freundin getroffen habe, deren Leben irgendwie weiterging, machte mich das sehr traurig. Sie fragten natürlich auch, was ich so mache und wie es mir geht, aber ich machte ja nichts. Die meiste Zeit lag ich im Bett oder tingelte von einem Arzt zum anderen und versuchte, in diesem System irgendwie meine Krankheiten zu regeln. Für viel mehr war da kein Platz.“Von der Peripherie aus, an die der Staat gesundheitlich beeinträchtigte Menschen drängt, ist es schwer, für eine sozial gerechtere Welt zu kämpfen. Außerdem, so hat Veronika es mir erzählt, „haben solche Menschen oft weder die finanziellen Mittel, die Energie noch die Möglichkeit, auf die Straße zu gehen, zu streiken und zu demonstrieren“. Und während die Welt sich einfach weiterdreht, versuchen Menschen wie Veronika, sich darin zurechtzufinden und ein halbwegs würdiges Leben zu führen. Doch der Staat lässt sie und viele andere Menschen systematisch im Regen stehen, als wären sie unsichtbar und könnten einfach ignoriert werden.
Die Veröffentlichung dieses Artikels ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES
November 2025