Der iranische Filmemacher Sohrab Shahid Saless  Das stille Leben

Sohrab Shahid Saless bei den Dreharbeiten zu „Hans – Ein Junge in Deutschland“
Sohrab Shahid Saless bei den Dreharbeiten zu „Hans – Ein Junge in Deutschland“ Foto: © Bert Schmidt

Der iranische Filmemacher Sohrab Shahid Saless (*1944 †1998) lebte und arbeitete viele Jahre in Westdeutschland und der Tschechoslowakei. Nun wird Saless’ Werk neuentdeckt.

Er ist eine der bedeutendsten Figuren des modernen iranischen Kinos – und zugleich ein großer Unbekannter des Neuen Deutschen Films: Sohrab Shahid Saless. 1944 in Teheran geboren und 1998 in Chicago verstorben, war Saless sein Leben lang ein transnational arbeitender Drehbuchautor und Regisseur. So drehte er von den 1960er bis in die 1990er Jahre zahlreiche Kino-, Fernseh- und Dokumentarfilme im Iran, in Westdeutschland und in der früheren Tschechoslowakei, die mit einer Vielzahl an internationalen Preise wie etwa dem Silbernen Bären im Jahr 1974 prämiert wurden. Derzeit erlebt der in der Bundesrepublik – zu Unrecht – wenig bekannte iranische Filmemacher eine Wieder- beziehungsweise Neuentdeckung. Nach Retrospektiven Mitte 2016 in Berlin und Anfang 2017 in München und Teheran findet derzeit eine ausgewählte Werkschau in Brüssel statt.

„Ich mag den Zuschauer nicht betrügen oder verwirren“

Saless’ filmisches Schaffen ragt heraus, weil seine beiden im Iran produzierten Spielfilme Ein einfaches Ereignis (1973) und Stilleben (1974) Maßstäbe für das moderne Kino des Landes setzten. Ihre Titel sind wörtlich zu nehmen: „Mein Stil ist nicht von Vorbildern abhängig. Ich finde, er paßt einfach zu unserem Leben. Ich mag nicht durch Technik, durch Travellings, Schwenks, Zooms etc. den Zuschauer betrügen oder verwirren. Ich will ganz einfache Szenen haben, und was darin passiert, ist das Wichtigste für mich. Die Leute, die vom Kino nichts verstehen, die keine Cineasten sind, können in meinen langen Einstellungen in Ruhe zuschauen“, schrieb Saless einmal in einem Brief. Lange Einstellungen, wenig Dialoge, Stille und die Konzentration auf die Personen, ihre Gestik und Mimik, zeichnen die Filme von Saless aus. Der Regisseur zeigt den Menschen in seiner Einsamkeit, Stummheit und Melancholie, aus denen ein Entkommen unmöglich scheint. Autobiografische Bezüge finden sich dabei in all seinem Filmen.

Ein einfaches Ereignis und Stilleben zählen zum ersten Schwung der sogenannten Neuen Welle des iranischen Kinos, die in den 1960ern einsetzte und bis zur Revolution 1979 andauerte und stark vom italienischen Neorealismus und der französischen Nouvelle Vague beeinflusst war. Die iranische Neue Welle warf abseits seichter, klischeehafter Unterhaltungsfilme einen realistischen und ästhetisch anspruchsvollen Blick auf die iranische Gesellschaft mit ihren Normen und Nöten.

Nachdem die Produktion eines dritten Films im Iran verhindert wurde, verließ Saless 1974 seine Heimat. Der Schah-Gegner emigrierte in die Bundesrepublik und verfilmte auch hier eigene Drehbücher. In den 1980ern begann er zudem, literarische Arbeiten zu verfilmen, so 1980 Grabbes letzter Sommer nach dem gleichnamigen Roman von Thomas Valentin (1922-1980). Zwei seiner Literaturverfilmungen wurden größtenteils beziehungsweise vollständig in der früheren Tschechoslowakei gedreht: Hans – Ein Junge in Deutschland und Der Weidenbaum.

Ein Iraner verfilmt deutsche und russische Literatur in der Tschechoslowakei

Hans – Ein Junge in Deutschland entstand im Frühling und Herbst 1983. Saless drehte den Schwarz-Weiß-Film nach dem Roman Die blaue Stunde (1977), einem autobiografischen Werk des Schriftstellers Hans Frick (1930-2003). Der Protagonist Hans lebt während des Dritten Reiches mit seiner Mutter, einer Fabrikarbeiterin, und der schwerkranken Großmutter in Frankfurt am Main. Hier erleben sie die Kriegsjahre: Bomben fallen, Zwangsarbeiter werden durch die Straßen gezerrt, Nachbarn schikanieren den Jungen. Sein Vater, den er nicht kennt, war Jude, so dass er und seine Mutter Angst vor Denunziation haben. Als Hans Gestapoleute vor der Wohnung sieht, flieht er aus der Stadt und schlägt sich durch, bis einziehende US-amerikanische Soldaten ihn auffangen.

Der Weidenbaum entstand im Frühling und Sommer 1984 und ist eine Verfilmung der gleichnamigen kurzen Erzählung des russischen Schriftstellers Anton P. Tschechow, die erstmals 1883 erschien. Der greise Archip, der am Wasser sitzt und fischt, beobachtet, wie ein Postkutscher, der täglich bei ihm vorbeifährt, einen Geldpostboten erschlägt und die Tasche mit dem Geld in einem hohlen Weidenbaum versteckt. Der alte Mann nimmt die Tasche an sich und geht damit in die Stadt, um die Tat anzuzeigen. Hier wird er von einem zum anderen Amt geschickt.

Im Rahmen einer lockeren Serie stellen wir diese und weitere Filme von Sohrab Shahid Saless vor:

  1. Das stille Leben
    Über die Filme Hans – Ein Junge in Deutschland (BRD / ČSSR 1985) und Der Weidenbaum (BRD / ČSSR 1984).
  2. „Es war wie im Freilichtstudio“
    Interview mit Bert Schmidt, langjähriger Regieassistent von Sohrab Shahid Saless
  3. Kein schöner Land
    Über den Film In der Fremde (BRD / Iran 1975)
  4. Die Ehe der Marianne Eschbach
    Über den Film Empfänger unbekannt (BRD / Iran 1983)
  5. Kulturgut (im) Fernsehen
    Interview mit Jürgen Breest, der als Fernsehredakteur an den Saless-Filmen Grabbes letzter Sommer (BRD 1980), Der Weidenbaum (BRD / ČSSR 1984) und Wechselbalg (1987) mitwirkte

Sohrab Shahid Saless

Geboren 1944 in Teheran.

Ab 1963 Aufenthalt und Filmstudium in Wien. Erkrankung an Tuberkulose. 1967 Fortsetzung des Studiums in Paris. 1968 Rückkehr in den Iran.

Mehrere Dokumentarfilme für das iranische Kulturministerium. Zwei Spielfilme, Ein einfaches Ereignis und Stilleben, im Iran gedreht.

1974 Emigration in die Bundesrepublik. 13 Fernseh-, Kino- und Dokumentarfilme für das deutsche und slowakische Fernsehen.
Auswahl:

  • In der Fremde (1975)
  • Reifezeit (1976)
  • Die langen Ferien der Lotte H. Eisner (1979)
  • Anton P. Čechov – Ein Leben (1981)
  • Empfänger unbekannt (1983)
  • Wechselbalg (1987)


Seit 1984 Mitglied der Akademie der Künste, Berlin. 1984 Übersiedlung in die ČSSR. Ende der 1980er Rückkehr in die BRD. 1994 Übersiedlung in die USA.

Gestorben 1998 in Chicago.

Zahlreiche Filmpreise.
Auswahl:

  • Goldener Ibex für die beste Regie beim Internationalen Teheraner Filmfestival für Ein einfaches Ereignis (1973)
  • Silberner Bär bei den Berliner Filmfestspielen für Stilleben (1974)
  • Adolf-Grimme-Preise in Gold für das beste Drehbuch, den besten männlichen Schauspieler und die beste Regie für Grabbes letzter Sommer (1981)
  • Preis der Akademie der Darstellenden Künste für Utopia (1984)


Der iranische Drehbuchautor und Regisseur Sohrab Shahid Saless ist im deutschsprachigen Raum nur wenigen bekannt. Und doch erleben seine Arbeiten derzeit eine (Wieder-)Entdeckung im In- und Ausland. Das Goethe-Institut hat den transnational lebenden und arbeitenden Künstler bereits zu seinen Lebzeiten als Teil des Neuen Deutschen Films betrachtet und ihn 1979 mit in die USA eingeladen, als dort neueste deutsche Autorenfilme vorgestellt wurden. 1983 wurde ihm eine eigene Werkschau in Paris gewidmet.

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