Roma & die Pandemie  Wo entlang geht es in die Mitte der Gesellschaft?

„Romakinder zu unterrichten ist das Beste, was mir im Leben passieren konnte. Sie schaffen es, mich jeden Tag aufs Neue zu überraschen“, sagt die Lehrerin Monika Podolinská.
„Romakinder zu unterrichten ist das Beste, was mir im Leben passieren konnte. Sie schaffen es, mich jeden Tag aufs Neue zu überraschen“, sagt die Lehrerin Monika Podolinská. Foto: © privat

In der Slowakei leben etwa 450.000 Roma. Somit gehört fast jeder zehnte Einwohner des Landes zu dieser Minderheit. Während ein Drittel der Roma vollständig und ein weiteres Drittel in Gemeinden mit einer Roma-Mehrheit immerhin zum Teil in die Gesellschaft integriert ist, gibt es noch eine weitere Gruppe. Diese Roma leben in abgeschotteten Siedlungen, ausgeschlossen, am Rande der Gesellschaft. Ihr Leben ist von einer Armut geprägt, die wir uns nur schwer vorstellen können.

Im Vorfeld von Wahlen oder während irgendeiner Krise werden Minderheiten oft zum Diskussionsthema der Mehrheitsgesellschaft. Wir haben mit Menschen gesprochen, die mit Roma arbeiten und sie gefragt: Könnte die Corona-Pandemie nicht letztlich auch dazu führen, dass man sich systematisch bemüht, die Probleme zu lösen, die mit der Roma-Minderheit zusammenhängen?

„Ich finde nicht, dass diesbezüglich nichts unternommen würde. Das ist schon viele Jahre lang unser großes gesellschaftliches Problem. Auf populärem Wege lässt es sich nicht lösen. Immer, wenn man beginnt, etwas für die Roma zu tun, reagiert die Gesellschaft negativ“, sagt der Soziologe und ehemalige Regierungsbeauftragte für die Bevölkerungsgruppe der Roma Ábel Ravasz. Seiner Ansicht nach zeugen davon auch die Daten und die positiven Trends der drei Studien zu Roma Gemeinschaften der Jahre 2004, 2013 und 2019.

„Die Studien belegen, dass in der Slowakei die Anzahl der Ortschaften zugenommen hat, in denen die Roma Zugang zur Kanalisation, zu sauberem Wasser oder zu Bildung haben. 2019 haben wir sogar die höchste Anzahl arbeitender Roma aus marginalisierten Gemeinschaften in der Statistik verzeichnet und jedes Jahr gibt es weniger Roma-Kinder in Förderschulen“, zählt er auf. Die Liste dessen, was sich noch ändern muss, ist allerdings noch lang.

In der Slowakei gibt es verschiedene Regionen, wo in einer Gemeinde das Zusammenleben der Mehrheitsgesellschaft mit einer Roma-Minderheit ausgezeichnet funktioniert, in einer anderen die beiden Gruppen aber nicht miteinander auskommen. „Es ist offensichtlich, wie wichtig es ist, was die Gemeindeverwaltung auch mit Unterstützung des Staates machen kann. Eine wichtige Rolle spielen also das Niveau und die Qualität der Arbeit in den Kommunen“, stellt Ábel Ravasz fest.

Wie ist es mit sozialen Betrieben?

Ein Beispiel dafür ist die Gemeinde Spišský Hrhov im Landkreis Levoča. „Einst waren wir eine klassische slowakische Gemeinde mit 100 Prozent Roma-Arbeitslosigkeit, es gab Schulden und Wucher und Menschen ohne Bildungsabschluss. Heute ist die Situation ganz anders“, sagt der Bürgermeister der Gemeinde, Vladimír Ledecký. Seiner Ansicht nach sei es wichtig, die notwendigen Voraussetzungen für Personen zu schaffen, die aus verschiedenen Gründen keine Anstellung finden. Vor allem für die Armen, die schwache Einkommen und schlechtere Lebensbedingungen haben. Welche Lösungen hat die Gemeinde gefunden?

„Wir haben ein gemeindeeigenes soziales Unternehmen zur Schaffung und dem Erhalt von Arbeitsplätzen gegründet. Zuerst haben wir die fähigsten Leute angestellt, die zur Inspiration für die anderen wurden. Wenn wir uns weiterbewegen wollen, müssen wir den Menschen vor allem Arbeit geben und ihnen zeigen, wie das möglich ist. Innerhalb von drei Jahren haben wir dann nicht nur die Menschen unserer eigenen Gemeinde beschäftigt, sondern auch Bewohner der umliegenden Gemeinden“, sagt der Bürgermeister. Das gemeindeeigene Unternehmen kümmert sich um die Grünflächen im Ort, die Ernte von Brennholz, dessen Bearbeitung und Lieferung an die Einwohner von Spišský Hrhov und der umliegenden Gemeinden. Der Betrieb verleiht Baugerüste einschließlich Lieferung, Aufbau und Abholung sowie Mischer, Pumpen und verschiedene andere Geräte. „Zu unseren wichtigsten Aktivitäten gehören auch Bauarbeiten, konkret der Bau von Häusern und Zäunen“, sagt Vladimír Ledecký und fügt hinzu, dass die Gemeinde dafür 40 Personen aus acht verschiedenen Dörfern beschäftigt.

Eine gemeindeeigene Firma in Spišský Hrhov kümmert sich schon lange nicht mehr nur noch um die technische Infrastruktur Obecná firma v Spišskom Hrhove sa už dávno nestará len o technickú infraštruktúru ako je voda, kanalizácia či elektrina. Peniaze dnes už putujú aj do skrášľovania obce. Wasser, Kanalisation oder Elektrizität. Gelder fließen mittlerweile auch in die Verschönerung des Ortes. Eine gemeindeeigene Firma in Spišský Hrhov kümmert sich schon lange nicht mehr nur noch um die technische Infrastruktur wie Wasser, Kanalisation oder Elektrizität. Gelder fließen mittlerweile auch in die Verschönerung des Ortes. | Foto: © Facebook Spišský Hrhov

Die Ergebnisse kommen schrittweise

In der Gemeinde war einst lediglich eine Straße an die Wasserleitungen angeschlossen. Nachdem die gemeindeeigene Firma die ersten Gelder erwirtschaftet hatte, wurde die ganze Gemeinde angeschlossen und auch das Roma-Viertel nicht ausgelassen. „Damit die Roma die Wasserleitung haben konnten, zogen wir in Raten Beträge von ihren Löhnen ab. Nicht jeder hatte ausreichende finanzielle Mittel, um sich zum Beispiel den Bau eines Bades leisten zu können. Heute haben alle eins mit warmem Wasser. Die Leute zahlen nur ein Fünftel dessen, was sie einer kommerziellen Firma für das Wasser zahlen müssten. Die Müllabfuhr ist bei uns dank der gemeindeeigenen Firma auch sehr billig“, so Ledecký.

Da die Roma nun Zugang zum Wasser haben, hat sich ihre Lebensqualität verändert. „Sie sind sauber und gepflegt, die Lehrerinnen in der Schule scheuen die Roma Kinder nicht mehr so sehr und noch dazu haben die Kinder nun bessere Lernergebnisse“, zählt der Bürgermeister die kleinen Erfolge auf. Laut Vladimír Ledecký brauchen Lösungen in den Gemeinden ein individuelles Herangehen. Jeder Bürgermeister muss letztendlich die Probleme seiner Gemeinde und seiner Bürger kennen, das Wichtigste ist die Kommunikation.

Armut und weiterhin nur Armut

In Zborov, einer Gemeinde 10 km von Bardejov entfernt in der Ostslowakei, ist die Situation ganz anders als in Spišský Hrhov. Sie hat etwa 3.000 Einwohner, 52 Prozent davon sind Roma. „Die Roma wohnen überwiegend in der abgesonderten Siedlung, die in drei Teile aufgeteilt ist. Zum ersten Teil gehören Plattenbauwohnungen, dann gibt es noch die Sozialwohnungen und im unteren Teil dieser Siedlung wohnen die Leute in Hütten, wo es weder fließendes Wasser noch Elektrizität gibt. Die Menschen dort haben nicht einmal eine Toilette. Die aus dem ärmsten Teil der Siedlung gehen zum Brunnen um Wasser zu holen oder teilen sich das Wasser mit jemandem und bezahlen dafür je die Hälfte. Ähnlich ist es auch mit der Elektrizität“, erklärt Alexandra Giňová, die das Leben in Armut sehr gut kennt. Sie selbst war nicht nur einmal in der Situation, entscheiden zu müssen, ob sie ihren Kindern Frühstück für die Schule kauft oder es für notwendige Medikamente für ihren behinderten Sohn ausgibt, der vor einem Jahr gestorben ist.

„Die Leute in den Siedlungen sehen oft keinen Sinn im Leben“, sagt sie. Dann greifen sie zum Alkohol oder zu Drogen. „Was soll man tun, wenn man nicht einmal so grundlegende Dinge hat wie Zugang zu sauberem Wasser oder Elektrizität? Für Roma aus abgeschotteten Siedlungen ist es sehr schwierig, eine Arbeit zu finden, selbst wenn sie es wollten. Sie kommen nicht aus dem Teufelskreis der Armut heraus. Als Lösung bleibt dann nur, dass sie wenigstens für eine Weile ihre Sorgen vergessen, und so trinken sie lieber billigen Wein und gehen schlafen. Ihre Kinder wachsen in diesem Umfeld auf und denken, dass solch ein Leben normal ist. Sie kennen eigentlich nichts anderes, ja nicht einmal das Leben außerhalb der Siedlung“, erklärt Alexandra Giňová, die Glück hatte und Dank des Projektes OZ Cesta von (deutsch: Ausweg e.V.) eine Arbeit gefunden hat. Als so genannte Omama besucht sie Mütter der Roma-Community in Zborov und unterstützt sie pädagogisch bei der Früherziehung ihrer Kinder, um diese auf den Start im Kindergarten vorzubereiten.

Wenn sich eine Gelegenheit ergibt helfen die Roma den Nicht-Roma bei manueller Arbeit. Sie schlagen Ihnen zum Beispiel Holz, helfen bei Schachtarbeiten oder ähnlichem, so Giňová. „Einer meiner Bekannten ging einmal zu jemandem, um beim Graben zu helfen. Er war den ganzen Tag dort und bekam für seine Arbeit 2 Euro, die er brauchte, um Windeln für sein Kind kaufen zu können. Auch so etwas passiert im Leben einiger Leute“, sagt die Omama.

Zu Beginn hatte die „Omama“ Alex Giňová Sorge, ob Mütter und Kinder überhaupt Interesse an ihren Diensten haben. Heute gibt es in Zborov drei „Omamas“ und es sind so viele Kinder angemeldet, dass die Kapazitäten erschöpft sind. Zu Beginn hatte die „Omama“ Alex Giňová Sorge, ob Mütter und Kinder überhaupt Interesse an ihren Diensten haben. Heute gibt es in Zborov drei „Omamas“ und es sind so viele Kinder angemeldet, dass die Kapazitäten erschöpft sind. | Foto: © privat

Schuld – keine Schuld

Mit dem Ausbruch der Pandemie hat sich die Situation nun zugespitzt. „Viele Nicht-Roma haben den Roma dafür die Schuld gegeben. Wir Roma gehen allerdings nirgendwohin, selbst wenn wir es wollten. Wir haben dafür gar kein Geld. Die Roma aus Zborov waren höchstens vielleicht mal in der Nachbarstadt. Einige fahren zwar nach Tschechien, allerdings zur Arbeit, nicht in den Urlaub. Wir haben es satt, ständig zu hören, dass bei allem auf der Welt immer nur wir dran schuld sind. Viele von uns erleben seit der Kindheit diese Demütigung und wir leben damit“, sagt Alexandra Giňová.

In der Gemeinde gibt es zwei Lebensmittelgeschäfte. Nach dem Ausbruch der Coronakrise begann man, die Leute einzeln in die Läden zu lassen, die Nervosität nahm zu, und das umso mehr, wenn die Roma ihre Sozialhilfe ausgezahlt bekamen und einkaufen wollten. „Wir haben Angst, dass sie unsere ganze Siedlung schließen. Einige Roma haben keine Heizung und gehen deshalb in den Wald Holz holen, um kochen zu können und es in ihrer Behausung warm zu haben. Andere brauchen Wasser. Was ist mit der Hygiene, mit der Toilette und wie soll man Lebensmittel besorgen?“, fragt Alexandra Giňová.

Laut Aussage des ehemaligen Regierungsbeauftragten für die Bevölkerungsgruppe der Roma, Ábel Ravasz, zeigt sich jetzt, dass die Roma wieder auf dem Abstellgleis gelandet sind. „Die Roma-Gruppen in der Slowakei, denen es am schlechtesten geht, haben nicht die gleichen hygienischen Bedingungen, den Zugang zu Wasser und auch nicht den Gesundheitszustand. Wenn sich auch nur ein Roma mit Corona angesteckt hat, dann wird sofort eine Statistik geführt und umfassende repressive Maßnahmen werden verordnet. Vor kurzem zeigte jemand, der aus England zurückgekehrt war, in Gelnica in der Roma-Siedlung Hájik Virussymptome. Die ganze Siedlung wurde unter Quarantäne gestellt. Letztendlich wurde nachgewiesen, dass diese Person das Virus nicht hatte, die Siedlung blieb aber weiterhin unter Quarantäne“, berichtet er.

Ein Problem sei laut Ravasz auch, dass der Staat die Anzahl der infizierten Roma separat veröffentlicht hat. Auf Basis dieser Daten wurden dann gesamtstaatliche Maßnahmen angeordnet und eine Roma-Siedlung mit mehreren Tausend Bewohnern unter Quarantäne gestellt. Dabei lag die tatsächliche Anzahl der Infizierten nur bei ungefähr 30. „Ich beobachte, dass nun in einigen Gemeinden die Roma als Bedrohung gesehen werden. Man will sie nicht in die Lebensmittelläden lassen, da man Angst vor einer Ansteckung hat. Je mehr es solche negativen Nachrichten über die Roma geben wird, umso mehr wird sich die öffentliche Meinung gegen die Roma wenden. Wir haben das nicht nur einmal erlebt und die übertriebenen Nachrichten in Zeiten des Coronavirus könnten die bereits erlangten Fortschritte wieder zunichtemachen“, meint Ravasz.

Die Containerschule in Muránska Dlhá Lúka ist eine Familienschule. Die Kinder sind motiviert, weil sie wissen, dass sie dort jeden Tag etwas neues erleben können. Die Containerschule in Muránska Dlhá Lúka ist eine Familienschule. Die Kinder sind motiviert, weil sie wissen, dass sie dort jeden Tag etwas neues erleben können. | Foto: © privat

Wenn man ständig irgendetwas beweisen muss

Róbert Darvaš ist ein junger Rom in der Region Gemer. Bis vor kurzem lebte er in einer Roma-Siedlung, doch schon immer hatte er sich danach gesehnt, unter der Mehrheitsgesellschaft im Dorf zu leben. In der Gemeinde Krásnohorské Podhradie macht er Geländearbeiten und mit Unterstützung einiger Leute aus der Roma- Minderheit leitet er nebenbei eine Tanzgruppe für Kinder und junge Roma, damit diese wenigstens für eine kurze Zeit vom stereotypen Leben in der Roma-Gemeinschaft entfliehen können.

„Für viele von uns ist es normal, in der Siedlung zu leben, weil wir dort geboren wurden und nichts anderes kennen. Ins Dorf bin ich vor allem wegen der Probleme mit dem Wasser umgezogen. In der Siedlung hatten wir eine Wasserleitung der Gemeinde, an die etwa 210 Häuser angeschlossen waren. Oft hatten wir aber entweder hohe Zuzahlungen zu leisten oder es gab wenig Wasser. Eines Tages stellten sie das Wasser ab, obwohl wir es einem Verein bezahlt hatten, der das Geld an die Wassergesellschaft geschickt hatte“, beschreibt er die Situation. Das Geld war weg, die Leute hatten kein Wasser.

Der junge Mann ist einer von denen, die Glück hatten, er restaurierte sich ein kleines, altes Häuschen im Dorf. Dabei halfen ihm andere Leute aus der Siedlung. „Meine Anfänge hier waren mühsam. Ich war an viele Leute, an häufige Besuche und an die Begegnungen in der Siedlung gewöhnt. Das ist das Leben, welches wir meist führen. Die Menschen der slowakischen Mehrheitsgesellschaft sind jedoch oft verschlossen. Als einige Leute aus der Straße erfuhren, dass ich das Haus kaufen werde, fragten Sie den Grundstückseigentümer, wie er das Grundstück denn nur an einen Rom verkaufen könne“, erinnert sich Róbert Darvaš.

„Erst als ich begann, das Haus zu restaurieren, begriffen die Leute, dass ich nicht vorhabe, eine Roma-Hütte zu bauen. Ich wollte nur würdevoll leben, weil das mein Recht ist. Als ich begann, den Zaun zum Nachbargrundstück zu reparieren, habe ich meinem Nachbarn erklärt, dass ich das alte Haus und den Zaun repariere, und letztendlich hat auch er mir beim Graben geholfen. Auch so wollte ich ein Beispiel sein und der Mehrheit zeigen: Wir sind keine ‚Anpassungsunfähigen‘ [neprispôsobiví (slowakisch) bzw. nepřizpůsobiví (tschechisch) ist eine rassistische Chiffre, die oft Angehörige der Roma-Minderheit bezeichnen soll. Anm.d.Red.].“

Bildung kann ein Weg sein

Róbert Darvaš bringt oft Kinder aus der Siedlung mit ins Dorf. Sein Verein Čajori romani kümmert sich vor allem um die Förderung der Bildung von Kindern und Jugendlichen. Der Verein unterhält auch eine Tanzgruppe und eine Zimbal-Musikgruppe. Ziel ist es, kulturelle Aktionen zu organisieren, bei denen die Roma mit Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft zusammenkommen. Die Arbeit mit den Kindern macht Róbert Spaß. Kinder, die sich besonders Mühe geben, nimmt er auf verschiedene Ausflüge mit.

„Ich wollte schon immer Lehrer werden. Bei den Erwachsenen ändern wir nicht mehr viel, doch mit Kindern können wir arbeiten. Seitdem ich mit Kindern arbeite, sehe ich, wie sich ihr Blick auf die Welt verändert. Als ich anfangs die Mädchen fragte, was sie werden wollten, sagten die meisten, Köchin. Heute bereiten sich sechs der neun Mädchen auf die pädagogische Mittelschule vor“, sagt Róbert. Ihm zufolge aber wollen nicht alle die Probleme der Roma-Minderheit wirklich lösen. „Wenn man sie lösen würde, hätten einige nichts mehr, woran sie sich bereichern könnten. Ein Teil der Fördergelder fließt leider in die Taschen anderer. Vor kurzem wurden Gelder für die Kulturförderung freigegeben, doch für die Unterstützung der Bildung gab es keinen einzigen Cent“, stellt er fest.

Monika Podolinská ist Lehrerin, sie unterrichtet Kinder aus der Siedlung Rúbanka der Gemeinde Muránska Dlhá Lúka im Landkreis Revúca, einem der ärmsten Landkreise in der Slowakei. Er hat die höchste Arbeitslosigkeit und auch einen hohen Bevölkerungsanteil an Roma. Sie unterrichtet in einer Roma-Container-Schule. „In meinem Fall ist es wohl das Beste, was mir passieren konnte. Die Arbeit mit den Roma-Kindern macht mir Spaß, weil ich jeden Tag die Möglichkeit habe, sie mit etwas zu überraschen und sie sind über die Maße dankbar“, beschreibt sie Ihre Arbeit.

„Wir unterrichten so, dass die Kinder dabei etwas erleben können und wir versprechen ihnen nur Dinge, die wir auch halten können“, so die Lehrerin Monika Podolinská. „Wir unterrichten so, dass die Kinder dabei etwas erleben können und wir versprechen ihnen nur Dinge, die wir auch halten können“, so die Lehrerin Monika Podolinská. | Foto: © privat

Wie man die Dinge vielleicht anders machen kann

Die Kinder sind motiviert in die Schule zu gehen, und sie freuen sich darauf. „Wir sind eine Art Familienschule und unterrichten so, dass jeder hier ein Erlebnis hat. Wir versprechen nur, was wir auch halten können. Wenn ich zum Beispiel sage, dass wir am nächsten Tag eine Bohnensuppe kochen werden, wissen die Kinder, dass wir die auch wirklich kochen werden. Dabei zählen sie dann die Bohnen und wiederholen dabei Mathematik oder sie lernen und merken sich einzelne Zutaten auf Slowakisch und in der Sprache Romani. Wir erzählen einander, wie viel das gekostet hat und ob es gesund ist, wo was angebaut wird und wie wir es bekommen oder kaufen können und dann kochen wir und essen es“, beschreibt die Lehrerin die Art des Unterrichts mit Erstklässlern.

Die Kinder seien sehr genügsam und respektieren die Regeln. Wenn sie wissen, dass sie etwas einhalten müssen, dann gewöhnen sie sich daran und es funktioniert. „Sie müssen es natürlich erst einmal verstehen. Die Regeln legen wir gemeinsam fest und wir erklären sie den Kindern. Unsere Beziehungen basieren auf dem Vertrauen. Wenn man das nicht bei den Schülern und ihren Eltern erwirbt, hat man keine Chance, sie für die Sache zu gewinnen“, beschreibt die Lehrerin, wie die Schule funktioniert.

Gerade die Bildung sieht sie als einen Weg, aus dem Teufelskreis der Armut herauszukommen. „Wenn Kinder und Eltern aus ausgeschlossenen Gruppen begreifen, dass die Schule ein sicherer Ort ist und dass wir die Schule gemeinsam aufbauen können, dann ist das der beste Weg. Die Eltern wissen heute, dass Bildung bedeutet, dass ihre Kinder in der Zukunft größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben werden“, fügt sie hinzu. Einer ihrer Schüler ist momentan im Abiturjahrgang und bereitet sich auf die Hochschule vor.

Die Pandemie ändert alles

Die Pandemie hat laut Monika Podolinská viele Dinge verändert. „Die Angst hat sich verstärkt. Dazu haben auch die Äußerungen der Politiker und der Medien beigetragen. Die Menschen hören immer wieder, dass sich das Virus von den Roma-Siedlungen aus verbreiten könnte. Ich befürchte, dass die Pandemie, selbst wenn wir es wollten, keine neue positive Veränderung bringen wird. Das Leben einiger Roma ist wie das Leben der Slowaken vor den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts. Unsere Urgroßeltern haben auch ihre Kinder mit Wasser aus dem Waschbecken gewaschen. Viele Roma sind an den Rand der Gesellschaft gedrängt und wir können uns nur fragen, warum das so ist. Ich befürchte, wenn sich in dieser Situation jetzt die Aufmerksamkeit nur auf die Roma fokussiert, dann spitzt sich die Anspannung in der Gesellschaft zu“, vermutet Podolinská.

Wann immer es für die Lehrerin möglich ist, bringt sie Fibeln, Mathebücher, Füller und Hefte in die Siedlung. Online-Unterricht kommt hier nicht in Frage. „Ich habe den Eltern erklärt, dass es jetzt bei ihnen liegt. Dass sie Zeit für ihre Kinder finden müssen und sie können mich immer anrufen oder bei mir ans Fenster klopfen. In der Schule unterrichte ich Erstklässler und ich weiß, dass sich in jeder Familie jemand findet, der lesen oder schreiben kann. Die Kinder in der Siedlung spielen oft selbst Schule“, fügt Monika Podolinská hinzu.

Davon, dass man mit Bildung viel erreichen kann, zeugt auch die Geschichte von Tomáš Matta, der in eine Roma Siedlung in Nižná Myšľa hineingeboren wurde. Dies ist eine der „besseren Siedlungen“ in der Slowakei. Ein Teil davon besteht aus Plattenbauten, wo es Wasser gibt, der andere aus Hütten. Die Roma aus den Hütten holen sich von den Roma in den Plattenbauten Wasser. In der Nähe gibt es einen Kindergarten, den auch Tomáš als Kind besucht hatte.

„In einer Siedlung aufzuwachsen, ist kein Gewinn, doch als Kind nimmt man das nicht wahr. Ich erinnere mich, dass wir als Kinder auf dem Feld bei den Mülltonnen Fußball gespielt haben und wir haben alles in die Hände genommen. Es war dort egal, ob wir sauber oder dreckig waren, denn oft war überall Schlamm und zu Hause gab es nicht viel, was man sonst tun konnte. Wenn wir eine Musikgruppe gründen wollten, nahmen wir Töpfe und begannen darauf zu spielen. Ich erinnere mich daran, wie ich mal gefallen bin und mir den Ellbogen gebrochen habe, während die anderen Roma auf der kleinen Mauer saßen und mich ausgelacht haben“, beschreibt er seine Kindheit mit einem Schmunzeln.

Als Tomáš sieben war, nahm ihn seine Oma mit nach Košice. Nachdem seine Mutter bald wieder in die Siedlung zurückkehrte blieb der Junge nun ganz bei seiner Oma in der Stadt. „Dort ging ich dann in die Grundschule. Die Schule machte mir viel Spaß und ich wollte allen zeigen, dass auch ein Roma gute Ergebnisse haben kann. Einmal war ich sogar der Klassensprecher. Es war nicht immer alles einfach, aber ich habe es geschafft“, sagt er. Seine drei Geschwister blieben in der Siedlung. Seiner zehnjährigen Schwester hilft er bei Schulaufgaben. Sie möchte später gern einmal Ärztin werden. Tomášs fünfjähriger Bruder und seine vierjährige Schwester gehen noch nicht einmal in den Kindergarten. „Mir ist es nicht egal, wie die Menschen in der Siedlung leben“, sagt er.

In der Mittelschule, auf die Tomáš Matta geht, gibt es eine Wandzeitung über ihn. Ein Foto von seinem Treffen mit der slowakischen Präsidentin Zuzana Čaputová darf dort natürlich nicht fehlen. In der Mittelschule, auf die Tomáš Matta geht, gibt es eine Wandzeitung über ihn. Ein Foto von seinem Treffen mit der slowakischen Präsidentin Zuzana Čaputová darf dort natürlich nicht fehlen. | Foto: © privat

Das Leben in und außerhalb der Siedlung

Wenn er sein Leben mit dem Leben seiner Freunde aus der Siedlung vergleicht, sieht er einen deutlichen Unterschied. Er studiert, sie aber haben trotz ihres noch sehr jungen Alters bereits Familien gegründet. „Die Bildung und das andere Umfeld haben mich wortwörtlich gerettet“, überlegt er. Die Mittelschule hat er sich mit Hilfe seiner Oma und einer Bildungsberaterin ausgesucht. „Ich studiere an der Mittelschule für Maschinenbau und arbeite nun noch mehr an mir selbst“, beschreibt der junge Rom seine aktuelle Situation.

In der Schule hat er seine eigene Wandtafel, an der sind Fotoerinnerungen von einem Treffen mit der slowakischen Präsidentin Zuzana Čaputová befestigt und welche von der Veranstaltung, als er einen Preis des Herzogs von Edinburgh „für komplexe Persönlichkeitsentwicklung“ bekommen hat. An der Wand hängt auch ein Foto von ihm im Europaparlament in Brüssel. Außerdem hat Tomáš Matta sogar eine Bronzemedaille bei den Europäischen Meisterschaften im Kickboxen gewonnen. Als Ehrenamtlicher arbeitet er im gemeinnützigen Verein Paľikerav daran, die Vorurteile gegenüber Roma abzubauen. Er möchte Internationale Beziehungen studieren, was er als Start für den Einstieg in die Politik nutzen möchte, um dann reale Lösungen für das Zusammenleben der Mehrheit und der Minderheit in der Slowakei einbringen zu können.

Die Pandemie wird auch in der Siedlung von Nižná Myšľa diskutiert, wo der Rest von Tomáš Mattas Familie lebt. „In der Siedlung hat sich Solidarität gezeigt. Eine Romni begann zum Beispiel Mundschutze zu nähen, die sie in der Gemeinschaft austeilt und die Roma tragen sie gewissenhaft. Der eine redet dem anderen ins Gewissen, was zu größerer Selbstdisziplin in der Siedlung beigetragen hat. Die Menschen treffen sich momentan nicht so lebhaft wie sonst“, beschreibt er die Situation in der Gemeinschaft dort. Doch selbst wenn einige gern zu Hause bleiben würden, so können sie es nicht. Einige Leute aus den Hütten müssen zum Wasserholen zu den anderen gehen. Der Unterricht in den Schulen ist unterbrochen und die Schüler sollen online lernen, doch das kommt für Kinder in den Roma-Siedlungen nicht in Frage. Viele Lehrerinnen bringen deshalb den Kindern die Hausaufgaben direkt in die Siedlung.

Wie ist es mit den Lösungen?

Es könnte so aussehen, dass die Pandemie einen systematischeren Blick darauf ermöglicht, wie die Lebenssituation der Menschen in abgeschotteten Gemeinschaften zu lösen sei. Viele sind allerdings skeptisch. „Selbst jene Lösungen, die man während der Jahre schon durchsetzen konnte, könnten nun in Gefahr sein. Nach und nach schließen wir Sonderschulen und wir haben die Vorschulpflicht eingeführt, da ein gleicher Start für alle Kinder wichtig ist. Doch die Schulen sind jetzt geschlossen. In den Roma-Communitys gibt es sehr viele Sozialarbeiter vor Ort, die Frage ist jedoch, wie diese Arbeit finanziert wird. Die gegenwärtige Pandemie gefährdet viel von dem, was wir schon erreicht haben“, so Ábel Ravasz. Möglichkeiten, um die Roma-Problematik anzugehen, gebe es viele, doch man könne jetzt nicht mehr warten, es sei notwendig alle gleichzeitig zu lösen.

Die Kinder benötigen Früherziehung und müssen auf den Kindergarten und die Grundschule vorbereitet werden. Für junge und erwachsene Roma ist es wichtig, Arbeitsplätze zu schaffen und die schon vorhandenen Arbeitsplätze zu erhalten. „Selbst in Zeiten der Krise können wir nicht zulassen, dass Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren endlich eine Arbeit gefunden haben, wieder auf der Straße stehen. Es ist nun allerhöchste Zeit, dass der Staat damit beginnt, eine Sozialwirtschaft zu fördern und zu entwickeln. Statt nur einzelne zu unterstützen, sollte in soziale Unternehmen investiert werden. Solche Investitionen zahlen sich um ein Vielfaches aus. Es ist nutzlos, wenn Menschen mit unserer Hilfe ein Fachschuldiplom erwerben und dann nicht arbeiten können, weil es keine Arbeitsplätze gibt. Es ist nutzlos, Arbeitsplätze zu haben, wenn die Leute schmutzig zur Arbeit gehen oder nach der Arbeit in ihre Hütten zurückkehren und nach wie vor nicht wissen, wie sie sich aus dem Teufelskreis der Armut befreien können“, erklärt der ehemalige Beauftragte.

Es ist zu erwarten, dass die Covid-19-Pandemie zu einer Verschlimmerung der Armut in Roma-Siedlungen führen wird. Die Folgen der Krise, die noch kommen wird, werden viele spüren. Die armen und niedrigqualifizierten Arbeiter könnten die ersten sein. Eine größere Armut bedingt auch weitere negative Auswirkungen: größere Anspannung und Probleme in den Familien, Verschlechterung des Wohnstandards, schlechtere Ergebnisse in der Bildung junger Leute. Dies alles wird die ärmeren Menschen wieder weiter von der Mehrheit entfernen und auch ethnische Spannungen fördern. Es bleibt zu hoffen, dass die Krise nicht lange andauern wird.

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