Die Dichterin Bernadeta Babáková: „Auf Mundschutz reimt sich nicht viel Gutes.“
Die Dichterin Bernadeta Babáková: „Auf Mundschutz reimt sich nicht viel Gutes.“ Foto: © privat

Die Dichterin Bernadeta Babáková erlebt die Quarantäne als Cocktail aus Benommenheit, Pflichten, Traurigkeit und Langeweile. Das heilige Hier und Jetzt ist unmöglich geworden, es gibt nur noch ein unendliches Jetzt. Reicht die eigene Imagination, um damit klarzukommen?

Die Gegenwart erinnert mich an die Stimmung der späten Sonntagnachmittage meiner Kindheit. Das Ende des Wochenendes. Was wir bis jetzt nicht geschafft haben, das holen wir nicht mehr auf, die Vorräte an Leckereien sind aufgebraucht, man kann keine Vorfreude mehr haben auf einen Besuch oder ein abenteuerliches Picknick. Alles Gute liegt schon hinter uns und jetzt bleibt uns nur noch, mit Sorge auf die kommenden Pflichten zu warten, das Nötigste zu Ende zu bringen. Ein Cocktail der Benommenheit, Pflichten, Traurigkeit und Langeweile.

Künstler: Wer braucht sie heute? Um Metaphern für diese Pandemie zu finden, braucht man keine Dichter.“

Die Untermiete von vier kahlen Wänden gebietet, die Vorstellungskraft einzuschalten. Eher noch als an Albert Camus’ Pest denke ich an Jack Londons Zwangsjacke. Künstler sollten es heute leichter haben, ihnen reicht doch die eigene Fantasie. Das Bewegen unserer Körper ist vielleicht durch die vielen Verbote eingeschränkt, aber unser Geist kann frei durch Raum und Zeit streifen. Ich habe keine Zwangsjacke wie der Held Ed Morel aus Londons Buch, aber ein obligatorischer Mundschutz ist so etwas wie ihr Platzhalter.

Künstler: Wer braucht sie heute? Kulturelle Institutionen sind geschlossen, kulturelle Veranstaltungen abgesagt. Um Metaphern für diese Pandemie zu finden, braucht man keine Dichter. Die Corona-Krise wird als verdienter Urlaub bezeichnet, als neue Gelegenheit, Warnsignal oder als drohender Zeigefinger der Welt, die uns wie ungezogene Kinder zur Strafe in unsere Zimmer schickt, damit wir darüber nachdenken, was wir falsch gemacht haben.

Ich bin müde.

So langsam wächst in mir eine unglaubliche Aversion gegen die Arbeit am Computer. Alle Kommunikation läuft online, jeder Job ist online, alle Kommunikation über den Job ist online. Eine Datei erstellen, speichern, teilen, jemandem darüber Bescheid geben, eine Handlung einfordern, und dann die Kommunikationskanäle aktualisieren und auf Feedback hoffen. Manchmal kommt es, manchmal nicht. Oder es ist so ratlos und es spricht daraus eine solche Beklemmung, Resignation oder letzte Reste von aufgepeitschtem Optimismus (#staypositive), dass ich mir wünsche, es solle lieber in den Tiefen des Hyperspace bleiben.

Es ist ungefähr der zwanzigste Tag in Quarantäne und uns allen fehlt die Spontaneität. Weder für zufällige Treffen, für Fläzen im Gras auf einem von der Sonne gewärmten Hügel, für einen Spaziergang im Park, für die knappe Stunde vor Besuchsschluss in der Dauerausstellung noch für zwei Minuten Ruhe und Feuchtigkeit im Kirchenschiff. Ein sorgfältig geplantes Arbeitsprogramm hat die ersten Tage der Verwirrung ersetzt, die zu Beginn noch wie eine Erinnerung an die vergangenen Zeiten des süßen Schulschwänzens erinnerten.

Das Nähen von Schutzkleidung ist die neuzeitliche Version des Federrupfens. Anstelle des Knisterns von Feuer im Kamin rasselt die Overlock-Nähmaschine.“

Schockstarre und erste Reaktion. Das obligatorische Aufräumen von Schubladen, Sockenflicken, Beenden von Entwürfen und Adaptionen. Die tägliche Routine der Kohleferien wurde nach ein paar Tagen von einer rasenden Wohltätigkeit abgelöst. Wir nähen Mundschütze, kochen Mundschütze aus, verteilen Mundschütze. Ich beobachte, wie die Quarantäne das Leben eines Theaterregisseurs, einer Requisiteurin und eines Schauspielers verändert hat, und denke dabei an das Märchen über die drei Spinnerinnen. Wenn die Quarantäne endet, wem von ihnen wird dann die Unterlippe bis über das Kinn hängen, wessen Daumen wird die Größe eines Kinderkopfes haben und wer wird einen Elefantenfuß haben vom Treten des Spinnrads? Physische Arbeit schafft während der Einhaltung von Hygieneregeln einen begründeten Vorwand zum Treffen. Das Nähen von Schutzkleidung ist die neuzeitliche Version des Federrupfens. Anstelle des Knisterns von Feuer im Kamin rasselt die Overlock-Nähmaschine. Ich habe Hände wie eine uralte Großmutter, mit Echsenschuppen statt Haut.

Nach zwei Wochen, in denen die Nähmaschinen unter nie dagewesener Auslastung auch am Wochenende heiß liefen, in denen die Handflächen gegenüber heißem Dampf und Nadelspitzen unempfindlich wurden, versuche ich vergeblich, mich im Info-Portal meiner Hochschule anzumelden. Es ist überlastet. Beim siebten und jedem weiteren Absturz des Internetservers wünsche ich mir etwas. Wie, wenn im Sommer die Perseiden über den Nachthimmel kreuzen.

Die Zeit wurde umgestellt, von Samstag auf Sonntag waren wir eine Stunde weniger zuhause. Außerdem wird es jetzt viel später dunkel. Wenn es gerade nicht schneit, sitzen wir mit einem Tee und einer Zigarette auf dem Balkon. Hinter der Tür blinken Benachrichtigungen auf Handy und Computer. Vierzehn Tage des guten Gefühls, dass wir der Krise mit sinnvoller Arbeit trotzen, sind zu Ende gegangen. Selbst unter den Fittichen von Wohltätigkeitsorganisationen und Hochschulen will ich mir nicht vorstellen, wie es meinen Freelancer-Freunden jetzt geht.

Diesen Moment, in dem man sich noch auf den Notstand berufen kann aber langsam auch Wege in eine andere Existenz unter neuen Bedingungen suchen muss, den habe nicht nur ich verpasst. Mein Kopf schmerzt vom konzentrierten Starren auf den Bildschirm, auf dem ich jetzt versuche einen Monat Krisenzustand zu kompensieren, der vorbeigerauscht ist. Auf der Straße ist es ruhig, das für Montage und Freitage typische Rattern der Studentenrollkoffer auf den Pflastersteinen der Gehwege ist verschwunden. Bei diesem Gedanken werde ich nicht melancholisch. Viel schwerer liegen mir die leeren dunklen Fenster der Bibliothek auf der anderen Seite der Straße auf dem Herzen. Aber wenigstens steht hinter ihnen kein Nachbar, der unser Sit-in auf Balkon durch eine herbeigerufene Polizeistreife zerschlagen lässt.

Diesen Moment, in dem man sich noch auf den Notstand berufen kann aber langsam auch Wege in eine andere Existenz suchen muss, habe nicht nur ich verpasst.“

Die sozialen Netzwerke ermüden mich. Alle Selbstdarstellung hat sich jetzt ins Internet verlagert. Ich weiß nicht, in welchem anderen Gebiet diese Tätigkeit so wichtig ist wie in der Kunst. In der Welt, in der man sich ins Gesicht schauen und alles Mögliche herauslesen konnte, war das für mich erträglicher. Der Raum Internet wird von Videos überschwemmt, die nur eine verzerrte Spiegelung des wirklichen Lebens sind. Ich sehne mich nach lebendiger Kunst, nicht nach ausgestrahlter. Künstler sein, ob nun freiberuflich oder als Angestellter, ist vor allem eine Art zu leben. Diese ist seine Essenz. Ich habe Angst vor der Zukunft. Orte, die Symbole waren für Zusammenkünfte, Unterhaltung oder auch für Bedeutungsvolles, gilt es zu meiden. Wegen einer Gefahr, die unsichtbar bleibt. Was, wenn die Krise vorbei ist, aber die Angst bleibt?

Die besten polnischen und deutschen Theater machen ihre Archive zugänglich, zu sehen ist das Standardrepertoire, mit englischen Untertiteln. Wir schauen sie auf den Bildschirmen unserer Laptops, in Jogging-Hosen, mit fettigen Haaren. Die Geschwindigkeit der Internetverbindung hat einen beispiellosen Einfluss auf den Gesamteindruck der aufgeführten Dramen. Ich werde versuchen, in der nächsten Runde ein Forschungsstipendium für eine Doktorarbeit darüber zu bekommen.

Mich erinnert das an den Vergleich vom Lecken an Eis durch eine Glasscheibe hindurch. Wenn ich ernst sein wollte, dann würde ich Aufzeichnungen und Streams mit der Übertragung von Messen vergleichen. In einer leeren Kathedrale steht ein Geistlicher und wenn man nicht vergessen hat, den Videofilter auszuschalten, verliert der fade Clip für mich an Wert. Nichts ersetzt ein Treffen in der Realität. Auch nicht die Tatsache, dass es live ist. Es ist vielleicht jetzt, aber nicht hier. Ins Theater, Kino, die Philharmonie, auf Konzerte, in den Club, ins Museum, zur Lesung und Performance gehen wir wegen der Kraft des Augenblicks, der umso stärker ist, je mehr sich die eigenen Reaktionen mit den Reaktionen und Gefühlen derer potenzieren und amplifizieren, die an diesem Ort und zu diesem Zeitpunkt mit uns zusammen sind.

Ich bin müde.

Wir haben an uns selbst unverhältnismäßige Ansprüche, trotz unbestreitbarer Hindernisse bei der Arbeit versuchen wir immer noch, irgendeine Tätigkeit auszuführen, anstatt einfach nur zu sein.“

Weil auch die beste Vorstellung dieser Saison aus Warschau irgendwer durch Telefonate und Nachrichten stört. Sie sind halb privat, halb beruflich. Ich bin zuhause, am Computer, also ständig erreichbar in meinem heimischen „Büro/Wohnzimmer“. Dauernd schaue ich mir irgendetwas an und lasse meine Gedanken irgendetwas hinterherjagen, und dabei ist das weder Entspannung noch Arbeit, nur ein Antworten auf Mails, die kein Ende nehmen. Unterproduktivität vom Sofa aus, paralysiert durch die Mitteilungen der Minister für Finanzen, Kultur, Arbeit und Soziales.

Auf Mundschutz reimt sich nicht viel Gutes. Wo jetzt Ideen finden und woraus schöpfen? Der Notstand ist kein gesegneter Urlaub mit bedingungslosem Grundeinkommen. Wir taumeln in der Isolation, mit von Netz-Konversationen schmerzenden Augen. Manchen gelingt es, in den untersten Etagen der eigenen Psyche oder (schlimmer) den aktuellen Fernseh- oder Netflix-Produktionen zu versinken. Wir können uns nur schwer auf die eigene Welt und die Fantasie stützen, wenn wir von zerstreuenden Anreizen umgeben sind. Wir haben an uns selbst unverhältnismäßige Ansprüche, trotz unbestreitbarer Hindernisse bei der Arbeit versuchen wir immer noch, irgendeine Tätigkeit auszuführen, anstatt einfach nur zu sein.

Sonntagabends konnte man beten, dass die unangenehme nächste Woche schnell und ruhig vergehen möge. Bloß ist morgen schon wieder Sonntag.
 

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