Brief statt E-Mail  Mit Papiergeraschel

Betty Kolodzy
Betty Kolodzy Foto: © Kerstin Rolfes

Von Homeoffice bis Online-Yoga: Wo immer möglich werden die Dinge auf die digitale Ebene verlegt. Die Bremer Autorin Betty Kolodzy schlägt die gegensätzliche Richtung ein. Ihr Aufruf: Schreibt mir Briefe! Zurück zu Stift und Papier – ein Anachronismus?

Rosa Briefpapier. Ein türkisfarbener Umschlag, mit Stickern verziert. Der Inhalt: Handgeschrieben, getippt, eine kleine Geschichte sogar eingesprochen und per USB-Stick verschickt. „Die Leute sind total kreativ“, so Betty Kolodzy. Sie ist immer ganz aufgeregt, wenn sie einen Umschlag zur Hand nimmt und das raschelnde Papier entfaltet, hat sich sogar extra einen Brieföffner besorgt. „Jeder Brief ist einzigartig, schon in der Gestaltung.“

Warum Brief statt E-Mail?

„Als Schriftstellerin arbeite ich vor allem am PC“, so Betty. „Word-Dokument, E-Mails. Schwarzer Text auf weißem Hintergrund. Das sieht immer gleich aus.“ Außerdem wollte sie die Leute in Aktion bringen: „Papier und Stift zur Hand nehmen, eventuell eine Briefmarke besorgen, zum Postkasten gehen. Etwas vorhaben.“ Das fand sie sehr wichtig in der Situation, in der die meisten Termine wegfallen und manchen das Zeitgefühl regelrecht abhandenkommt.

Auch für sie war es ein Vorteil, dass die Briefe nicht zu ihr nach Hause, sondern ins Bremer Literaturkontor gesendet wurden, das noch weitere Projekte betreibt – die allerdings während der Pandemie vor allem online stattfinden. Betty hingegen musste also ihre Wohnung verlassen. Die Briefübergabe durch Kontorleiter Jens Laloire fand meist auf der Straße statt, mit dem vorgeschriebenen Sicherheitsabstand. Nach einer kurzen Unterhaltung kehrte jeder an seine Arbeit zurück, Laloire an seinen Schreibtisch und Betty zum Briefelesen nach Hause.

Geschichten, Ängste und Erlkönig-Adaption

Wer sind die Leute, die ihr schreiben? Manchmal muss Betty raten, denn natürlich schreibt nicht jeder sein Alter dazu. Sie vermutet Menschen zwischen 40 und 90, also Leute, denen die Kultur des Briefeschreibens noch vertraut(er) ist als den Generationen Y und Z, bei denen sich vieles ins Digitale verlegt, jetzt mehr denn je.

Zwei Briefe pro Tag beantwortet sie, manchmal auch nur einen. Sie möchte sich Zeit nehmen, sich wirklich mit den BriefeschreiberInnen und ihren Gedanken auseinander setzen. „Ich greife das heraus, was mich beim Lesen besonders berührt hat. Manchmal ein Gedanke, ein Halbsatz, irgendetwas geht immer in Resonanz.“ Dabei hat sie festgestellt: Je kürzer die Briefe, desto schwieriger fällt ihr das Antworten: „Manchmal muss ich zwischen den Zeilen lesen.“

Dennoch findet sie es erstaunlich, wie sehr manche Menschen sich öffnen. Und auch, wie vertraut sich viele Überlegungen anfühlen. „Angst um geliebte Menschen, den Arbeitsplatz, vor einer ungewissen Zukunft, das sind alles Gedanken, die ich kenne und teile.“ Manche schreiben auch kleine Geschichten oder Gedichte. Eine Gruppe von fünf Frauen hat gemeinsam eine kleine Geschichte eingesprochen, auch eine Erlkönig-Adaption war dabei. Und, was Betty besonders freut: „Manche dieser Menschen haben vorher noch nie geschrieben – und haben das Schreiben jetzt für sich entdeckt.“

Briefe statt Romanprojekt?

Lässt man das Thema Geld einmal außen vor und betrachtet nur die Arbeitsbedingungen, dann gibt es für eine Autorin möglicherweise Schlimmeres als das aktuelle Kontaktverbot. Zum Schreiben begeben sich SchriftstellerInnen freiwillig in Isolation, Homeoffice ist Standard. Betty hat – wie immer – auch ein Schreibprojekt in der Mache. Doch ihre Kurse und Werkstatttreffen – nicht nur Passion, sondern auch finanzielles Standbein – sind wegen der Corona-Beschränkung ersatzlos gestrichen. Auch Lesungen sind ausgefallen.

Gelder für die Brief-Aktion stellt das Literaturkontor bereit. Bettys Arbeit wird also honoriert. Anders ginge das auch gar nicht: „Ich könnte es mir nicht leisten, umsonst zu arbeiten, völlig unabhängig von Corona.“ Kontorleiter Jens Laloire freut sich, die leeren Kassen der Kulturschaffenden dadurch zumindest ein wenig wieder auffüllen zu können, „auch wenn das die Ausfälle nicht annähernd kompensieren kann“.

Über 40 Briefe sind bis Einsendeschluss am 25. April eingegangen. Betty freut sich über die Resonanz: „Mit dem Antworten werde ich noch eine Weile zu tun haben.“
 

Betty Kolodzy wurde 1963 in Wolfenbüttel geboren und wuchs in München auf. Die gelernte Fremdsprachenkorrespondentin und Kommunikationswirtin lebt heute, nach Stationen in Marseille, London, Granada und Berlin, als freie Autorin in Bremen. Sie verfasst Romane und Erzählbände, erhielt mehrere Stipendien. Zuletzt erschien ihre Kurzgeschichte Denk ich an Elster im Hamburger Literatur Quickie Verlag.

Betty Kolodzy lehrt Kreatives Schreiben an der Uni, in Flüchtlingswohnheimen, Schulen, Museen. 2016 initiierte sie das Schreibprojekt Heimat:Sprache für Menschen mit Fluchthintergrund. Für ihren Schreibworkshop Heimat:Sprache für geflüchtete Frauen wurde sie 2019 mit dem ersten Bremer Frauenkulturförderpreis ausgezeichnet. 2020 folgte eine Einladung des Bundespräsidenten zum Neujahrsempfang im Schloss Bellevue.
bettykolodzy.de

Das Bremer Literaturkontor ist eine zentrale Anlaufstelle für die Bremer Literaturszene und setzt sich besonders für die Belange lokaler AutorInnen ein.
literaturkontor-bremen.de

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