Klimaschutz  Jetzt erst recht

Gelingt es nach der Corona-Krise die Wirtschaft gezielt nachhaltig und zukunftsfähig wieder aufzubauen?
Gelingt es nach der Corona-Krise die Wirtschaft gezielt nachhaltig und zukunftsfähig wieder aufzubauen? Foto: Jules Bss via unsplash, CC0 1.0

Die globale Entschleunigung während der Coronakrise hat dem Klima eine Verschnaufpause verschafft. Ein „Zurück zum Alten“ könnte fatale Auswirkungen für unseren Planeten haben. Dabei ist der Zeitpunkt günstig, um die Volkswirtschaften der Welt zukunftstauglich zu machen. Denn die Krise zeigt auch: Veränderungen sind möglich.

Wie präsent das Thema Klima vor wenigen Monaten noch war, so still ist es jetzt darum geworden. Fridays for Future agiert zwar mit dem neuen Slogan #FightEveryCrisis groß im Netz, doch der Blick auf unseren Planeten reicht in Corona-Zeiten oftmals nur bis zu den angeblichen Delfinen in Venedig, der saubersten Luft seit 25 Jahren in Los Angeles, den leeren Straßen in Berlin und dem Phänomen „Videokonferenz statt Inlandsflug“. Weltweit nehmen die Emissionen ab, in Deutschland ist gar das Klimaziel für 2020 in Sicht. Covid-19 zeigt, wie schön es sein kann, wenn man der Natur plötzlich nicht mehr alles abverlangt.

Schöne neue Welt? Nicht ganz.

Doch die negativen Folgen dieser Erholungspause sind bereits jetzt weder lang- noch kurzfristig von der Hand zu weisen. Klares Wasser und saubere Luft stehen gerade mit der bedrohten Gesundheit und wirtschaftlichen Existenz Hunderttausender im direkten Zusammenhang, sie sind unbeabsichtigte Folgen der Krise. Freude ist da nicht angebracht – erst recht nicht, weil der Schein ohnehin nur trügt. Weil sich in der Politik (zurecht) gerade alles nur um Covid-19 dreht, sind andere Themen vom Tisch oder vertagt und riskieren damit, langfristig wieder aus dem Fokus zu geraten. CO2-Bepreisung, das deutsche Gesetz zum Kohleausstieg– alles erstmal auf Eis gelegt. Die UN-Klimakonferenz wurde gleich auf nächstes Jahr verschoben. Wichtige politische Meilensteine standen bevor, etwa bei Emissionszielen und im Bereich Biodiversität. Jetzt könnten jahrelange diplomatische Anstrengungen umsonst gewesen sein. Verschoben ist nicht aufgehoben? Das gilt es erst zu beweisen.

Jahrelange diplomatische Anstrengungen könnten umsonst gewesen sein. Verschoben ist nicht aufgehoben? Das gilt es erst zu beweisen.

So manchen Politikern und Unternehmen kommt die derzeitige Klimapause ganz recht. Doch anstatt nur Fortschritte zu verhindern, weil es jetzt nun mal andere Prioritäten gebe, gehen manche sogar noch weiter: Sie versuchen, die wenigen, mühsam errungenen Schritte mit Verweis auf die Pandemie schnell zu revidieren. Der tschechische Premierminister Andrej Babis forderte, die EU-Bestrebungen aufzugeben, bis 2050 klimaneutral zu werden. Die Luftfahrtbranche versucht unter Verweis auf die aktuelle Lage mit heftiger Lobbyarbeit, die EU zur Rücknahme der Emissionsregeln zu bewegen, die eigentlich ab 2021 gelten sollten. In den USA gab es kürzlich einen Aufruhr, weil republikanische Senatoren staatliche Coronahilfe auch solchen Unternehmen der Kohle- und Ölbranche zukommen lassen wollen, die schon länger angeschlagen sind. Und die Umweltbehörde EPA der US-amerikanischen Regierung kündigte ganz offiziell an, Umweltstandards während der Krise nicht durchsetzen zu wollen: Unternehmen können unter Bezugnahme auf die Pandemie und damit auf unbestimmte Zeit Grenzwerte und Verbote folgenlos überschreiten. Sie müssen die durch ihre Fabriken verursachte Luft- und Wasserverschmutzung nicht einmal mehr messen. Menschliche und natürliche Gesundheit werden damit in der aktuellen Lage doppelt aufs Spiel gesetzt.

Den nachhaltigen Wiederaufbau wagen

Die Strategie, Krisen auszunutzen für die Durchsetzung einer Politik, die unter normalen Umständen vielleicht nicht vermittelbar wäre, ist nicht neu. Die kanadische Kapitalismuskritikerin Naomi Klein stellte bereits 2007 in ihrem Buch Die Schock-Strategie die These auf, dass die politische und soziale Leere nach Kriegen und Naturkatastrophen immer wieder für systematische wirtschaftliche Umwälzungen und Deregulierung genutzt würden. Selten sei das jedoch im Interesse der Betroffenen. Neue Verhältnisse würden über die Köpfe der Bevölkerung hinweg geschaffen, die aufgrund der Krise davon viel zu spät überhaupt etwas bemerkt. Das Buch wurde bei seiner Veröffentlichung als einseitig kritisiert und es lässt die positiven Seiten der Globalisierung weitgehend außen vor. Doch im Kern trifft Klein einen wichtigen Punkt, der auch in der aktuellen Lage relevant ist: Man darf sich durch Krisen nicht blenden und das wirtschaftliche Nachspiel nur denen überlassen, die für sich selbst den größten Nutzen daraus ziehen wollen.

Man darf sich durch Krisen nicht blenden und das wirtschaftliche Nachspiel nur denen überlassen, die für sich selbst den größten Nutzen daraus ziehen wollen.

So wie einige versuchen, aus der Covid-19-Krise Kapital zu schlagen, gibt es zum Glück auch ernstzunehmende Stimmen, die dazu aufrufen, die Wirtschaft danach nicht nur irgendwie, sondern gezielt nachhaltig und zukunftsfähig wieder aufzubauen. Teils fußt das auf den Erfahrungen nach der Finanzkrise 2008. Damals wurden die Weichen eben nicht rechtzeitig gestellt: Die Emissionen sprangen nach ihrem Rückgang umso schneller wieder in die Höhe. Geld wurde überall gebraucht, da hatten Zahlungen an die Vereinten Nationen oder Investitionen in Klimaschutz für die Regierungen keine Priorität. Wertvolle Zeit ging verloren. Der Klimawandel selbst pausierte nicht.

Umso wichtiger ist, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut der Wirtschaftsforschung schreibt etwa: „In der Finanzkrise hatte man Konjunkturprogramme und Finanzhilfen für veraltete und klimaschädigende Technik ausgegeben. […] Wir wären klug beraten, diesmal nicht einfach den ,Reset‘-Knopf zu drücken.“ Kemfert ist nicht die Einzige, die fordert, dass Investitionen diesmal vor allem zukunftsfähigen Technologien und Geschäftsmodellen zugutekommen: den Erneuerbaren Energien, klimaschonenden Antrieben und Mobilitätsmodellen, nachhaltiger Landwirtschaft. Denn letzten Endes geht es auch beim Klimaschutz ums Geld und wo es hin fließt.

Schaffe, schaffe, Häusle renoviere

Die klimaverträgliche Umstellung der Wirtschaft basiert nicht auf dem Plattmachen von Industrien oder auf erzwungenem Verzicht, sondern auf Investitionen, Innovationen und richtigen Entscheidungen an der richtigen Stelle. Ja, es geht auch ums Tempo – jahrelanges Pochen auf Technologieoffenheit bringt niemanden weiter, irgendwann muss auch mal geklotzt werden.

Die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze schlug schon früh vor, „Konjunkturprogramme nach der Coronakrise so zu konzipieren […], dass sie uns helfen, die Zukunftsherausforderungen unserer Volkswirtschaft zu meistern.“ Die konkreten Ansätze, die unter Politikern und Experten kursieren, reichen von der Verlängerung von Projektfristen über finanzielle Anreize und Investitionen bis hin zu Änderungen der Gesetzgebung, zum Beispiel im Bereich der Energieeffizienz oder der Erneuerbaren Energien. Es wird erwartet, dass 2020 sowohl der Zubau von Windenergie- als auch der von Solarenergieanlagen einbrechen wird. Finanzielle Hilfe und Rückendeckung für grüne Technologien seitens der Politik könnten hier entgegen wirken, den Druck von aktuellen Projekten nehmen und neue Arbeitsplätze in zukunftssicheren Bereichen schaffen.

Die Pandemie kann uns den Ansporn geben, den Klimawandel mit derselben Dringlichkeit, Bedacht und generationsübergreifenden Solidarität anzugehen, wie jetzt unsere Gesundheitskrise.

Ein immer wieder genanntes Beispiel ist die nachhaltige Gebäuderenovierung. Die Internationale Energieagentur ruft Regierungen in der Welt dazu auf, in den energieeffizienten Umbau ihrer eigenen Gebäude – Schulen, Krankenhäuser, sozialer Wohnraum – zu investieren, damit den Weg zu weisen und gleichzeitig eine Arbeitsnachfrage zu schaffen. Auch Unternehmen wie die Deutsche Bahn könnten die Zeit jetzt nutzen, um ihre Anlagen und Schienennetze zu überholen. In manchen Bereichen sieht man bereits, wie schnell doch klimafreundliche Lösungen umgesetzt werden können. In einem Berliner Bezirk werden während der Corona-Pandemie kurzerhand neue Radwege angelegt. Zwischen Idee und Umsetzung sollen nur drei Tage gelegen haben. Die neuen Streifen sind zwar nur provisorisch; ob sie bleiben, wird erst nach der Krise entschieden. Aber erstmal sind sie da.

Man muss nur wollen

Die Corona-Krise zeigt uns: Große und tiefgreifende Änderungen sind möglich, wenn man nur will oder wenn man durch die äußeren Umstände dazu gezwungen wird. Vieles geht heute schneller und anders als wir immer gedacht haben: Die Digitalisierung von Schulen kommt endlich voran, Präsenztermine in anderen Städten werden ganz einfach ins Netz verlegt und sogar Oma nutzt jetzt Skype. Das meiste davon bleibt uns hoffentlich auch nach der Krise erhalten.

Wichtig ist es, Corona als Inspiration und die wirtschaftliche Situation als Gelegenheit zu nutzen, nicht aber als vermeintliche Hilfe im Klimaschutz falsch zu verstehen. Es kann nie positiv sein, wenn Menschen leiden und sterben, und auch das Klima soll ja geschützt werden, um genau das zu verhindern: Steigende Meeresspiegel, zunehmende Extremwetter und Hungersnöte fordern Menschenleben, die es durch Klimaschutz zu retten gilt. Die Pandemie kann uns aber den Ansporn geben, in Zukunft den Klimawandel mit derselben Dringlichkeit, Bedacht und generationsübergreifenden Solidarität anzugehen, wie jetzt unsere Gesundheitskrise. Sie sollte Anreiz sein, Klimawissenschaftlern ebenso zuzuhören wie jetzt Virologen, und Investitionen richtig zu setzen, eben nicht wie damals nach der Finanzkrise. Klimaschutz und Wiederaufbau gehen Hand in Hand. Auf die richtigen Stellschrauben kommt es jetzt an.

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