Geschlechtergerechte Sprache im politischen Wettbewerb  *innen

Geschlechtergerechte Sprache im politischen Wettbewerb Foto: Alexander Grey via unsplash | CC0 1.0

Das Gendern erhitzt die Gemüter in Deutschland, beziehungsweise: Es sind vor allem die Gegner*innen eines gendergerechten Sprachgebrauchs im rechtsextremen, aber auch im konservativen Spektrum, die das Thema instrumentalisieren. Wie erfolgreich sind sie dabei? JÁDU-Autorin Norma Schneider über das Gendern im politischen Wettbewerb.

Es gibt viele Erklärungsansätze für die Wahlerfolge der rechtsextremen Partei AfD in Deutschland – darunter eine allgemeine Unzufriedenheit mit der Regierung, Inflation und soziale Ungleichheit, ein Gefühl des „Abgehängtseins“ vor allem in Ostdeutschland, eine Sehnsucht nach (nationaler) Identität und eine aufgeheizte Migrationsdebatte. Glaubt man allerdings dem Vorsitzenden der Christdemokratischen Union (CDU) Friedrich Merz, gibt es noch einen weiteren Grund, warum Wähler*innen sich für die Partei entscheiden: die Verwendung geschlechtergerechter Sprache, das sogenannte Gendern. „Mit jeder gegenderten Nachrichtensendung gehen ein paar hundert Stimmen mehr zur AfD“, schrieb Merz 2023 auf Twitter.

Schon seit den 1970er Jahren wird vor allem in linken und feministischen Kreisen darüber diskutiert, wie Frauen in der Sprache sichtbarer werden können, zum Beispiel durch den Verzicht auf das Generische Maskulinum, bei dem Frauen als „mitgemeint“ verstanden werden. Seit einigen Jahren wird auch mehr und mehr versucht, nichtbinären Personen in der Sprache Raum zu geben, etwa durch ein * oder : vor der angeschlossenen weiblichen Wortendung. Einige Autor*innen, Redaktionen und Moderator*innen verwenden diese und andere Formen der geschlechtergerechten Sprache in den Medien. Besonderes Aufsehen erregte die Nachrichtensprecherin Petra Gerster, die bis zu ihrem Ruhestand in einer der meistgesehenen Nachrichtensendungen regelmäßig genderte – und daraufhin viele wütende Reaktionen erhielt.

Genderverbot vs. Genderzwang. Wo ist die Mitte?

Es gibt kaum etwas, was in deutschen Kommentarspalten für so viel Aufregung sorgt wie das Gendern. In den sozialen Medien finden sich viele Beispiele von Beiträgen, bei denen die Kommentare sich nicht auf den Inhalt des Beitrags beziehen, sondern sich ausschließlich darüber aufregen, dass geschlechtergerechte Sprache verwendet wurde. Mehreren Umfragen zufolge lehnt ein Großteil der Deutschen das Gendern ab. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Manchen erscheint es als unnötig und umständlich, andere sehen die Rechtschreibregeln verletzt und pochen auf eine „korrekte Verwendung der deutschen Sprache“. In vielen Fällen geht die Ablehnung tiefer, Gendern wird fundamental abgelehnt als ideologische Bevormundung und „Sprachpolizei“. Am lautesten vertreten diese Position die selbsternannte Alternative für Deutschland AfD und ihre Anhänger*innen. Doch vehemente Kritik an geschlechtergerechter Sprache findet sich bis weit in die politische Mitte hinein.

Das hat reale Folgen: In Bayern ist seit April 2024 das Gendern in Behörden und Schulen verboten. Das Verbot ermögliche es, so die Initiatoren, für eine „verständliche Sprache“ zu sorgen und „Diskursräume in einer liberalen Gesellschaft offenzuhalten“. Solche Genderverbote für Behörden, die es mittlerweile in mehreren Bundesländern gibt, befürwortet auch Friedrich Merz  und im Parteiprogramm der CDU zur Bundestagswahl Ende Februar 2025 wird ein „Gender-Zwang aus ideologischen Gründen“ abgelehnt, „weil er Barrieren errichtet, Menschen ausgrenzt und bevormunden will“. Die Partei Die Grünen kritisiert solche Positionen: „Es sind die Gegner*innen einer geschlechtergerechten Sprache, die ständig über das Gendern reden wollen. Einen Gender-Zwang herbei zu fantasieren, um ein Gender-Verbot zu fordern – das ist und bleibt absurd.“ Auch die sozialdemokratische SPD spricht sich gegen Verbote aus. Im TV-Duell zur Wahl sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): „Jeder soll es handhaben, wie er möchte.“

Im Gegensatz zu Verboten gibt es aber auch durchaus Versuche, geschlechtergerechte Sprache in Behörden zur Pflicht zu machen. 2019 beschloss zum Beispiel der Stadtrat von Hannover unter dem sozialdemokratischen Bürgermeister Stefan Schostok, dass Mitarbeitende der Stadt nur noch geschlechtsneutrale Formulierungen verwenden dürfen, also gendern müssen. Die Reaktionen waren heftig. So bezeichnete der bekannte Historiker Götz Aly, der zahlreiche Bücher zur NS-Geschichte veröffentlicht hat, dies gar als „autoritäre Barbarei“.  Diese Wortwahl macht deutlich, wie aufgeheizt die Debatte um geschlechtergerechte Sprache selbst in bürgerlich-konservativen Kreisen ist.

Kampfbegriffe an der ideologischen Front

Dass das Gendern von Rechtsextremen und Teilen des konservativen Lagers nicht als Bemühen um Offenheit und Inklusion oder als Versuch, reale Diversität in der Sprache abzubilden, begriffen wird, sondern als gefährliches ideologisches Instrument, ist Teil eines breiteren Diskurses um die Begriffe Gender, queer und woke. Diese Wörter fungieren als „Kampfbegriffe“, als Platzhalter, die „sich beliebig mit Hassobjekten füllen“ lassen, wie die Historikerin Daniela Rüther feststellt. Sie spricht von einem „diffusen Feindbild“, das sich hinter dem Wort Gender verbirgt. Teil davon kann alles sein, was die binäre Vorstellung von Geschlecht und die Norm der heterosexuellen Familie infrage stellt. Neben dem Gendern sind das zum Beispiel die Gender Studies an Universitäten, Rechte für trans Personen oder die Aufklärung von Kindern über sexuelle Vielfalt.

Die AfD arbeitet sich seit Jahren intensiv an dieser Thematik ab, Daniela Rüther spricht sogar von einer „Besessenheit von Geschlechterfragen“ in der Partei. Dabei gibt es einen klaren Bezug zu rassistischer Bevölkerungspolitik: „Gender-Ideologie“ wird als Gefahr für das deutsche Volk gesehen, da sie in Form von „Trans-Gender-Hype“ und „Frühsexualisierung“ Familien gefährde, wie es im Wahlprogramm der Partei heißt. Durch sinkende Geburtenraten und steigende Einwanderung drohe ein „Kulturabbruch“, dem durch Begrenzung der Migration, aktive Familienpolitik – und Bekämpfung des „Genderwahns“ (so ein beliebtes Schlagwort in der Rechten) entgegengewirkt werden soll.

Die Ursprünge solcher Positionen in Deutschland finden sich in den 2000er Jahren, als die rechtsextreme Kleinpartei NPD in ostdeutschen Landesparlamenten Anträge gegen „Gender-Mainstreaming“ einbrachte, die ganz ähnlich klingen wie die Anti-Gender-Anträge, die die AfD in den letzten Jahren in den Parlamenten gestellt hat. Besonderen Auftrieb bekam die Ablehnung von Gender durch die „Demo für alle“: Ab 2014 organisierte unter anderem die „Initiative Familienschutz“, ein Netzwerk, dem auch die AfD-Politikerin Beatrix von Storch angehörte, Proteste gegen Sexualaufklärung und queere Bildung. Auslöser war ein neuer Bildungsplan in Baden-Württemberg, der geschlechtliche und sexuelle Vielfalt als fächerübergreifendes Thema vorsah, was als „Versuch von Indoktrinierung und Frühsexualisierung“ gewertet wurde.

Dass sich die Kampagnen gegen Gender und queer von AfD und anderen rechten Akteur*innen vor allem gegen eine vermeintliche Ideologie und Indoktrination richten, und nicht etwa explizit gegen schwule oder lesbische Personen, macht diese Positionen auch für konservative homosexuelle Menschen anschlussfähig. 2016 gründete sich sogar eine „Bundesinteressengemeinschaft Homosexuelle in der AfD“, die sich gegen den „Genderwahn“ positionierte und in ihren Leitlinien betonte, Homosexualität sei Privatsache und solle Kindern in Schulen nicht als Thema „aufgedrängt“ werden. „Wenn woke Queerness der Feind ist, können sich Lesben und Schwule auf Seiten der Normalen stellen“, analysiert der Kulturanthropologe Patrick Wielowiejski im Gespräch mit der Tageszeitung taz. So lässt es sich auch erklären, dass die AfD mit Alice Weidel eine offen lesbische Vorsitzende hat. In einem Interview mit dem ZDF betonte sie: „Ich bin nicht queer, sondern ich bin mit einer Frau verheiratet, die ich seit 20 Jahren kenne.“ Aktuelle Umfragen zeigen auch, dass die AfD viel Zustimmung unter schwulen Männern genießt.
Was das eigene Weltbild infrage stellt, zur Ideologie zu erklären, ist weniger anstrengend, als Dinge zu überdenken, anerkennen zu müssen, dass die Menschen und ihre Identitäten und Lebensweisen komplexer und diverser sind, als man dachte. Kein Wunder, dass so viele sich dagegen wehren.

Rechtsextreme Positionen in der politischen „Mitte“

Das Feindbild Gender ist diffus genug, um eine große Bandbreite an Menschen zu mobilisieren. Schon bei der „Demo für alle“ fanden sich Rechtsradikale neben Kirchenvertreter*innen und Elterngruppen. Das Thema eignet sich gut als eine Art „Einstiegsdroge“ in rechte Diskurse, denn anders als zum Beispiel bei offenem Rassismus ist es leicht, Anti-Gender-Positionen als vermeintlichen „gesunden Menschenverstand“ darzustellen. Schließlich werde ja nur das „Normale“ verteidigt, was eigentlich selbstverständlich zu sein scheint: Dass es von Natur aus zwei Geschlechter gebe, dass eine Familie aus Vater, Mutter und deren Kindern bestehe, dass Kinder vor Indoktrination geschützt werden sollten – oder auch dass es in der deutschen Rechtschreibung nicht vorgesehen sei, Sternchen mitten in Wörter zu platzieren.

Für diejenigen, die eine solche Haltung vertreten, kann Gendern sich anfühlen wie ein Angriff, ein Vorwurf, weil die Art, wie man „schon immer“ gesprochen hat, plötzlich nicht mehr richtig sein soll. Was das eigene Weltbild infrage stellt, zur Ideologie zu erklären, ist weniger anstrengend, als Dinge zu überdenken, anerkennen zu müssen, dass die Menschen und ihre Identitäten und Lebensweisen komplexer und diverser sind, als man dachte. Kein Wunder, dass so viele sich dagegen wehren. Hat Friedrich Merz also recht, wenn er sagt, dass geschlechtergerechte Sprache Wähler*innen zur AfD treibt? Nur wenn man es als unumstößlich ansieht, dass viele Menschen das Gendern ablehnen. Man könnte versuchen, das zu ändern, vermittelnd auf die Kritiker*innen des Genderns zugehen, besonnen Fakten benennen und sich bemühen, Verständnis für die Komplexität des Themas zu schaffen. Doch solche Stimmen sind im aufgeheizten Diskurs kaum sichtbar.

Stattdessen tragen Merz und seine Partei selbst dazu bei, dass sich die Ablehnung des Genderns weiter verfestigt. Indem sie das Narrativ der „Gender-Ideologie“ und der Bevormundung durch das Gendern verbreiten, helfen sie dabei, eine diffuse Queerfeindlichkeit zu schüren und rechtsextreme Positionen in der politischen Mitte zu verankern. So wird die Polarisierung weiter vorangetrieben, in der sich schon jetzt zwei unvereinbare Positionen gegenüberstehen. Die einen fordern Rechte und Sichtbarkeit für queere Menschen und vielfältige Geschlechtsidentitäten, während die anderen die Existenz dieser Identitäten leugnen und die Rede von ihnen als manipulative Ideologie ablehnen. Für die einen sind „Genderverbote“ ein Garant für Redefreiheit, während sie für die anderen genau das Gegenteil sind – die Einschränkung der Freiheit, so zu sprechen, dass niemand ausgeschlossen wird. Eine Auflösung dieses Widerspruchs ist nicht in Sicht.

Perspectives_Logo Dieser Artikel ist eine Co-Produktion, die JÁDU gemeinsam mit unserem Medienpartner revue Prostor durchgeführt hat. Seine Veröffentlichung ist Teil von PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES

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