Politiker*innen in europäischen Staaten, darunter auch in Polen, sprechen immer häufiger davon, dass Grenzen geschlossen werden sollten, um Migrant*innen und Geflüchtete aufzuhalten. Das kann den Eindruck erwecken, dass die europäischen Standards sich verändern. Das Gegenteil ist wahr. Viele der diskutierten Maßnahmen verletzen europäisches Recht.
Die von der polnischen Regierung im Oktober 2024 beschlossene Migrationsstrategie bestimmt das Vorgehen des Staates speziell an der polnisch-belarusischen Grenze. Obwohl die Strategie viele Themen miteinbezieht, sind die Probleme an der polnisch-belarusischen Grenze der Maßstab für die Migrationspolitik der Regierung.Es besteht kein Zweifel daran, dass eine Migrationspolitik den Handlungsrahmen eines jeden Staates bestimmen sollte. Migration ist ein globales Phänomen und entwickelt sich dynamisch. Es wird geschätzt, dass in den nächsten 30 Jahren 1,5 Milliarden Menschen von Migration betroffen sein werden. Es ist also zu erwarten, dass die Zahl Zugewanderter in der Europäischen Union steigen wird. Polen muss damit rechnen, dass es wegen seiner Ostgrenze, die gleichzeitig eine Grenze des Schengenraums ist, unter Druck geraten wird.
Die massenhafte Ankunft von Migrant*innen wurde nach dem russischen Angriff in der Ukraine als Problem deutlich sichtbar. Polen war für die Aufnahme so einer großen Zahl von Kriegsflüchtlingen nicht vorbereitet. Nur dank der Bereitschaft der Zivilgesellschaft konnte die Migrationskrise eingedämmt werden. Obwohl es zuvor bereits die Krise in der Gemeinde Usnarz Górny an der polnisch-belarusischen Grenze gab, nachdem dort eine Gruppe von Migrant*innen aus Afghanistan angekommen war, war die Situation allerdings aufgrund der Politik des polnischen Staates und dessen Sicht auf irreguläre Migration völlig anders. Folglich wurden Migrant*innen und Geflüchtete aus fernen Ländern, Kulturen und Religionen anders behandelt.
Die Situation an der polnisch-belarusischen Grenze, provoziert durch das russisch-belarusische Regime, machte sichtbar, dass die zuständigen Institutionen nicht richtig funktionierten. Chaotische Maßnahmen wie Mauerbau, Verhängung des Ausnahmezustands, verfassungs- und völkerrechtswidrige Bestimmungen waren der Beweis dafür, dass es in der Migrationspolitik keine Richtung gab. Es war also notwendig, eine Richtung und Regeln zu bestimmen. Die Migrationspolitik sollte die geopolitische, wirtschaftliche und demografische Lage berücksichtigen sowie die Sicherheit und internationale Verpflichtungen in Bezug auf Achtung der Menschenrechte beachten.
Prager Solidaritätsdemonstration (22. November 2021) mit Menschen auf der Flucht und gegen das Vorgehen der tschechischen Regierung und der Europäischen Union. | Foto: © Petr Zewlakk Vrabec
Polnische Migrationspolitik allgemein
Die von der polnischen Regierung beschlossene Migrationspolitik betrifft institutionelle Fragen, Zugang zum Hoheitsgebiet Polens, Zugang zu Asylverfahren, Zugang zum Arbeitsmarkt, Bildung, Repatriierung, Staatsbürgerschaft und Kontakt mit der Diaspora. Im Mittelpunkt steht die Sicherheit des Staates und die Ansicht, dass Migration das Sicherheitsgefühl der polnischen Gesellschaft nicht beeinflussen darf.Es ist klar, dass jedes Land Gesetzte verabschieden muss, die die Sicherheit gewährleisten. Doch die Anwesenheit von Ausländer*innen mit dem Sicherheitsgefühl von Polen und Polinnen in Zusammenhang zu bringen weist auf eine negative Einstellung gegenüber Migrant*innen hin und festigt feindliche Haltungen in polnischer Gesellschaft. Denn es bedeutet, die Zahl von Migrant*innen einzuschränken und die Menschen selbst zu kontrollieren, damit sie kulturelle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Erwartungen von Polen und Polinnen erfüllen.
Man spricht dann von einem selektiven Ansatz in der Migrationspolitik. Dadurch soll sie effektiv sein und für „reibungslose Integration von Ausländer*innen in das Aufnahmeland” sorgen. Mit dieser Haltung wird die Annahme deutlich, dass negative Einstellungen gegenüber Geflüchteten zu weiteren Restriktionsmaßnahmen in Rahmen der Migrationspolitik beitragen können.
Die Regierung hat auch Einschränkungen im Zugang zum Asyl unter der Berücksichtigung von „Regeln des Humanitarismus und praktischer Umsetzung der Menschenrechte“ angekündigt. Diese Formulierung erweckt ernsthafte Sorge und Unverständnis. Einerseits unterstreicht die Regierung die Achtung der Menschenrechte und des humanitären Umgangs mit Einwanderer*innen, darunter Geflüchteten, andererseits drückt sie die Möglichkeit aus, das Asylrecht auszusetzen.
Prager Solidaritätsdemonstration (22. November 2021) mit Menschen auf der Flucht und gegen das Vorgehen der tschechischen Regierung und der Europäischen Union. | Foto: © Petr Zewlakk Vrabec
Migrationspolitik und die europäischen Standards
Die derzeitige Regierung hat bemängelt, dass es keinerlei richtungsweisende Programme in der Migrationspolitik der letzten Regierung gab. Sie listet zu Recht auf: chaotische Maßnahmen, Visaerteilung in großem Ausmaß, Probleme mit der so genannten Polenkarte (Karta Polaka), keine Strategie für den Kontakt mit der polnischen Diaspora, keine Integrationspolitik, falsche Rechtsvorschriften.Die Regierung betont jedoch, dass die Migrationspolitik den gesellschaftlichen Erwartungen der Polinnen und Polen entsprechen muss. Es wird nicht auf die Notwendigkeit von Bildungsmaßnahmen hingewiesen, die Aufgeschlossenheit fördern würden. Eine verantwortungsvolle Strategie sollte ein Bildungsprogramm beinhalten, das sich an verschiedene Gesellschaftsgruppen richtet und die langjährigen Propaganda-Narrative widerlegt, die Ressentiments gegen Ausländer*innen genährt haben.
Das der Strategie zugrundeliegende Sicherheitsbedürfnis bezieht sich auf militärische, innenpolitische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen. Doch die Sicherheit hat ein größeres Ausmaß, zum Beispiel in Hinblick auf Umwelt, Kultur und Bildung. Auf diese Sicherheitspunkte bezieht sich die Strategie entweder bruchstückhaft oder gar nicht, wie im Fall der Klimasicherheit.
Ein wichtiger Punkt in der Erklärung der Regierung betrifft den bereits vom Rat der Europäischen Union beschlossenen Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl. Die Regierung findet, dass die darin formulierten Lösungen nur scheinbar sind und zeigt damit ihre negative Einstellung gegenüber dem Pakt. Besorgniserregend ist die Feststellung, es sei nötig das internationale Recht in Bezug auf internationale wie nationale Sicherheit zu ändern. Viele Hinweise in der Strategie beziehen sich auf die Notwendigkeit, internationales Recht zu ändern. Polen ist jedoch als Mitgliedsstaat der EU verpflichtet, das EU-Recht anzuwenden.
Durch andere internationale Verträge ist Polen wiederum verpflichtet, Völkerrecht zu beachten. Doch Polen verletzt diese Verträge. Folgende Abkommen wurden durch die gesetzgebende Gewalt und Exekutive verletzt: das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes, das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Übereinkommen von Istanbul) und die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Selektiver Ansatz gegenüber Migrant*innen
Es wurden Rechtsvorschriften angenommen, die mit dem Völkerrecht im Widerspruch standen. Ein Beispiel ist die Verordnung des Ministers für Inneres und Verwaltung, die Pushbacks erlaubt, beziehungsweise geht es um Änderungen im Ausländergesetz, die ein scheinbares Verfahren gegenüber Ausländer*innen erlauben, deren Folge aber Pushbacks sind, ohne dass eine Beschwerde gegen einen Beschluss erhoben werden darf. Negative Beurteilungen dieser Maßnahmen kommen in vielen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte der Woiwodschaften zum Ausdruck sowie in Stellungnahmen des Menschenrechtskommissars des Europarats, des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen für die Menschenrechte von Migranten sowie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.An vielen Stellen in der Strategie wird betont, dass unterschiedliche Regelungen gegenüber Ausländer*innen nötig seien, insbesondere in Bezug auf das Betreten des polnischen Hoheitsgebiets. Das Schlüsselwort in der Strategie ist „Selektivität“ in Bezug auf Migrant*innen. Die Selektivität hängt unter anderem von den Herkunftsländern der Migrant*innen und von der Notwendigkeit strategischer Investitionen ab. Es wird zwar die Möglichkeit erwähnt, humanitäre Visa zu erteilen. Es ist jedoch unklar, auf welcher Grundlage und in welchem Ausmaß.
Die Strategie sorgte aufgrund der angekündigten restriktiven Maßnahmen beim Zugang zum Asyl für viele Diskussionen. An dieser Stelle soll der Artikel 56 der Verfassung angeführt werden: „Ausländer genießen in Polen gemäß den durch das Gesetz bestimmten Regelungen das Asylrecht“. Im Artikel 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union steht es: „Das Recht auf Asyl wird nach Maßgabe des Genfer Abkommens vom 28. Juli 1951 und des Protokolls vom 31. Januar 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge sowie gemäß dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft gewährleistet“. Wichtig ist vor allem die Rechtsprechung internationaler Gerichtshöfe. Viele Asylverfahren und Verfahren zum rechtlichem Status von Migrant*innen werden durch den Europäischen Gerichtshof und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden. Die Feststellung „oft geht der reale Grenzschutz mit den aktuellen Standards des Schutzes der Rechte von Migrant*innen, die auf der Grundlage der Rechtsprechung internationaler Gerichtshöfe gestaltet werden, nicht einher“ zeigt die Absicht der Regierung, die Rechtsprechung internationaler Gerichtshöfe nicht mehr zu beachten.
Prager Solidaritätsdemonstration (22. November 2021) mit Menschen auf der Flucht und gegen das Vorgehen der tschechischen Regierung und der Europäischen Union. | Foto: © Petr Zewlakk Vrabec
Die Regierung sollte im Geiste des Humanismus handeln
Es muss betont werden, dass die EU-Staatsoberhäupter, darunter der polnische Präsident Andrzej Duda, sich auf dem vierten Gipfel des Rats der Europäischen Union im Mai 2024 verpflichtet haben, Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu vollstrecken. Rechtsprechung internationaler Gerichtshöfe in Frage zu stellen ist kein angemessenes Vorgehen eines Staates, der verpflichtet ist, Gesetze loyal umzusetzen und Rechtsprechung anzuerkennen. Die Ankündigung, Asylanträge auf eine unbestimmte Zeit nicht mehr anzunehmen, hat sehr gravierende Reaktionen in der Fachwelt und in der Wissenschaft hervorgerufen. Die Kompatibilität dieses Schrittes mit der polnischen Verfassung, der Genfer Konvention, der Charta der Grundrechte der EU, des Vertrags über die Arbeitsweise der EU, und des Sekundärrechts der EU wird bezweifelt.Die Strategie zeigt, dass der polnische Staat das Völkerrecht in Bezug auf das Betreten seines Hoheitsgebiets ändern will. Das hört sich genauso gefährlich an wie die Bestrebungen der polnischen Regierung, Asylgesetze zu verändern. Noch einmal: In der Strategie steht geschrieben, dass die Regierung auf der Grundlage der „Regeln des Humanitarismus und praktischer Umsetzung der Menschenrechte“ handeln soll. Die eingeführten Bestimmungen sollen sorgen für: einen Mechanismus der parlamentarischen Kontrolle, den Schutz von gefährdeten Gruppen und das Nutzen der Erfahrung anderer Länder. Es gibt allerdings keinen Hinweis darauf, dass die polnische Verfassung eingehalten werden soll. Gleichzeitig wurde angekündigt, die polnisch-belarusische, die polnisch-russische und teilweise die polnisch-ukrainische Grenze zu verstärken, Schutzwälle zu bauen und Pufferzonen einzurichten. Eine solche Haltung gegenüber Migration wird zu Problemen führen, weil sie Menschenrechte missachtet. Die Migrationsstrategie darf nicht im Widerspruch mit den durch Polen abgeschlossenen internationalen Verträgen stehen.
Pushbacks
Die letzten Erfahrungen in der Migrationspolitik zeigten einerseits die steigende Repression durch den Gesetzesapparat und durch die Streitkräfte, andererseits die Öffnung der Grenzen für Gruppen, die sich Visa im Zuge von Rechtsverletzungen verschafft haben. Es wurde angekündigt, „ein wirksames System von freiwilliger und erzwungener Rückführung für diejenigen, deren Asylanträge unbegründet oder unzulässig sind“ aufzubauen. Zwangsrückführungen sind nicht wirksam, wenn in den Herkunftsländern der Migrant*innen Krieg herrscht. Weder Migrant*innen noch Geflüchtete dürfen in Länder zurückgeführt werden, in denen ihnen Gefahr droht. Das ist der internationale Standard, der leider in Polen nicht eingehalten wird, denn dort werden Migrant*innen und Geflüchtete auf das Gebiet eines gefährlichen Staates wie Belarus abgeschoben.Der in dem Dokument formulierte Grundsatz, den Maßnahmen liege die Prämisse „kein Tod an der Grenze” zugrunde, wurde auf die Gefahr für Leib und Leben der Grenzschutzbeamten bezogen. Es wurde angekündigt, dass es Such- und Rettungseinsatzgruppen im Rahmen der Grenzschutzbehörden geben wird.
Die Regel „kein Tod an der Grenze“ sollte jedoch auch für Migrant*innen gelten. Über 80 Menschen sind bereits an der polnisch-belarusischen Grenze ums Leben gekommen. Größtenteils sind dafür Pushbacks verantwortlich, aber auch falsche, brutale Handlungen der Grenzschutzbeamten und anderen uniformierten Einsatzkräften, worüber in Berichten internationaler Behörden und Aktivist*innen zu lesen ist.
Es sollte die enorme Rolle betont werden, die Aktivist*innen und die mit ihnen zusammenarbeitenden Psychologen sowie Ärzte ohne Grenzen bei der Rettung der Opfer dieser Krise spielen. Sie sind es, die Such- und Rettungaktionen durchgeführt haben und dafür oft schikaniert wurden. Die Arbeit der Aktivistengruppen wird immer schwieriger, da sie verfolgt werden, zum Beispiel in dem Strafverfahren gegen sie eingeleitet werden. An dieser Stelle lohnt es sich, die Empfehlung des Menschenrechtskommissars anzuführen: „Europa muss der Unterdrückung der Verteidiger der Menschenrechte ein Ende setzen, die Geflüchteten, Asylbewerber*innen und Migrant*innen helfen“. Die Empfehlung richtet sich an 46 Staaten und thematisiert die Stigmatisierung von Aktivist*innen, Kriminalisierung humanitärer Hilfe und Einschränkungen ihrer Arbeit der in Gesetz und in der Praxis. Polen ist keine Ausnahme.
Prager Solidaritätsdemonstration (22. November 2021) mit Menschen auf der Flucht und gegen das Vorgehen der tschechischen Regierung und der Europäischen Union. | Foto: © Petr Zewlakk Vrabec
Eine Migrationsstrategie fehlt
In der Strategie stehen auch viele Themen hinsichtlich des Arbeitsmarktes, der Bildung und Diaspora, die ich hier nicht anspreche. Diese Themen sind sehr wichtig, insbesondere der Zugang zum Arbeitsmarkt, der Zugang der Kinder zum Bildungssystem, das Erlernen der polnischen Sprache. Sie bedürfen allerdings einer ausführlichen Ausarbeitung. Die bisherigen Erfahrungen mit der Wirksamkeit des Polnischunterrichts und die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt waren Gegenstand vieler Expertenberichte und der negativen Bewertung im Bericht des Obersten Rechnungshofs. Der Bedarf der Wirtschaft erfordert flexible Maßnahmen, die ein Teil der Strategie sein sollten. Wenn es um den Arbeitsmarkt geht, wird Polen viele Verordnungen und Richtlinien umsetzen müssen, die sich aus den Verpflichtungen des Europäischen Paktes zu Einwanderung und Asyl ergeben. Polnische Arbeitgeber berichten jetzt schon von Schwierigkeiten, Ausländer einzustellen. Kritische Stimmen gab es auch über die Visaerteilung an ausländische Studierende. Daher muss man sich mit diesen Problemen eingehender auseinandersetzen.Es muss hervorgehoben werden, dass vor der Ausarbeitung der Strategie, obwohl sie so wichtig ist, keine öffentliche Konsultation stattgefunden hatte. Es steht in der Strategie kein Wort über ein Gesetz, dass extreme Maßnahmen und Abschiebungen auf ein Gebiet eines gefährlichen Staates erlaubt.
Ein positives Element im Asylverfahren soll Kontrolle durch den Beauftragten für Kinderrechte und den Ombudsmann sein. Es fehlt allerdings die Anerkennung der Rolle der gemeinnützigen Organisationen bei der Hilfeleistung für Migrant*innen und Geflüchtete. Die Migrationsstrategie umfasst keine Maßnahmen, die den europäischen Standards gleichen, die in der Rechtsprechung gelten und im EU-Recht stehen.
Der Europäische Rat: die Zeiten sind turbulent, aber das Gesetz muss eingehalten werden
Das Migrationsproblem betrifft alle EU-Mitgliedsstaaten. Die Bevölkerung in diesen Ländern bringt immer häufiger Sorgen zum Ausdruck, dass es einen Migrationsdruck gebe, ohne dass er richtig gehandhabt werde.Der Europäische Rat hat am 17. Oktober 2024 Schlussfolgerungen zu Maßnahmen der Migrationspolitik angenommen. Darin wird betont, dass turbulente Zeiten Maßnahmen erfordern, die auf internationalem Gesetz beruhen. Er erinnert an die Verpflichtung, Urteile der internationalen Gerichtshöfe umzusetzen, sowie an die rechtliche Unterstützung, die sie bieten. In Bezug auf Migration hat der Europäische Rat es für nötig erklärt, die EU-Bestimmungen umzusetzen, einen sicheren und legalen Weg für Migrant*innen zu gewährleisten und Rückführungen zu beschleunigen. Die durch Russland und Belarus verursachte Situation bedarf entsprechender Reaktionen, und einen wirksamen Schutz der Außengrenzen der Europäischen Union – allerdings im Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht geschehen. Auch die Bekämpfung unregulierter Migration müsse im Einklang mit dem EU-Recht und dem Völkerrecht geschehen.
Die polnische Strategie spricht von „illegaler Migration“, während in Dokumenten der EU, des Europarates und internationaler Organisationen von „nicht-regulierter Migration“ die Rede ist. Es muss betont werden, dass man nicht „illegale Migrant*innen“ sagen soll, denn kein Mensch ist illegal. Wir sollten Bezeichnungen verwenden, die üblicherweise in den Vereinten Nationen, der EU und dem Europarat verwendet werden.
In der polnischen Strategie gibt es keine eindeutige Bestätigung, dass das Völkerrecht und das EU-Recht eingehalten werden. Die polnische Strategie, es muss noch einmal betont werden, distanziert sich vom Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl. So kann die Strategie als Maßnahmen verstanden werden, die der Idee europäischer Solidarität und von der EU vorgeschlagenen Lösungen widersprechen.
Meiner Meinung nach sollte man die Strategie als Ausgangspunkt für einen Dialog mit Expert*innen und der Zivilgesellschaft nehmen, damit ein umfassendes Dokument erstellt werden kann, über das Konsens herrscht.
Der Menschenrechtskommissar: Pushbacks sind illegal
Ich habe nicht vor, die bisherige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Migrationsverfahren zu analysieren. Ich möchte allerdings die negative Stellungnahme des vorherigen und des aktuellen Menschenrechtskommissars des Europarats über Pushbacks, die in vielen Ländern passieren, hervorheben.In Polen waren und sind Pushbacks ein grundlegendes Instrument der Grenzschutzbeamten. Die beiden Menschenrechtskommissare beurteilen Pushbacks als eine gemäß Völkerrecht illegale Maßnahme, insbesondere laut der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Menschenrechtskommissar Michael O’Flaherty hat dem Europäischen Gerichtshof eine Stellungnahme zu Situationen in Litauen, Lettland und Polen vorgelegt. Im Rechtsfall „R. A. und andere gegen Polen“ geht es um Pushbacks von 32 afghanischen Staatsangehörigen in Usnarz Górny. Der Menschenrechtskommissar hat auf folgende Probleme hingewiesen: schwieriger Zugang zum Antrag auf internationalen Schutz, keine individuelle Beurteilung der Lage des jeweiligen Migranten, erschwerter Zugang zum Rechtsbeistand. E hat betont, dass das Abschieben zurück auf den Grenzstreifen, also eine Kollektivausweisung, immer noch andauert und viele Gruppen von Migrant*innen betrifft (vom Dezember 2023 bis Juni 2024 wurden 7317 Personen nach Belarus zurückgeschickt).
Der Menschenrechtskommissar hat bemängelt, dass die Einrichtung einer Pufferzone den Aktivist*innen die Hilfeleistung deutlich erschwert hat. Der Schutz im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention bedeutet, dass Folter und unmenschliche, unwürdige Behandlung verboten sind, und das Familien- und Privatleben geachtet werden.
Der Menschenrechtskommissar hat auf viele Fragen im Verfahren „R. A. und andere gegen Polen“ Bezug genommen, aber vor allem auf die allgemeine Situation und den Umgang mit Migrant*innen. Äußerst wichtig ist die Beurteilung, dass Migration instrumentalisiert wird, als eine Bedrohung wahrgenommen wird, was dazu führt, dass die Lage von Geflüchteten und Migrant*innen nicht ernst genommen und als weniger wichtig eingestuft wird als der Schutz des Staates. Gremien des Europarats, darunter die Parlamentarische Versammlung, haben betont, dass die Verpflichtungen aus der Europäischen Menschenrechtskonvention eingehalten werden sollten. In der polnischen Migrationsstrategie findet man leider keinen Bezug auf die Verpflichtungen, die sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention ergeben, dessen Beachtung die Voraussetzung der Mitgliedschaft im Europarat ist.
Der Menschenrechtskommissar hält Kollektivausweisungen in Polen für ein systemisches Problem. Gleichzeitig erkennt er die wichtige Rolle der Menschenrechtsaktivist*innen an, die Geflüchteten, Migrant*innen und Asylbewerber*innen helfen.
Prager Solidaritätsdemonstration (22. November 2021) mit Menschen auf der Flucht und gegen das Vorgehen der tschechischen Regierung und der Europäischen Union. | Foto: © Petr Zewlakk Vrabec
Schlussfolgerung: Wir dürfen die europäischen Standards nicht verwerfen
Migrationspolitik erfordert tiefgreifende Überlegungen, bei denen die Standpunkte internationaler Gerichte miteinbezogen werden müssen. Wichtig sind auch die Bestimmungen des Europäischen Gerichtshofes in Bezug auf Migration, insbesondere in den abgeschlossenen Verfahren gegen Ungarn und Litauen, in welchen das Grundproblem Pushbacks sind. Die europäischen Länder sprechen immer häufiger davon, dass die Grenzen undurchdringlich gemacht werden müssten, dass Geflüchtete und Migrant*innen nicht eingelassen werden sollten. Ich betone, dass sie damit gegen das EU-Recht verstoßen.Wenn Polen das Völkerrecht nicht beachtet, beachtet es die europäischen Standards und die daraus resultierenden Verpflichtungen nicht. Dies wird begleitet von politischen Narrativen, die manchmal die Form von Hassrede annehmen. Langfristig fördern solche Maßnahmen und Botschaften einen Populismus, das Prägen von feindlichen Haltungen gegenüber „Fremden“ oder „Anderen“. Man darf die geopolitische Lage in Europa und die Instrumentalisierung der Migration nicht vergessen. Die Migrationspolitik sollte jedoch unter Berücksichtigung des EU-Rechts entwickelt werden. Werte und Gesetzte, die uns vor dem Chaos im internationalen Raum schützen, sollte man nicht verwerfen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der polnischen Zeitschrift Kultura Liberalna, einer unserer Medienpartner für PERSPECTIVES – dem neuen Label für unabhängigen, konstruktiven, multiperspektivischen Journalismus. JÁDU setzt dieses von der EU co-finanzierte Projekt mit sechs weiteren Redaktionen aus Mittelosteuropa unter Federführung des Goethe-Instituts um. >>> Mehr über PERSPECTIVES
November 2024