Betrüger, Hochstapler, Blender  Das Entscheidende passiert auf der emotionalen Ebene

Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke: „Egal, wie sympathisch ein Mensch ist: Man sollte trotzdem genau hinsehen.“
Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke: „Egal, wie sympathisch ein Mensch ist: Man sollte trotzdem genau hinsehen.“ Foto: © Manfred Esser

Falsche Piloten, Gurus, Love-Scammer oder doch nur der Aufschneider von nebenan: Manche Menschen erfinden ganze Lebensläufe, erschleichen sich Gefallen, Liebe, Geld – und kommen damit auch noch durch. Was steckt dahinter? Die Kriminalpsychologin Lydia Benecke hat nachgeforscht und die Ergebnisse in ihrem neuen Buch zusammengefasst.

Thomas Salme, geboren 1969 in der Nähe von Stockholm, ist laut Benecke ein klassisches Beispiel für einen Hochstapler. Salme hatte ein großes Ziel: Pilot wollte er werden, die ganz großen Düsenmaschinen bedienen. Aber ihm fehlte das Geld für die Ausbildung. Also aus der Traum? Keineswegs. Mit einer Erbschaft finanzierte sich Salme zunächst einen kleinen Flugschein. Dann bekam er über einen Freund die Möglichkeit, einen echten Flugsimulator auszuprobieren. Nach den ersten zaghaften Versuchen ging eine Veränderung in ihm vor: Er wollte den Simulator unbedingt meistern. Wo ihm aufgrund der mangelnden Ausbildung Fachwissen fehlte, lernte er ganze Teile der Anleitung auswendig. So brachte er sich nach und nach autodidaktisch das Fliegen bei.

Die Pilotenlizenz bastelte sich Salme selbst und auch noch den passenden Lebenslauf. Seine Ausbildung genoss er angeblich bei Aladdin-Airlines. Das Feld für den Stempel – den er natürlich nicht besaß – ließ er einfach frei. Damit bewarb er sich bei einer italienischen Fluggesellschaft, mit Erfolg. Jahrelang beförderte er Menschen rund um den Globus. Ein anonymer Hinweis beendete sein Dasein im Cockpit.

Von Angeberei bis Betrug – Die Grenzen sind fließend

Die Frage, die Menschen sich bei dieser Geschichte stellen ist: Wie ist sowas möglich? Auch Psychologin Lydia Benecke wollte es genauer wissen. Ihre Motivation war zudem noch persönlicher Natur. „Ich bin nämlich als junge Frau selbst mal auf einen Hochstapler hereingefallen. Und es hat sehr lange gedauert, bis ich das alles durchschaut hatte. Für mein Buch wollte ich der Frage nachgehen: Was passiert da eigentlich genau? Wieso können manche Menschen ein vollkommen falsches Bild so lange und so glaubhaft aufrechterhalten?“

Benecke unterscheidet in ihrem Buch unterschiedliche Typen manipulativer Menschen, beispielsweise Blender*innen, Hochstapler*innen und Betrüger*innen. Blender*innen geht es vor allem ums Image: Große Autos und sonstige Statussymbole sollen beeindrucken. Hochstapler*innen erfinden für sich selbst Fähigkeiten oder Ressourcen, die sie gar nicht haben. Betrüger*innen setzen Manipulation gezielt ein, um sich finanziell zu bereichern. Die Grenzen können fließend sein und nicht jede Manipulation ist automatisch kriminell. So ist der Party-Aufschneider, der den gemieteten Ferrari als seinen eigenen ausgibt, zwar ein Blender, jedoch nicht juristisch problematisch. Wer seine (Online)Liebe aber gezielt um Geld bringt, begeht eine Straftat.

Das neue Buch von Lydia Benecke erscheint 2023. Das neue Buch von Lydia Benecke erscheint 2023. | © Bastei Lübbe

Es braucht mehr als einen erfundenen Lebenslauf

Über den Fall Salme lässt sich laut Benecke zunächst eines sagen: „Das waren die 90er. Heute würde das so nicht mehr funktionieren.“ Durch das Internet lassen sich die Angaben von Personen deutlich leichter überprüfen, auch internationale Kommunikationswege sind besser und schneller geworden. Heute hätten ein paar Klicks bereits die eine entscheidende Lücke in Salmes Geschichte gezeigt, denn: Aladdin-Airlines existiert gar nicht.

Doch um zu überzeugen, braucht es laut Benecke mehr als einen hübsch erfundenen Lebenslauf: „Das Entscheidende passiert auf der emotionalen Ebene.“ Benecke nennt drei Merkmale von erfolgreichen Manipulator*innen: „Sie sind äußerst selbstbewusst und strahlen das auch aus. Sie haben keine Angst, erwischt zu werden. Und sie besitzen die Fähigkeit, bei anderen ein gutes Gefühl zu erzeugen.“ Wer beim ersten Eindruck mit Sympathien punkten kann, ist seinem Ziel schon sehr nahe. „Das Gehirn verarbeitet vor allem die emotionalen Reize. Das kritische Denken wird dadurch beeinträchtigt. Reine Sachinformationen werden weniger hinterfragt.“ Am Beispiel Thomas Salme bedeutet das: Er trat bei seiner Bewerbung smart auf, sein Gegenüber sah offenbar keinen Grund, ihm zu misstrauen. Außerdem: Wer erfindet schon eine komplette Airline?

Und was ist mit Intuition?

Benecke warnt: „Vorsicht beim Bauchgefühl.“ Sobald nämlich ein bestimmter Eindruck entstanden ist, kommt es häufig zum sogenannten Bestätigungsfehler. Dies bezeichnet in der Kognitionspsychologie die Neigung, Informationen so zu selektieren und zu interpretieren, dass die eigenen Erwartungen erfüllt werden. Was nicht ins Bild passt, wird weniger beachtet, manchmal ganz ausgeblendet.

Warum das Entlarven so schwer fällt

Vor allem im beruflichen Kontext bauen sich erfolgreiche Manipulator*innen ein ganzes System an Unterstützer*innen. Oft dauert es lange, bis erste Unstimmigkeiten auffallen. Wenn dann eine Person anfängt, zu hinterfragen, muss sie im Zweifel um die eigene Reputation fürchten. Dann wiederum greift laut Benecke das Prinzip der Verantwortungsdiffusion. Bedeutet: Die allgemeine Verantwortung wird auf alle anwesenden Personen aufgeteilt. Der Gedankengang lautet dann in etwa: „Warum sollte ausgerechnet ich eingreifen? Kolleg*in Müller könnte das doch auch tun.“ Am Ende kann etwas eintreten, was Benecke das „Des-Kaisers-neue-Kleider-Prinzip“ nennt: Alle sehen, dass der/die Vorgesetzte unfähig ist – aber niemand sagt etwas, aus Angst, am Ende selbst schlecht da zu stehen.

Auf der Beziehungsebene funktioniert es im Prinzip genauso: Es werden gute Gefühle erzeugt. „Bei Menschen, die verliebt sind, ist die Wahrnehmung weichgezeichnet“, so Benecke. „Da ist es schwer, Fakten oder Widersprüche zu sehen.“ Bei einer gezielten Manipulation wird zudem eine emotionale Abhängigkeit geschaffen. Zuerst kommt das sogenannte „Love-Bombing“: „Das Zielobjekt wird regelrecht überschüttet mit Aufmerksamkeiten, Zärtlichkeiten, Geschenken“, beschreibt Benecke. „Menschen genießen das und wollen mehr davon.“ Und dann kommen plötzlich Forderungen. Nach Geld, nach Gefallen. Opfer der sogenannten Loverboys lassen sich beispielsweise mithilfe solcher Strategien gegen ihren Willen zur Prostitution drängen.

Auch Sekten gehen nach diesem Prinzip vor: Positive Aufmerksamkeit, Abhängigkeit, Forderungen. Das Bemerkenswerte: Die Sektenstruktur muss noch nicht einmal echt sein. Benecke stieß bei ihren Recherchen auf den Dokumentarfilmer Vikram Gandhi. Dieser wagte ein Experiment: Er erfand eine fiktive Sekte und gab sich selbst als Guru Sri Kumaré aus. Das Ganze hatte so durchschlagenden Erfolg, dass Gandhi selbst ganz erschüttert war. „Die Menschen“, berichtet Benecke, „wurden so schnell so abhängig, dass der vermeintliche Guru alle möglichen Forderungen hätte stellen können.“
 

Jede*r kann Opfer werden – Wie man sich schützt

Benecke betont: „Diese Grundprinzipien funktionieren immer gleich. Jeder Mensch wünscht sich Aufmerksamkeit und reagiert darauf erst einmal positiv.“ Theoretisch kann also jede*r zum Opfer werden. Allerdings seien manche Menschen (temporär) besonders empfänglich. „Das können Menschen mit einem schlechten Selbstwert sein, die Probleme haben oder einsam sind.“ Beim Geschäft mit den Gefühlen werden gezielt vulnerable Punkte gesucht und ausgenutzt. Das ist laut Benecke aber vor allem eine Frage der Effizienz: Wer auf die Love-Bombing-Masche nicht anspringt, wird für die Täter*innen uninteressant. Sie suchen sich jemanden, bei dem es besser funktioniert. Übrigens, betont Benecke, funktioniert das Ganze auch virtuell: „Die Menschen, die hinter so einem Profil stecken, sind meist nicht real, die erzeugten Gefühle aber sehr wohl.“

Wenn wir alle also anfällig für Manipulation sind – können wir uns dann überhaupt davor schützen? „Ja!“, ist Benecke überzeugt und weist auch gleich darauf hin, was nicht funktioniert: „Ständiges Misstrauen ist keine Lösung.“ Es hilft jedoch bereits, wenn man die Mechanismen der Manipulation kennt. „Egal, wie sympathisch ein Mensch ist: Man sollte trotzdem genau hinsehen. Unterlagen prüfen. Nachfragen. In Beziehungen: Vorsicht, wenn plötzlich Forderungen im Raum stehen.“

Mit ihrem Buch möchte Benecke aufklären und Bewusstsein wecken. Im Hinblick auf ihre eigene Erfahrung sagt sie: „Ich wäre froh gewesen, wenn ich das alles damals schon gewusst hätte.“

Vikram Gandhi alias der erleuchtete Kumaré verarbeitete seine Erfahrung in dem gleichnamigen Film (2011) und zeigte dabei auch die Folgen von Manipulation auf. Für den falschen Piloten Thomas Salme ging die Sache glimpflich aus. Seine Strafe: 2000 Euro Geldstrafe und ein Jahr Flugverbot – und Fliegen darf er ohnehin nicht. Salme selbst geht entspannt mit seiner falschen Pilotenkarriere um: Er habe, so sagt er, schließlich keinen Schaden angerichtet.
 

Lydia Benecke ist Kriminalpsychologin und Autorin mehrerer erfolgreicher Sachbücher. Sie tritt zudem als Expertin in zahlreichen Fernsehformaten, Hörfunk, Podcasts und Printmedien auf. Betrüger, Hochstapler, Blender – Die Psychologie der Manipulation erscheint 30.08.2024 bei Lübbe.

Mehr: www.lydiabenecke.de

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