Arbeitsbedingungen heute  Solidarität wiederbeleben

Monika Uhlerová, die Präsidentin des slowakischen Gewerkschaftsverbandes KOZ
Monika Uhlerová, die Präsidentin des slowakischen Gewerkschaftsverbandes KOZ Foto: © KOZ SR

Die Kulturanthropologin und Vorsitzende der slowakischen Kulturgewerkschaften Ivana Rumanová sprach für JÁDU mit der Präsidentin des slowakischen Gewerkschaftsverbandes (KOZ), Monika Uhlerová, über die Prekarisierung in der Arbeitswelt, über Gewerkschaften als kollektive Werkzeuge für das Erreichen einer würdigen Zukunft, über nicht standardisierte Arbeit, die wohl bald zur Norm werden wird, den Streik als Instrument, das wir im heutigen Kontext überdenken müssen und über das Nichtstun als Leitfaden für ein „gutes Leben“.

Wir haben bereits viele Male über die technischen und praktischen Aspekte der gewerkschaftlichen Organisierung gesprochen, aber in diesem Gespräch möchte ich mich voll und ganz auf den Luxus einlassen, mit Ihnen vielmehr über Gewerkschaften im idealistischen Sinne zu diskutieren – über Gewerkschaften als Werkzeuge für den Aufbau einer egalitäreren Zukunft. Ich möchte mit einer konkreten und persönlichen Geschichte beginnen. Einer meiner Verwandten arbeitete als Hilfsarbeiter auf Baustellen. Dort ist im Winter weniger zu tun als im Sommer. Als es in einem Jahr nicht genug Arbeit gab, einigten sich einige der Hilfsarbeiter darauf, die Arbeit aufzuteilen, damit nicht einer oder zwei von ihnen ihren Job ganz verlieren würden: Mein Verwandter blieb also eine Woche zu Hause, die nächste Woche jemand anderes und so weiter. Dieses Beispiel ist für mich absolut faszinierend und auch rührend. Obwohl keiner von ihnen jemals Nick Srnicek, Alex Williams oder andere Post-Labour-Theoretiker*innen gelesen hatte, kamen sie an der Basis zu diesem Prinzip – durch Solidarität untereinander. Kennen Sie weitere solcher Solidaritätsbeispiele aus der Praxis oder handelt es sich hier um einen Einzelfall?

Diese Geschichte ist sehr schön, fast märchenhaft und wirklich idealistisch. Meine Haltung zu diesem Thema ist wahrscheinlich eher skeptisch, da ich tendenziell auf ein Abschwächen der Solidarität stoße. Und das auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen. In gewisser Hinsicht spiegelt dieser Verlust der Solidarität den Prozess der gesellschaftlichen Fragmentierung wider. Wir hören heute oft, dass die Gesellschaft polarisiert ist, und dies nicht nur in unserem Land. Aber das würde bedeuten, dass wir in zwei gegensätzliche Gruppen gespalten sind. Tatsächlich gibt es jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Gruppen und Gruppierungen, die sich zunehmend abkapseln und einander nicht mehr verstehen. Sie kämpfen nur für ihre eigenen Interessen, ohne die Interessen anderer zu berücksichtigen und ohne zu verstehen, dass diese letztendlich gemeinsame Interessen sind und sie gemeinsam eine bessere Chance haben, erfolgreich für sie zu kämpfen.

Und es hängt sicherlich mit der allgemeinen Schwächung der Gewerkschaftsbewegung zusammen, insbesondere in den postsozialistischen Ländern Mittel- und Osteuropas, wo der Beginn der sozialen und wirtschaftlichen Transformation den Individualismus förderte. Das ist für ein gewerkschaftliches Organisieren überhaupt nicht hilfreich und passt auch nicht zu der Philosophie und den Prinzipien, auf denen die Gewerkschaftsbewegung basiert. Und gerade der große Druck hin zu Individualismus und gegenseitiger Konkurrenz, welche die gegenwärtigen Arbeitsformen maßgeblich prägen, untergraben die Prinzipien der gegenseitigen Solidarität.

Dank der Gewerkschaftsbewegungen war es in der Vergangenheit möglich, Grundsätze und Regelungen durchzusetzen, die für uns heute selbstverständlich sind: das Verbot von Kinderarbeit, den Achtstundentag, die Sozial- und Krankenversicherung von Arbeitenden und mehr. Gleichzeitig hat sich die Arbeitswelt jedoch seit den Tagen des Frühkapitalismus recht radikal verändert – durch die Automatisierung der Arbeit, aber auch durch ihre Prekarisierung. Was sind Ihrer Meinung nach heute die größten Herausforderungen der Gewerkschaftsbewegungen? Wofür sollten Gewerkschaftsbewegungen kämpfen?

Ich würde es so ausdrücken: Die Arbeitswelt steht seit jeher vor immer neuen Herausforderungen. Das Umfeld, in dem die Gewerkschaftsbewegung agiert, verändert sich, ihre Ziele, Prinzipien und Werte bleiben jedoch dieselben. Wir hören nicht auf, für bessere Arbeitsbedingungen und eine Verbesserung der Lebensqualität der Arbeitenden zu kämpfen. Vor über hundert Jahren kämpften die Gewerkschaften im Kontext im Zuge der industriellen Revolution entstandenen Bedingungen für einen Achtstundentag. Heute kämpfen wir im Rahmen der digitalen Revolution auch für kürzere Arbeitszeiten, konkret, für eine Vier-Tage-Woche. Wenn sich die Arbeitswelt nicht ändern würde, würden auch wir als Gewerkschaften stagnieren und es gäbe nichts, wofür wir kämpfen müssten. Auch während der industriellen Revolution war im Leben der Arbeitenden Unsicherheit präsent. Sie befürchteten, dass Maschinen ihnen den Arbeitsplatz wegnehmen würden. Der Einsatz von Maschinen erzeugte jedoch nicht nur noch mehr Druck auf die Arbeitskräfte, sondern auch auf die Gewerkschaften selbst, die unter den neuen Bedingungen Wege finden mussten, die Arbeitenden zu verteidigen und für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Und genau das Gleiche passiert heutzutage. Das Aufkommen künstlicher Intelligenz schafft neue Arbeitsbedingungen, erhöht aber auch das Gefühl der Unsicherheit bei den Arbeitenden. Gewerkschaften müssen diese Verhältnisse erkennen, verstehen, sich daran orientieren und darauf aufbauend für die Rechte der Arbeitenden kämpfen und diese schützen.

Ich denke jedoch, dass es immer Arbeit geben wird. Und das nicht nur, weil Arbeit der Grundgarant für wirtschaftliche Sicherheit und materielle Existenz ist, sondern auch ein sehr wichtiges sozialisierendes Element. Arbeit hat es schon immer in irgendeiner Form gegeben, selbst zu einer Zeit, als wir sie noch nicht als solche bezeichneten. Wir befinden uns derzeit im Prozess der Digitalisierung und der Automatisierung sowie am Rande einer sozialen Revolution, verursacht durch das Aufkommen künstlicher Intelligenz. Dies wird grundlegende Auswirkungen auf die Arbeit haben. Doch die aktuelle Situation zeigt, dass es keinen Mangel an Arbeit gibt, denn gerade dieser Wandel bringt völlig neue Arten von Arbeit und von beruflichen Positionen hervor, die wir vielleicht noch gar nicht genau benennen können, es wird also genügend Arbeit geben. Ich schließe allerdings auch das umgekehrte Szenario nicht aus, dann wird es tatsächlich sogar notwendig sein, über die Reduzierung der Arbeitszeit zu diskutieren. Dies sollte nicht nur eine Folge technologischer Entwicklung und Innovation sein, sondern im Gegenteil, auch die Voraussetzung dafür. Durch die Verkürzung der Arbeitszeit und die Schaffung von persönlichen Freiräumen können wir auch die technologische Entwicklung vorantreiben.

Prekarisierte Arbeitsformen

Prekäre Arbeit gibt es auch in Bereichen, in denen wir sie nicht erwarten würden, beispielsweise im akademischen Bereich. Die meisten Menschen stellen sich das akademische Umfeld als Aushängeschild für die Bildung vor, sie gehen davon, dass dort hervorragende Arbeitsbedingungen herrschen. Aber das ist nicht so.“

Gleichzeitig beobachten wir aber, dass statt verkürzter Arbeitszeit sogenannte atypische Arbeitsformen zunehmen, worunter auch Arbeit in Kunst und Kultur, aber auch das Arbeiten für Plattformen, Arbeitsagenturen, in Teilzeit oder Scheinselbständigkeit. Prekarisierung ist heutzutage ein zentraler Aspekt der Arbeit, aber gleichzeitig können wir uns fragen, ob sie nicht schon immer ein Teil der Arbeit war, angesichts der Tatsache, dass sie Arbeitende in den vulnerabelsten Positionen betrifft: Frauen, Migrant*innen, Menschen, die eine andere Hautfarbe als Weiß haben. Dieses Problem wurde uns jedoch erst bewusst, als es in unsere soziale Schicht eindrang. Nehmen Sie den Beginn der Prekarisierung auch in Bereichen wahr, die bisher davor geschützt waren? Wie äußert sich das?

Die Prekarisierung der Arbeit ist in allen Bereichen der Arbeitswelt präsent. Sie ist nicht spezifisch für eine bestimmte Art von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen und es ist schwer zu sagen, ob jemand davor geschützt ist. Doch ja, ein typisches Beispiel für prekäre Arbeit waren schon immer Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen, in Teilzeit Arbeitende oder generell Frauen, was weiter zur Feminisierung der Armut und zur Würdelosigkeit der Arbeitsbedingungen beitrug. Aber prekäre Arbeit gibt es auch in Bereichen, in denen wir sie nicht erwarten würden, beispielsweise im akademischen Bereich. Die meisten Menschen stellen sich das akademische Umfeld als Aushängeschild für die Bildung vor, sie gehen davon, dass dort hervorragende Arbeitsbedingungen herrschen. Aber das ist nicht so.

Insbesondere Positionen von Fachassistenten oder Promovierte mit mehrjähriger Erfahrung in Lehre und Forschung sind aufgrund einer Kette befristeter Arbeitsverträge mit unsicheren Arbeitsbedingungen konfrontiert. Nach einem Jahr, oder nach drei, maximal fünf Jahren müssen sie ihre Position verteidigen und dem Arbeitgeber ihre Fähigkeit zur Ausübung dieser Position nachweisen. Und gleichzeitig sind sie mit enormer Unsicherheit konfrontiert, und dies in einem Alter, in dem andere, die in dauerhaften Arbeitsverhältnissen stehen, bereits eine Familie gegründet und sich über eine Hypothek eine Wohnung gesichert haben. Mit kurzfristigen Arbeitsverträgen ist das nur schwer zu erreichen. Sie sind durch keine Kündigungsfrist geschützt und wissen nicht, was nach Ablauf des Vertrags passiert, ganz zu schweigen davon, dass ein solches System Raum für persönliche Rache oder für Mobbing durch den Arbeitgeber schafft. Unsichere Arbeitsbedingungen können so letztlich die akademische Freiheit einschränken.

Wie ist es mit der Prekarisierung in Produktionsbereichen?

In den letzten fünf bis sechs Jahren ist in der Slowakei ein Rückgang der Leiharbeitskräfte im Bereich Produktion zu verzeichnen. Dazu haben teils gesetzgeberische Maßnahmen, teils aber auch eine Koordination auf europäischer Ebene beigetragen. Die Arbeit über Agenturen ist natürlich nicht völlig verschwunden. Doch bei Treffen mit unseren Mitgliederorganisationen, auch mit Gewerkschaften großer Automobilhersteller, werden wir immer über die Anzahl der Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen informiert, und die nimmt ab. Das ist also ein positiver Trend.

Vertreten diese Gewerkschaften auch Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen? Gibt es Solidarität auf dieser Ebene?

Ja, Gewerkschaften vertreten auch sie, Leiharbeiter und Leiharbeiterinnen können ihnen beitreten. Gewerkschaften kämpfen für deren bessere Arbeitsbedingungen und drängen darauf, dass sie vom Arbeitgeber in das Stammpersonal aufgenommen werden.

Gibt es eine Branche, die noch nicht vom Gewerkschaftsverband KOZ vertreten ist und die Sie gerne in der Mitgliedschaft haben würden?

Wir hoffen, dass sich die Kulturverbände uns anschließen!

Wir arbeiten daran!

Aber auch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Plattformen, wie beispielsweise Kuriere verschiedener Zustellunternehmen, würden wir gerne betreuen. Anfang 2025 treffen wir uns zu diesem Thema mit unseren Kollegen und Kolleginnen vom Deutschen Gewerkschaftsbund DGB, denn diese haben es bereits geschafft, auch Arbeitende von solchen Plattformen zu vertreten. Sie betreuen sogar schon mehrere Zehntausende aus diesem Bereich. Deshalb wollen wir aktiv herausfinden, wie wir sie erreichen, wie wir sie vernetzen und was wir für sie tun können. Als wir dieses Thema mit unseren Kollegen und Kolleginnen aus Schweden diskutierten, erfuhren wir, dass auch sie Arbeitende aus diesen Bereichen vertreten, allerdings nicht innerhalb eines Verbands, sondern verstreut über einzelne Branchen als Selbstständige. Wir suchen also nach Wegen und Formen. Ich denke, dass wir jetzt vor allem definieren müssen, welche Interessen aus ihrer Sicht wichtig durchzusetzen sind, und auf dieser Basis anschließend ein Modell entwickeln, wie wir das organisieren können.

Arbeit in der Kultur

Geistige, intellektuelle und kreative Arbeit ist im gesamtgesellschaftlichen Maßstab unterbewertet. Dies hängt nicht nur mit dem Neoliberalismus zusammen, sondern auch mit der Zeit vor 1989. Geistig und intellektuell arbeitende Menschen wurden aus ideologischen Gründen aus der Kategorie der angesehenen Arbeit verdrängt. Ich habe das Gefühl, dass wir heute noch mit dieser Einstellung zu kämpfen haben.“

Im Zusammenhang mit der gewerkschaftlichen Organisation in der Kultur stoßen wir oft auf die Tatsache, dass sich viele Menschen weigern, Kultur als Arbeit anzuerkennen. Und das gilt auch innerhalb des Bereichs Kultur, wenn deren Vertreter*innen behaupten, Kultur sei mehr als nur Arbeit, sie sei eine Mission. Und andererseits blicken Arbeitnehmer*innen aus anderen Branchen oft mit einer gewissen Geringschätzung auf die Kultur und sagen, dies sei keine „wirkliche Arbeit“. Kommt das auch bei der KOZ vor?

Ich würde es nicht nur auf die Kultur beziehen. Ich denke, dass geistige, intellektuelle und kreative Arbeit generell im gesamtgesellschaftlichen Maßstab unterbewertet ist. Und zwar sowohl sozial, als auch finanziell und materiell. Dies hängt nicht nur mit dem Neoliberalismus zusammen, sondern auch mit der Zeit vor 1989 und der damaligen Ansicht, dass ein Arbeiter als eine Person definiert wurde, die manuell und körperlich hart in Fabriken arbeitet und dass allein diese Arbeit ausreichend Wertschätzung, Respekt, soziale Anerkennung und so weiter verdient. Natürlich verdient eine arbeitende Person diese. Doch geistig und intellektuell arbeitende Menschen wurden aus ideologischen Gründen aus der Kategorie der entsprechend angesehenen Arbeit verdrängt. Und ich habe das Gefühl, dass wir heute noch mit dieser Einstellung zu kämpfen haben.

Dies zeigt sich unter anderem in der Diskussion um die Festlegung der Rentenaltersgrenze, bei der eine Abstufung gemäß der physischen Anstrengung einer Arbeit vorgeschlagen wird. Einem solchen Vorschlag zufolge habe eine körperlich arbeitende Person einen anspruchsvolleren Job und sollte früher in den Ruhestand gehen als beispielsweise ein Beamter oder jemand, der im Bildungsbereich arbeitet. Die Anstrengung, die geistige und intellektuelle Arbeit erfordert, wird in solchen Diskussionen überhaupt nicht berücksichtigt. Gleichzeitig kann diese Art von Arbeit weitaus schwerwiegendere Auswirkungen haben, beispielsweise auf die Psyche und auf die psychische Gesundheit der Arbeitenden. Diese gesundheitlichen Auswirkungen werden weniger gewichtet als körperliche Erkrankungen, wir sehen hier somit das gleiche Muster.

Sollten wir nicht versuchen, diese Aufteilung der Menschen in manuell und intellektuell Arbeitende sowie die der Arbeit in fortschrittliche und rückständige aktiv zu hinterfragen? Der französische Philosoph Jacques Rancière bezeichnet diese Klassifizierung als einen der Hauptgründe für den Erfolg der Rechtsextremen. In einem seiner berühmtesten Bücher mit dem Titel „Die Nacht der Proletarier“ („La Nuit des prolétaires“) analysiert er die proletarische Poesie des 19. Jahrhunderts sowie von der Arbeiterbewegung publizierte Tagebücher, Briefe und Zeitschriften, um zu zeigen, dass Arbeitende gleichermaßen zu künstlerischem Schaffen fähig sind und die Welt um sich herum ästhetisch widerspiegeln können. Ist dies ein möglicher Weg?

Mit der „proletarischen kreativen Arbeit“ bin ich noch nicht oft in Berührung gekommen, aber einen potenziellen Weg sehe ich in einem Thema, das scheinbar nichts mit Arbeit zu tun hat, und das ist das Nichtstun. In einer Diskussion sprachen wir über Folklore, die einen Bezug zur Arbeit hat und das Nichtstun diszipliniert und verurteilt. Ein Mensch, der nicht arbeitet, wird hier sehr negativ dargestellt, als Schnorrer, als Parasit des Sozialsystems und dergleichen. Diese Idee ist in Sprichwörtern verankert wie: „Ohne Fleiß kein Preis“ [wörtlich im Slowakischen: Ohne Arbeit gibt es keinen Kuchen. Anm. d. Übers.] – man muss sich alles durch harte Arbeit verdienen. Es gibt auch das Bild vom „faulen Jan“, der den ganzen Tag auf dem Ofen schläft und sich nichts verdient hat, nicht einmal etwas zu essen, weil er den ganzen Tag nichts getan hat, er hat nur gefaulenzt. Die Verurteilung derjenigen, die nicht arbeiten, ist tief in unserer kollektiven Vorstellung verankert. Dies betrifft nicht einmal die Unterteilung in körperlich und geistig Arbeitende, sondern die in Arbeitende und Schmarotzende. Aber Nichtstun ist trotzdem wichtig, damit schafft man Zeit für sich selbst, für das Privatleben, für Entspannung. Wir sollten uns nicht schämen, nichts zu tun. Ein weiteres Beispiel ist der Begriff welfare, der in unserem Land mit Wohlstand übersetzt wird, was Vorstellungen von Luxus und materieller Unerreichbarkeit evoziert, in Wirklichkeit aber nur „Wohlergehen“ bedeutet.

Bedingungsloses Grundeinkommen

Dieser Aspekt hängt eng mit dem Thema des bedingungslosen Grundeinkommens zusammen, das uns von der Arbeit befreien würde, Raum für Muße, aber auch für kreative Tätigkeit und gegenseitige Fürsorge schaffen würde. Wie stehen Sie zu diesem Thema? Wie würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die Arbeitswelt und unsere Sicht auf den Wohlstand verändern?

Ich bin eine Befürworterin des bedingungslosen Einkommens. Solange die Vergütung für Arbeit in Geld ausgedrückt wird und sie ein Mittel zur Gewährleistung des Lebensunterhalts und der materiellen Existenzsicherung darstellt, kann Arbeitslosigkeit eine Bedrohung dieser Sicherheit bedeuten. Daher ist es wichtig, ein bestimmtes Einkommen auch denjenigen zu gewährleisten, die aus irgendeinem Grund nicht arbeiten können. Eine gewisse Form des bedingungslosen Einkommens liegt hier bereits vor, beispielsweise durch Unterstützungsleistungen in materieller Not, und diese sollten nicht von einer „Bereitschaft“ zur Arbeit abhängig gemacht werden, denn die Philosophie und das Wesen ihrer Gewährleistung liegt gerade in der Garantie eines bestimmten sozialen Sicherheitsnetzes „ohne Bedingungen“.

Streik als Werkzeug

Wir müssen den eigentlichen Inhalt des Streiks aktualisieren, damit er die Forderungen von Arbeitenden einbeziehen kann, die keinen Arbeitsvertrag haben. Denn jene Arbeitsformen, die wir heute als nicht standardisiert bezeichnen, werden bald zum Standard werden.“

Laut Analysen des Instituts für Kulturpolitik, das inzwischen vom Kulturministerium abgeschafft wurde, waren im Jahr 2023 in der Slowakei im Bereich Kultur, Kunst und Kreativwirtschaft bis zu 55 Prozent der Arbeitenden als als Selbstständige tätig, was im Vergleich zum landesweiten Durchschnitt aller Selbstständigen von 14 Prozent extrem hoch ist. Die Frage, die wir nun auch im Rahmen des Kulturstreiks intensiv klären, ist, welche Mittel Druck auszuüben uns zur Verfügung stehen. Und dies geschieht einerseits mit Blick auf die Tatsache, dass wir nicht wie Arbeitende in der verarbeitenden Industrie die Produktionslinie oder LKWs blockieren und den Arbeitgebenden direkten Schaden zufügen können. Außerdem sind wir in der Regel nicht nur mit dem Widerstand eines Arbeitgebers oder einer Arbeitgeberin konfrontiert, sondern mit dem vieler verschiedener Auftraggeber*innen. Dies gilt nicht nur für Kulturschaffende, sondern auch für Kuriere, Leiharbeitskräfte, solche in Callcentern oder Sexarbeiter*innen, deren Arbeit nicht legal ist. Wie können sich Arbeitende prekärer Bereiche also verteidigen und für ihre Rechte kämpfen?

Tatsächlich ist der Streik, wie er bei uns gesetzlich verankert ist, auf die Regelbeschäftigungsquote und zugleich auf die Bedingungen der produzierenden Industrie und deren Arbeiterschaft ausgerichtet. Denn durch einen Streik kann ein unmittelbarer wirtschaftlicher Schaden entstehen. Jede andere Zwangsmaßnahme, die von Menschen mobilisiert wird, die nicht in einem standardisierten Angestelltenverhältnis arbeiten, kann nur als Protest und nicht als Streik bezeichnet werden. Das Konzept eines Streiks bräuchte also eine legislative Aktualisierung, aber das allein reicht nicht aus, weil diese nur eine Widerspiegelung von etwas ist. Wir müssen den eigentlichen Inhalt des Streiks aktualisieren, damit er die Forderungen von Arbeitenden einbeziehen kann, die keinen Arbeitsvertrag haben. Denn jene Arbeitsformen, die wir heute als nicht standardisiert bezeichnen, werden bald zum Standard werden.

Ein solch innovatives Verständnis des Streiks, von dem hier die Rede ist, ein Verständnis seines Inhalts und seiner Abgrenzung von anderen Definitionen, erfordert jedoch auch eine mentale Umstellung derjenigen, die darüber diskutieren sollen. Einschließlich des Gewerkschaftsverbandes KOZ. Es handelt sich also nicht um einwöchige oder mehrere Monate dauernde Diskussionen über den Streik, ich befürchte, dass dieser Wandel der Wahrnehmung des Streiks ein notwendiger Langstreckenlauf sein wird. Und dies gilt insbesondere in einer speziellen Situation in unserem Lande, denn in der Slowakei mangelt es seit mehr als dreißig Jahren an einem gut entwickelten Streikgesetz. Gleichzeitig könnten wir diese Lücke gerade nutzen, um sicherzustellen, dass wir, wenn wir endlich zur legislativen Definition des Streiks übergehen, dies in einer innovativen Form tun werden. Diese Tatsache, dass wir kein Streikgesetz haben, kann paradoxerweise ein Vorteil sein, denn dieser Fakt schafft Raum für uns, das Streikgesetz schon unter neuen Bedingungen zu begreifen, nicht unter den industriellen.

Wiederbelebung der Solidarität

Es ist eine große Sache, wenn zum Beispiel Gewerkschafter eines Autokonzerns Lehrer und Lehrerinnen in ihrem Kampf unterstützen. Und gerade diese Überwindung sektoraler Barrieren ist wichtig für die Stärkung der Solidarität.“

Wenn wir Gewerkschaften nicht nur als Instrumente zur Aushandlung von Tarifverträgen und Arbeitsbedingungen betrachten würden, was sehr wichtig ist, sondern als kollektive Kraft, die versucht, eine andere Vision einer gemeinsam geteilten Welt durchzusetzen, was für eine Welt wäre das?

Ui! Also ich denke, dass genau darin das ursprüngliche Wesen der Gewerkschaften liegt. Im Laufe aller Veränderungen in der Arbeitswelt gerieten Gewerkschaften allmählich in eine Rolle, die sie nur noch an den Verhandlungstischen sieht und ihre Mission wurde auf das Aushandeln und auf sozioökonomische Themen beschränkt. Doch das ursprünglich Wesentliche liegt im Kampf für ein besseres und würdigeres Leben. Und eine idealistische oder utopische Idee? Nur zu diesem Ursprung zurückkehren. Nicht nur auf der Ebene der Führung, sondern auf der Ebene der breiten Massen von Arbeitenden, die sich dessen bewusstwerden: „Gewerkschaften sind für mich ein Werkzeug, um für mein eigenes Leben in Würde kämpfen zu können.“ Wenn jeder Mensch in Würde lebt, lebt die gesamte Gesellschaft in Würde.

Ich kehre noch einmal zum Anfang unseres Gesprächs zurück. Welche Rolle können Gewerkschaften also bei der Wiederbelebung der Solidarität spielen, die verschwindet und untergeht?

Leider sind wir in der Gewerkschaftsbewegung auf schreckliche Weise dazu verfallen, Themen zu personalisieren und wir sind nicht in der Lage, darüber hinauszuwachsen, was zu Spaltungen zwischen den Gewerkschaften und zu Unfrieden führt. Die Solidarität kann also nur gestärkt werden, wenn wir wirklich aktiv daran arbeiten. Heute zum Beispiel haben wir bei der Tagung des Gewerkschaftsverbandes eine unterstützende Position des Verbandes gegen Proteste und Zwangsmaßnahmen im Bildungsbereich erreicht, trotz der internen Diskussion, die darüber stattgefunden hatte. Es ist eine große Sache, die sowohl von den im Resort arbeitenden Menschen als auch von der Öffentlichkeit wahrgenommen und gespürt wird, wenn zum Beispiel Gewerkschafter eines Autokonzerns Lehrer und Lehrerinnen in ihrem Kampf unterstützen. Und gerade diese Überwindung sektoraler Barrieren ist wichtig für die Stärkung der Solidarität. Aber es erfordert tägliche Arbeit, damit die Arbeitenden überleben und in diesen Prozess hineinfinden können. Dann wäre es für niemanden ein Problem, die protestierenden Eisenbahner zu unterstützen, in der Erwartung, dass sie uns als protestierende Lehrer, protestierendes Gesundheitspersonal und Menschen aus der Kultur eines Tages auch unterstützen werden.

Monika Uhlerová – Präsidentin des slowakischen Gewerkschaftsverbandes (KOZ)

Seit ihrem Universitäts- und Aufbaustudium beschäftigt Monika Uhlerová sich mit der Thematik des sozialen Dialogs, der Sozialpartnerschaft und ihrer Institutionalisierung. Sie arbeitete als Universitätsdozentin – als wissenschaftliche Assistentin am Institut für Politikwissenschaft der Matej-Bel-Universität in Banská Bystrica, wo sie sich in ihrer Vortrags-, Forschungs- und Veröffentlichungstätigkeit mit dem bereits erwähnten sozialen Dialog, der Gewerkschaftsbewegung, der Sozialpolitik und dem Arbeitsmarkt befasste (und immer noch befasst).

Seit 1999 engagiert sie sich in verschiedenen Positionen in Gewerkschaften, war Vorsitzende des Jugendrates des slowakischen Gewerkschaftsverbandes, ab 2016 Vizepräsidentin des KOZ und ist seit Juni 2022 Präsidentin des KOZ. Neben der Vertretung des Verbandes auf internationaler Ebene fungiert sie seit 2016 auch als Vizepräsidentin des Wirtschafts- und Sozialrats der Slowakischen Republik.

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