Ausgrenzung durch Sprache   Politische Korrektheit

Paulo Nazareth, SÉRIE Cadernos de África [Brasil]
Paulo Nazareth, SÉRIE Cadernos de África [Brasil] Quelle: Flickr © Canal C; CC BY-NC-SA 2.0

Immer wieder werden neue Sprachreglementierungen gefordert und begründet. Doch nicht selten führt die vermeintlich „politische Korrektheit“ der Sprache zu Unklarheit, Widersprüchen und neuen Verständigungsproblemen.

In einem alten englischen Kindervers heißt es tröstend: „Sticks and stones may hurt my bones, but words can never harm me.“ („Stöcke und Steine können meine Knochen verletzen, aber Worte können mir niemals wehtun.“) Die Verfechter einer „politisch korrekten“ Sprache würden sich einer solchen Auffassung nicht anschließen. Sie argumentieren, „Worte“ – also die Sprache – könnten in bestimmten Situationen ein weitaus wirkungsmächtigeres Instrument als physische Gewalt sein. Sprache spiegle nicht nur die Weltsicht des jeweiligen Sprechers wider, sondern darüber hinaus lasse sich über „Worte“ sogar eine bestimmte Weltsicht konstruieren. Diese bestimme wiederum konkretes politisches Handeln im Alltag. Als „politically correct“ und damit wünschenswert wird eine Sprachverwendung tituliert, bei der die Sprecher einen aktuellen Sprachgebrauch auf Grundlage bestimmter Normen kritisch hinterfragen. Mit Blick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse sowie auf historische Verwendungszusammenhänge können dann einzelne Wörter, Redewendungen oder Denkfiguren als unangemessen verworfen und gegebenenfalls durch Alternativen ersetzt werden.

Metasprachliche Reflexion und Sprachkritik, das heißt das Nachdenken über Sprache und über Sprachgebrauch, sind so alt wie die Sprache selbst. Die systematische Bewegung hin zu einer „politischen Korrektheit“ entstand jedoch erst in den 1980er-Jahren im Rahmen von Antidiskriminierungsbestrebungen seitens der Neuen Linken in den USA. Die Bewegung hat ihre Wurzeln an den Universitäten und wurde der breiteren US-Öffentlichkeit über die Medien Ende der 1980er Jahre bekannt. Auch sprachlich sollten Menschen aufgrund ihres Geschlechtes, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer ethnischen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit, ihrer sozialen Stellung, ihres Alters oder aufgrund einer Behinderung nicht beleidigt und zurückgesetzt werden.

Forderungen der PC-Befürworter

In der Annahme einer engen Verbindung von Sprache, Denken und damit Handeln entstanden so Sprachreglementierungen, die zum einen den Gebrauch bestimmter Ausdrücke ächten, zum anderen (da die Dinge ja nun einmal benannt werden müssen), eine neue, „feinfühligere“ Terminologie vorschlagen oder vorschreiben. Über den Sprachwandel soll ein Bewusstseinswandel und idealerweise auch eine kulturelle Veränderung weg von der kritisierten Diskriminierung erreicht werden. Das ursprünglich also aus dem angelsächsischen Raum stammende, inzwischen aber allgemein verwendete politische Schlagwort Political Correctness (als Kurzwort PC) ist auch gebräuchlich als Adjektiv politically correct und wird für die deutsche Sprache auch mit Politische Korrektheit bzw. politisch korrekt übersetzt. In Deutschland eingeführt wurde der Ausdruck Anfang der 1990er-Jahre durch Zeitungsartikel, die über die amerikanische PC-Debatte und deren Auswirkung auf Kunst, Politik und Gesellschaft berichteten: So diskutierte 1993 etwa die Wochenzeitung Die Zeit in zwei aufeinanderfolgenden Ausgaben, ob in Deutschland ähnliche Phänomene wie den USA zu beobachten seien.

Doch wie werden die oben skizzierten Forderungen konkret umgesetzt? Für das Deutsche beispielsweise kritisieren PC-Befürworter die Verwendung des generischen Maskulinums – der männlichen Form also, wenn Personen beiderlei Geschlechts gemeint sind. Diese Kritik stammt aus der feministischen Sprachwissenschaft. Als Alternativen, um Frauen auch sprachlich sichtbar zu machen, so das Argument, werden die Nennung der weiblichen und männlichen Form (Ärztinnen und Ärzte), die Binnen-I-Schreibung (LehrerInnen) oder neutrale Formulierungen (Arbeitnehmende) angeregt. Bestimmte Volksgruppen werden in den Massenmedien – durchaus abweichend vom tradierten Sprachgebrauch – mit ihren Eigenbezeichnungen benannt: Inuit statt Eskimos, Sinti und Roma statt Zigeuner. Ausländer werden zu Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Zuwanderungsgeschichte. Zum guten Ton gehört es, die Putzfrau als Raumpflegerin, den Toilettenmann als facility manager zu bezeichnen. Berufe mit schlechtem sozialen Prestige werden so zumindest sprachlich aufgewertet. Prinzipiell werden negativ konnotierte Spracheinheiten durch solche ersetzt, die beanstandete Teilaspekte ausblenden, positive Gesichtspunkte betonen oder aber, etwa als eher noch unbekanntes Fremdwort, bislang keinen Nebensinn hervorrufen.

Öffentliche Diskussion

Die Überlegungen in der öffentlichen Diskussion konzentrierten sich sehr bald auf die Frage, wie sinnvoll derartige Sprachregelungen sind. Im Zuge einer gehäuft kritischen Berichterstattung wandelte sich die ursprünglich – wenn zum Teil wohl auch früh ironisch verwendete – positive Eigenbeschreibung „politisch korrekt“ seit Beginn der 1990er zu einem abwertend gebrauchten Kampfbegriff der politischen Gegner. PC wird vermehrt mit lächerlicher Euphemisierung und dogmatischer, intoleranter Politik assoziiert. Argumentiert wird von den Gegnern auf verschiedenen Ebenen: Konservative Gruppierungen stehen Antidiskriminierungsbemühungen von linker oder liberaler Seite naturgemäß prinzipiell ablehnend gegenüber. Daneben existieren Stimmen, die die hinter einer solchen Sprachpolitik stehende Motivation zwar anerkennen, die erwünschte Wirkung jedoch bestreiten: Ein Hauptargument ist, dass mit der Schöpfung neuer Begriffe keine Veränderung der sozialen Wirklichkeit einhergehe und die tatsächlichen Ursachen von Rassismus, Sexismus sowie anderer Diskriminierung durch Sprachpolitik nicht überwunden werden könnten. Im Gegenteil könne es unter dem Deckmantel mildernder Benennungen sogar zu einer Verharmlosung gesellschaftlicher Missstände, sozialer Ungerechtigkeiten und Vorurteile kommen.

Euphemismusketten

Euphemismuskette CC Unbestritten ist, dass sich die neuen, „politisch korrekten“ Ersatzausdrücke abnutzen können, wenn sich die negative Konnotation nach einer Weile auch auf die Neubildung überträgt. Dies kann zu einer fortwährenden Neuschöpfung führen: Ein US-amerikanisches Beispiel ist hier die Kette Negros black people coloured people African-Americans für Menschen mit einer dunklen Hautfarbe (ähnlich für den deutschen Sprachraum Neger – Schwarze Farbige Afro-Amerikaner). Aus sprachwissenschaftlicher Sicht geschieht dabei folgendes: Negros/Neger, dass sich vom lateinischen Wort niger = schwarz herleitet, wird (wohl wegen seines Anklangs an das Schimpfwort Nigger) ersetzt durch die direkte Übersetzung ins Englische bzw. Deutsche und ist am Anfang tatsächlich ganz neutral beschreibend (deskriptiv). Bei coloured people/Farbige steht zwar noch das Merkmal „Hautfarbe“ im Vordergrund, die Formulierung ist jedoch viel weiter und schließt damit zumindest theoretisch auch Menschen anderer Hautfarbe ein. African-Americans/Afro-Amerikaner geht ganz weg von der Hautfarbe und bestimmt die benannte Gruppe über die Herkunft.

Ein deutsches Beispiel für „Euphemismenketten“ sind die schwer erziehbaren Kinder, die in offiziellen Kontexten zu verhaltensgestörten Kindern, dann verhaltensauffälligen Kindern und schließlich verhaltensoriginellen Kindern werden. Das Verhalten der Kinder erscheint zunächst als eindeutig negativ klassifiziert, dann ist es nur noch „auffällig“ (hier bleibt ungesagt, in welche Richtung), und schließlich bietet „verhaltensoriginell“ sogar positive Konnotationen.

PC im Konflikt mit Sprachregeln

Ein „politisch korrekter“ Sprachgebrauch kann im Konflikt mit grundlegenden erstrebenswerten Sprachregeln wie den Regeln der Sprachökonomie, der Verständlichkeit oder der Korrektheit stehen. Tatsächlich fällt auf, dass die Ersatzausdrücke zumeist länger als die Ersetzung sind. Und durch die Auslassung prägnanter Formulierungen (an denen in der Regel die Diskriminierung festgemacht wird, so dass der entsprechende Sachverhalt entweder umschrieben oder ausgelassen wird) sind sie meist auch schwerer verständlich: Setzt man für behindertes Kind das besondere Kind ein, bleibt der Ersatzausdruck so vage, dass für den Kommunikationszusammenhang wichtige Informationen fehlen können. Gerade die Vermeidung des generischen Maskulinums kann sich durch sperrige Sätze negativ auf die Verständlichkeit des Textes auswirken oder zu absurden Formulierungen führen („tote Studierende“ etwa funktioniert nicht, da man entweder tot sein oder studieren kann). Allerdings ist es bei in der Presse immer wieder zitierten grotesken Neubildungen wie vertikal herausgefordert als Ersatzwort für kleinwüchsig oder chemisch unpässlich für betrunken unwahrscheinlich, dass sie tatsächlich von PC-Befürwortern verwendet werden.

Unsicherheiten bei der Benennung von Personengruppen

Unsicherheiten gibt es vor allem bei einer Kommunikation mit und über bestimmte diskriminierte Personengruppen. Die Benennung Neger verbietet sich mittlerweile in der deutschen Sprache (vgl. dazu etwa den entsprechenden Eintrag im Großen Wörterbuch der deutschen Sprache des Duden-Verlages). Doch gilt dies für alle Kommunikationszusammenhänge? Wie ist es mit der Süßigkeit Negerkuss, die heutzutage in Schaum- oder Schokokuss umgewandelt wurde? Und ist es nötig, Buchtitel zu ändern, etwa Agatha Christies Kriminalroman Zehn kleine Negerlein (er basiert auf einem gleichlautenden Zählreim für Kinder) in Und dann gabs keines mehr (seit 2003; parallel dazu im Englischen Ten Little Niggers/And Then There Were None)? Wie geht man damit um, dass Astrid Lindgren in ihren Kinderbüchern Pippi Langstrumpf als „Negerprinzessin“ bezeichnet (und in ihrer Zeit damit sicherlich keine negativen Konnotationen verband)? Ein weiteres Beispiel ist der Ersatz des Ausdruckes Zigeuner durch Sinti und Roma. Eine Kritik an dieser Benennung bemängelt, dass andere Gruppen als Sinti und Roma, die aber mitgemeint sind, nun sprachlich verdeckt werden. Auf den Speisekarten der Restaurants indes bleibt das „Zigeunerschnitzel“ erhalten, ebenso der „Zigeuner“ in Texten der Volksmusik. Ein Kriterium für oder gegen bestimmte Vorschläge könnte die Frage sein, wie die entsprechenden Gruppen selbst benannt werden möchten. Und manchmal werden ursprünglich negative Bezeichnungen oder sogar Schimpfwörter zu positiven Selbstbenennungen umgewandelt: Dies geschah etwa bei den Homosexuellen (Schwule und Lesben) oder Prostituierten (Huren).

Sprache und Weltsicht

Es ist sicherlich richtig, dass der Sprachgebrauch des Menschen Aufschluss über seine Weltsicht gibt: Ob ich eine „Selbsttötung“ als Freitod, Selbstmord oder Suizid bezeichne, kann meine Einstellung dazu verdeutlichen. Mit Ausdrücken wie Schwangerschaftsunterbrechung, Abtreibung, Embryomord (die sich ja auf denselben außersprachlichen Sachverhalt beziehen) werden unterschiedliche mentale Bilder hervorgerufen; bestimmte Bedeutungsmerkmale werden betont oder unterdrückt. So gab es etwa in der Bundesrepublik der 1970er-Jahre eine Kontroverse darüber, ob die Terroristen um Andreas Baader und Ulrike Meinhof in den Medien korrekterweise als Baader-Meinhof-Gruppe oder als Baader-Meinhof-Bande zu bezeichnen seien. Deutlich wird: Welche Benennung als die eigentliche, „neutrale“ anzusehen ist, hängt vom jeweiligen Sprachverwender ab, der von eigenen politischen und moralischen Grundsätzen beeinflusst ist.

So kann Sprache auch instrumentalisiert werden: Nicht nur diktatorische Staaten versuchen systematisch, die Meinungsbildung zu wichtigen Themen über die Verwendung bestimmter Benennungen bzw. das Verbot anderer Ausdrücke zu beeinflussen. Ob Sprachregelungen allerdings eine solch direkte Auswirkung auf Denkprozesse und Vorstellungswelten der Menschen haben, wie es George Orwell in seinem Roman 1984 beschreibt – dort übernehmen die Menschen mit den vorgeschriebenen Wörtern auch die vorgeschriebenen Inhalte – bleibt diskussionswürdig. Vorsicht ist allerdings immer dort geboten, wo gewisse Sprachnormen sich nicht aus einer Sprachgesellschaft heraus entwickeln, sondern von „höherer“ Stelle, etwa einzelnen Organisationen, Verbänden oder Politikern, vorgegeben werden. Hier sollte hinterfragt werden, was einerseits durch die neue Sprachgestaltung betont und was andererseits ausgeblendet wird.

Fazit

Festzustellen bleibt: „Politisch korrekte“ Sprache ist ein schwieriges Feld, es gibt viele Unsicherheiten und Fallstricke. Der Grat zwischen verantwortungsvollem Sprachgebrauch und unsinnigen, intoleranten Formulierungen ist schmal; gefragt ist hier die eigene Sprachkompetenz: Prinzipiell sollten wir unsere Sprachverwendung überprüfen und dort, wo wir mit Sprache Menschen verletzen können – denn, um den Kinderreim vom Anfang dieses Textes aufzugreifen: „Words“ vermögen dies wohl tatsächlich – alternative Formen wählen. Dies ist aber immer vom Kommunikationszusammenhang abhängig, so dass ein generelles Verbot bestimmter Spracheinheiten und ein genereller, unbedingter und vorgeschriebener Gebrauch vieler Alternativen durch die oben aufgeführten Kritikpunkte ins Leere läuft.
 

Literaturhinweise:

Sibylle Germann: Vom Greis zum Senior. Bezeichnungs- und Bedeutungswandel vor dem Hintergrund der „Political Correctness“. Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms Verlag 2007.

Matthias Jung: Von der politischen Sprachkritik zur Political Correctness. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 78 (1996), S. 18-37.

Jörg Kilian: Pippi Langstrumpf als Negerprinzessin: Tabuwörter, Euphemismen und kritische Semantik im Deutschunterricht, in: Deutschunterricht 60, 2007, Heft 2, 15-19.

Caroline Mayer: Öffentlicher Sprachgebrauch und Political Correctness. Eine Analyse sprachreflexiver Argumente im politischen Wortstreit. Hamburg: Kovac 2002

Sabine Wierlemann: Political Correctness in den USA und in Deutschland. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2002.

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