Wie fühlst du sich, wenn du die Nachrichten über Rekordtemperaturen von minus 20 Grad in deiner Stadt liest? Wahrscheinlich ängstlich oder besorgt. Vielleicht fühlst du dich auch hilflos und müde. All diese Gefühle sind völlig normal, wenn es um Gefahr geht. In diesem Fall ist die Ursache für die Probleme der Klimawandel, der nicht nur die Zahl extremer Wetterereignisse erhöht, sondern auch psychische Störungen hervorruft.
Laut einer Studie der American Public Health Association sind zwischen 25 und 50 Prozent der Menschen, die wetterbedingte Katastrophen erlebt haben, gefährdet, negative Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit zu erleiden. Die Forscher*innen berichten auch, dass bis zu 54 Prozent der Erwachsenen und 45 Prozent der Kinder nach einer Naturkatastrophe an Depressionen leiden. In der Ukraine können solche Ereignisse Erdbeben, Überschwemmungen, starke Regenfälle, heftige Schneestürme, Hitzewellen, Wirbelstürme und Tornados sein.Zusätzlich zu den unvorhersehbaren Wetterereignissen laufen Ukrainer*innen, die in der Nähe des Meeres leben, Gefahr, bis zum Jahr 2100 ihre Häuser zu verlieren, da die Wahrscheinlichkeit von Überschwemmungen hoch ist. Laut einer Studie der Nichtregierungsorganisation Ecodiya könnten rund 590 Siedlungen ganz oder teilweise in prognostizierte Überschwemmungsgebiete fallen. Darunter sind 62 Dörfer und sechs Städte und Gemeinden.
Die Illusion von Stabilität
Angesichts der psychischen Probleme, die durch den Klimawandel verursacht werden, entwickelt sich weltweit das Feld der Klimapsychotherapie, denn mit professioneller Unterstützung lassen sich psychische Schwierigkeiten leichter bewältigen. Für die Menschen in der Ukraine kommt zu den Belastungen durch den Klimawandel noch der Krieg hinzu, so dass sie umfassende Unterstützung benötigen. Laut Inna Datsjuk, Psychotherapeutin, Gartentherapieforscherin und Klimaaktivistin, raubt uns der Klimawandel ebenso wie der Krieg die Illusion von Stabilität.„Ich nenne es eine Illusion, denn nichts währt ewig. Aber eine plötzliche Veränderung und ein plötzlicher Verlust bringen viel Trauer mit sich. In dieser Situation gibt es drei Reaktionen: Erstarren, Kampf und Flucht. Jede dieser Reaktionen hat uns über Jahrtausende das Überleben gesichert, und jede ist auf ihre Weise wirksam. Aber ich empfehle meinen Patient*innen, sich selbst im Rahmen einer Psychotherapie zu erforschen, um die Vorteile jeder dieser Reaktionen besser zu verstehen“, sagt Inna Datsjuk.
Am Beispiel des Wechsels der Jahreszeiten erklärt Inna Datsjuk den Unterschied zwischen vorhersehbaren Wetterereignissen und Extremereignissen. Wenn zum Beispiel der Herbst zu Ende geht und der Winter beginnt, fühlen wir uns unwohl: Wir haben keine Lust, morgens aufzustehen und nach draußen zu gehen, wo es kalt und nass ist. „Aber diese Veränderung ist ganz natürlich, wir wussten es, und doch haben wir uns dagegen gewehrt. Aber als heftige Regenfälle, die es noch nie gegeben hatte, unsere Garage oder den Eingangsbereich, in dem wir wichtige Dinge aufbewahrten, unter Wasser setzten, waren wir schockiert. Das hatten wir nicht erwartet“, sagt die Forscherin.
Wenn die Wolken wieder am Himmel aufziehen, schauen wir nach oben und machen uns Sorgen: Was ist, wenn wieder eine Überschwemmung kommt und Schäden verursacht? Solche Ereignisse, an die wir nicht gewöhnt sind und die Schäden verursachen, rauben uns das Gefühl von Stabilität und Sicherheit. Studien bestätigen, dass dies zur Entwicklung von Angststörungen führen kann.
„Lassen Sie mich ein anderes Beispiel nennen. Ich lebe in Lwiw, und hier hört man oft Luftalarm, was mittlerweile zu einem Teil unserer täglichen Realität geworden ist. Paradoxerweise löst selbst eine lange Zeit ohne Alarm Angst aus: Wir sind nicht mehr sicher, was ‚normal‘ bedeutet. Das Gleiche gilt für den Klimawandel: Wenn normale Ereignisse extrem werden, untergräbt das unser Vertrauen in die Welt um uns herum“, so Inna.

Inna Datsjuk, Psychotherapeutin, Gartentherapieforscherin und Klimaaktivistin. | Foto: © Anastasiia Dulherova
Wie Hitze unser Verhalten beeinflusst
Der Sommer 2024 war der wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen auf der Erde. Im Juli stiegen die Temperaturen in vielen Regionen der Ukraine auf über 40 Grad Celsius. Extreme Temperaturen als Folge des Klimawandels machen Menschen anfälliger für Stress, Müdigkeit und Depressionen. „Extreme Hitze wirkt sich direkt auf unser Gehirn aus. Unser Körper denkt: Wie kann ich mich selbst regulieren und mein Wohlbefinden wiederherstellen? Das bedeutet Stress auf der körperlichen Ebene, ähnlich wie in der Sauna oder am Strand. Man kann das Bewusstsein verlieren oder sich in einem Zustand ständigen Unwohlseins, Müdigkeit oder Reizbarkeit befinden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir einem Kollegen gegenüber unwirsch werden oder unsere Kinder anschreien. Oder stellen wir uns einen Kellner vor, der in einem Café ohne Klimaanlage arbeitet. Für ihn ist die Kommunikation mit den Gästen unter solchen Bedingungen viel schwieriger, und die Gefahr von Konflikten steigt. Das kann sich in lauter Stimme, passiver Aggression oder Kraftausdrücken äußern“, erklärt die Psychotherapeutin.Die Forschung zeigt, dass sich der Klimawandel auf Männer und Frauen unterschiedlich auswirkt. Frauen sind anfälliger für den Klimawandel, da sie sich oft mehr um den Haushalt und das Wohlergehen der Familie kümmern. In der Ukraine stellt der Klimawandel die Landwirtschaft vor eine Reihe von Herausforderungen, darunter Dürren, das Auftreten neuer Schädlinge, Überschwemmungen und so weiter. „Aufgrund ihrer starken Bindung an Familie und Land reagieren ukrainische Frauen sensibler auf diese Veränderungen und sind daher besorgter. Im Allgemeinen bedeutet der Klimawandel den Verlust der Natur, die einst unser Zuhause war. Wir verlieren die Natur als Ort der Erinnerung, der Liebe, der Erneuerung und als Quelle von Ressourcen“, so die Expertin.
Als Beispiel erwähnt sie eine psychotherapeutische Übung namens „Sicherer Ort“. Eine Person wird gebeten, sich einen Ort vorzustellen, an dem sie sich ruhig und wohl fühlt. Ziel ist es, in einen Zustand des Gleichgewichts und der Ruhe zurückzukehren. Für viele Menschen ist das die Natur. Und die Klimakrise nimmt den Menschen diese sicheren Orte, an denen sie sich erholen könnten. Expert*innen von Ecodia schätzen, dass bis zum Jahr 2100 75.000 Ukrainer*innen zu KlimamigrantЇinnen werden könnten. Das bedeutet, dass sie sich dem Stress der Anpassung stellen müssen. Die Erfahrungen von Millionen Ukrainer*innen, die das Land wegen des Krieges verlassen mussten, bestätigen dies.
„Nach Beginn der Invasion war ich gezwungen, nach Berlin zu ziehen. In der Umgebung, in der wir leben, werden unsere Bewegungen automatisch, und wir verwenden keine Lebensenergie darauf, zum Kühlschrank zu gehen oder uns die Zähne zu putzen. Eines Nachts stieß ich gegen den Kühlschrank, und am nächsten Morgen dachte ich: Zu Hause wäre das nicht passiert. In einem neuen Land, in einer neuen Kultur muss man sich an alles anpassen, und das kostet viel mentale Energie. Eine andere Kultur und eine andere Sprache sind verwirrend, manchmal sogar beängstigend, denn wenn man die Sprache nicht versteht, versteht man nicht, wovon die Leute hinter einem reden, und man könnte denken, sie könnten einem etwas antun... Schließlich bin ich in die Ukraine zurückgekehrt, wo mir meine Orte, meine Menschen und meine Kultur Kraft geben“, sagt die Psychotherapeutin.
Warum der Gedanke an den Klimawandel Depressionen auslösen kann
Eine von einer Gruppe von Psycholog*innen im Jahr 2021 in Europa durchgeführte Umfrage unter 10.000 Menschen im Alter von 16 bis 25 Jahren untersuchte die Angst vor dem Klimawandel. Demnach gaben 77 Prozent der Befragten an, „Angst vor der Zukunft“ zu haben, 68 Prozent fühlten sich traurig und 63 Prozent ängstlich. 39 Prozent „zögern, Kinder zu bekommen“. Darüber hinaus werden psychische Störungen durch höhere Temperaturen verstärkt: Im schlimmsten Fall werden bis 2050 in den USA und Mexiko 9.000 bis 40.000 zusätzliche Selbstmorde allein durch übermäßige Hitze vorhergesagt.„Depressionen entstehen oft aus unverarbeiteter Trauer und nicht geteilten Erfahrungen. Im Zusammenhang mit dem Klimawandel können Menschen den Verlust einer Zukunft spüren, die stabil und sicher schien. Es ist wichtig, diese Gefühle wahrzunehmen und Menschen oder Gruppen zu finden, die diese Erfahrungen teilen“, erklärt Inna Datsjuk.
Inna Datsjuk hat viele Jahre Erfahrung im ökologischen Aktivismus. Ihr zufolge hat das Klimaproblem vor der großen russischen Invasion vor allem bei Aktivistinnen und Aktivisten zu Burnout geführt. Der Grund dafür war, dass es in der Ukraine kein adäquates Unterstützungssystem gab. Die Ergebnisse der Arbeit der Umweltaktivist*innen blieben unsichtbar. „Das Engagement verlangt der Psyche von Ökoaktivisten viel Energie ab und gleichzeitig gibt es viel Widerstand. Ich meine, der Klimawandel passiert nicht einfach so, es gibt große Organisationen, die ihn absichtlich verursachen, indem sie fossile Brennstoffe fördern und verkaufen. Es gibt wirtschaftliche Lösungen, aber es gibt auch den Druck der Unternehmen, die von fossilen Brennstoffen profitieren. Und der ist so stark, dass politische Veränderungen nicht stattfinden“, erklärt die Therapeutin.
Hilflosigkeit tritt auf, wenn wir nichts ändern können. Deshalb ist es sehr wichtig, ein Unterstützungssystem zu haben (zum Beispiel einen Psychotherapeuten oder thematische Gruppentreffen) und auf sich selbst zu achten. Genauso wichtig ist es, sich bewusst zu machen, dass die Möglichkeiten Einzelner begrenzt sind. Es ist wahr, dass der Klimawandel eine große Herausforderung für die Menschheit darstellt, aber es ist wichtig, ein inneres Gleichgewicht zu bewahren und zu verstehen, dass wir als Einzelne nur tun können, was in unserer Macht steht.
„Seit Beginn des Krieges habe ich nicht aufgehört, meinen Müll zu trennen, meine Öko-Tasche zu tragen und meinen Mehrwegbecher statt eines Pappbechers zu benutzen. Diese kleinen Aktionen zeigen, dass ich meinen Werten treu bleibe und weiterhin tue, was ich kann“, sagt die Expertin. Damit das Thema nicht zur Ohnmacht führt, können wir über ganz konkrete Herausforderungen sprechen. Energiesicherheit ist heute eines der meistdiskutierten Themen in der Ukraine. Wir können konkrete Lösungen für die Energieunabhängigkeit vorschlagen und planen. In diesem Zusammenhang wird die Klimakomponente Chancen aufzeigen: Energieunabhängigkeit und grüne Erneuerung.

Das Kulparkiw Fest ist eine Festveranstaltung zum Welttag der psychischen Gesundheit, die am 10. Oktober 2024 auf dem Gelände des Psychiatrischen Regionalkrankenhauses in Lwiw stattfand. Offene Sitzung zum Thema Therapeutisches Gärtnern (Chrysanthemen berühren). | Foto: © Yulia Pavlik
Wie man sich selbst helfen kann
Inna schrieb ihre Magisterarbeit zum Thema „Therapeutisches Gärtnern als Wohlfühlmethode für junge Menschen unter Kriegsbedingungen“. Therapeutisches Gärtnern ist ihrer Meinung nach eine der Möglichkeiten, Stress abzubauen, die Stimmung zu heben, soziale Beziehungen zu stärken, kognitive Funktionen anzuregen und das körperliche und seelische Wohlbefinden zu fördern. Es ist eine Arbeit in einem ruhigen Umfeld, in dem Menschen durch die Pflege von Pflanzen zu sich selbst finden, ihr inneres Gleichgewicht wiederfinden und ein Gefühl der Kontrolle über ihr Leben erlangen können.„Ich arbeite im Zentrum für psychosoziale Rehabilitation des Psychiatrischen Regionalkrankenhauses in Lwiw, wo ich therapeutische Gartenarbeit mit verschiedenen Personengruppen durchführe. Dazu gehören Patienten mit Depressionen, Suchterkrankungen und solche in Remission nach psychotischen Episoden. Ich arbeite auch mit Studierenden, Jugendlichen und Aktivisten der Zivilgesellschaft, die oft unter starkem Stress, Burnout und Sinnkrisen leiden“, sagt Inna.
Oft beginnen die von ihr geleiteten Sitzungen mit einer Einstimmung auf sich selbst und den Raum. Zum Beispiel beim Betrachten einer Pflanze oder eines Samenkorns: Wie fühlt es sich an, welche Erinnerungen weckt es? Dann gehen sie zu einfachen Handlungen über – Gewächse einpflanzen, Samen säen. Diese Tätigkeit beruhigt nicht nur, sondern schafft auch Raum für Reflexion und Dialog. „Meine Erfahrung und Praxis zeigen, dass einfache Handlungen mit Pflanzen ein wirksames Mittel zur Erholung und Unterstützung sein können. Die Wirkungen, die ich beobachte, sind sehr unterschiedlich und tiefgreifend zugleich. Eine depressive Patientin sagte, dass das Einpflanzen einer Pflanze zu einer Metapher für ihr eigenes Leben wurde: ‚Ich sehe, wie die Wurzeln dieser Pflanze einen neuen Platz finden. Und ich möchte meinen auch finden.‘ Diese Erkenntnis hat ihr geholfen, sich selbst und ihre Probleme anders zu sehen“, erklärt die Therapeutin.
Ein junger Mann, der nach einer psychotischen Episode in Remission ist, erzählte Inna, dass ihm die Pflege einer Pflanze geholfen habe, sich konzentrierter und stabiler zu fühlen. Das Gießen der Pflanze wurde zu seiner kleinen Aufgabe für den Tag. Und zum ersten Mal seit langer Zeit habe er das Gefühl gehabt, etwas richtig zu machen. Eine Studentin, die unter Burnout litt, fand beim Säen von Samen Frieden und ein Gefühl für den Augenblick. Sie habe nie gedacht, dass es so beruhigend sein könne, und hätte in diesem Moment weder an Abgabetermine noch an Probleme gedacht. Nur daran, wie das Leben mit einem so kleinen Samenkorn beginnt. In der Gruppe der depressiven Patient*innen sagte ein Teilnehmer, er dachte, er sei allein mit seinen Problemen. Während des gemeinsamen Pflanzens, hat er gemerkt, dass es um ihn herum Menschen gibt, die sich ebenfalls Mühe geben, und das sei sehr unterstützend gewesen.
Therapeutisches Gärtnern hilft Menschen, einen Sinn zu finden, ihr inneres Gleichgewicht wiederherzustellen, Ängste abzubauen und sogar ein Gemeinschaftsgefühl zu entwickeln. Dieses Thema wird an führenden Universitäten weltweit aktiv erforscht und die Studien bestätigen die positiven Auswirkungen auf die geistige, körperliche und soziale Gesundheit. „Der therapeutische Gartenbau verfügt über eine solide wissenschaftliche Grundlage, die seine Wirksamkeit bei der Verbesserung der psychischen Gesundheit bestätigt. So hat eine Studie von McCaffrey und weiteren (2010) gezeigt, dass die Teilnahme an Gartenbauprogrammen Angst und Depression bei Patienten mit psychischen Erkrankungen signifikant reduziert. Eine weitere Studie von Gigliotti und Jarrott (2005) belegt, dass Gartenarbeit die emotionale Stabilität und das aktive Engagement im Leben fördert, sogar bei Menschen mit Demenz“, so die Expertin.
Für sie ist besonders interessant, wie sich die Arbeit mit Pflanzen auf die körperliche Gesundheit auswirkt: Die Gartenarbeit trägt dazu bei, die körperliche Aktivität älterer Menschen zu steigern, und das therapeutische Gärtnern hat eine große soziale Wirkung. Studien haben gezeigt, dass die gemeinsame Arbeit im Garten die zwischenmenschlichen Beziehungen verbessert, insbesondere bei älteren Menschen, die oft unter Vereinsamung leiden. Darüber hinaus tragen Gartenarbeit und der Anbau lokaler Lebensmittel zur Ernährungssicherheit bei. Und wenn die angebauten Lebensmittel in der gleichen Gemeinde konsumiert werden, werden die Kohlenstoffemissionen reduziert, die normalerweise beim Transport für den Export oder Import entstehen.
Januar 2025