EU-Kommission  Ein Schritt nach vorne, zwei Schritte zurück

Ursula von der Leyen unmittelbar nach ihrer Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin im Europäischen Parlament.
Ursula von der Leyen unmittelbar nach ihrer Wahl zur EU-Kommissionspräsidentin im Europäischen Parlament. Foto: © European Union 2019 – EP, CC-BY-4.0

Mit der Wahl von Ursula von der Leyen zur Kommissionspräsidentin ist der EU das Unfassbare gelungen: Sie verprellt sogar leidenschaftliche Pro-Europäer. Ein Kommentar von Isabelle Daniel.

Nicht, dass die Aussicht auf Manfred Weber als EU-Kommissionspräsident prickelnd gewesen wäre: Der CSU-Politiker und Vorsitzende der EVP-Fraktion im Europaparlament gehört zu jenen konservativen Kräften, die eine progressive Klimapolitik blockieren, er ist gegen Netzneutralität und für eine restriktive Migrationspolitik. Seine Kritik am autoritären Gebaren des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán kam spät und halbherzig. Weber ist wahrlich keiner, der für ein zukunftsorientiertes Europa steht.

Und trotzdem: Der Europawahlkampf mit Weber als Gesicht der europäischen Kon-servativen und Frans Timmermans als Spitzenkandidat der Sozialdemokraten war ein großer Schritt nach vorn für die EU. Endlich ein Europawahlkampf, der erahnen ließ, wie eine europäische Öffentlichkeit der Zukunft aussehen könnte! Das Prinzip der Spitzenkandidaten — analog zu den meisten Wahlkämpfen in den EU-Mitgliedsstaaten — versprach mehr Demokratie in Europa und schien die Wähler ernst zu nehmen. Ein wichtiges Signal in einer Zeit, in der das Vertrauen in das „politische Establishment“ erodiert.

Das Spitzenkandidatenmodell erneuerte verloren gegangenes Vertrauen in die EU

In Deutschland wurde so viel über die Europawahl berichtet wie noch nie zuvor. Mit positiven Folgen: Die Wahlbeteiligung stieg, wie in vielen anderen europäischen Ländern auch, und die Wähler stimmten mit großer Eindeutigkeit für Europa.

Nur: Für wessen Europa? Das muss man sich, nach den auf Europawahl folgenden Entwicklungen, ernsthaft fragen.

Wie Ursula von der Leyen im Hinterzimmer des Europäischen Rates als neue Präsi-dentin der EU-Kommission bestimmt wurde, ist ein Schlag ins Gesicht aller Wähler, die an die Demokratisierungsfähigkeit der EU geglaubt haben. Versagt hat hier leider auch das Parlament, das in einem Akt der Selbstdegradierung den schmutzigen Deal eingegangen ist. Den Vertrauensvorschuss, den viele Europäer der EU alle vier Jahre gewährt haben — denn das Versprechen, das europäische Institutionengefüge zu demokratisieren, ist auch nach Jahrzehnten nicht eingelöst worden — wurde verspielt.

Die unbeliebteste Ministerin Deutschlands wird mit dem wichtigsten Amt Europas belohnt

Aus deutscher Perspektive hat der Wechsel der ehemaligen Bundesverteidigungsmi-nisterin an die EU-Spitze ein zusätzliches Gschmäckle. Er weckt ungute Erinnerungen an frühere Fälle, in denen erfolglose deutsche Landes- oder Bundespolitiker nach Brüssel „abgeschoben“ wurden. Im Fall Ursula von der Leyens wiegt die Verachtung demokratischer Prozesse und der EU selbst sogar noch schwerer. Die deutsche Ministerin, die laut einer Spiegel-Umfrage im März die mit Abstand unbeliebteste Ministerin der Großen Koalition war, wird für ihre Misserfolge im Verteidigungsministerium mit dem wichtigsten politischen Amt in ganz Europa belohnt.

Ja zu Rechtsstaatlichkeit, Nein zu Rechtsstaatlichkeit

Von der Leyen, so viel steht fest, wollte dieses Amt unbedingt. Spätestens in ihrer Bewerbungsrede vor dem EU-Parlament wurde das deutlich. Nicht, weil die Rede so leidenschaftlich vorgetragen war, sondern wegen ihrer bemerkenswerten Beliebigkeit: Mit Wahlversprechen in alle politischen Richtungen machte von der Leyen sich in Windeseile Freunde, aber nicht glaubwürdiger. Die widersprüchlichen Signale, die sie beispielsweise nach Budapest und Warschau schickte (Rechtstaatlichkeit ja, aber „keiner ist perfekt“), waren der Satirepartei „Die Partei“ würdig, die mit „Ja zu Europa! Nein, zu Europa!“ auf Stimmenfang gegangen war.

Von der Leyens Signale an Ungarn und Polen waren wichtig, aber sie richteten sich an die Falschen, nämlich die politischen Führungen beider Länder, die klar antidemokratische Züge tragen. Eine Solidarisierung mit der pro-europäischen, demokratischen Opposition in beiden Ländern wäre eine starke Botschaft gewesen — damit hätte sich von der Leyen aber wohl um ihren Wahlerfolg gebracht. Stattdessen ging die designierte Kommissionspräsidentin den Weg der Anbiederung an Orbán und die PiS-Regierung in Warschau. Dass viele europäische Liberale, Christ- und Sozialdemokraten an der Seite der polnischen und ungarischen Rechtspopulisten für von der Leyen gestimmt haben, war ein Fehler. Es scheint, als hätten einige Politiker nach Jahren in Brüssel verlernt, demokratisch zu denken.

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