Musiktherapie  Jeder kann singen

Zwei Personen liegen hinter einem Kontrabass und lächeln in die Kamera
Zusammen mit dem Kontrabassisten Petr Tichý bildet Ridina das Duo HLASkontraBAS. Foto: © Libor Fojtik

Für die Musikerin und Gesangscoach Ridina Ahmedová sind Gesang und Stimmarbeit nicht nur ein Weg, die eigenen Emotionen zu zeigen, sondern auch um Ängste und Sorgen abzulegen.

Keine Schubladen

Ridina Ahmedová (43) ist nur zur Hälfte Tschechin, ihr Vater stammt aus dem Sudan, was ihr exotisches Aussehen erklärt. Sie hat ihr Studium an der Prager Karlsuniversität im Bereich Humanwissenschaften absolviert und danach ein dreisemestriges Studium der Musiktherapie in Pilsen. „Jahrelang hatte ich private Gesangsstunden, habe gesungen und gesungen. Zuerst habe ich mich mit Jazz beschäftigt, aber das war irgendwie nicht das Richtige. Ich hatte das Bedürfnis mir meinen eigenen musikalischen Weg zu suchen, meinen Ausdruck.“ Im Jahr 2003 begann sie dann im Rahmen dieser Suche ihre Solo-Auftritte mit dem Projekt Hlasokraj (etwa „Stimmland“). Dort kombinierte sie Videoprojektionen von Reisen durch die Natur mit einem Live-Konzert. Für Hlasokraj bekam sie den Preis in der Kategorie Entdeckung des Jahres des Next Wave Festivals.

„Im Jahr 2006 habe ich dann das Soloalbum Hlasem (etwa „Mit der Stimme“) herausgebracht und mich an einer Reihe Film- und Theaterprojekten beteiligt. Ich begann, mich intensiver mit der Leitung von Stimmworkshops zu beschäftigen. In den letzten Jahren trete ich entweder solo oder also Duo HLASkontraBAS (STIMMEkontraBASS) mit dem Kontrabassisten Petr Tichý auf.“ Ihr gleichnamiges Album wurde für den Anděl-Preis des Jahres 2016 nominiert. Und wo soll man Ridinas musikalisches Werk stylistisch einordnen? „Was das Genre betrifft, da befinden wir uns jenseits der Kategorien“, sagt sie selbst. „Und ich mag es auch nicht, wenn man Musik in Schubladen steckt. Jeder von uns ist Individuum und Persönlichkeit und wir drücken uns so aus, wie es Inspiration und Bedürfnis erfordern.“

Hemmungen beseitigen

Die Stimme kann man auf mehreren Ebenen als Instrument betrachten. „Mit der Stimme kann man viel machen. Wir können sie vor allem als Instrument benutzen um auszudrücken, wie wir uns fühlen. Kinder machen das ganz selbstverständlich, sie summen vor sich hin, aber Erwachsene haben Hemmungen.“ Tatsächlich sammeln wir im Laufe unseres Lebens aus unserem Umfeld Informationen darüber, wie Gesang klingen soll und wie nicht. Wir erfahren von den Eltern oder Lehrern, ob wir ihrer Meinung nach singen können oder nicht. Und deswegen haben wir dann Angst uns zu zeigen, weil es vielleicht nicht perfekt klingt. „Die Stimme ganz natürlich als Mittel zum Ausdruck des Selbst verwenden, das machen nur wenige. Eine große Rolle spielt die Scham, die uns davon abhält das riesige Potenzial auszuschöpfen, das jeder von uns in sich trägt. Viele Menschen sagen, dass sie singen, aber nur im Bad oder im Auto.“
Zwei Personen liegen hinter einem Kontrabass und lächeln in die Kamera Zusammen mit dem Kontrabassisten Petr Tichý bildet Ridina das Duo HLASkontraBAS. | Foto: © Libor Fojtik Für Ridina ist der Gesang eine Möglichkeit, Emotionen auszudrücken. Das hat auch eine therapeutische Wirkung: „Manchmal kommt es vor, dass man irgendein Lied vor sich hin singt und dann fängt man an zu weinen. Über den Gesang oder die Stimmarbeit bekommen wir Zugang zu unserem Inneren. Oft haben wir Sorgen und keine Zeit, uns mit ihnen zu beschäftigen. Der Gesang öffnet ihnen die Tür nach draußen.“

Sing einfach

„Es gibt viele Möglichkeiten des stimmlichen Ausdrucks. Ich suche und finde gerne neue Lagen und Methoden, wie man sie anwenden kann“, sagt Ridina, deren Stimm-Workshops sehr beliebt und gut besucht sind. „Das Singen hat mich immer gereizt. Und da habe ich überlegt, wie ich Menschen helfen könnte, sich so frei zu machen, dass sie dabei dieselbe Freude erleben können wie ich. Natürlich nur denen, die das wollen.“ Ihre Workshops sind geprägt von Offenheit und Verspieltheit, es geht vor allem um das Überwinden von Hemmungen und Blockaden. „Ich sehe den Unterschied zwischen den Menschen, wenn sie zum Workshop kommen und wenn sie wieder gehen. Es ist interessant, die Veränderungen zu beobachten. Oft verlassen sie mich bewegt darüber, so etwas erlebt zu haben. Und sie geben zu, dass sie nicht geglaubt haben, wirklich singen zu können.“

Ridina wird auch in verschiedene Firmen oder Zentren eingeladen, wo sie Stimmseminare und Workshops gibt. Die Methodik der Seminare ist ähnlich, aber immer empathisch auf die jeweilige Gruppe oder das Klientel zugeschnitten. „Ich muss da individuell herangehen. Solange ich die Menschen nicht kenne, weiß ich nicht, wie ich mit ihnen arbeiten soll. Deshalb ist es wichtig, vor Ort eine Weile die Umgebung, die Launen und Energie der Teilnehmer wahrzunehmen. Dann kann man einfühlsam die richtige Vorgehensweise und Übung wählen, damit sie sich nicht erschrecken und verschließen, noch bevor sie anfangen an sich zu arbeiten. Die Notwendigkeit, empathisch zu sein, gefällt mir daran sehr.“ Ridina ergänzt, dass es für die Stimmworkshops keinerlei Altersbegrenzung gibt. Im Ponec Theater in Prag leitet sie zum Beispiel ein Stimm- und Bewegungsseminar für Senioren gemeinsam mit der Tänzerin Lenka Bartůňková.

Das eigene Verhalten ändern

Menschen haben unterschiedliche Ängste und Blockaden, die sie am Singen hindern. Stimmworkshops helfen ihnen dabei, diese Hindernisse zu beseitigen. „Ich arbeite mit unterschiedlichen Techniken. Die Art, wie wir singen und unsere Stimme erklingen lassen, beeinflusst auch unser Verhalten. Einfacher gesagt: Wenn ich lerne, mich für lautes Singen nicht zu schämen, dann schäme ich mich später weniger, meine Meinung zu sagen. Der Workshop funktioniert also wie ein Stimulator, während dessen man durch Gesang versuchsweise Dinge erlebt, die man dann in den Alltag überträgt.“
Als Ableger der Musiktherapie existert auch die Voice Therapy, die Therapie durch die Stimme. Diese ist in Tschechien bisher nicht sehr verbreitet, aber in Dänemark kann man sie zum Beispiel studieren. „Ich kenne solche Therapeuten, sie arbeiten individuell mit misshandelten Frauen, Alkoholikerinnen, mit Flüchtlingen. Es ist interessant zu untersuchen, was die Stimmarbeit alles erreichen kann.“

Ridina hat einen relativ vollen Zeitplan: Sie leitet Stimmworkshops, hat das Zentrum Hlasohled (etwa „Stimmblick“) für die Arbeit mit der menschlichen Stimme gegründet und arbeitet am Projekt Zpěvomat (etwa „Singomat“), das Live-Gesang in öffentliche Räume von Städten bringt. Zur Zeit bereitet sie das Projekt muzuzpivat.cz (ichkannsingen.cz) vor, das sich an alle richtet, die gerne singen würden, aber Hemmungen haben.

Neben den Arbeitseinsätzen kümmert sie sich um ihre drei Kinder. Da sie noch sehr klein sind, lässt sich bisher noch nicht erkennen, ob sie sich irgendwann einmal mit der Stimme und der Musik beschäftigen werden. „Ich möchte meine Ambitionen oder Wünsche nicht auf sie projizieren. Ich möchte ihnen Raum für die Entscheidungen geben, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Natürlich singen sie wie alle Kinder, außerdem gehen sie in den Chor und den Klavierunterricht. Ich unterstütze sie darin, aber würde sie nicht mit Gewalt dort halten wollen, wenn sie es nicht wirklich selber wollten. Ich zeige ihnen eher die Richtung, in die sie gehen können.“

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