Childfree-Bewegung  Freiwillig kinderlos

childfree Foto: Kristopher Roller via unsplash | CC0 1.0

Die Childfree-Bewegung wurde im zurückliegenden Jahrzehnt meist als Ausdruck des Lebensstils einiger Millenials wahrgenommen. Wer aber sind diese freiwillig Kinderlosen und warum haben sie sich für diesen Lebensweg entschieden?

Sedmá generace logo Dieser Artikel wurde bereits in der Zeitschrift Sedmá generace veröffentlicht, die alle zwei Monate erscheint und sich ökologischen und gesellschaftlichen Themen widmet. Wir danken für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.

Die Postmoderne stellt die Menschen immer häufiger vor die Frage, in welchem Ausmaß ihr Verhalten von der Gesellschaft vorgegeben wird, und in welchem Ausmaß es ihrem Inneren entspringt. Der Wunsch, keine Kinder zu haben, galt früher als Frevel, vor allem dann, wenn er von einer Frau vorgebracht wurde. Freiwillige Kinderlosigkeit ist schließlich eine gesellschaftliche Abweichung. Nachkommen zur Welt zu bringen und aufzuziehen, war immer üblich gewesen – für den Fortbestand der Sippe. Und vor allem wurde das erwartet. Und trotzdem gibt es Leute, die diese Praxis nicht akzeptieren wollen.

Auch freiwillig Kinderlose können eine Familie sein

Die Childfree-Bewegung wird getragen von freiwillig Kinderlosen, die ihre Ideale und Erfahrungen – vor allem solche des Drucks von Seiten ihrer Familien, Freunde und der Gesellschaft – miteinander teilen. Eines ihrer Austauschforen ist der 1984 gegründete internationale Nonprofit-Klub No Kidding!, dessen tschechischer Ableger NoKiddingCZ im Jahr 2008 entstand.

Freiwillige Kinderlosigkeit wird – ungeachtet unterschiedlicher kultureller Kontexte – systematisch in Zweifel gezogen. Wer von diesen Kinderlosen hat noch nicht den Satz gehört „Das wirst du schon noch irgendwann überdenken“, so als sei der Wunsch, keine Kinder zu haben, völlig aus der Welt. Die Childfree-Bewegung kämpft dafür, dass dieser Wunsch als normal angesehen und respektiert wird, was auch die Anerkennung von Lebensgemeinschaften freiwillig Kinderloser als Familie beinhalten soll.

Kinderlos für den Planeten

Einer der häufigsten Gründe, keine Kinder zu bekommen, sind Sorgen wegen des Klimawandels. Die Klimaforscher*innen Kimberly Nicholas und Seth Wynes kamen auf der Grundlage von 39 Studien zu dem Schluss, dass weniger Kinder in die Welt zu setzen auf individueller Ebene einer der effektivsten Wege ist, die Klimakrise zu bekämpfen. Die Sorgen betreffen aber auch die Zukunft möglicher Nachkommen. Manche Anhänger*innen der Childfree-Philosophie lassen sich aus solchen Gründen sogar sterilisieren. Entweder wollen sie ein Leben ganz ohne Kinder oder sie entscheiden sich für Adoption oder Pflegeelternschaft.

Wir fragen ja diejenigen, die Kinder haben wollen, in der Regel auch nicht nach ihren Gründen. Warum also ist das umgekehrt der Fall?“

Antinatalisten sind der Ansicht, dass Geburt und Leben einen negativen Wert haben und die Fortpflanzung deshalb unmoralisch sei. Einer ihrer Hauptvertreter, der pessimistische Philosoph Arthur Schopenhauer, erklärte, das Gefühl des Leidens sei im Leben die vorherrschende Emotion. Im Sinne dieser Philosophie wird jede*r ohne Zustimmung – und oft auch ungeplant – geboren. Der Antinatalismus argumentiert ebenfalls ökologisch, etwa mit Überbevölkerung, Klimawandel oder der Erschöpfung nichterneuerbarer Energieträger. Dem Thema der Überbevölkerung widmen sich im Rahmen der gemeinnützigen Organisation Population Matters unter anderem auch der Naturforscher Sir David Attenborough und die Biologin Jane Goodall. Darüber, wie sehr Überbevölkerung als solche für die Klimakrise verantwortlich ist, und ob das Problem nicht eher im modernen Lebens- und Konsumstil liegt, lässt sich allerdings streiten.

Wozu sind Mädchen auf der Welt?

Weitere, aber nicht weniger legitime Gründe für Kinderlosigkeit, sind Freiheit, Geld, Karriereplanung oder Reisen. Es ist anstrengend, sich um Nachwuchs zu kümmern, und es ist eine enorme Verantwortung für ein lebendes Wesen zu sorgen. Manche Kinderlose haben auch Angst davor, dass sie schlechte Eltern sein könnten, dass sie schlechte Gene weitervererben oder dass sie als Eltern einen Teil ihrer Identität verlieren. Wenn wir alle diese rationalen Gründe außen vor lassen, bleibt immer noch ein sehr wichtiger übrig: dass jemand einfach kein Kind will. Manch eine*r hat schlicht und ergreifend keine elterlichen Instinkte, sieht keine Notwendigkeit seine oder ihre Gene weiterzugeben und nicht jede*r sieht im Aufziehen von Kindern den Sinn des Lebens. Im Übrigen fragen wir ja diejenigen, die Kinder haben wollen, in der Regel auch nicht nach ihren Gründen. Warum also ist das umgekehrt der Fall?

Was auch immer die Gründe für freiwillige Kinderlosigkeit sein mögen, ist sie jedenfalls ein Lebensentwurf, der viele Menschen provoziert, vor allem dann, wenn es eine Frau ist, die diese Entscheidung für sich getroffen hat. Der gesellschaftliche Druck, dass eine Frau in erster Linie Mutter und Fürsorgerin zu sein hat, ist leider immer noch vorherrschend.

Sprung ins Ungewisse

Ein kinderloser Lebensstil wird oft als unnatürlich und egoistisch bezeichnet, und ruft nicht selten negative, manchmal sogar aggressive Reaktionen hervor. Dabei könnte es sich um Angst vor etwas Neuem handeln, denn bis vor nicht allzu langer Zeit lebten die Menschen in der Vorstellung, dass die Fortpflanzung nichts mit einer freien Entscheidung zu tun habe, sondern in gewisser Weise einer natürlichen Notwendigkeit entspringt. Ebenso ruft das Thema negative Gedanken hervor bei Eltern, die ihre Entscheidung für Kinder im Nachhinein bereuen. Niemand kann im Voraus wissen, wie er oder sie die elterliche Rolle ausfüllt – und ob diese Rolle auch erfüllend ist. Zwar können auch Kinderlose ihre Entscheidung gegen biologische Nachkommen später bereuen, allerdings sind es dann vor allem sie selbst, die dafür die Konsequenzen tragen.

Angriffe, besonders online in sozialen Netzwerken, kommen jedoch auch von Seiten der freiwillig Kinderlosen. In einigen Facebook-Gruppen, zum Beispiel in No Kidding Czech-Dobrovolně bezdětní, werden Menschen mit Kindern verpottet, manchmal gibt es sogar Hassbotschaften gegen Kinder selbst. Ich persönlich verstehe diese Aggressivität als Folge des erwähnten gesellschaftlichen Drucks auf Kinderlose. Wahrscheinlich haben manche von ihnen das Bedürfnis, sich abzugrenzen und sich ihrer eigenen Haltung zu versichern, wenn auch auf eine negative Art und Weise.

So teilen sich die freiwillig Kinderlosen in zwei Lager: in solche, die die individuelle Entscheidung jedes Menschen respektieren, und in die solche, die Menschen mit Kindern kritisieren. Deshalb entstand auf Facebook auch die Gruppe Bezdětně s respektem (Kinderlos mit Respekt), in der Angriffe und Hassbotschaften gegen Eltern und Kinder nicht toleriert werden, und der auch Eltern beitreten können. Die Mitglieder der Gruppe haben erkannt, dass ein Leben sowohl mit als auch ohne Kinder erfüllend sein kann. Ihre Themen diskutieren können dort auch diejenigen, die sich ihrer Entscheidung noch nicht ganz sicher sind, oder die ihre Entscheidung bereuen.

Eine Frau ohne Kinder ist zu nichts zu gebrauchen

Schon als Kind hatte ich für Kinder nichts übrig. Ich habe nicht gespielt, dass ich Mama wäre, und auch den Anblick von Mädchen, die einen Puppenwagen schieben, fand ich irgendwie komisch. Meine Mutter hat mir immer versichert, dass ich meine eigenen Kinder schon gerne haben würde. Und so wuchs ich mit der Vorstellung auf, dass die Zukunft so sein würde, wie sie sie mir diktiert hatten. Je älter ich wurde, desto mehr vertiefte sich meine Unsicherheit und ich begann mich vor dem Familienleben regelrecht zu fürchten. Hinzu kamen Alpträume von Schwangerschaft und kleinen Kindern. Die Vorstellung, Mutter zu sein, war für mich einfach nicht natürlich.

Mich faszniniert es immer noch, dass die Motive freiwillig Kinderloser systematisch in Zweifel gezogen werden.“

Diese Gefühle äußerte ich dann zwar, aber ich sah die Notwendigkeit, sie hinter einem Vorhang aus rationalen Gründen zu verstecken, wie zum Beispiel ökologischen. Mein Umfeld reagierte nicht besonders positiv. Es gab die üblichen Zweifel an meinem Urteilsvermögen und Versicherungen, dass das schon noch irgendwann überdenken würde. Desweiteren mussste ich mir rassistische Meinungen anhören, dass ich als weiße Europäerin Kinder gebären müssen, denn weiße Europäer würden aussterben. Oder auch, dass eine Frau, die keine Kinder hat, zu nichts zu gebrauchen sei. Und wenn ich mich nicht überreden ließe, dann wurde mir gesagt, dass jemand wie ich wirklich  keine Kinder haben sollte.

Meine Gynäkologin versuchte mich zu überzeugen, zumindest ein Kind zu bekommen, es wäre sonst schade. Von meinem Vater war zu hören, ich würde unter einer Abweichung leiden, ähnlich wie Homosexualität. Manchmal fragen mich Leute auch, ob ich sterilisiert wurde. Oder ich bekomme den Ratschlag, dass ich, wenn es mir um die Umwelt geht, Kinder gebären und zu ähnlich denkenden Menschen erziehen sollte. Ich sehe mich auch Vorwürfen ausgesetzt, wie egoistisch es sei, keine Verantwortung für ein weiteres Leben zu übernehmen, dem ich mit meiner Erziehung und meinen Genen Schaden zufügen könnte.

Mich faszniniert es immer noch, dass die Motive freiwillig Kinderloser systematisch in Zweifel gezogen werden und ihnen eine Elternschaft aufgezwungen wird, aber gleichzeitig niemand die Fähigkeit von Paaren, die Kinder wollen, anzweifelt, für ihre zukünftigen Nachkommen zu sorgen, oder fragt, ob deren Gründe egoistischer Natur sind. Denn schließlich ist das einzige, was ich als Kinderlose will, dass meine freie Wahl respektiert wird.

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