Wir müssen reden Foto: Giulia May via unsplash | CC0 1.0

Coaching gibt es für so ziemlich alles, für jede erdenkliche persönliche oder berufliche Lebenslage. Wer sich in Deutschland coachen lassen will, braucht nur zwei Dinge: Den Wunsch dazu und Geld. Was steckt hinter dem Coaching-Boom und wohin könnte er führen?

Spätestens seit der Corona-Krise haben die meisten Menschen ihre bisherige Lebensweise wenigstens einmal gründlich hinterfragt: was ist mir wichtig? Wo will ich hin? Was brauche ich? Der Weg zu neuen Ufern führte dabei für viele über Online-Tutorials, Ratgeberliteratur, Social Media, digitale Gruppen oder Coaching – ein Riesentrend. Wer auf Deutsch nach „Coaching“ googelt, bekommt weit mehr als drei Milliarden Suchergebnisse. Wäre jedes einzelne Ergebnis auch ein Coach, kämen auf jede*n Einwohner*in Deutschlands 462 Coaches. Coachen lassen kann man sich bei so ziemlich allem: um fitter zu werden, für das Leben als Patchworkfamilie, beim Flirten oder der Erziehung von Haustieren. Die Berufsbezeichnung ist nicht geschützt, es gibt keinen linearen Ausbildungsweg, um Coach zu werden. In vielen Fällen ist der Begriff unscharf, fällt irgendwo zwischen Lebensberatung, Sozialpädagogik und Psychologie.

Im engeren Sinne begleitet Coaching Menschen, die sich im beruflichen Kontext verändern wollen oder müssen. Die Marburger Coaching Studie von 2016/17 definiert Coaching so: „[E]ine Form einer personenbezogenen und zugleich wissensintensiven Dienstleistung, welche als Personalentwicklungsinstrument zur individuellen Beratung im beruflichen Kontext in Organisationen einsetzt wird.“ Coaching setzt oft bei Rollenkonflikten an: Das kann der schüchterne Kollege sein, der zum Teamleiter befördert werden soll oder die Managerin, die glaubt, niemand hört ihr richtig zu. Im beruflichen Coaching geht es darum, dass die Coachees – also Menschen, die sich coachen lassen – sich eigene Themen und Ziele stecken, bei denen sie ein Coach begleitet.

Coaching ist ein unübersichtliches Feld

Wie viele Coaches es in Deutschland gibt, ist nicht ganz klar, denn praktisch jede*r, der oder die jemanden berät, könnte sich derzeit in Deutschland „Coach“ nennen. Verbände sind ein guter Anhaltspunkt dafür, ob Coaches seriös arbeiten, manche zertifizieren ihre Mitglieder auch, doch tun dies nach eigenen Kriterien – diese können solide oder auch frei erfunden sein. Manche Verbände haben sich auf bestimmte Methoden oder Spezialist*innen festgelegt. Doch Coaching ist bis heute wenig umrissen im Vergleich zu Psychotherapie oder Erwachsenenpädagogik.

„Ich war sehr skeptisch der Coaching-Branche und anderen Beratungsbranchen gegenüber“, sagt Alexander Brungs rückblickend. 2010 schloss der Philosoph und Historiker seine Ausbildung zum Coach in Freiburg im Breisgau ab, seit 2016 ist er Vorstand im Deutschen Coaching Verband (DCV). „Ich dachte mir dann: Was man schlecht machen kann, kann man womöglich auch gut machen“, erinnert er sich. Brungs sagt, er müsse nicht von seinen Coaching-Einnahmen leben. „Das verschafft mir doch auch eine gewisse Ruhe. Ich kenne Leute, die müssen Aufträge annehmen, auch wenn sie Bauchschmerzen haben“, so der DCV-Vorstand.

Das Versprechen lautet: Man muss sich nur anstrengen, verändern wollen – dann erreicht man so ziemlich alles.

Das lukrative Geschäft mit dem Coaching

Das Thema Geld ist ein zentrales beim Coaching – denn Coaching braucht Zeit und die kann einiges kosten. Leider eröffnet sich so auch ein Feld für Betrüger*innen und Pseudo-Coaches, die auf schnelles Geld hoffen und dabei möglicherweise große Schäden anrichten. Zum Vergleich: 2015/16 kosteten 60 Minuten mit einem oder einer Coach laut Statista bis zu 150 Euro netto. Die Marburger Coaching-Studie kommt im selben Jahr auf gut 215 Euro pro Stunde und ein Tageshonorar von rund 1.500 Euro für Coaches. „Ich persönlich würde sagen, die unterste Schmerzgrenze ist 100 Euro, wenn Sie selbstständig arbeiten“, sagt Brungs. „Sie können das ja mal durchrechnen.“ Wer vom Coaching lebe, müsse damit seinen Lebensunterhalt bestreiten, sich fragen: Kann ich mir niedrige Preise leisten? Trägt sich mein Geschäftsmodell?

Die hohen Preise für das Coaching gelten aber meist als akzeptabel, denn Coaching war historisch vor allem eher Top-Manager*innen vorbehalten. Ähnlich wie bei Wellness-Angeboten vertrauen manche beim Coaching deshalb dem Preisschild – wenn es viel kostet, muss es auch gut sein. Coaching trifft den Nerv einer Generation, für die es nicht nur irgendwie interessant, sondern essentiell sein kann, die eigene Psyche, die eigene soziale Rolle oder gesellschaftliche Performance gut zu kennen und modellieren zu können. Das darf gerne auch was kosten. Das Versprechen lautet: Man muss sich nur anstrengen, verändern wollen – dann erreicht man so ziemlich alles. Coaching kann bei einigen Menschen fast wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirken: Wer intensiv auf ein Thema fokussiert, wird immer auch Fortschritte erleben. Wer einen Verbündeten an seiner Seite weiß, fühlt sich bestärkt. Am Ziel lässt sich fragen: Hat es geklappt, weil man einer schwierigen Aufgabe nicht mehr ausgewichen ist? Weil man einfach oft genug geübt hat? Oder wirkt der spezielle Einfluss des Coaches?

Die KI, dein Freund und Coach

So kostspielig Coaching für Einzelne sein mag – für Unternehmen lohnt es sich. Denn einzelne Mitarbeiter*innen für neue Prozesse, Aufgaben oder Rollen fit zu machen ist zeit- und kostenintensiv. Es ist günstiger, diesen Prozess an Dritte abzugeben – also einzelne Coaches oder Coaching-Pools. Mittlerweile werben sogar einige Unternehmen mit Coaching-Leistungen, gleich neben ÖPNV-Ticket, Kinderzuschuss oder Fitnessclub – und das kommt gut an im Kampf um Geld oder Status.

Der Boom speist sich also auch aus einer jüngeren Generation, die keine Berührungsängste mit digitalen Angeboten wie Achtsamkeitsapps, Fitness-Trackern oder eben Online-Coaching hat. Brungs ist davon nicht begeistert: „Von den Digital Coaching Providers (DCP) macht jetzt gefühlt alle zwei Wochen ein neuer auf mit großen Versprechungen.“ Deren Rezept basiert darauf, dass Unternehmen ein externes Coaching-Team brauchen und sich damit an DCPs wenden. Diese haben ganze „Kataloge“ mit Coaches zur Verfügung. Das zahlende Unternehmen kann einen Festpreis, mitunter sogar die Methode des Coachings festlegen. Für die einzelnen DCP-Coaches gibt es möglicherweise weniger Geld – aber dafür entfällt auch die Akquise. Brungs ist nicht per se gegen Online-Angebote, doch DCPs verfolgen seiner Ansicht nach andere Ziele. Er schätzt, dass in zunehmend standardisierten Coachings vergleichbare (wenn auch anonymisierte) Daten erhoben und daraus neue digitale Angebote erstellt werden. Das könnten zum Beispiel Coaching-Bots oder Apps sein, die menschliche Coaches ersetzen. Wer in diesen Modellen arbeitet, würde an seinem eigenen Ast sägen, so der DCV-Sprecher.

Ein solches Unternehmen ist auch CoachHub, in Berlin ansässig und nach eigenen Angaben „die führende, digitale Coaching-Lösung“. Es ist vor allem ein wachsendes Digitalunternehmen, das den Coachingmarkt erschließt und dabei auch auf KI-Software setzt. Für ein Interview zum Geschäftsmodell stand CoachHub leider nicht zur Verfügung.
 

Das Unternehmen, das 2018 gegründet wurde und nach eigenen Angaben rund 500 Mitarbeitende hat, wirbt mit einer „Demokratisierung des Coachings“. Es verfügt über Coaches in unterschiedlichen Sprachen, die per Videotelefonie oder App erreichbar sind – ein perfektes Modell für die Pandemie. Das spiegelt sich auch in den Zahlen wieder: Ende 2019 erhielt das Berliner Start-Up 16 Millionen Euro von Investoren, im September 2021 folgten 25 Millionen Euro. Ein lukratives Geschäft, das aber auch perspektivisch die Türen öffnet für eine Art „Discounter-Coaching“ per App und KI, das sich immer weiter davon entfernt, was beispielsweise Alexander Brungs unter Coaching versteht.

Coacht kaputt was euch kaputt macht

Doch alleine mit der Vermehrung der Angebote und einfacheren Zugänge zum Coaching erklärt sich noch nicht, warum es so boomt. Vier Erklärungsversuche für den Erfolg der Beratungsangebote:

1.

Erwerbsarbeit ist alternativlos geworden zu jeglichen anderen Lebensentwürfen. Menschen passen sich den Umständen der Arbeitswelt an – nicht andersrum. Druck und Konflikte werden nur unzureichend aufgelöst, Konkurrenz und Statuserhalt bestimmen den Alltag. Viele haben hohe Ansprüche an sich selbst oder ihre Arbeit und fühlen sich damit alleingelassen. „Das Erfordernis allgemeiner formaler Qualifikationen wird überlagert durch die Entwicklung eines einzigartigen Profils von Kompetenzen und Potenzialen“, schreibt der Soziologe Andreas Reckwitz in seinem 2018 erschienenen Buch Die Gesellschaft der Singularitäten. „Das spätmoderne Arbeitssubjekt soll und will einzigartig sein – ein Bündel von Fähigkeiten und Talenten, dessen Performanz nicht austauschbar, sondern möglichst außergewöhnlich ist. Die Singularität lädt damit die vermeintliche versachlichte Arbeitswelt der Moderne enorm mit Kultur und Affektivität auf.“

Reckwitz verweist an anderer Stelle darauf, dass diese Sichtweise auch zunehmend formale Bildungs- und Berufsabschlüsse entwertet und zu mehr atypischen Beschäftigungen führen kann, sei es die abgehetzte Lieferservice-Fahrerin oder der umworbene Beauty-Influencer. Die vermeintliche Individualität verschleiert damit auch Privilegien und isoliert Menschen gleichzeitig von anderen. Coaching verschiebt damit die Arbeit an der Gesellschaft an das Individuum, das sich ein passgenaues Performanceprofil erstellt, um Status und Privilegien zu sichern.

2.

Menschen kämpfen mit immer mehr An- sowie Überforderung, Stress, Zeitverdichtung und Depressionen. Viele ignorieren die Warnsignale von Körper und Geist, klotzen einfach weiter – zur Not mit eiserner Disziplin, Tabletten, Drogen oder Alkohol. Das hat Folgen: Laut der Debeka-Versicherungsgruppe sind psychische Erkrankungen in Deutschland derzeit die Hauptursache für Berufsunfähigkeit. Coaching reagiert, so eine Vermutung, damit auch auf die große Nachfrage nach Therapieplätzen, von denen es in Deutschland zu wenige gibt.

3.

Immer mehr Menschen fühlen sich orientierungslos, gerade weil es so viele Angebote gibt, aber keiner einem Entscheidungen abnimmt oder vorhersagen kann, ob sich dieser oder jener Weg lohnt. Verbindlichkeiten und Gruppenidentitäten lösen sich auf, ein Coach kann sagen, wo es langgeht – und ihm oder ihr kann man ein Stück weit die Verantwortung übertragen.
 

Auch Brungs hat so etwas in seiner Branche beobachtet: „Reden, Selbstreflexion und Achtsamkeit lösen nicht alles auf. (…) Irgendwann muss man handeln und man hat was in die Welt gesetzt, was dann da ist und womit man selbst und alle anderen umgehen müssen“, so der Coach. „Das erfordert auch eine Entscheidung und die muss man dann hinterher verantworten.“ Genau das aber könne manchen Menschen schwer fallen. Hier setze eine Art „Telefonschleife-Effekt“ ein, bei man sich von Anweisung zu Anweisung hangelt, um eine Lösung zu finden. „In Wahrheit wird Verantwortung soweit delegiert, dass sie am Ende niemand mehr hat“, so Brungs.

4.

Das enorme Interesse an Selbstreflexion sowie der Ergründung und Aussprache des eigenen Innenlebens ist ebenfalls ein großer Trend, der eher positiv bewertet wird. Doch jene „Selbstbefragungen“ sind nicht nur einfach eine persönliche Angelegenheit – sie sind auch ein Ort von Konkurrenz: Wer macht die beste Detox, wer kann am besten fokussieren, unter Stress bestehen? Das erzeugt eine permanente Gefühls- und Gedankenspirale, die sich ständig neu reproduziert und nie ganz auflöst. „Wesentlicher Bestandteil von Coaching ist, ein Gespräch zu führen über Dinge, die mich wirklich betreffen, das mir erhellende Momente gibt, wo ich mit jemandem spreche, der oder die mich ernst nimmt“, so Brungs. „Da denken Sie: Natürlich nimmt man seinen Gesprächspartner ernst. Aber in Wahrheit haben immer weniger Leute Gelegenheit genau dazu.“ Die erhoffte Klarheit kann manchmal schlichtweg nicht herbeigeredet werden, wenn die Bereitschaft fehlt, Verantwortung für Entscheidungen zu übernehmen. Oder zu sagen: Jetzt ist auch mal gut.
 

Wie erkenne ich seriöses Coaching und brauche ich es überhaupt?

  • Ein guter Coach wird nie etwas Konkretes versprechen wie: „In einem Jahr 30.000 Euro mehr verdienen“ oder „Mit diesen sieben Hacks wird dein Leben besser!“. Zielvereinbarungen – also was man als Coachee erreichen möchte – setzt man selbst. Der oder die Coach berät dich eher, ob die Ziele zu hoch gegriffen, zeitlich unrealistisch sind oder in kleinere Unterziele gesplittet werden sollten.
  • Coaches sollten eine Grundausbildung und/oder Weiterbildungen absolviert haben. Ideal sind auch ein Studium der Psychologie oder Pädagogik oder Fachkenntnisse aus der Personalführung und dem Management. Je nach Branche oder Ziel können bestimmte Fachqualifikationen ein zusätzliches Plus sein.
  • Coaching ist nicht billig. Eine Stunde kostet ab 100 Euro aufwärts, oft eher 200 bis 250 Euro. Preise, die deutlich darunter oder weit darüber liegen, sollte man hinterfragen.
  • Manche Coaches organisieren sich in Verbänden. Auf deren Webseiten kann man sich auch die Kriterien für die Aufnahmen in den Verband durchlesen oder wie die Zertifizierung funktioniert.
  • Die persönliche Beziehung zum oder zur Coach sollte stimmen. Selbst wenn man einen fachlich perfekten Coach gefunden hat, es aber menschlich nicht passt, ist ein Wechsel vielleicht doch besser.
  • Brauche ich überhaupt ein Coaching? Die Grundidee ist mit dem Sporttraining verwandt. Hier sollte man sich fragen: Schätze ich meine Ausgangssituation realistisch ein? Bin ich bereit, aktiv mitzumachen? Ist der Coach eine Art „Cheerleader“? Kann ich Ratschläge annehmen und bin bereit sie umzusetzen? Übernehme ich Verantwortung für meine Entscheidungen? Ein Coach ist weder eine „gute Seele“, die den eigenen Sorgen und Weltansichten zuhört, noch kann er oder sie psychische Probleme lösen.
  • Was beschäftigt mich überhaupt? Ein klassisches Coaching dreht sich meist um das Arbeitsleben, doch Rollenkonflikte oder Probleme überlappen meist auch aus dem Privatleben. Themen lassen sich mit „Alltags-Tracking“ besser einkreisen – sei es per App, Tagebuch, dem Ausfüllen einer so genannten Clarity-Canvas, einem Bullet Journal oder einer Notizapp wie Evernote.

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