Hypothese
Planlos? Okay.

Geschäftsleute halten einen Bauplan Foto (Detail): Fotoagentur WESTEND61 © picture alliance

Ich möchte dich auf eine dreiteilige Hypothese einladen, auf eine Hypothese, die befreiend wirkt. Es ist nur ein Gedankenspiel, aber es macht Spaß und es ist ohne Risiko.

Maximilian Buddenbohm

Der erste Teil der Hypothese lautet: „Es gibt keinen Plan.“ Nimm das bitte einmal kategorisch an. Der Satz erklärt einen erheblichen Teil der Weltgeschichte, vermutlich erklärt er auch die Lage der Firma, für die du gerade arbeitest, die Lage der Schulpolitik und vielleicht auch die letzten Jahre deines Lebens und deiner Beziehung. Wenn man die Annahme nur radikal genug denkt, erklärt sie wirklich viel. Die Regierung hat keinen Plan, die Konzernleitung hat keinen Plan, der Bürgermeister nicht und die Weltbank auch nicht, unsereins schon gar nicht.

Der Rest hat sich dann ergeben

Nein, es gibt keinen Plan. Wenn man diesen Satz, den man sich übrigens ganz ohne Bosheit denken sollte, einfach nur als Tatsache, immer wieder und über Jahre hinweg als Erklärungsversuch heranzieht, um zu deuten, was gerade passiert, dann ist die Trefferquote unglaublich hoch. Weil der Mensch an sich nicht zum Planen neigt. Weil wir selten mehr als eine Handvoll Schritte vorausdenken, zwei, drei nur und die auch noch ungenau, denn wir sind zutiefst auf Reaktion geprägt. Wir gucken wie es ist, dann machen wir etwas. Unser Hirn ist noch wie vor zigtausend Jahren, da haben wir morgens die Höhle verlassen und gedacht, wir gucken mal, wo Beeren hängen. Der Rest des Tages hat sich dann ergeben. Das ist unsere Planungskompetenz, die hat sich nie verändert. Und je nachdem, ob man unsere gesamte Geschichte bisher als Erfolg betrachtet oder nicht, ist das vermutlich auch gut so, immerhin reicht diese Geschichte bis zu uns.

Wir bauen natürlich Optionen für schlechtes Wetter in den Tag ein, vielleicht auch für sinkende Aktienkurse und für den Gewinn der anderen Partei, aber das sind keine Pläne, das sind nur Vorhaben und ein wenig Taktik. Pläne haben die Bösewichte in den James-Bond-Filmen, die über 27 Schritte oder noch mehr zur Weltherrschaft gelangen wollen, die haben alles durchdacht und alles verstanden, und niemand sonst jemals. Aber sie sind nicht real. In der realen Welt kommen Pläne hauptsächlich ex post vor – hinterher war es immer ein Plan, wenn etwas zum Erfolg geworden ist. Dann haben wir das so gewollt, dann haben wir das geleistet, dann war das Berechnung. Selbst wenn wir im Lotto gewinnen, haben wir eben System gespielt. Wir kapern das Glück mit rationalen Erklärungen, wir überhöhen unsere Bestrebungen und Wünsche und sagen, wenn wir es zu etwas bringen, dass wir es genau so gewollt haben. Wir sind Topchecker, keine Glückskinder, das ist ganz wichtig für unser Selbstverständnis.

Absurd weit vorausgreifend

Der zweite Teil der Hypothese lautet: „Alle glauben, es gibt einen Plan.“ Damit erklären sich nahezu sämtliche Verschwörungstheorien, damit erklären sich auch all die bösen Gerüchte im Büro und ebenso die politischen Kommentare in den Zeitungen und Fernsehsendungen. Obwohl es im Grunde irrwitzig unwahrscheinlich ist, halten wir immer wieder Personen und Institutionen für fähig, absurd weit vorausgreifende Pläne zu schmieden, diese anzuwenden und sogar erfolgreich durchzuziehen. Das setzt allerdings voraus, dass sich die beteiligten Personen grundsätzlich von uns unterscheiden, denn wir können das ja nicht. Das ist also eher unwahrscheinlich, aber wir wollen es unbedingt glauben.

Es ist vielleicht ein Relikt aus der seligen Kindheit, in der wir noch der Überzeugung waren, dass die Eltern einen Plan hatten. Das war sehr wichtig für uns, es wiegte uns in Sicherheit. Die Eltern regeln das, die Eltern wissen, was zu tun ist. Wir hatten als Kinder keinen Plan, Kinder brauchten so etwas nicht, aber die Eltern hatten ja einen, auf jeden Fall hatten sie den, es war nicht anders vorstellbar. Erst wenn wir selber Eltern werden und uns jahrelang ratlos durch den Alltag mit Kindern schlagen, merken wir, dass da etwas nicht stimmt und vielleicht auch nie gestimmt hat. Wir glauben also felsenfest daran, dass es einen Plan gibt – aber es stimmt nicht.

Feindbilder

Der dritte Teil der Hypothese ist nur eine notwendige Präzisierung, sie lautet: “Alle glauben, die anderen haben den Plan.” Das ist eine wichtige Ergänzung, mit der man auch noch sämtliche Feindbilder erklären kann. Denn die anderen wissen Bescheid, wir leider nicht. Wir nicht, die eigene Mannschaft nicht, die Firma nicht, für die wir arbeiten, die Partei nicht, die wir wählen. Aber die Konkurrenz! Sie hintergehen uns, sie legen uns rein, sie tricksen uns aus, sie haben ja einen Plan. Den Plot kennst du aus jedem Fantasy-Buch oder Thriller, und genau so realistisch ist er auch.

Unfassbar viel Energie wird darauf verwendet, die Pläne der anderen zu erraten, die es vermutlich doch nicht gibt. Auch die anderen haben nur Wünsche, Ziele, Vorhaben und taktische Bemühungen. Aber einen Plan? Einen Plan sogar, der uns mit zum Inhalt hat, der unsere Reaktionen richtig voraussagt, der uns in überlegener Intelligenz korrekt einschätzt und unsere nächsten Schritte kalt und korrekt antizipiert, diese nächsten Schritte, von denen wir jetzt gerade noch selbst keinen Schimmer haben, solange wir diesen Kaffee nicht ausgetrunken haben. Kann das so sein? Und wenn es nicht so ist, was heißt das dann?

Der richtige Schritt – mit etwas Glück

Das heißt, du kannst einfach machen, was immer du willst. Auch wenn es zu Fehlern führt. Das macht überhaupt nichts, denn du hast zwar keinen Plan – die anderen alle aber auch nicht. Es fällt nicht weiter auf. Mach einfach irgendwas.

Mit etwas Glück ist bei deinen Versuchen der richtige Schritt dabei, dieser eine wichtige und goldrichtige Schritt, der dich wirklich weiterbringt und von dem du dann hinterher behaupten kannst, genau der sei der Plan gewesen.

So läuft das nämlich.

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