© Foto: Myo Sett
Akustischer Widerstand in Myanmar

Hymnen des sozialen Wandels

Von Pinky Htut Aung, 2021

Der Klang des Widerstands ist der Widerstand gegen die Normalität. Es ist eine abrupte Weigerung so zu funktionieren, wie es die Militärregierung diktiert. Wenn wir in Myanmar den Klang des Widerstands erwähnen, kann ich mir kein ikonischeres Geräusch vorstellen als »Doh A Yay« (was man mit »unsere Rechte« übersetzen kann), dazu ein Bild von einer Gruppe an Menschen mit in die Luft gereckten, geballten Fäusten. Das gleiche Zusammenspiel von Klang und Bild konnte man in den Protesten von 1974, 1988, 2007 und jetzt wieder in 2021 sehen.

In den frühen Morgenstunden des 1. Februar wachten wir auf und stellten fest, dass unsere Stimmen und unsere Bürgerrechte unter dem Vorwand des »Ausnahmezustands« geraubt worden waren. Neugewählte Parlamentsabgeordnete sollten sich im Parlament zusammenfinden, doch sie wurden in der Hauptstadt Nay Pyi Taw festgesetzt. Telefonverbindungen wurden gekappt und wir wurden von der Welt abgeschnitten. Geschichte wiederholte sich.
 
Die Älteren hatten schon ähnliches erlebt und hatten eine (resignierte) Haltung davon, wie sich die Dinge entwickeln würden, aber für die jüngere Generation war dies auf vielen Ebenen eine inakzeptable Verletzung der Menschenrechte, besonders im Jahr 2021.
 
Uns wurde gesagt, dass wir für 72 Stunden friedlich bleiben sollten, weil manche glaubten, dass das Militär auf einen Aufstand warten würde um ihren Coup zu legitimieren. Andere glaubten, dass es wichtig wäre in diesen ersten 72 Stunden Widerstand zu zeigen, um der internationalen Gemeinschaft zu beweisen, dass dieser Coup der breiten Öffentlichkeit missfiel. In diesen frühen Stunden empfanden wir ein Gefühl des Verlusts, hatten große Angst vor der Unsicherheit und waren voller Wut. Wir konzentrierten uns darauf, über soziale Medien Aufklärungsarbeit zu leisten und Hilfe bei internationalen Akteuren zu suchen während wir den Frieden auf den Straßen wahrten.
 
Schon in den ersten Tagen waren wir Zeug*innen, wie unter anderem Mitglieder der zivilen Regierung, Autor*innen, Musiker*innen, Filmemacher*innen, Student*innenführer*innen und Poet*innen zu politischen Gefangenen wurden. Manche Prominente, die enge Beziehung zur Partei «Nationale Liga für Demokratie» (NLD, die demokratisch gewählte Partei, deren Regierung durch den Militärcoup gestürzt wurde) hatten, tauchten unter.
 
Am dritten Tag des Coup zeigte sich die ganze Stadt solidarisch gegen das Militär und nutzte dabei verschiedene Methoden des gewaltfreien Widerstands: das Hämmern auf Töpfe und Pfannen um Krach zu machen, hupende Autos und Beamt*innen, die sich weigerten zur Arbeit zu gehen. Die frühe Widerstandsbewegung wurde von Ärzt*innen in Mandalay initiiert, die ihre Arbeit verweigerten und die Bewegung zum zivilen Ungehorsam («Civil Disobedience Movement», CDM) gründeten, zu der später auch Ingenieur*innen, Lehrer*innen und Jurist*innen stießen. Die Bewegung fand einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung. Die meisten von uns begannen, ihre Profilbilder auf Facebook zu ändern um Unterstützung für unsere rechtmäßige Regierung auszudrücken und uns mit der CDM zu solidarisieren.
 
Protest von Musiker*innen im Februar: Unterstützung der Bewegung für zivilen Ungehorsam/CDM. Auf dem im ersten Bild abgebildeten Poster steht «Unsere Musik», wie auch die Worte auf dem zweiten Bild. Foto: Soe Thiha.
 
Protest von Musiker*innen im Februar: Unterstützung der Bewegung für zivilen Ungehorsam/CDM. Auf dem im ersten Bild abgebildeten Poster steht «Unsere Musik», wie auch die Worte auf dem zweiten Bild. © Foto: Soe Thiha.
Protest von Musiker*innen im Februar: Unterstützung der Bewegung für zivilen Ungehorsam/CDM. Auf dem im ersten Bild abgebildeten Poster steht «Unsere Musik», wie auch die Worte auf dem zweiten Bild. Foto: Soe Thiha.
 

Lärm für die Revolution (Töpfe und Pfannen)

In unserer Tradition steht das Lärmen mit Töpfen und Pfannen dafür, das Böse auszutreiben. Wir begannen jeden Abend um 20 Uhr auf Töpfe und Pfannen zu schlagen. Gegen 19:50 Uhr war ich oft schon von einer Welle scheppernder Metallgeräusche umgeben, die aus der Ferne kamen und über die nächsten zwanzig Minuten lauter und lauter wurden. Während der ersten Tage, vor der Ausgangssperre um 20 Uhr, fuhren wir draußen herum um Menschen zu sehen, die draußen vor ihren Häusern auf Töpfe oder auf jegliche Metall- oder Blechobjekte schlugen, die sie finden konnten, und wir konnten die Entschlossenheit und das Feuer in ihren Augen sehen. Wir sahen Menschen, die auf verschiedene Metallobjekte in ihren Autos schlugen, während andere sich mit hupenden Autos dem Lärmmachen anschlossen.
 
Auf das allnächtliche Auf-Töpfe-Schlagen folgte das Spielen des Songs »Kabar Ma Kyay Buu« (»Bis zum Ende der Welt«), ein pro-demokratisches Stück, dass eine Adaption von dem 1997 veröffentlichten Lied «Dust in the Wind» der US-amerikanischen Progressive-Rock-Band Kansas  ist. «Kabar Ma Kyay Buu» wurde ursprünglich während des Aufstands (19)88 von Naing Myanmar geschrieben und ist seitdem das Wahrzeichen für Hoffnung und Demokratie in Myanmar. Der Song war dieses Mal noch populärer, es wurde jeden Abend gesungen und über Lautsprecher abgespielt. Manche Leute sangen dazu mit kummervollen Tränen in ihren Augen und der Entschlossenheit, für jene zu kämpfen, die seit dem Aufstand von ’88 ihr Leben für die Demokratie geopfert hatten. Naing Myanmar schrieb sieben Revolutionshymnen in den späten 1980er Jahren, aber «Kabar Ma Kyay Buu» bleibt die bekannteste von allen. Es motiviert die Protestierenden, unerschrocken zu bleiben und nicht aufzugeben.
 
Nachdem am neunten Tag die Ausgangssperre von 20 Uhr bis 4 Uhr morgens bekanntgegeben wurde, fuhren die Leute von zuhause aus damit fort, auf Metallgegenstände zu hämmern. Manche kletterten sogar auf die Dächer, um auf das Metall zu schlagen, als ob sie ihren Ärger der ganzen Welt verkünden wollten.
 
Unsere Nächte waren seit dem Coup nie friedlich, weil das Militär Menschen in der Nacht entführte. Wir glauben sogar, dass sie absichtlich die Ausgangssperre um 20 Uhr angesetzt haben, damit sie leichter umherschleichen und Häuser überfallen konnten. Immer wenn sie Menschen für «Verhöre» mitnehmen wollten, zeigte das ganze Viertel Solidarität indem sie auf Töpfe und Pfannen schlugen und in die Festnahme intervenierten. Das Geräusch von Töpfen und Pfannen nach der Sperrstunde wurde zu einem Weg, um Bewohner*innen einer Gegend vor Eindringlingen zu warnen.
 
Seit das Militär damit begonnen hat Gefängnisinsassen, meistens ehemalige Verbrecher, freizulassen, sind unsere Nächte noch länger geworden. Oft bewaffnet und auf Drogen terrorisieren sie Nachbarschaften indem sie das Wassers vergiften oder Brandanschläge auf Häuser verüben. Menschen wechselten sich bei Nachbarschaftswachen ab und in vielen Stadtteilen füllte der Lärm von aufeinanderschlagenden Töpfen die Straßen als Signal, dass nächtliche Eindringlinge unterwegs sind. Es war beklemmend, all die Aufruhr von nah und fern zu hören.
 
Wir wissen, dass die Bewegung des Auf-Töpfe-Schlagens das Militär traf, als sie begannen die Straßen zu patrouillieren und androhten, jeden zu erschießen, der Lärm machte. Wir sahen aufgrund der Präsenz der Soldaten in den Nachbarschaften eine Abnahme der Zahl an Haushalten, die auf Töpfe und Pfannen schlugen. Manche knipsten das Licht aus und machten weiter Krach, sodass es für das Militär schwieriger wurde, festzustellen wo die Geräusche herkamen.
 
Das Krachmachen hat sich in vielerlei Hinsicht als extrem effektiv herausgestellt. Ausgelaugt von der Angst, von der Trostlosigkeit und Panik nach einem ganzen Tag Protestieren draußen in der prallen Sonne oder vom Aufsaugen der Nachrichten in den sozialen Medien, war das Schlagen auf Töpfe meiner Meinung nach die am meisten ersehnte Aktivität des Tages. Es war befreiend, unsere Gefühle rauszulassen und sie zu kanalisieren, indem wir energisch auf Metall schlugen. Noise in Yangon, eine experimentelle Noise-Community, begann ebenfalls live auf seiner Facebook-Seite die Krach-Einheiten um 20 Uhr zu begleiten. Man kann sich nur fragen, wie es sich für die Militärregierung jeden Abend angefühlt haben muss, als das gesamte Land um diese Zeit herum Lärm gemacht hat um ihnen zu sagen, dass sie unerwünscht sind und die Menschen ein Ende ihres Regimes fordern.
 

Musik für Revolutionen (Lieder, Gesänge)

Musik ist ein großartiges Werkzeug für Kommunikation und viele glauben, dass sie auch als eine mächtige Waffe der psychologischen Kriegsführung dienen kann. Sie war schon im Altertum unabdinglich, als Musiker*innen und Dichter*innen Armeen auf ihren Kampagnen begleiteten, um Soldaten und Bürger*innen zu bestärken.
 
Ein kraftvoller Song, der die ersten Märsche begleitete, war «Thway Thitsar» («Blutseid»), geschrieben vom weithin respektierten Singer-Songwriter Htoo Eain Thin. Das Lied komponierte er als er nach dem Aufstand von ‘88 untergetaucht war. Der Gesang wurde später, 1991, vom Sänger Moon Aung in Bangkok aufgenommen. Seitdem wurde der Song bei Märschen und Aktivitäten gegen die Militärherrschaft und für die Demokratie gespielt.
 
Der Einfluss dieses Marschlieds ist phänomenal. Die Leute scheinen dessen nicht überdrüssig zu werden; der Text und die Melodie prägen sich in deinen Kopf ein, der Beat des Songs lässt dein Herz schneller schlagen und bringt das Blut zum Kochen. Es vereint die Menschen. Der Song läuft oft in Dauerschleife und wird immer wieder aufgeführt, was seine Energie steigert und die Leute zusammenbringt.
 
Egal ob kleine Gruppen in den Straßen marschierten oder größere Gruppen an wichtigen Sammelpunkten protestierten, Musik war immer eine unverzichtbare Komponente, die zwischen Protestgesängen gespielt wurde. Wir wussten, dass es ein langer Kampf werden wird und dass es nicht einfach sein sein wird, den ganzen Tag unter der brennenden Sonne zu protestieren. Die Protestierenden brauchen irgendeine Form der Unterhaltung; manche Lieder sorgen dafür, dass sie motiviert und konzentriert bleiben, und ein Gefühl der Zugehörigkeit hervorrufen. Ein Song wie «Khun Arr Phyae Meenge» («Gib nicht auf, Kleines»), von einem anderen anerkannten Singer-Songwriter, Khin Maung Toe, ist beruhigend zu singen und zu hören und bestärkt uns darin, widerstandsfähig zu bleiben. Während die Leute protestierten, gab es immer die, die großzügige Unterstützung in Form von Essen und Getränken bereitstellten und ihre Solidarität zeigten.
 
Einige Tage nach dem Beginn der ersten gewaltfreien Proteste stellten wir fest, dass manche Menschen ihre Snare Drums mitgebracht hatten, um die Protestgesänge zu begleiten, was besonders gut klang, wenn die Protestierenden das Lied «Thway Thitsar» sangen. Der Sound der Snares verstärkte jeden Protestruf, begleitete unsere Forderungen und den ultimativen Wunsch, die Militärherrschaft zu beenden. Einen Rhythmus zu haben hielt die Sache in Fluss.
 
Um internationale Medienaufmerksamkeit zu erlangen und die Proteste dynamisch zu halten, probierten sich die Jüngeren an innovativen Protesttaktiken: sie dachten sich verschiedene Themen aus, trollten die Polizei, verkleideten sich in extravaganten Outfits, malten sehr auffällige Protestschilder, deren Bandbreite von tiefgründigen bis hin zu eher lustigen Botschaften reichte.
 
Da Musik und Performance-Stücke auch Methoden des friedlichen Protests waren, begannen Künstler*innen und Musiker*innen live aufzutreten um den Massen Antrieb zu geben. Prominente trugen Megaphones und führten Protestchöre an, nutzten ihren Einfluss um mehr Menschen anzuziehen und die Leute motiviert zu halten. Das wiederum bedeutete, dass sie dem Risiko ausgesetzt waren, auf der Fahndungsliste zu landen, da das Militär Anführer*innen der Proteste im Visier hatte.
 
Es gab auch viele Straßenaufführungen an wichtigen Sammelplätzen; Rapper*innen freestylten und Protestierende kamen aus der Masse heraus, um sich ihnen anzuschließen; Tänzer*innen traten auf, Dichter*innen rezitierten Gedichte über ihre Emotionen und ihre Unzufriedenheit, Performancekünstler*innen drückten ihre Gefühle gegenüber dieser Ungerechtigkeit durch ihre Körper aus und Musiker*innen verstärkten die Protestgesänge und die revolutionären Songs mit ihren Instrumenten.
 
Als die Bewegung für zivilen Ungehorsam (CDM) eskalierte, wussten wir, dass es eine sehr effektive Taktik sein würde, die Militärregierung lahmzulegen, zusätzlich zum Boykott ihrer Geschäfte. Manche Protestierende sorgten auf kreative Art und Weise für Stau, damit Beamte, die sich nicht der Bewegung angeschlossen hatten, nicht zur Arbeit fahren konnten, während andere wiederum versuchten sie zu überreden, nicht mehr zur Arbeit zu gehen.
 
Während die Demonstrationen gegen die Militärherrschaft mit humoristischen Aktionen einfallsreich wurden, begannen manche in der Öffentlichkeit zu befürchten, dass der Protest wie ein Festival aussehen würde, dass sie ihren Fokus verlieren und von den eigentlichen Zielen abweichen würden. Andere glaubten, dass die Kreativität und der Sinn für Humor eine gute Taktik waren, um internationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie waren auch der Meinung, dass es wichtig war, spielerische Elemente in diese Protestbewegungen einzubauen, da es ein langer Kampf werden würde und die Motivation der Menschen ohne jegliche Unterhaltung wohl schnell nachlassen würde. Der Konflikt zwischen diesen Glaubensrichtungen setzte sich eine Weile lang fort, aber eine Sache war gewiss: die Menschen entschieden sich immer noch, auf die Straße zu gehen, trotz der Gerüchte und Warnungen vor einem brutalen Durchgreifen der Polizei. Sie waren alle das Risiko, zur Zielscheibe zu werden, eingegangen.
 
Aufgrund der Warnungen vor dem Vorgehen der Polizei hielten die meisten Musiker*innen ihre Darbietungen kurz und bewegten sich immer in der Nähe verschiedener zentraler Sammelplätze um aufzutreten. Es gab ein interessantes Revolutionslied in Orchesterfassung, das früh im Februar von der Gruppe GenerationZ MM veröffentlicht wurde und den Titel «Revolution» trägt. Mit seinem revolutionären Text und einer Bassdrum klang es wie Schlachtmusik. Es hat dich wirklich auf den Kampf eingestimmt und gut auf das vorbereitet, was auf dich zukam. Es war die Art von Song, bei dem man Gänsehaut bekommt. Noch beeindruckender war, dass sich, eine Woche nachdem der Song veröffentlicht wurde, die Musikgruppe entschied, den Song live zwischen zwei wichtigen Sammelpunkten in Yangon aufzuführen. Es war eine große und risikoreiche Herausforderung angesichts der Größe der Band, bis zu 30 Instrumentalist*innen und ein Chor mit ungefähr 20 Mitgliedern. Aber sie brachten es ohne größere Probleme schnell über die Bühne. Für nur zehn Minuten Zeuge dieses Auftritts zu sein gab uns viel Mut und Kraft und brachte einige zum Weinen, weil es sie daran erinnerte, um jeden Preis dieser Ungerechtigkeit gegen uns ein Ende zu setzen.
 
Später im Februar wurde ein sehr optimistischer Song mit mehr positiver Energie unter dem Titel «A lo Ma Shi» («Wir brauchen nicht») veröffentlicht und oft während der Proteste benutzt. Er vermittelt uns in der Melodie und dem Text ein Gefühl der Beständigkeit und es hat Spaß gemacht im Takt des rhythmischen Geräusches aufeinanderknallenden Metalls zu klatschen, was die Protestierenden unterhielt und positiv stimmte.
 
Der Kanal Mizzima TV auf Youtube übertrug die revolutionären Lieder live, beginnend mit «A lo Ma Shi» um 20 Uhr, was perfekt war für diejenigen, die drinnen mit Töpfen und Pfannen protestierten. Ich erinnere mich, wie ich sang und tanzte und dabei rhythmisch auf Metallflächen schlug.
 
Später als in anderen großen Städten kam es in Yangon zu tödlicher Gewalt seitens der Polizei und als die Todesfälle stiegen und die Übergriffe brutaler wurden, sahen wir wie die Straßenperformances verschwanden und die einst großen, langanhaltenden Zusammenkünfte sich in kleinere Kundgebungen entlang der Straßen aufteilten. Anstatt sich an zentralen Sammelplätzen zu treffen organisierte jeder Bezirk[1] selbst die Proteste, baute Barrikaden in den Straßen auf um der Polizei den Zugriff zu erschweren, sicherte sich die Kooperation mit benachbarten Häusern  und erlaubte Protestierenden, sich dort drinnen zu verstecken, falls die Polizei beginnen würde sie zu verfolgen. Diese Proteste wurden wieder vom Sound der Snaredrums begleitet. Lieder wie «Thway Thitsar» and «Alo Ma Shi» wurden zwischen den Protestchören gespielt, die Protestierenden klatschten mit um den Flow beizubehalten. Unser Ziel war es, jeden Protest so kraftvoll und sicher wie möglich zu gestalten. Es gab auch einige Pop-up-Auftritte in manchen Nachbarschaften; sehr kurze Sets mit nur wenigen Liedern, oft begleitet von Dichter*innen, die ihre Wut ausdrückten, sowie auch jemand, der in der Gegend Wache stand oder die Straßen verbarrikadierte.
 

Digitale Taktiken und globaler Aktivismus

Während unser digitaler Protest und die globale Aufmerksamkeit für unsere Situation sehr schnell an Momentum gewann, besonders auf Facebook, wurde das offizielle Verbot sozialer Medien in Myanmar am vierten Tag des Coups ausgesprochen. Wir passten uns schnell an, indem wir lernten VPNs (Virtual Private Networks) zu benutzen um auf die verbotenen Apps und Plattformen zugreifen zu können. Man könnte sagen, dass dieser Tag der Beginn unserer Revolution war; eine Gruppe junger Leute initiierte einen Anti-Junta-Protest, angeführt von dem bekannten Arzt Dr. Tayzar San aus Mandalay, der zweitgrößten Stadt des Landes.
 
Viele Jugendbewegungen nehmen digitale Formen und Formate an, nicht zuletzt aufgrund von Sicherheitsbedenken; bei einer Razzia der Polizei gegenüberzustehen ist ein unfairer Kampf, denn sie haben Waffen und wir haben nur provisorische Werkzeuge um uns zu verteidigen. Nach dem Verlust vieler Leben durch das Militär müssen wir uns klügere Wege überlegen, um unsere Sicherheit zu gewährleisten. Eine Operation namens Hanoi Hannah begann mit dem Ziel, Audiodateien überall dort laut abzuspielen, wo sie Soldaten hören können, während die Person, die die Aufgabe erledigt, in sicherer Distanz blieb. Operation Hanoi Hannah glaubt daran, dass nach einiger Zeit der Verstand der Soldaten den Nachrichten in diesen fesselnden Audioclips nachgeben wird sodass die Soldaten sich der Bewegung für zivilen Widerstand und dem Kampf der Bürger für Frieden anschließen. Jeder Audioclip besteht aus einem Skript, dass darauf abzielt, den Geist der Soldaten zu verbiegen – sie zu beschämen, sie zu ängstigen, ihnen ein schlechtes Gewissen einzujagen – erzählt von Sprecher*innen mit qualvoller Stimme vor respekteinflößender Hintergrundmusik. Diese Audiowerke können auf jeden Fall ihre Zuhörer*innen von Anfang bis Ende in ihrem Bann halten. Der Name der Operation selbst war von Hanoi Hanna aus dem Vietnamkrieg inspiriert[2].
 
Eine ähnliche Kampagne ist 100 projects, bei der zehnminütige Videozusammenschnitte von künstlerischen Arbeiten, Illustrationen, Fotos und Videoclips, die sich auf die Revolution beziehen, projiziert werden. Die Videos werden in Innenräumen abgespielt und draußen auf Gebäude, Sehenswürdigkeiten und öffentliche Plätze projiziert. Die nationale Kampagne beinhaltet jetzt auch Teilnehmer*innen aus anderen Ländern, die sich gegen Myanmars Militärregime positionieren.
 
Projektionen an Häuserwänden und -dächern in Unterstützung der gewaltfreien Widerstandsbewegung. Foto von Pinky Htut Aung.
 
Projektionen an Häuserwänden und -dächern in Unterstützung der gewaltfreien Widerstandsbewegung. Foto von Pinky Htut Aung.
Projektionen an Häuserwänden und -dächern in Unterstützung der gewaltfreien Widerstandsbewegung. Foto von Pinky Htut Aung.
 
Digitaler Aktivismus wurde auch zu einer sichereren und effektiven Bewegung, die wuchs, nachdem wir die Gräueltaten des Militärs miterlebten; Künstler*innen begannen Liveperformances zu streamen und teilten neue revolutionäre Songs oder kritische Poster und Illustrationen.
 
Ein tolles Beispiel für digitalen Aktivismus ist die Initiative  Rap Against Junta, eine kreative Widerstandsbewegung bestehend aus MCs, Produzent*innen, DJs, Tontechniker*innen, Veranstalter*innen und Graffitikünstler*innen. Die meisten Künstler*innen nutzten zur Veröffentlichung ihrer Songs Abkürzungen, aber es gibt einen mutigen Künstler namens Floke Rose, der seine Songs unter seinem offiziellen Künstlernamen veröffentlicht, obwohl er schon auf der Fahndungsliste steht; ein Beispiel für furchtlosen Widerstand. Die Initiative veröffentlichte einen Song namens «Dictators must Die» von Floke Rose und Cory Rey aus Myanmar, in Kollaboration mit Künstler*innen aus Indonesien, Indien, Taiwan, Thailand und Hongkong. Diese Aktion erlaubt es Künstler*innen aus der ganzen Welt sich zusammenzuschließen und dabei zu helfen, die Botschaften der Demokratiebewegung zu streuen, was eine ganze Menge dazu beiträgt gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen.
 
Durch die Internetgemeinde Hongkongs, Taiwans, Thailands und Myanmars, hat sich eine multinationale Onlinebewegung namens «Milk Tea Alliance[3]» gegründet, die für Demokratie eintritt. Es war ursprünglich ein Internetmeme, das als Antwort auf nationalistische chinesische Kommentator*innen in den sozialen Medien entstand, sich aber in eine «führungslose Protestbewegung» entwickelte, die für «Wandel in Südostasien kämpft». Am 28. Februar wurde in Myanmar ein Streiktag für die «Milk Tea Alliance» abgehalten und hat solidarische Unterstützung aus den drei Gründungsregionen Hongkong, Taiwan und Thailand erhalten. Die Bewegung erfuhr ebenfalls Unterstützung aus Südkorea, den Philippinen, Indien, Malaysia, Indonesien, Belarus und Iran.
 
Eine andere Geste des Widerstands und der Solidarität ist der Dreifinger-Salut, der ursprünglich aus der Filmreihe «Hunger Games» stammt und zuerst in Thailand und nun auch in Myanmar übernommen wurde. Symbole zu haben ist für eine Revolution wichtig, da es schwierig ist, sie komplett zu verbieten und auch nur jemanden zu sehen, der oder die den Dreifinger-Salut zeigt, gibt dir nochmal Energie und den Salut zu erwidern verstärkt die Solidarität und deinen Widerstand.
 
Das Scheppern und Klingen von Metall am Horizont zu hören war für mich, die ich selbst Noisemusikerin bin, der befriedigendste und stimulierendste Moment in den ersten Tagen. Jetzt, Monate nach dem Coup, kann man aufgrund der Präsenz von Informant*innen und Soldaten kaum noch diese Geräusche hören. Die Abwesenheit dieser Welle an Lärm ist tatsächlich etwas demotivierend und nun rufen mehr und mehr Leute dazu auf, sich wieder zusammenzuschließen und diese Bewegung neu zu entfachen.
 
Der Sound unseres Protests ist absoluter Widerstand, ist Alles und mehr um die Diktatur zu beenden. Das Geräusch von asynchronen Schritten in einem Marsch, der Rhythmus der Protestlieder, der Takt, die Metallgeräusche, die Symphonie der Autohupen, die revolutionären Lieder, die Stimmen, die Frequenzen; das alles ist der Sound des Widerstands. Manche Menschen sind vielleicht leiser geworden oder andere sind sogar verstummt, aber es klingt immer noch etwas nach. Der Sound des Widerstands kann das Feuer in uns entfachen und uns zusammenbringen.
 

[1] Städte in Myanmar sind in Bezirke unterteilt, die weiter in Distrikte und Viertel unterteilt sind. Yangon besteht aus 33 Bezirken..
[2] Hanoi Hannah ist der Spitzname einer Frau, die unter US-Soldaten für ihre Propagandasendungen auf Radio Hanoi während des Vietnamkriegs bekannt wurde.
[3] «Milk tea» oder Milchtee ist ein populäres Getränk, dass vor allem in den drei Gründungsländern verbreitet ist: Hongkong, Taiwan und Thailand. Myanmar und Indien, die später Mitglied geworden sind, haben ebenfalls ihre eigenen Versionen von Milchtee.