Jemen

Nov. 2023

Nachhaltige Landwirtschaft  3 min Kaffee versus Qat: Der Konflikt auf den jemenitischen Feldern

Kaffee versus Qat: Der Konflikt auf den jemenitischen Feldern ©Canva

Neben dem Bürgerkrieg tobt im Jemen derzeit ein weiterer Konflikt, nämlich zwischen Kaffee und Qat. Während die Qat-Bäume versuchen, Land, Wasser und Behörden des Jemen zu erobern, widersetzt sich der Kaffee, der tief im Boden und in der Geschichte des Jemen verwurzelt ist, dieser Zerstörung und setzt alles daran, den Jemeniten ein treuer Begleiter zu bleiben. 

Um die Mittagszeit erklimmen wir die Hänge zwischen Maghraba Manakha und dem Dorf Al-Hatib und stoßen auf Kaffeeterrassen, die sich vom Fuße der Berge bis zu uns erstrecken. So hat uns Al-Hatib schon immer empfangen. Anders als in den Nachbarregionen verschwindet Qat hier von den Feldern der Bauern und wird durch Kaffee ersetzt, nachdem er sich in den fruchtbarsten Anbaugebieten des Jemen ausgebreitet hatte und seine hohen Gewinne Hunderte von Bauern dazu veranlasst haben, ihre Früchte durch Qat zu ersetzen. Die Bauern hier haben beschlossen, zur jemenitischen Kaffeebohne zurückzukehren, für die das Land aufgrund ihres außergewöhnlichen Geschmacks und ihre Qualität berühmt geworden ist. Mitten im Dorf Al-Hatib, in der Nähe des berühmten Heiligtums, treffen wir den Dorfscheich, einen siebzigjährigen Mann, der im Kaffee eine Botschaft gefunden hat. Er erzählt uns vom Erwachen der Menschen, als sie beschlossen, gemeinsam wieder Kaffeesamen anzupflanzen und die Qat-Wurzeln auszurotten. Die Dorfvereinigung unterstützte die Bauern bei diesem Schritt und stellte ihnen Produktions- und Vermarktungsmöglichkeiten zur Verfügung, um mögliche Hürden zu überwinden. Schon nach kurzer Zeit erzielten die Menschen gute Gewinne und die Kaffeepflanzen gedeihen wieder auf ihren Terrassen. 

Die Erfahrungen im Dorf Al-Hatib und in der Haraz-Region westlich der jemenitischen Hauptstadt Sanaa dienen als Vorbild für viele jemenitische Regionen, die diesen Ansatz übernommen haben. Im Gouvernement Taiz im Süden des Jemen gibt es zahlreiche Initiativen, Qat-Bäume durch Kaffeebäume zu ersetzen. Die bekannteste ist die landwirtschaftliche Kooperative Bani Sinan im Distrikt Bani Hammad in der Region Al-Mawaset. Der Hammadi-Kaffee gilt als eine der besten jemenitischen Kaffeesorten. Bis zum Jahr 2025 will die Kooperative in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen und Hilfswerken im Gouvernement Taiz eine Million Bäume pflanzen. Der Plan sieht den Kaffeeanbau in Schulen und Gesundheitseinrichtungen vor, und die Kooperative war auf vielen Festivals aktiv, um den Kaffeeanbau zu unterstützen. 
Eine Landschaft mit Khat-Plantagen in der Nähe der jemenitischen Hauptstadt Sanaa Eine Landschaft mit Khat-Plantagen in der Nähe der jemenitischen Hauptstadt Sanaa | ©Canva

Der grüne Eroberer 

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Qat-Anbau in vielen Regionen Jemens, vor allem in den nördlichen und westlichen Bergregionen, ausgedehnt. Qat-Anbau gilt aufgrund seiner gesundheitlichen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen als problematisch. Experten sehen mehrere Faktoren für die Zunahme des Qat-Anbaus. Da ist zum einen die wachsende Beliebtheit von Qat bei der jüngeren Generation und die Tatsache, dass der Konsum von Qat bei vielen sozialen Anlässen wie Hochzeiten, Trauerfeiern, Streitschlichtungen und anderen Gelegenheiten mittlerweile ein fester Bestandteil ist. Hinzu kommt, dass es kaum staatliche Restriktionen gibt und der jemenitische Staat sich mit der Qat-Kultur arrangiert hat. 

Die Qat-Wirtschaft verfügt über vielfältige Liefernetzwerke, so dass sich die Bauern in der Regel nicht selbst um die Vermarktung ihrer Ernte kümmern müssen. Vielmehr kommen Vertragspartner aus den Städten und von den Märkten zu ihnen aufs Feld und kaufen Qat an. Das erspart den Bauern Arbeit, Transport und viel Geld. Dies war für viele Bauern ein wichtiges Motiv für die Ausweitung des Qat-Anbaus, da so mit weniger Aufwand ein guter Gewinn erzielt werden kann. 

Laut WHO gilt Qat als narkotische Pflanze, die von den Konsumenten gekaut wird, um eine stimulierende Wirkung zu erzielen. Sie wird im Jemen und in ostafrikanischen Ländern angebaut und in Form von grünen Blättern oder getrocknet als gemahlener Tee illegal in viele arabische und andere Länder exportiert. Die Bauern verwenden verschiedene Gifte, Pestizide und Düngemittel, um das Wachstum von Qat zu beschleunigen. Gesetzlich sind im Jemen weder Anbau noch Handel mit Qat verboten. Vielmehr besteuert das jemenitische Steuergesetz Nr. 42 aus dem Jahr 2001 neben anderen Waren auch Qat mit 20 Prozent. Das jemenitische Parlament diskutierte 2007 ein Gesetz, das den Anbau von Qat verbieten sollte. Da die meisten Parlamentarier aber selbst Qat konsumieren, wurde das Gesetzesvorhaben gestoppt. 
Khat-Blätter - Catha edulis. Khat – Catha edulis – wird typischerweise wie Tabak gekaut, dann in der Wange behalten und intermittierend gekaut, um den Wirkstoff freizusetzen, der eine stimulierende Wirkung hat. | ©Canva
Neben den gesundheitlichen Gefahren hat die enorme Ausweitung des Qat-Anbaus auch dramatische Folgen für andere landwirtschaftliche Erzeugnisse, deren Anbauflächen täglich kleiner werden. Dazu gehört auch die Kaffeepflanze, die bis heute ein Aushängeschild der jemenitischen Agrarproduktion ist. Verstärkt wurde der Rückgang des Kaffeeanbaus durch fehlende staatliche Unterstützung, steigende Transportkosten und die Tatsache, dass der Ertrag in keinem Verhältnis mehr zum Aufwand für den Anbau stand. 

Laut den Zertifikaten der Herkunftsländer, denen der Jemen im Jahr 2011 beigetreten ist, ist der Jemen Exporteur von 4.000 Tonnen Kaffee in alle Welt. Die Kaffeeproduktion im Jemen ist von rund 22 Tonnen im Jahr 2018 auf 18.000 Tonnen im Jahr 2019 zurückgegangen. Die mit Kaffeebäumen bepflanzte Fläche ging von 35.1984 Hektar auf 30.544 Hektar zurück. Aufgrund dieses Rückgangs wurden zahlreiche Sensibilisierungskampagnen gestartet, um das landwirtschaftliche Erbe des Jemen zu schützen. 

Der Kaffeereichtum 

Oh, Kaffee aus dem Jemen, du Perlenschatzschatz an den Bäumen, 
Wer dich kultiviert, der wird weder Armut noch Demütigung erleiden. 


Dieses Zitat stammt aus dem Lied „Liebe und Kaffee“, das die jemenitische Jugend dazu inspirierte, Initiativen zum Wiederanbau von Kaffee anstelle von Qat zu starten. Wenn ein Jemenit dieses Lied hört, empfindet er eine Nostalgie und Sehnsucht nach dem Kaffeeanbau vergangener Tage. Dieses Lied des jemenitischen Dichters Mutaher al-Eryani, das vor Jahrzehnten von Ali bin Ali al-Ansi vertont und gesungen wurde, kennt heute im Jemen fast jeder. Mit der Entstehung dieser Initiativen wurde es als künstlerisches Werk wiederbelebt. 

Der Kaffee wird vom Kaffeebaum geerntet und er wächst in Form von kleinen grünen Bohnen heran, die im Laufe der Zeit eine braune Farbe annehmen. Dann werden sie geerntet, getrocknet, geröstet und schließlich gemahlen. Es gibt unterschiedliche Erzählungen darüber, ob diese Pflanze aus dem Jemen oder aus Afrika stammt. Allen Erzählungen gemeinsam ist jedoch, dass die Jemeniten die ersten waren, die Kaffee als Getränk nutzten. So wurde beispielsweise die Hafenstadt al-Makha nach dem englischen Wort für Kaffee benannt, wie es in der Magisterarbeit „Der Jemenitische Kaffeehandel“ der jemenitischen Wissenschaftlerin Arwa Al-Khatabi heißt. 

Al-Khatabi weist darauf hin, dass die Osmanen, nachdem sie 1538 die Portugiesen von den Küsten des Roten Meeres vertrieben hatten, eine neue Ära des Handels begründeten. Dies geschah über die Häfen am Roten Meer, wie in al-Makha, dessen Name zur Marke (Mocka Coffee) wurde. Der Name tauchte zum ersten Mal in der englischen Sprache auf, vierzig Jahre nach der jemenitischen Bezeichnung, im Jahr 1598. Laut dem Historiker Ibn Razi wurde der jemenitische Kaffee zum ersten Mal im Jahr 900 in Manuskripten erwähnt. Ali bin Omar al-Shadhli (gest. 1418) soll der erste gewesen sein, der Kaffeebohnen aus dem Südwesten Abessiniens in den Jemen brachte und sie als Getränk verwendete. 
Kaffeebohnen werden in zahlreichen jemenitischen Regionen angebaut und auch nach ihnen benannt, wie al-Hammadi, al-Fadhli, al-Barai, al-Yafei, al-Rimi, al-Matari, al-Khoulani, al-Anisi, al-Ismaili, al-Harazi, al-Saafani und andere Regionen. Die Produktion erfolgt dank der vielfältigen Topografie läuft zu allen Jahreszeiten. Laut einer Studie der Agentur Bloomberg steht jemenitischer Kaffee in Bezug auf die Qualität weltweit an erster Stelle. Ein Kilo jemenitischer Kaffee kostet bis zum 500 Dollar, eine Tonne bis zu einer Million Dollar. Das heißt, ein Kilo jemenitischer Kaffee kostet so viel wie 10 Barrel Öl. Brasilianischer Kaffee steht an zweiter Stelle nach dem jemenitischen. Brasilien exportiert 3 Tonnen Kaffee. 
Jemenistische Kaffeebohnen. Jemenitischer Kaffee ist einer der hochwertigsten Kaffees der Welt. | ©Canva

Initiativen zur Rehabilitation

In den sozialen Medien sind viele Jemeniten aktiv, die Aufklärungsarbeit leisten, um die Rückkehr zum Kaffeeanbau voranzutreiben. Sie haben zahlreiche Veranstaltungen und Aktivitäten im Rahmen von Jugendinitiativen organisiert, unterstützt durch Unternehmen. Unter dem Hashtag #Ja_Kaffee forderten im vergangenen März die jemenitischen Aktivisten von al-Maliki al-Maqahi weltweit, Arbeitnehmern gratis Kaffee anzubieten, damit sie in ihrem Innern die Rückkehr zur nationalen Identität des Jemens trügen, die durch den langen Konflikt im Jemen gelitten habe. Viele Aktivisten betrachten den Kaffeeanbau als Teil der historischen Identität des Jemens. 

Jedes Jahr am 03. März begehen die Jemeniten das „Mokka-Fest“, den nationalen Tag zur Unterstützung des Kaffeeanbaus. Zu diesem Anlass organisierte das Kulturbüro in Taiz im vergangenen März einen kreativen künstlerischen Karneval einschließlich Kaffee-Verkostung und Pflanzung von 10.000 Kaffeesetzlingen mit Beteiligung von Stars aus der jemenitischen Musik- und Comedy-Szene. 
Das (international nicht anerkannte) Landwirtschaftsministerium in Sanaa hat den 3. März als nationalen Kaffeefeiertag im Jemen bestätigt und die Landwirtschafts- und Bewässerungsämter in den verschiedenen Provinzen verpflichtet, diesen Feiertag zu begehen. Das Landwirtschaftsministerium organisierte aus diesem Anlass Aktivitäten und Aktionen vom 1. bis 10. März. 

Amin, Kaffeehändler und Aktivist, sagt über die verschiedenen Jugendinitiativen, die zur Rückkehr des Kaffeeanbaus aufrufen: „Das bringt uns dazu, dem Kaffeehandel mehr Aufmerksamkeit zu schenken und zu sagen, dass Kaffee eine glänzende Zukunft hat. Aber die Bauern brauchen die Unterstützung der Geberorganisationen, damit der jemenitische Kaffee wieder zu seiner Spitzenqualität zurückkehren kann“.

Bezüglich der Ausrufung des 3. März zum Tag des Kaffees durch die Regierung von Sanaa erklärt Amin: „Das war das Verdienst der Jugend und ihrer Kampagne in den sozialen Medien und wir hoffen, dass daraus ein jährlicher Anlass wird, um den Kaffee zu präsentieren und um Unterstützung und Exporterleichterungen zu werben.“  
Traditionelle Kaffeeplantage in der Nähe eines Bergdorfes im Osten von Haraz, Jemen. Traditionelle Kaffeeplantage in der Nähe eines Bergdorfes im Osten von Haraz, Jemen. | ©Canva
Die Kaffee-Wächter-Gruppe (eine digitale Initiative) gilt als die erste, die den 3. März 2019 zum Nationalen Tag des Kaffees ausgerufen hat und sich dafür einsetzt, dass dieser Tag ein Erfolg wird. Zahlreiche Jugendinitiativen und private Institutionen haben sich zusammengeschlossen, um den Kaffeeanbau im Jemen durch Aktivitäten und Veranstaltungen zu fördern, die Kaffeeproduzenten, Händler, Bauern, Interessierte und Fachleute zusammenbringen. 

Eine Gruppe Jugendlicher startete die Initiative „Dein Gramm ist Gold“, ein Festival, das die lange Geschichte der Kaffeebohne (das „jemenitische Gold“) bekannt machen sollte. In den Straßen verteilten sie fertige Kaffeetassen an Passanten. In der Region Haraz, westlich der Hauptstadt Sanaa, konnten nach Angaben der Organisatoren 450.000 Qat-Pflanzen vernichtet und durch Kaffeepflanzen ersetzt werden. 

Dennoch stehen die Bauern vor zahlreichen Herausforderungen, wie Mohammed, ein Kaffeebauer, erklärt: „Da ist der Klimawandel, der Regen kommt nicht mehr zur gewohnten Zeit, und wir haben uns daran gewöhnt, die Bäume ab Anfang März zu bewässern. Aber das ist in den letzten Jahren nicht passiert, was zu einem Rückgang der Erträge auf meiner Farm geführt hat. Außerdem setzen die Händler die Bauern bei den Einkaufspreisen unter Druck. 

Er ergänzt zu den Lösungsvorschlägen: „Ich hoffe, dass die Regierung und die Organisationen Unterstützung für den Bau von Staudämmen mobilisieren, damit wir die Kaffeebäume zum richtigen Zeitpunkt bewässern können, und unterschiedliche Exportketten ermöglichen, um einen angemessenen Preis zu erzielen. Die meisten Bauern benötigen Beratung durch Agraringenieure zu Themen wie Anbau sowie Trocknung und Lagerung der Ernte“. 

Trotz der Dominanz des Qat-Anbaus sind die gesellschaftlichen Initiativen zur Rückkehr zum jemenitischen Kaffeebaum ein Zeichen für das wachsende Bewusstsein, dass der jemenitische Kaffee erhalten und nicht vernachlässigt werden darf. Diese Aufrufe kommen zu einer Zeit, in der der Jemen unter den verheerenden ökologischen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Qat-Baums leidet. Die Rückbesinnung auf den Kaffee birgt auch Lösungen für die Probleme, die durch die massive Ausweitung des Qat-Anbaus erst entstanden sind. Angesichts der verheerenden Folgen des Krieges kämpfen viele Jemeniten für ihren Kaffee und träumen vom Triumph der Kaffeebohne über das Qat-Blatt. 

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