Feb. 2024

Berlinale-Blogger*innen 2024  3 min Arabische Teilnehmerinnen am Berlinale Talents-Programm im Gespräch

Die jordanische Regisseurin Zain Duraie, die palästinensische Schauspielerin Maria Zreik und die sudanesische Regisseurin Fatima Wardy.
Die jordanische Regisseurin Zain Duraie, die palästinensische Schauspielerin Maria Zreik und die sudanesische Regisseurin Fatima Wardy. ©Privat

Am Berlinale Talents-Programm haben mehrere arabische Filmschaffende teilgenommen, darunter auch junge Frauen aus verschiedenen Ländern. Sie haben das Festival unterschiedlich erlebt. Ich habe mich mit drei von ihnen getroffen, mit der jordanischen Regisseurin Zain Duraie, mit der sudanesischen Regisseurin Fatima Wardy und mit der palästinensischen Schauspielerin Maria Zreik. In einer offenen Gesprächsrunde haben wir uns über ihre Eindrücke vom Festival und über die Situation der arabischen Filmschaffenden im internationalen Geschehen ausgetauscht.

Teilnahme am Berlinale Talents-Programm

Ahmed: Was hat die Teilnahme am Berlinale Talents-Programm für Eindrücke bei euch hinterlassen?

Fatima: Ich empfinde die Teilnahme am Berlinale Talents-Programm als große Bereicherung. Vor allem die Short Form Station hat mir viel gebracht. Heute Vormittag habe ich den Workshop abgeschlossen, bei dem man sein eigenes Projekt entwickeln und vorstellen kann.

Zain: Da hattest du echt Glück. Ich fand es dagegen eher frustrierend, ohne eigenes Projekt teilzunehmen. Ich denke, dass die Teilnahme im Rahmen eines Talent-Projekts oder im Rahmen des Co-Production Market mehr bringt als die unabhängige Teilnahme als Talent.

Fatima: Ich glaube, es hängt auch davon ab, in welcher Phase seiner künstlerischen Entwicklung man sich gerade befindet. Vieles, was ich hier miterlebt habe, war neu für mich. Das Wichtigste war, dass man sich in Berlin auf dem riesigen Filmmarkt präsentieren konnte.

Maria: Ich kann dazu nur sagen, dass einen die Veranstalter hier wie einen Studierenden behandeln. Die gemeinsamen Trainingseinheiten wurden sogar explizit als Classes bezeichnet. Mag sein, dass das die offizielle Linie ist. Aber ich hätte etwas anderes erwartet. Unterm Strich ist es aber ein Privileg, dass man unter all den Talenten ausgewählt wurde.

Ahmed: Welches Ereignis ist euch ganz besonders in Erinnerung geblieben?

Zain: Vor allem das Format Dine and Shine, bei dem wir die Möglichkeit hatten, herausragende Persönlichkeiten kennenzulernen. Und der Talent Circle, an dem auch einige Geldgeber teilnahmen.

Berlinale Blogger Ahmed Shawky traf die jordanische Regisseurin Zain Duraie (rechts hinten), die palästinensische Schauspielerin Maria Zreik (links) und die sudanesische Regisseurin Fatima Wardy in Berlin.

Berlinale Blogger Ahmed Shawky traf die jordanische Regisseurin Zain Duraie (rechts hinten), die palästinensische Schauspielerin Maria Zreik (links) und die sudanesische Regisseurin Fatima Wardy in Berlin. | © Ahmed Shawky

Arabische Filmschaffende auf der Berlinale

Ahmed: Als ich 2014 das erste Mal auf der Berlinale war, gab es dort außerordentlich viele arabische Filme. Das lag vielleicht am Arabischen Frühling, der weltweit hohe Wellen geschlagen hatte. Mittlerweile ist es um arabische Filmschaffende wieder still geworden. Fühlt man sich als junge weibliche Filmschaffende aus einem arabischen Land auf der Berlinale willkommen?

Zain: Beim Talents-Programm hatte ich nie das Gefühl, rassistisch oder diskriminierend behandelt zu werden. Im Gegenteil. Es herrschte eine ganz klare Gleichbehandlung aller Beteiligten, trotz der aktuell sehr angespannten politischen Lage.

Fatima: Der Sudan versteht sich nicht nur als arabisches, sondern auch als afrikanisches Land. Ich persönlich sehe mich in erster Linie als arabische Filmschaffende, obwohl die Berlinale ja den Ruf hat, dass dort Filme aus Afrika so viel Raum bekommen wie auf keinem anderen Festival. Beim Talents-Programm gab es allerdings nicht mehr als zehn Teilnehmende aus Afrika, das fand ich auffallend. Ich glaube, dass das afrikanische Kino hier stärker repräsentiert sein sollte.

Maria: Ich bin vor zwei Monaten in Deutschland gewesen. Es war unangenehm, sich unter den damaligen Vorzeichen als Palästinenserin zu erkennen zu geben. Aber jetzt, in dieser Gruppe, unter lauter verschiedenen Künstlern aus aller Welt, fühle ich diese Unsicherheit nicht mehr.

Die Bürde der Herkunft

Ahmed: Wir kommen aus einer unruhigen Region. Ist das für Künstler ein Fluch oder ein Segen? Liefert das den Stoff für die Filme? Oder haben die Künstler womöglich gar keine Lust, die Verantwortung zu tragen, die ihnen durch ihre Herkunft aufgebürdet wird?

Maria: Die meisten palästinensischen Filme handeln direkt oder indirekt von der Palästina-Frage. Das gilt für ältere Filme, für aktuelle Filme und wahrscheinlich auch für zukünftige Filme aus Palästina. Die meisten Rollen, die ich bisher gespielt habe, hatten deshalb immer mit diesem Thema zu tun. Manchmal verspüre ich den unbedingten Wunsch, etwas anderes auszuprobieren, andere Rollen zu spielen, eine Liebesgeschichte, wie sie jeder Mensch erlebt, selbst in Zeiten von Krieg und Besatzung. Das würde ich mir wünschen, aber gleichzeitig ist mir klar, dass jeder Künstler, wo auch immer er hinkommt, die Probleme seines Heimatlandes und seines Volkes mit sich herumträgt.

Fatima: Entscheidend ist, dass man versucht, einen Film über ein Thema zu machen, das einem am Herzen liegt. Der Kurzfilm, mit dem ich am Talents-Programm teilnehme, handelt von einer jungen sudanesischen Muslimin, die in den vereinigten Staaten lebt. Als ihre Mutter stirbt, muss sie sich entscheiden, ob sie sich auf das sehr intime Ritual der islamischen Leichenwaschung einlassen will oder nicht. Es geht mir nicht um Islamophobie oder Integration in die amerikanische Gesellschaft, sondern ganz allgemein um menschliche Gefühle beim Verlust eines geliebten Menschen. Ich träume davon, dass ich dem sudanesischen Kino helfen kann, sich von dem Gefühl zu befreien, man müsse Filme über Themen machen, die europäische Veranstalter und Sponsoren interessieren.

Zain: Ich habe mich schwergetan mit meinem ersten Langfilm, der gerade entsteht und von psychischer Erkrankung handelt, was in der arabischen Welt selten thematisiert wird. Offenbar erwartet man von einem Film aus Jordanien oder einem anderen arabischen Land, dass er von der politischen und wirtschaftlichen Lage handelt, von Frauenrechten, von Palästina oder einem der anderen üblichen Themen. Ich versuche eine Story über eine Welt zu erzählen, die ich kenne. Wir leben nicht überall in den arabischen Ländern im Kriegszustand oder in bitterer Armut. Wir leben unter unterschiedlichen Bedingungen, wir haben unsere eigene Geschichte, nicht jeder Film muss ein gesellschaftliches Problem behandeln oder versuchen, irgendein Gesetz zu ändern. Natürlich ist das Kino ein wunderbares Medium, um Dinge zu ändern, aber es ist mein gutes Recht, zu entscheiden, dass ich dieses Medium anderweitig einsetzen will. Ich will Filme über Menschen machen, nicht über öffentliche Probleme.

Fatima: Übrigens müssen unabhängige Filmschaffende sogar in Ländern mit einer großen Filmindustrie, wie den USA oder Großbritannien, auf die Berlinale und andere Festivals gehen, um zu schauen, wo sie das Geld für ihre Filme herkriegen. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass das keine Sache ist, die etwas mit meiner Identität zu tun hat, sondern dass jeder davon betroffen ist, der Kino abseits vom Mainstream machen will, egal in welchem Land. Im Sudan kommt noch hinzu, dass es dort im Prinzip keine Kino-Tradition gibt, deshalb ist alles irgendwie neu, selbst wenn manche Storys in bestimmten Punkten anderen Filmen ähneln. Eine Figur aus dem Sudan und das Land, in dem die Handlung spielt, wird trotzdem immer eine Neuheit auf der Kinoleinwand sein. Das bringt für uns Filmschaffende noch mehr Herausforderungen mit sich, eröffnet uns aber auch noch mehr Möglichkeiten.

Vorschläge und Anmerkungen

Ahmed: Wollt ihr sonst noch etwas zum Thema Berlinale Talents sagen oder habt ihr irgendwelche Vorschläge, die das Programm betreffen?

Zain: Es hat mich ein bisschen gestört, dass wir nicht während der Hauptzeiten zum European Film Market durften. Eigentlich soll man dort ja die entsprechenden Leute treffen, aber das hat nicht geklappt, weil wir immer erst abends hinkonnten, als alle schon weg waren.

Maria: Bei Dine and Shine durften wir insgesamt nur zwei Mal den Tisch wechseln und saßen deshalb lange mit Leuten am Tisch, die zufällig auch dort saßen. Wenn man öfter den Tisch wechseln könnte, hätten die Teilnehmenden vielleicht mehr davon und würden auch Bekanntschaften machen, von denen sie profitieren. Außerdem fand ich zwei Tage für das extrem bereichernde Acting Studio zu kurz. Für mein Empfinden waren die zwei Tage viel zu schnell um.

Fatima: Ich könnte noch positiv anmerken, dass man hier das Gefühl bekommt, man kann sich vornehmen, bestimmte Leute zu treffen und dabei denken, dass da vielleicht etwas herauskommt, doch dann erweist sich das Treffen als Flop, und dann trifft man wiederum auf Leute, mit denen einen auf den ersten Blick gar nichts zu verbinden scheint, die einem dann aber trotzdem irgendwie weiterhelfen können, weil sie den Kontakt zu jemandem herstellen, den sie kennen, oder einen mit irgendeinem Schauspieler bekanntmachen. Man kann ständig irgendwelche Überraschungen und unerwarteten Wendungen erleben, wenn man offen ist und bereit, sich darauf einzulassen.