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Eine Nische als Chance?

Foto: Janika Rehak

Tschechisch lernen und lehren

Foto: Janika Rehak
Jadwiga Bogatzki aus Polen unterrichtet in Norddeutschland Tschechisch. Foto: Janika Rehak

Nach dem Abitur verschlug es Jadwiga Bogatzki (25) aus einem Dorf in der Nähe von Katowice (Polen) nach Deutschland – der Liebe wegen. Zwar hatte sie in der Schule schon etwas Deutsch gelernt. Trotzdem hielt sich die damals 20-Jährige erstmal mit allen möglichen Jobs über Wasser, bei denen man nicht so viel reden muss: Imbissverkäuferin, Putzfrau, Kellnerin und Babysitterin. Eine Ausbildung zur Bürokauffrau brach sie ab, reine Schreibtischarbeit war nicht ihr Ding. Stattdessen begann sie ein Studium der Slavistik in Hamburg, Schwerpunkte: Polnisch natürlich und ...Tschechisch. Mittlerweile verdient sich Jadwiga ein kleines Zubrot, indem sie Tschechisch-Sprachkurse gibt. Eine Polin als Tschechischlehrerin in Deutschland? Wie passt das zusammen? Und kann man davon überhaupt leben?

Warum überhaupt Tschechisch, Jadwiga? Was hat diese Sprache für dich interessant gemacht?

Das war eine Frage der Himmelsrichtung. Ich musste zwei Sprachen wählen. Polnisch bot sich an, weil es meine Muttersprache ist. Russisch und Serbokratisch haben mich nicht so gereizt, also fiel die Wahl auf Tschechisch. Das Westslavische fand ich schon immer spannender.

Mit oder ohne Vorkenntnisse?

Ohne. Ich konnte zwar inzwischen recht gut Deutsch, aber bei Tschechisch war ich auch Anfängerin. Allerdings sind Polnisch und Tschechisch recht ähnlich, ich konnte mir also vieles ableiten.

Inzwischen unterrichtest du ja auch selbst an der VHS Rotenburg / Wümme. Was denkst du bringt Deutsche dazu, Tschechisch zu lernen?

Das ist ganz unterschiedlich. Manche haben tschechische Vorfahren und möchten den eigenen Wurzeln nachspüren. Andere haben geschäftliche Interessen in Osteuropa. Prag ist inzwischen ein attraktiver Firmenstandort geworden. Manche fahren gern nach Tschechien in den Urlaub. Und wieder andere haben einfach nur Spaß daran, eine neue Sprache zu lernen.

Foto: Janika Rehak

Sprachspiele im Tschechischunterricht. Foto: Janika Rehak

War dein Kurs gut besucht?

Geht so. Es waren nur fünf Schüler. Tschechisch ist nun mal eher eine Nischensprache und in Norddeutschland ist das Interesse einfach nicht so groß. Entlang der tschechischen Grenze sieht das ganz anders aus. Aber die Volkshochschule hat mich in meinem Unterrichtsvorhaben sehr unterstützt, und diejenigen, die am Kurs teilgenommen haben, waren eifrig bei der Sache.

Reichen deine Unterrichtseinnahmen denn aus, um davon zu leben?

Auf keinen Fall! Ich habe neben dem Studium noch zwei Nebenjobs, mit denen ich tatsächlich meinen Lebensunterhalt bestreite. Mit dem Unterrichten verdiene ich mir nur ein Taschengeld, aber ich kann Inhalte aus meinem Studium praktisch anwenden.

Wie sieht es nach dem Studium aus? Was macht man mit einem Abschluss in Slavistik?

Alles! Und nichts! (lacht) Zwar kann ein Abschluss in Slavistik durchaus Türen zu vielen Berufsfeldern öffnen, vor allem in den Medien oder der Wirtschaft. Andererseits reicht der Bachelor allein oft nicht aus. Viele hängen hinterher noch eine Zusatzqualifikation an, zum Beispiel in Betriebswirtschaft. Oder sie machen noch ihren Master, mit dem sie sich selbst einen zusätzlichen Schwerpunkt setzen. Es gibt auch die Möglichkeit, eine Qualifikation als Übersetzer zu erwerben und sich selbstständig zu machen. Das wird aber nur schlecht bezahlt. Als Nebenjob kann es jedoch eine gute Einnahmequelle sein.

Und was hast du vor, wenn du den Bachelor in der Tasche hast?

Eine Zusatzqualifikation machen, was denn sonst? (lacht)

Tschechisch scheint also nicht unbedingt die attraktivste Fremdsprache zu sein, zumindest nicht, wenn man beruflich etwas daraus machen will?

Das würde ich so nicht sagen! Zugegeben: Ich fürchte, hier im Raum Hamburg und in Norddeutschland im Allgemeinen habe ich wenig Chancen. Der Bedarf ist gering, die Konkurrenz groß. Es kann aber auch ein Vorteil sein, eine Sprache zu sprechen, die sonst keiner kann. Man sichert sich sozusagen eine Nische. Abgesehen davon ist es immer eine tolle Sache, eine Fremdsprache zu beherrschen! Konkrete Pläne für meine Zukunft habe ich aber noch nicht. Ich hätte schon Lust, weiter zu studieren, gerne auch noch mal in Polen. Andererseits muss ja auch die Miete irgendwo herkommen. Leider! (lacht).

Foto: Janika Rehak
Jadwiga mit einer ihrer Schülerinnen. Foto: Janika Rehak

Du hast ja dank deiner Sprachkenntnisse gleich mehrere Möglichkeiten. Hast du schon mal darüber nachgedacht, wo du später gern leben und arbeiten würdest? Polen? Tschechien? Deutschland?

Jedes Land hat seinen Reiz und jedes Volk seine sympathischen und manchmal auch weniger sympathischen Eigenheiten. Zum Beispiel halte ich die vielgerühmte deutsche Pünktlichkeit für ein Gerücht! (lacht) Meine deutschen Freunde sind alle fürchterlich unpünktlich! Aber die Mentalität ist schon anders. Mir ist aufgefallen, dass Tschechen oft etwas zurückhaltender sind, während Deutsche viel selbstbewusster auftreten.

Berechtigterweise...?

Ganz ehrlich? Nicht immer. (lacht) Nein, im Ernst: Mein persönlicher Eindruck ist, dass sich Osteuropäer durchaus für Deutschland und Westeuropa interessieren, während Deutschland den Blick nach wie vor eher nach Westen richtet und nur geringes Interesse an den osteuropäischen Staaten hat. In meinem polnischen Gymnasium stand Deutsch auf dem Lehrplan, und hier kriegt man nur mit Müh und Not einen Tschechisch-Kurs zusammen!

Findest du, Deutschland und Westeuropa haben in diesem Punkt noch etwas nachzuholen?

Undiplomatisch ausgedrückt: Ja! Und das finde ich in Zeiten von EU und Globalisierung schade.

Das Interview führte Janika Rehak

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2012

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