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Lieber Liszt statt Lady Gaga

 © Lisa Wellisch

Nachwuchspianistin Lisa Wellisch über ihr Leben als Musikerin

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„Für eine Karriere in der klassischen Musik braucht man eiserne Disziplin.“ © Lisa Wellisch

Mit Paul Kalkbrenner und David Guetta kann sie kaum etwas anfangen. Noch weniger mit Lady Gaga oder Rihanna. Dafür aber umso mehr mit Mozart, Liszt und Beethoven. Lisa studiert Klavier und Schulmusik an der Musikhochschule Stuttgart. Schon jetzt gehört die 25-Jährige zu den deutschen Hoffnungsträgern in der klassischen Musik und tourt regelmäßig durch europäische Musikhäuser.

Lisa, du übst täglich mehrere Stunden an deinem Instrument. Macht dir das überhaupt noch Spaß?

Ja, tatsächlich übe ich jeden Tag mindestens drei bis vier Stunden. Es ist aber wichtig, sich nicht zu einseitig auf das Instrument zu konzentrieren. Um die Stücke und ihre Struktur überhaupt verstehen zu können, ist eine gute fundierte kulturelle Bildung nötig. Zum Beispiel kann man die Schumann-Lieder musikalisch nur verstehen, wenn man die dazugehörigen Gedichte kennt. Für die Bilder einer Ausstellung von Modest Mussorgski sollte man selbstverständlich die Bilder, die mit der Musik beschrieben werden, im Kopf haben. Deshalb lese ich viel.

Hast du einen Lieblingskomponisten?

Nein, eigentlich nicht. Ich versuche mit meinen Stücken, die ich gerade übe und spiele, immer mindestens drei Epochen abzudecken. Zu Zeit wähle ich besonders gerne unbekannte Sachen aus, wie die Opernfantasien von Franz Liszt. Ich liebe es, neue Komponisten und Stücke zu entdecken.

Was hältst du von Musikern wie Paul Potts oder David Garrett, die sich mit ihrem klassischen Instrument im Popgeschäft inszenieren?

Den Auftritt von Paul Potts fand ich nicht schlecht, weil er gezeigt hat, dass klassische Musik auch aktuell noch die Leute berührt. Aber leider wird Klassik auch immer mehr in den Medien mit einem bestimmten „Image“ der Person verknüpft. Lang Lang spielt möglichst schnell und virtuos und Nikolai Tokarev zeigt sich auf CD-Covern cool in Jeans und Turnschuhen. Davon halte ich nichts, weil es mit der Musik nichts zu tun hat. Leider werden mittlerweile ständig junge attraktive Musiker von den Medien hochgehoben. Die werden dann ein paar Jahre lang verheizt und dann kommt der nächste nach. Das Problem sind oft die Manager. Die achten auf Äußerlichkeiten und Virtuosität, also auf Dinge, die sich gut vermarkten lassen. David Garret beispielsweise halte ich eigentlich für hochtalentiert. Ich finde es schade, dass er sein Talent nicht nutzt, auch selten gespielte Stücke durch seine Bekanntheit populär zu machen. Er ist ein typisches Beispiel dafür, wie sich „Image“ vor die Musik schieben kann.

Du musst aber zugeben, dass sich eine große Fangemeinde um diese Musiker scharrt und ihre Musik sehr beliebt ist.

Genau und darin liegt das Übel, denn die Konzertprogramme dieser jungen „Stars“ sollen möglichst seicht unterhalten und dem Publikum so wenig wie möglich abverlangen. Gedanken über interessante, stimmige, anspruchsvolle Programme machen sich die Manager dieser Musiker offenbar nicht. Das zieht ein beständiges Abfallen des Niveaus nach sich.

Immer wieder hört man, dass weniger bekannte Künstler mit Existenzängsten zu kämpfen haben. Stimmt das?

Das Musikstudium kostet viel Geld, denn man braucht ein teures Instrument und auch der Unterricht ist nicht billig. Deshalb studieren mit mir eher Akademikerkinder. Ich bin da eine Ausnahme. Meine Eltern haben beide weder studiert noch sonst etwas mit klassischer Musik zu tun. Von Existenzängsten habe ich bisher noch nicht so viel mitbekommen. Zudem gibt es gerade in einer Stadt wie Stuttgart viele Möglichkeiten, nebenher zu unterrichten.

Ist es nicht manchmal schwierig, deinen Weg Außenstehenden gegenüber zu rechtfertigen?

Ich bekomme oft zu hören, dass es in den Familien meiner Kommilitonen oft Probleme gibt. Die Eltern verstehen nicht, dass man auch in den Ferien üben muss. Mehrwöchige Urlaube zum Beispiel gehen nicht. Man ist immer an Konzertplanungen gebunden und benötigt dafür eiserne Disziplin. Die Musik begleitet einen auch in die Freizeit, sofern man hier Beruf und Freizeit überhaupt trennen kann oder will. In einer Beziehung mit einem Nichtmusiker kann es das auch problematisch werden. Manche suchen sich aber bewusst einen Partner mit anderem Beruf. Das schließt zum Beispiel das Problem der Konkurrenz aus und bietet natürlich auch Abstand, wenn man das will.

Wie ist das bei dir?

Mein Freund ist ebenfalls Pianist. Aber da wir uns für unterschiedliche Schwerpunkte interessieren ist das eher abwechslungsreich und angenehm. Abstand brauche ich nicht. Ich bin gerne den ganzen Tag von Musik umgeben.

Wie erlebst du deine Kommilitonen? Musiker gelten ja oft als „schräge Vögel“.

Naja, Musiker sind sehr offen und leben ihre Neigungen sicherlich eher aus. Es gibt schließlich auch wenige Studiengänge, in denen man so intensiv an sich und seiner Persönlichkeit arbeitet und sich mit sich selbst so stark auseinandersetzt. Ich denke, es ist sehr wichtig, eine wirklich individuelle Persönlichkeit zu entwickeln, um auf der Bühne zu stehen und sich auch extreme Dinge zu trauen .

Das Interview führte Magdalena Wagner

Copyright: Goethe-Institut Prag
Oktober 2012
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