Mutige Vorleser gesucht
Die „Night Of The Living Readers” in Olomouc
Der große Augenblick ist gekommen. Der Autor tritt zum ersten Mal vor ein Publikum. Es ist sein erster Kontakt mit potenziellen Lesern. Jetzt hat er die Chance, sein Werk vorzustellen. Gespannte Erwartung sowohl für ihn selbst als auch für das neugierige Publikum. Eine Autorenlesung – das sind einerseits überraschende Momente auf beiden Seiten. Andererseits ist es das mutige Unterfangen, mit etwas so Intimen wie den eigenen Aufzeichnungen vor die Öffentlichkeit zu treten. Auch in Olomouc finden solche literarischen Zusammenkünfte statt. Organisiert werden sie von Ondřej Čížek, einem 23-jährigen Studenten der Theaterwissenschaften. Und zwar auf eine ungewöhnliche Art und Weise, die auf positive Resonanz stößt – die Abende sind von Mal zu Mal besser besucht. Wir sprachen mit Ondřej Čížek über sein Projekt Night Of The Living Readers (NOTLR).
Wie würdest du deine Veranstaltung beschreiben?
Es ist eine Art literarische Talk-Show für beginnende Autoren, die Lust und natürlich auch den Mut haben, ihre Texte vor einem Live-Publikum zu präsentieren. Es geht darum, eine Lesung einmal auszuprobieren, seinen eigenen Vortragsstil zu finden und vor allem auszutesten, wie die Zuhörer auf das Vorgetragene reagieren werden. Eine Talk-Show ist es in dem Sinne, dass ich mich – als Moderator des Abends – nach der Lesung mit den Autoren über ihre Person und ihre Texte unterhalte. Da ist natürlich auch Platz für Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum. Literatur präsentieren wir in diesem Rahmen also auf eine etwas andere, lebendigere Art und Weise.
Organisierst du das alles selbst oder gibt es irgendein Team?
Ich habe damit 2009 ganz alleine angefangen. Damals war das für ein paar Freunde gedacht, die etwas vorgelesen haben, auch ich habe da mitgemacht. Heute helfen mir ein paar Leute vor allem mit der Technik, ich kümmere mich um Organisation und Dramaturgie.
Wer sucht die Texte aus, die gelesen werden?
Der Abend steht allen offen. Es ist nicht so, dass mir Leute Texte schicken und ich dann entscheide, das wird gelesen, das nicht. Lesen kann hier jeder, der zu seinen Texten steht und Mut und Lust hat, sie vor Publikum vorzutragen. Die Interessenten schicken mir ihre Texte, damit ich eine Vorstellung davon bekomme wie der Abend verlaufen wird und ich die Reihenfolge der Beiträge festlegen kann. Ich bin derjenige, der den Vorleser vorstellt und ihm Fragen stellt, aber nicht derjenige, der die Texte aussucht. Natürlich lese ich die Texte, bewerte sie jedoch nicht und gebe den Autoren auch keine Ratschläge. Manchmal spreche ich allerdings Leute an, von denen ich weiß, dass sie schreiben und bitte sie etwas vorzulesen.
Mir ist aufgefallen, dass bei der letzten Lesungen Erotik ein bestimmendes Thema war. Ist das immer so?
Nein. Das lag vor allem daran, dass der Hauptgast Jan Kunze war, Dichter und Sänger der Band KOFE-IN. Seine Texte sind voller sexueller Anspielungen, die stellenweise durchaus pikant sein können. Aber das war keine Absicht. Eine gewisse Reizwirkung stellte sich an diesem Abend ganz von selbst ein. Die vorhergehende Veranstaltung war viel direkter.
Gibt es etwas, das die Texte und ihre Autoren gemeinsam haben?
Ziemlich viele Vorleser präsentierten leichte Poesie im Bohème-Stil, es gab auch depressivere Beiträge, vor allem von Frauen. Zu hören waren aber auch surrealistisch gefärbte Bewusstseinsströme und eine Art naive Poesie. Jan Těsnohlídek, der im Zentrum der dritten Night stand und meiner Meinung nach einer der besten zeitgenössischen Dichter ist, präsentierte wiederum eine intime, aber gleichzeitig intensive soziale Poesie, in der Gesellschaft, Politik und Alltag reflektiert werden. Wie ich das so aufzähle fällt mir auf, wie vielgestaltig die Lesungen waren und sind. Das gilt auch für die Prosa.
Kam es auch schon vor, dass einer der Votragenden beim Publikum regelrecht durchfiel?
Ja, das kam schon vor. Aber darum geht es ja auch bei dieser Veranstaltung, vieles ist einfach nicht vorhersehbar. Inzwischen kommt ja auch eine anständige Anzahl Zuhörer, beim letzten Mal waren es 80, also ist es klar, dass nicht jeder Vorleser jeden Zuhörer begeistert. Aber es gibt immer jemanden, der die Leute sofort fesselt. Zuletzt war dies beispielsweise Kryštof Pohl, der als einziger tobenden Beifall bekam und damit sogar auf größere Resonanz stieß als der eigentliche Hauptgast des Abends. Und darum geht es. Die Dramaturgie kann nicht davon abhängig gemacht werden welche Texte mir gefallen und welche nicht – und ich will das auch gar nicht. Es liest immer jemand, der irgendwie abseitig ist und der bei den Leuten beim ersten Mal einfach nicht so toll ankommt.
Sprichst du mit den Autoren beispielsweise auch über ihre Motivation zum Schreiben und warum sie öffentlich auftreten?
Ich treffe mich mit den Autoren vor der Lesung, ansonsten kommunizieren wir über E-Mail, meistens geht es dabei aber um organisatorisch-technische Fragen wie Mikrofon, Beleuchtung und so weiter. Ihre Motivation ist kein Thema für mich. Das ist deren Angelegenheit, denn sie repräsentieren bei diesen Lesungen nur sich selbst. Bei den Vorlesern, die ich selbst kenne und die bei der NOTLR aufgetreten sind, spielt vor allem die Liebe zur Literatur eine Rolle, die Sehnsucht, selbst etwas zu schreiben und einmal eine eigene Autorenlesung mit allem Drum und Dran zu erleben. Vielleicht haben sie ihre Texte bereits mit positivem Feedback im Freundes- und Verwandtenkreis gelesen, was sie anspornte, es auch mal „richtig“ vor 80 unbekannten Menschen auszuprobieren. Aber da kann es natürlich noch viele weitere Motive geben, die ich nicht kenne.
Unterstützt dich überhaupt jemand, zum Beispiel von Seiten der Uni?
Ja, aber das ist nur moralische Unterstützung. Es ist jedenfalls schön, wenn die Professoren sagen, dass es ihnen gefällt oder wenn sie es sich selbst mal anschauen kommen. Aber finanziell bekomme ich keine Unterstützung, also ist das nach wie vor so eine „Punk“-Geschichte – die Lesungen finden statt, wenn Lust, Zeit und Energie vorhanden sind.
Kannst du dir vorstellen, so etwas auch außerhalb einer Universitätsstadt zu organisieren?
Ich sage mal ein Beispiel. Ich komme aus Česká Třebová, das ist eine relativ kleine Stadt. Wenn ich dort so etwas auf die Beine stellen sollte, würde ich das in dem einzigen alternativen Club machen, den es dort gibt. Da kämen dann wahrscheinlich ein paar Ortsansässige hin sowie vielleicht zehn Leutchen vom Gymnasium. Und wahrscheinlich würde das nicht besonders gut funktionieren. Andererseits kann ich mir vorstellen, wie man das dort anstoßen könnte. Das Gymnasium wäre ein guter Ausgangspunkt. Über eine schulische Arbeitsgemeinschaft oder einen Workshop könnte man beginnen, mit literarisch ambitionierten Schülern zusammenzuarbeiten. Diese würden dann auch die Werbetrommel für die Lesungen rühren. Alles würde in dem Club stattfinden, die Leute würden sich daran gewöhnen. Also ja, eine Möglichkeit sehe ich da auf jeden Fall.
Welche Werbung machst du selbst für die NOTLR?
Bei solchen Aktionen interessiert mich persönlich die visuelle Seite. Das ist mir auch im Falle der NOTLR ziemlich wichtig ist. Jedes Mal lasse ich ein Plakat entwerfen, seit kurzem gibt es einen Blog und natürlich nutze ich Facebook. Soziale Netzwerke sind für solche Art Aktionen extrem wichtig. Es kann auch nicht schaden, eine Pressemeldung zu schreiben und diese dann in die Kulturredaktionen zu schicken. Das lockt wahrscheinlich nicht massenhaft neue Leute an, aber es erhöht den Bekanntheitsgrad der Veranstaltung.