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Kampf um die Rettung des Böhmerwalds

Kampf um die Rettung des Böhmerwalds
Kampf um die Rettung des Böhmerwalds (Foto: Lenka Švecová)

Der Böhmerwald ist dank seiner Naturschönheiten ein beliebtes Ziel bei Touristen und Wanderern, im Winter verwandelt er sich in ein Paradies für alle Wintersportfreunde. In den vergangenen Jahren ist der Böhmerwald allerdings auch Gegenstand eines Konflikts geworden, der sich vor den Augen einer breiten Öffentlichkeit abspielt und der sogar die höchsten Etagen der Politik beschäftigt.

Der Nationalpark Böhmerwald führt schon seit Jahrzehnten einen vergeblichen Kampf gegen seinen ärgsten Feind, den Ips typographus, besser bekannt unter der Bezeichnung Borkenkäfer. In jüngster Zeit ist aus dem Nationalpark ein Schlachtfeld geworden. Zwei Lager streiten erbarmungslos darum, ob der Wald sich selbst überlassen werden soll, oder ob der Menschen mit radikalen Eingriffen in das Ökosystem gegen den Borkenkäfer vorgehen soll.

Kampf um die Rettung des Böhmerwalds
(Foto: Lenka Švecová)
Die Larven des Borkenkäfers leben unter der Baumrinde. Die Rinde ist ihre Nahrung; das Ergebnis: ein befallener Baum stirbt bald ab. Bereits seit einigen Jahren beschäftigt der Schädling die Nationalparkverwaltung. Dazu kommen, neben dem eigentlichen Borkenkäfer-Problem, eine erhebliche Anzahl kahler Flächen an Orten, an denen es in der Vergangenheit zu rücksichtslosen Rodungen von Waldflächen gekommen war. Die baumlosen Flächen konnten den oft schroffen klimatischen Bedingungen in dieser Gebirgslandschaft nicht trotzen, was an diesen Stellen auch zu beträchtlichen Baumbrüchen führte.

Den Streit darüber, ob die vom Borkenkäfer befallenen Bäume gefällt werden sollen oder nicht, wollte Jan Stráský, der gegenwärtige Direktor des Nationalparks Böhmerwald, auf drastische Art und Weise lösen. Sein „Plan zum Schutz des Böhmerwalds“, den auch Staatspräsident Václav Klaus befürwortet, sah den Holzschlag von rund 5000 vom Borkenkäfer befallener Bäume vor, und zwar an zwei Orten, im Bereich Na Ztraceném und in der Gegend am Vogelbach (U Ptačího potoka).

Diese Nachricht empörte die Umweltorganisationen. Mitglieder der „Bewegung Regenbogen“ („Hnutí Duha“) versammelten sich Ende Juli – zum Zeitpunkt der geplanten Rodung – bei den zur Fällung vorgesehenen Bäumen und blockierten die Holzfäller in ihrer Arbeit. Mehrfach musste auch die tschechische Polizei eingreifen, vor allem dort, wo sich die Demonstranten hoch oben in den Bäumen festbanden. Das Hauptziel der Umweltaktivisten war es, eine Massenrodung zu verhindern. Sie wollen dem Wald ermöglichen, selbst mit dem heimtückischen Parasiten fertig zu werden. „Gerade dank des Borkenkäfers verändern sich im Böhmerwald die Wälder und bekommen damit ihre natürliche Struktur wieder“, erklärte der Experte der Umweltinitiative, Jaromír Bláha. Der Chef der Umweltorganisation Hnutí Duha, Petr Macháček, vermutet hinter dem Holzschlag im Böhmerwald zudem noch wirtschaftliche Interessen: „Die Ereignisse der letzten Wochen haben gezeigt, dass die wilde Natur des Böhmerwaldes den Holzunternehmen, Developern und Grundstücksspekulanten ein Dorn im Auge ist.“ Die Blockade der Umweltaktivisten ist damit zu einem Symbol für den Schutz des gesamten Nationalparks geworden. Die Schäden an den natürlichen Ökosystemen, die im Zuge der Rodung entstanden sind, hält Hnutí Duha allerdings für irreparabel.

Kampf um die Rettung des Böhmerwalds
(Foto: Lenka Švecová)
Die Bewohner des Böhmerwaldes unterstützen hingegen die Entscheidung der Nationalparkverwaltung. Sie befürchten nämlich, dass der massenhaft auftretende Borkenkäfer weitere bei Touristen beliebte Gebiete verwüsten und damit eine Haupteinnahmequelle der Region gefährden könnte. „Wenn wir bei Modrava gegen den Borkenkäfer nicht einschreiten, könnte er in diesem Sommer noch weitere 30.000 Bäume gefährden. Die Rodung von 3000 Bäumen bedeutet einen viel geringeren Schaden an der Natur, als der Verlust von weiteren 30.000. Es handelt sich hierbei um Management-Maßnahmen zum Schutz des Waldes in künstlich angelegten, nicht natürlich gewachsenen Fichtenwäldern“, verteidigte der stellvertretende Direktor der Nationalparkverwaltung Jiří Mánek das Vorgehen.

In der zugespitzten Situation wurden sogar Premierminister Petr Nečas und weitere Politiker aufgerufen, zwischen den verfeindeten Lagern zu schlichten. Das Borkenkäferproblem hat die Politik erreicht, aber nicht nur die tschechische. Der Streit um den Holzschlag im Böhmerwald rief die EU auf den Plan, denn der Böhmerwald gehört zum Netzwerk europäischer Naturschutzgebiete NATURA 2000. Die EU forderte eine Erklärung zu den Rodungen und den in Zukunft geplanten Maßnahmen gegen den Borkenkäfer.

Allerdings scheint sich auch Mutter Natur entschlossen zu haben, in den heftigen Streit einzugreifen. Das schlechte Wetter, das in Tschechien die meiste Zeit des Sommers herrschte, machte auch dem Borkenkäfer im Böhmerwald zu schaffen. Der Schädling ist offenbar von einem unbekannten Virus befallen, das bereits die Larven unter der Baumrinde tötet. Die Rodungen an Orten mit hohem Borkenkäferbefall aber werden dennoch fortgesetzt.
Lenka Švecová
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
September 2011
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Argumente für Rodungen im Nationalpark Böhmerwald

Einen bedeutenden Teil des Böhmerwaldes bilden künstlich angelgete Kiefernwälder, die den Schutz des ursprünglichen Waldes nicht gewährleisten. Der ist dann sowohl für Schädlingsbefall als auch für das unberechenbare Gebirgswetter anfälliger. Das Problem des Borkenkäferbefalls müsse laut der Nationalparksverwaltung deshalb auf dem schnellsten Wege gelöst werdendamit der Böhmerwald, so wie wir ihn heute kennen, erhalten bleibt. Darüber wird behauptet, der Wald im Bereich des Vogelbachs sei weniger wertvoll.

Argumente gegen das Fällen von Bäumen im Nationalpark Böhmerwald

Der Borkenkäfer als solcher gehört zweifelsohne zum Ökosystem Wald, und die Natur wird mit dem Insekt selbst fertig. Das belegen auch die Erfahrungen auf der anderen Seite der Grenzeim Nationalpark Bayrischer Wald. Dort lässt man den Borkenkäfer gewähren. Trotzdem ist die Situation mehr oder weniger stabil. Außerdem kommt es auf bayerischer Seite kaumzu Baumbrüchen, weil es fast keine kahlen Flächen gibt. Die Fichtenwälder sind dortvon Tannen und Buchen umgeben, die den Fichten den nötigen Schutz geben. In diese natürlichen Zonen sollte nach Meinung von Wissenschaftlern überhaupt nicht eingegriffen werden.

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