Leben

Warum es Sinn macht, sich an Bäumen festzubinden

Foto: Jan Duda
Foto: Jan Duda
Ein Aktivist schützt einen zum Fällen freigegebenen Baum

Ich habe ein paar Freunde, die sind in den Ferien in den Böhmerwald (tschechisch: Šumava) gefahren. Anstatt den Urlaub zu genießen, interessierten sie sich für die gefährdeten Bäume und unterstützten die dortige Blockade.

Dabei haben Menschen unterschiedlichen Typs zusammengefunden: Studenten, Vertreter von Bürgerinitiativen, Jugendbetreuer, Rechtsanwälte. Jeder lebte sein eigenes Leben bis zu dem Augenblick, als die Nachricht über illegalen Holzschlag im Nationalpark Böhmerwald auftauchte. Sie sind sich darüber einig, dass dagegen etwas unternommen werden muss. Ihr Engagement basiert auf einer Überzeugung, nämlich der, dass man sich als Bürger organisieren und auf bestimmte Art und Weise auf das Problem hinweisen muss, wenn in dieser Sache der Staat beziehungsweise die Polizei nichts unternimmt. Warum? Ohne Genehmigung werden hier nämlich rund 3000 Bäume gefällt. Dabei geht es um ein Naturschutzgebiet, in das nur mit der amtlichen Erlaubnis des Umweltministeriums eingegriffen werden darf. Die existierende Genehmigung der Nationalparkverwaltung reicht nicht aus. Wenn da etwas schief läuft, muss man sich bemerkbar machen.

„Im wilden Herzen Europas, dem größten Urwaldgebiet ohne menschlichen Eingriff in Mitteleuropa, haben wir die einzigartige Möglichkeit, eine tatsächlich wilde Natur für die nächsten Generationen zu erhalten“, steht auf den Seiten des Projektes „Wildes Herz Europas“. Es geht um das Gebiet der beiden Nationalparks Böhmerwald und Bayerischer Wald, wo einst der „Eiserne Vorhang“ die Menschen trennte. Die Unzugänglichkeit des Gebietes führte auf tschechischer Seite paradoxerweise dazu, dass ein wertvolles Stück unberührter Natur erhalten geblieben ist. Umweltschutz wird allerdings auf beiden Seiten der Grenze unterschiedlich interpretiert. In Deutschland werden keine großen Diskussionen geführt, auf tschechischer Seite ist hingegen ein Kampf darum entflammt, wie mit dem Borkenkäfer umzugehen sei.


Foto: Jan Duda
Die Polizei schreitet zugunsten der Holzfäller ein

Der Urlaub fing für Lucka Macků ein wenig ungewöhnlich an. Der Wecker klingelt um vier Uhr morgens! Jetzt schnell die Tasche gepackt: Butterbrot, Fotoapparat, Mückenschutz. Treffpunkt mit den anderen an der Blockade. Aufteilung in Wachgruppen. Ein paar Journalisten sind auch vor Ort. Gestern Nacht hat auch Katka Petrášová aus Brno das Basislager erreicht: „Meine Eltern haben mir eine SMS geschickt, ich solle keinen Quatsch machen, sondern meinen Urlaub normal verbringen. Das verstehe ich nicht. Bei uns herrscht nach wie vor die Gewohnheit, den Kopf in den Sand zu stecken. Mit so einer Haltung würden wir nichts verändern“, sagt sie verärgert.

Vor Sonnenaufgang beherrschen nervige Insekten das Geschehen. Das Mückenspray macht die Runde. Jetzt gibt es Grundanweisungen, dann folgt die Aufteilung, jede Gruppe bekommt einen Standort zugewiesen. Der Wald muss vor Holzfällern geschützt werden! Beeindruckende Stille, das Rauschen des Waldes. Das Rauschen des Böhmerwaldes. Der Tag erwacht und die Natur öffnet ihre Arme. In der Nähe plätschert ein Bach...

Jede Gruppe hält danach Ausschau, ob sich nicht zufällig ein Auto mit Waldarbeitern nähert. Es ist ein bisschen wie ein Katz-und-Maus-Spiel. Wegen der Umweltschützer wird nämlich jeden Tag woanders gefällt. Da kommt ein Auto der Parkverwaltung. Jetzt steigt „Mister Markierung“ aus – der Mann kennzeichnet die Bäume, die gefällt werden sollen. Viele der markierten Bäume sind aber gesund. Zeitgleich findet eine Pressekonferenz mit dem Nationalpark-Chef Jan Stráský statt. Akkreditierte Journalisten kreisen mit Delegationen in Hubschraubern über dem Park. Angeblich soll irgendwo eine Abfahrtspiste für Skifahrer entstehen. Vor einigen Monaten hat die Nationalparkverwaltung Ornithologen, Dendrologen und Landschaftsplaner herausgeekelt, die früher Expertenstudien für die Parkverwaltung verfassten. Der neue Kurs der Parkverwalter orientierte sich in der Folge an politisch-unternehmerischen Aspekten. Dagegen wehren sich nun gemeinsam mit den Umweltaktivisten die verbannten Wissenschaftler. Klar, das Interesse der Ortsansässigen an billigem Holz, einer besseren Infrastruktur und besseren Dienstleistungen ist eine Sache. Dagegen steht allerdings ein jungfräulich unberührtes Stück Land, die so genannte „Nicht-Eingriffszone“ des Nationalparks, wo die Natur so belassen werden soll, wie sie sich selbst entwickelt.

Die Holzfäller sind im Anmarsch! Begleitet werden sie von der Polizei. Einige mutige Umweltschützer binden sich an Bäume fest. Andere schauen ungläubig, was als nächstes passiert. Die Motorsägen werden angeworfen. Ohne weiter nachzudenken, schreitet die Polizei einseitig zugunsten der Holzfäller ein. Ein Fernsehteam nähert sich. Eine riesige Show inmitten des grünen Forstes. Das alles mitten im Hochsommer...

Zwei Monate später

Mojmír Vlašín, Foto: Strana zelených

Anfang Oktober. Kreisgericht Pilsen. Die Blockadeteilnehmer warten ungeduldig auf die Urteilsverkündung. Mojmír Vlašín, ein Teilnehmer der Proteste hat mit Hilfe einiger Bürgerinitiativen Strafanzeige gegen die Polizei wegen der Auflösung der Protestkundgebung im Sommer erstattet. Und ja! Das Gericht gibt ihm Recht! Die einseitige Vorgehensweise der Polizei wird als gesetzeswidrig bezeichnet, sie verstößt gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Landes. Den Teilnehmern wird eine Entschädigung zugesprochen. Das ist ein großer Moment, sowohl für die Betroffenen als auch für zukünftige ähnliche Fälle. „Wie wir weiter vorgehen werden besprechen wir mit den anderen Blockade-Teilnehmern. Ich persönlich lege keinen Wert auf eine materielle Entschädigung für die gesetzeswidrigen Verletzung der Bürgerrechte durch die Polizei. Ich halte es allerdings für wichtig, dass die Polizei die Kosten für ihr Manöver auf eine Million Kronen beziffert hat, und jetzt klar ist, dass sie dafür ganz alleine verantwortlich ist“, fasst Mojmír Vlašín seinen Standpunkt zusammen.

Insgesamt könnte man die ganze Sache vielleicht mit dem Spruch „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“ zusammenfassen. Allerdings bleibt einem das Lachen im Halse stecken, wenn man sich der gefällten Bäume und an die Willkür der Nationalparkverwaltung Böhmerwald erinnert. Allerdings hat sich gezeigt, dass es sinnvoll ist zu protestieren...

Jan Duda
Übersetzung: Ivan Dramlitsch

Copyright: Goethe-Institut Prag
November 2011
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