Das Geschäft mit der Angst

Foto: © Hans-Peter Killguss

Rechtspopulismus, Muslimfeindlichkeit und die extreme Rechte in Europa

Hans-Peter Killguss ist Leiter der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Foto: © Hans-Peter Killguss Hans-Peter Killguss ist Leiter der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus im NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln. Ein Tagungsband, den er gemeinsam mit Alexander Häusler herausgegeben hat, trägt den Titel Das Geschäft mit der Angst. Rechtspopulismus, Muslimfeindlichkeit und die extreme Rechte in Europa. Im Interview erklärt er, woher die Angst vor dem Fremden kommt, wer sie schürt und für seine Zwecke instrumentalisiert – und was man dagegen unternehmen kann.

Menschen fürchten sich vor Spinnen, Schlangen oder Mäusen – aber warum haben sie Angst vor einer Moschee oder einer Asylbewerberunterkunft in ihrer Nachbarschaft?

Es ist meiner Ansicht nach wichtig, dass man die Angst vor dem Fremden nicht mit der vor Spinnen oder Ähnlichem vergleichen kann. Deswegen lehne ich Begriffe wie Xenophobie oder Islamophobie auch ab – weil das suggerieren würde, dass es eine natürliche Angst vor Fremden gibt. Das ist aber nicht der Fall. Angst vor Fremden ist nichts, was von Geburt aus vorhanden ist, sondern etwas Erlerntes. Sie resultiert zum einen aus einer gefühlten Überforderung mit der modernen Gesellschaft, beispielsweise wenn Menschen mit Pluralität nicht zurechtkommen. Zum zweiten bekommen wir, wenn wir mal beim Thema Islam bleiben, aus vielen Quellen immer wieder Bilder vorgelegt, in denen der Islam als eine Gefahr dargestellt wird: von den Eltern, der Politik, aus dem Freundeskreis oder den Medien.

Eine natürliche Angst vor Fremden gibt es also nicht?

Darüber streitet man sich in der Wissenschaft. Ich würde der Theorie zuneigen, dass sie sozial erlernt ist. Über gesellschaftliche Strukturen bekommen Menschen immer wieder gezeigt, dass es Leute gibt, die dazugehören und welche, die angeblich nicht dazugehören. Wenn dann Menschen das Gefühl haben, sie müssten ein Dominanzverhalten gegenüber denjenigen an den Tag legen, die nicht dazugehören, dann kann die Figur des Anderen mit unterschiedlichen Bildern gefüllt werden. In westdeutschen Großstädten sind das momentan – nicht ausschließlich aber sehr stark – die Muslime. An anderen Orten können es Roma und Sinti sein, zum Beispiel wenn über die Aufnahmen von Flüchtlingen diskutiert wird: Dort wird oft Roma verstärkt Ablehnung entgegengebracht.

Propaganda in der Mitte der Gesellschaft

Woher kommt es, dass im Moment gerade der Islam bei vielen Menschen Angst auslöst?

Das hat etwas damit zu tun, dass der Islam in den vergangenen Jahren sehr viel sichtbarer geworden ist als er noch in den 1980er Jahren war. Die muslimischen Gemeinden geben sich nicht mehr mit Hinterhofmoscheen zufrieden, sondern wollen repräsentative Gebetshäuser haben. Ein Grund ist aber auch der propagandistische Wandel bei der extremen Rechten. Man sieht dort, dass man mit Kultur und Religion viel mehr Stimmung machen kann als mit einfachen Ausländer-raus-Parolen: Wenn sie sich auf die Bedrohung des christlichen Abendlandes beziehen, sind die Rechten viel erfolgreicher, weil solche Aussagen anschlussfähiger an die Diskurse in der Mitte der Gesellschaft sind.

© NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus, Köln 2012

Unter welchen Voraussetzungen funktioniert die Instrumentalisierung von Ängsten zum Zweck der Propaganda?

Sie funktioniert umso besser, je homogener eine Gesellschaft ist oder je homogener sich ein Teil einer Gesellschaft begreift. Wo es unterschiedliche Lebensstile gibt und das als etwas Positives dargestellt wird, wo eine Vorstellung davon da ist, dass es gleiche Rechte für alle Menschen gibt, egal welcher Religion sie angehören, dort hat Propaganda weniger Chancen. Außerdem hat es auch etwas mit Veränderungsprozessen zu tun – und wie diese kommuniziert werden. Migrationsbewegungen verändern eine Gesellschaft. Ob diese Prozesse in Politik, Kultur oder den Medien positiv begleitet und kommuniziert werden, ob Verständnis für solche Prozesse geschaffen wird, ist ein Faktor, der darüber bestimmt, wie erfolgreich rechtspopulistische Propaganda sein kann. Letztlich ist es aber auch eine soziale Frage. Dort, wo große soziale Verwerfungen sichtbar sind, kann Propaganda erfolgreich sein: Ängste vor sozialem Abstieg können dann leichter geschürt werden, die extreme Rechte kann sagen: „Das droht euch auch und schuld daran sind die Muslime beziehungsweise die Migranten“.

Wie Medien auf Ängste setzen

Ab wann sind solche Sprüche einer typisch rechten Strategie zuzuordnen?

Die Übergänge sind fließend. Thilo Sarrazin ist das prominenteste Beispiel: Natürlich betreibt auch er das Geschäft mit der Angst mit seiner These, dass die Deutschen angeblich bedroht seien, weil die Migranten mehr Kinder bekämen. Damit spielt er die demographische Karte und versucht Ängste zu instrumentalisieren. Sehr plakativ war auch ein Titel des Focus aus dem Jahr 2008: „Unheimliche Gäste?“ lautete der Titel eines Artikels über Muslime in Deutschland. Man sieht darauf betende Männer, die dem Betrachter den Rücken zukehren, in leicht gräulichem Ton, als wäre es ein Bild aus einem Horrorvideo. Oder wenn man sich den Spiegel anschaut, sind Bilder zum Thema Islam meist sehr dunkel gehalten und haben bedrohlichen Charakter. Man findet selten Bilder, auf denen Vielfalt positiv dargestellt wird. Das ist ein Beispiel dafür, dass Medien auf Ängste setzen und damit im wortwörtlichen Sinne Geschäft machen. Denn unabhängig davon, ob der Artikel selbst durchaus differenziert sein kann, die Bildsprache ist eindeutig: Etwas wird als fremd konstruiert und mit der Eigenschaft „unheimlich“ belegt.

Wie gefährlich sind solche Bilder, wenn sie in den Medien verwendet werden?

Ich finde das sehr gefährlich. Ich führe selbst Workshops mit Jugendlichen durch. Die jungen Menschen verweisen immer wieder auf die Medien – hauptsächlich das Fernsehen und das Internet. Sie belegen ihre Thesen von „nicht-integrierten“ Zuwanderern oft mit Beispielen, die sie aus dem Netz haben und diese Beispiele werden dann verallgemeinert. Die Medien sind zwar nicht ursächlich verantwortlich und es wäre falsch, nur eine Medienschelte zu betreiben. Aber sie haben zusammen mit anderen Akteuren der Gesellschaft Verantwortung.

„Angstthemen offen ansprechen“

Was kann die Gesellschaft gegen das Geschäft mit der Angst unternehmen?

Jeder kann in seinem jeweiligen Umfeld – ob Sportverein, Kirche, Schule oder Arbeitsplatz – dafür Sorge tragen, dass rassistische Sprüche nicht als lustig abgetan oder ignoriert werden. Man sollte deutlich Position beziehen, das hat Wirkung in zwei Richtungen: Man tritt mit dem, der solche Sprüche äußert, in einen kritischen Dialog. Aber es wirkt auch auf die anderen, die nicht direkt Beteiligten, damit sie merken: Es gibt auch Menschen, die sich an rassistischen Äußerungen stören. Außerdem ist Präventionsarbeit, wie wir sie machen, wichtig. Bildungsarbeit kann auf der rationalen Ebene versuchen zu erklären, was Rassismus ist. Dabei darf aber auch die Gefühlswelt nicht vernachlässigt werden. Pädagogik muss auch Möglichkeiten schaffen, damit Vielfalt als positiv wahrgenommen wird. Das können ganz banale Dinge sein, bei denen gemeinsam unterschiedliche Menschen an einem Projekt arbeiten.

Und die Politik?

Wichtig ist, sehr vorsichtig zu sein mit bestimmten Äußerungen – das hat man beispielsweise an der Diskussion nach Sarrazin gesehen, wo viele Politikerinnen und Politiker erklärt haben, dass Multikulti gescheitert sei. Solche Aussagen schüren Ängste, weil sie das Denken befürworten, dass Migration etwas Gefährliches sei. Politiker sollten Zuwanderungsfragen nicht auf dem Rücken von Migranten oder Muslimen instrumentalisieren, sie sollten aber auch Angstthemen offen ansprechen. Wenn zum Beispiel ein Moscheeprojekt oder die Errichtung eines Flüchtlingswohnheims anstehen, ist es Aufgabe der Politik, das offen zu kommunizieren. Es darf nicht irgendwelche Deals in Hinterzimmern geben, sondern die Nachbarn sollten einbezogen und frühzeitig informiert, ihre Sorgen ernst genommen werden. Daneben halte ich es generell für wichtig, Bündnisse von unten zu fördern, wie zum Beispiel Runde Tische. Partizipation als eine Form von „gelebter Demokratie“ sollte ernst genommen werden. Die Erarbeitung des Integrationskonzepts hier in Köln, an dem viele Menschen beteiligt waren, ist ein gutes Beispiel dafür, wie man viele Bürger einer Stadt mit einbeziehen kann.

Wie schwierig ist es, das „Geschäft mit der Angst“, wie Sie es in Ihrem Buch nennen, zu durchschauen?

Man kann dieses Geschäft durchschauen, wenn man Sensibilität dafür hat, dass alle Menschen die gleichen Rechte haben sollen. Dann merkt man sehr schnell, worauf die rechte Propaganda abzielt. Wenn man der Meinung ist, dass es Vorrechte für bestimmte Gruppen von Menschen gibt, fällt man allerdings schnell drauf rein und sieht nicht so leicht, welch starker Rassismus dahinter steckt. Rechtspopulisten sagen: „Es geht uns um Radikalismus, reaktionäre Aspekte im Islam und Frauenrechte“ – was erstmal nicht so schlecht klingt. Aber wenn man genauer liest, merkt man, dass das immer mit Migranten in Verbindung gebracht wird. Sätze beginnen mit dem radikalen Islam und enden mit Migranten – das ist die Gefahr dabei. Man muss die Aussagen in einen Kontext einordnen, die Ideologie erkennen, die auf einer Trennung aufbaut zwischen „wir“ und „die“, die anhand ethnischer Linien verläuft. Wir sind nicht automatisch in der Propaganda gefangen, aber sie fordert dazu auf, dass man sich intensiver mit Aussage auseinandersetzt. Wir brauchen ein erweitertes gesellschaftspolitisches Verständnis, wenn wir die Strategien durchschauen wollen.

Das Geschäft mit der Angst. Rechtspopulismus, Muslimfeindlichkeit und die extreme Rechte in Europa.
Hrsg.: Alexander Häusler und Hans-Peter Killguss
NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus, Köln 2012<
148 Seiten
ISBN 978-3-938636-18-3
Beiträge und Materialien 6 der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus
9,90 Euro
Das Interview führte Corinna Anton

Copyright: Goethe-Institut Prag
Mai 2013
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