„Es braucht Mut, sich den Ängsten zu stellen!“
Herzrasen, Schweißausbrüche, Zittern, Engegefühl in der Brust: Zustände von Angst und Beklemmung kennt jeder. Doch wie viel Angst ist noch normal und wann empfiehlt es sich, einen Fachmann aufzusuchen? Therapeutin Karin Inama gibt einen Überblick über ein Thema, mit dem sich nicht jeder gern auseinandersetzt. Eine gute Nachricht gibt es gleich vorab: Angst ist zunächst einmal eine normale und sogar eine gesunde Gefühlsregung!
Frau Inama, für die meisten Menschen ist es sicherlich schwer, der Angst etwas Positives abzugewinnen. Können Sie uns das näher erläutern?
Angst ist eine Reaktion auf eine als bedrohlich erlebte Situation, und zwar auf der biologischen Ebene. Daher muss man sich zunächst einmal anschauen, was bei Angst im Körper passiert: Erhöhte Pulsfrequenz, beschleunigte Atmung, gesteigerter Adrenalinspiegel wirken hochgradig aktivierend. Der Körper stellt sich auf Flucht oder Kampf ein. Nach einem kurzen, lähmenden Moment des Erschreckens macht Angst ein Individuum wach und handlungsfähig. Somit ist die Angst eine überaus sinnvolle Emotion. Wenn die Menschheit keine Angst kennen würde, dann wäre unsere Spezies vermutlich ausgestorben.
Ist Angst demnach ein Überbleibsel aus der Steinzeit? Man muss den Säbelzahntiger entweder erschlagen, oder vor ihm davonlaufen?
Angst ist in der Tat eine uralte Emotion. Genaugenommen ist sie eine der vier Grundemotionen neben Freude, Trauer und Wut. Ein Überbleibsel würde ich es aber nicht nennen, denn Menschen werden ja nach wie vor mit Gefahren konfrontiert, auch wenn der besagte Säbelzahntiger inzwischen ausgestorben ist. Es gibt aber auch Ängste, die nichts mit einem konkreten Auslöser zu tun haben. Das sind die sogenannten Existenzängste, zum Beispiel Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. So etwas tritt oft an bestimmten Wendepunkten im Leben auf: Wenn eine wichtige Entscheidung ansteht, wächst bei vielen Menschen die Sorge, einen Fehler zu machen, der sich negativ auf die Zukunft auswirken könnte. Derartige Ängste sind aber absolut normal und kein Grund zur Sorge.
Und wo beginnen pathologische Ängste und der entsprechende Handlungsbedarf?
Am häufigsten treten neben der Phobie vor allem Panikstörungen, generalisierte Angststörungen, sowie eine Mischform aus Angst und depressiver Störung auf. Wann Angstgefühle behandelt werden müssen, lässt sich allerdings nicht pauschal sagen, das hängt sowohl von der Art der Störung als auch von dem Betroffenen und seinem persönlichen Empfinden ab. Problematisch wird es für den Betroffenen immer dann, wenn die Ängste nicht mehr kontrolliert werden können, seine Gedankenwelt mehr und mehr beherrschen und die Lebensqualität erheblich einschränken.
Nehmen wir mal als Beispiel die wohl allseits bekannte Spinnenphobie. Muss ich mir Sorgen machen, wenn ich beim bloßen Anblick einer Spinne eine Gänsehaut kriege?
Hier würde ich zunächst einmal unterscheiden zwischen Angst und persönlicher Vorliebe – und Spinnen sind ja im Allgemein keine besonders beliebten Tiere. Wenn die Abneigung aber so weit geht, dass die Leute sich nicht mehr entspannt in einer fremden Umgebung aufhalten können, ohne sich erst mal davon zu überzeugen, dass alles auch garantiert absolut spinnenfrei ist, dann wird es problematisch. Mir ist auch ein Fall bekannt, bei dem eine Betroffene bereits Schweißausbrüche bei dem Gedanken bekam, ihren Kindern bei den Hausaufgaben zu helfen – denn im Biobuch könnte es ja ein Bild von einer Spinne geben. Wenn dieses Stadium erreicht ist, dann gibt es natürlich Handlungsbedarf.
Wie sieht so eine Behandlung aus?
Ich empfehle, in so einer Situation den Hausarzt aufzusuchen und diesem die Situation, beziehungsweise die Symptome zu schildern. Danach erfolgt eine Überweisung an den Facharzt, das ist in diesem Fall meist ein Psychiater. Dort wird dann abgeklärt, ob Behandlungsbedarf besteht, und wenn ja, welche Behandlungsform geeignet ist. Vor diesem ersten Schritt, dem Gang zum Arzt, haben viele aber noch Hemmungen. Es braucht also ein bisschen Mut, sich den eigenen Ängsten zu stellen.
Warum? Befürchten die Betroffenen, mit ihren Ängsten nicht ernst genommen zu werden?
Viel wichtiger ist in dem Fall, sich erst einmal selbst ernst zu nehmen. Viele Menschen mit beginnender Angststörung versuchen zunächst, sich einfach nur zusammenzureißen. Das funktioniert aber meistens nicht. Oft kommt es dann nur zur Vermeidung angstbesetzter Situationen – und dadurch wird das Problem verschleppt. Die Grundlage für eine Angststörung kann bereits im Jugendalter liegen, das Ganze manifestiert sich dann meist zwischen dem 20. und dem 30. Lebensjahr. Früherkennung ist also wichtig. Bei körperlichen Symptomen weiß das jeder: Aus einer unbehandelten Erkältung kann mitunter eine ausgewachsene Lungenentzündung werden. Bei Angststörungen und Problemen auf der psychischen Ebene im Allgemeinen kann genau das Gleiche passieren, aber das ist in vielen Köpfen noch nicht angekommen. Sinnvoll ist in jedem Fall eine möglichst rasche Abklärung der Symptomatik, denn das trägt in jedem Fall zu mehr Wohlbefinden bei: Gibt der Arzt Entwarnung, kann sich der Patient entspannen. Werden die Symptome mit der richtigen Diagnose und der entsprechenden Therapie angegangen, führt dies ebenfalls langfristig zu einer Verbesserung der Lebensqualität.
Treten Angststörungen in der modernen Zeit häufiger auf als früher? Oder sind die Menschen und auch vor allem die Fachleute einfach sensibilisierter?
(lacht) Ja, das ist immer die Standardfrage, ob gewisse Diagnosen häufiger gestellt werden, nur weil es endlich einen Namen dafür gibt. Mein Eindruck ist, dass die Leute informierter sind als früher. Heutzutage ist es außerdem kein so großes Tabu mehr, sich wegen gewisser Ängste in Therapie – oder überhaupt in Therapie - zu begeben. Auch Angehörige reagieren verständnisvoller. Dennoch ist das Stigma nicht ganz verschwunden und die Dunkelziffer ist nach wie vor hoch: Schätzungsweise sind derzeit 15 Prozent der deutschen Bevölkerung von Angststörungen leidet unter Angststörungen. Das klingt auf den ersten Blick - passend zum Thema wirklich - beängstigend. Gleichzeitig können diese Zahlen Betroffenen Mut machen, sich Hilfe zu suchen – allein durch die Vorstellung, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind.
Karin Inama ist Arbeitswissenschaftlerin und Heilpraktikerin für Psychotherapie mit eigener Praxis, Supervisorin und Leiterin des Gesundheitsbüros Ottersberg.