Nachtzug nach Berlin

Foto: Der Unfertige © 2013 Jan SoldatFoto: Der Unfertige © 2013 Jan Soldat
Foto: Der Unfertige © 2013 Jan Soldat

Es beginnt der 64. Jahrgang der Berlinale, eines der wichtigsten internationalen Filmfestivals. Angeblich werde ich endlich ein „richtiges Festival“ erleben. Ich fange langsam an mich zu freuen.

Es ist toll, dass ich nach Berlin fahre, um über die Berlinale zu schreiben, dass diese Aufgabe gerade mir zufiel. Und das, obwohl ich den Kollegen mehrmals gesagt habe, dass mich die Blondine zwei Reihen vor mir oder der robuste Kerl neben mir, der seiner Begleitung etwas Unverständliches auf Schwiizerdütsch zumurmelt, vermutlich mehr interessieren werden als die Anfangstitel des Eröffnungsfilms The Grand Budapest Hotel. Umso besser, wenn sich nach der Vorstellung herausstellt, dass die Blondine die Schauspielerin Rosalie Thomass ist, die ich ja eigentlich kenne, weil sie eine kleinere Rolle in dem witzigen Film Kohlhaas hatte. Ich freue mich darauf, diese Dame in einer ernsteren Situation zu sehen. Bisher ist sie vor allem aus Komödien bekannt.

Also dann: Ich fahre nach Berlin. Aber das Schreiben ist dabei eher eine angenehme Nebenbeschäftigung zu den verschiedenen Workshops und Treffen, die das Goethe-Institut für seine „Filmleute“ aus aller Welt veranstaltet. Und ich will und muss hier einige Filme sehen, denn auch der neunte Jahrgang des Filmfestes rückt näher. Daher erwartet mich hauptsächlich deutsches Kino und die Besucher des Prager Festivals im Herbst ein interessantes und volles Programm. Zumindest hoffe ich das, denn es sieht vielversprechend aus: Im Unterschied zum vergangenen Jahr, in dem der deutsche Film äußerst schwach vertreten war, treten diesmal gleich drei deutsche Filme im Wettbewerb um den Goldenen Bären an (so viele wie seit 2006 nicht mehr), und auch die Sektion Perspektive deutsches Kino lässt einiges erhoffen. Außerdem würde ich gerne ein paar Freunde aus und außerhalb der Filmwelt treffen, die auch gerade in Berlin sind. Mein Programm ist also mehr als reichhaltig.

Auf Filmfestivals fahre ich am liebsten, um Filme zu sehen, die irgendwie aus der Reihe tanzen, die vom Thema oder der Umsetzung her besonders sind … Und weil mir bis zum Ziel noch ein paar Stunden bleiben, schaue ich mir zur Einstimmung Der Unfertige an. Den Film hat mir der Regisseur Jan Soldat geschickt, mit dem mit dem ich ab und an ein paar Zeilen wechsle. Sein Kurzfilm Zucht und Ordnung lief bereits im Rahmen des Filmfestes 2013. Vor einigen Tagen war zu erfahren, dass Der Unfertige in der Kategorie Kurzfilm für den Preis der deutschen Filmkritik nominiert ist, und dass Jan in die Jury der Sektion Berlinale Generation 2014 berufen wurde. Ich freue mich auf unsere Verabredung zu einem Drink und einem Gespräch.

Vierzig Minuten später ist der Film vorbei, und ich fürchte, dass ich mir gleich den abgefahrensten Streifen ausgesucht habe. Vielleicht irre ich mich auch. Aber der Film über einen Menschen, der sich freiwillig in die Rolle eines Sklaven begibt und der die meiste Zeit über nackt und in Eisenketten gefesselt ist, ist schon ziemlich schräg anzusehen. Ganz bestimmt aber ist Der Unfertige weit davon entfernt voyeuristisch oder sogar pornographisch zu sein. In erster Linie ist er ein einfühlsames Dokument. Sieht also nach einem guten Beginn aus. Ich hoffe, dass auch die meisten der anderen Filme ähnlich einzigartig sein werden. Bis Berlin bleibt nicht mehr viel Zeit. Ich werde also ein wenig im Programm blättern und meinen Terminplan machen.

Tomáš Fridrich
bloggt für jádu von der Berlinale.

Copyright: Goethe-Institut Tschechien, Online-Redaktion
Februar 2014

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    Tomáš Fridrich arbeitet in der Programmabteilung des Goethe-Instituts Prag. Neben der Zusammenarbeit mit tschechischen Festivals beschäftigt er sich vor allem mit der Dramaturgie und Organisation des Festivals deutschsprachiger Filme Das Filmfest. Wenn er nicht im Kino sitzt, finden sie ihn wahrscheinlich außerhalb der Stadt, meistens im Gebirge.